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F. Zöllner, Ueber das Rotationsgesetz der Sonne und der grossen Planeten.

1.

Scheiner hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Sonnenflecken in verschiedenen heliographischen Breiten öfter mit einer verschiedenen Geschwindigkeit bewegen und zwar so, dass die südlich gelegenen Flecken eine schnellere Bewegung im Sinne der Rotation der Sonne besitzen als die nördlichen. Diese später auch von Giovanni Cassini, Schröter, Laugier u. A. bestätigte Thatsache ist jedoch erst in unseren Tagen durch die umfassenden und mit vollkommneren Hülfsmitteln angestellten Beobachtungen von Carrington 2) und Spörer 3) zu einem allgemeinen Gesetz erhoben worden, nach welchem die Rotationsgeschwindigkeit der einzelnen Zonen der Sonnenoberfläche mit zunehmender Breite stetig abnimmt. Auf Grund dieser merkwürdigen Thatsache hat bekanntlich Faye die Hypothese von der durchgängig gasförmigen Beschaffenheit des Sonnenkörpers entwickelt,

1) Rosa Ursina etc. Liber III. p. 260. Maculae australes breviori tempore majus in Sole spatium decurrunt quam septentrionales. Indem sich Scheiner auf eine Zeichnung der Sonnenscheibe bezieht, welche die Bewegung zweier nahe dem Aequator gelegenen Fleckengruppen vom 13. September bis 26. September des Jahres 1625 darstellt, bemerkt er bezüglich des fraglichen Phänomens: hoc non tantum hic, sed et alibi saepius deprehendes.

2) Observations of the spots on the Sun from November 9, 1853 to March 24, 1861 made ad Redhill, by Richard Christopher Carrington, F. R. S. London 1863.

3) Monatsberichte der Berliner Academie 1865. Juli und November. Ausserdem zahlreiche Abhandlungen in den Astronomischen Nachrichten. Math.-phys. Classe. 1871.

4

eine Hypothese, deren Priorität gegenwärtig Secchi mit folgenden Worten für sich in Anspruch nimmt :

»Dès le mois de janvier 1864, nous annoncions que le Soleil pourrait bien être gazeux. 1) (Voir: Bulletin météorologique de l'Observatoire du College Romain, 1er janvier 1864, p. 4, col. 4, lig. 34.)

»M. Faye a adopté, après nous cette idée que le Soleil est complétement gazeux; il est même communément regardé en France comme l'auteur de cette théorie, car il l'a développée dans les Comptes rendus des séances de l'Académie des Sciences.«2)

Allein Secchi führt noch einen andern Grund für die Nothwendigkeit seiner Hypothese an, nämlich die hohe Tempe ratur des Sonnenkörpers. 3)

Für die untere Grenze dieser Temperatur findet er 5 bis 6 Millionen Grade (Celsius) und bemerkt hierzu:

»en fixant comme limite inférieure 5 ou 6 millions de degrés, nous sommes certain qu'on ne peut pas nous accuser d'exagération mais, en réalité, sa valeur ne peut être inférieure à 10 millions de degrés.« (Ibid. p. 271.)

Ueber die Theorie und Methode der angewandten Temperaturbestimmung bemerkt Secchi Folgendes:

»La radiation d'un corps est proportionelle à sa température ou à la force vive moléculaire de ses radiations thermiques. On la mesure en déterminant la température à laquelle parvient un corps exposé au Soleil, et en comparant cette radiation avec celles que lui communiquent d'autres corps portés à une température connue.« (Ibid. p. 265.)

>>>Cette théorie une fois admise, on pourra facilement déter– miner la température du Soleil, et l'exprimer en prenant pour unité les degrés conventionnels du thermomètre. Pour cela, on exposera un thermomètre au Soleil dans une enceinte de tem

4) Secchi, Le Soleil. Paris 4870. p. 404.

2) Ibid. p. 406.

3) Ibid. p. 100 u. 104. ». . . existe-t-il dans l'intérieur du Soleil un noyau solide? Ce noyau n'est-il pas le siége d'actions physiques, dont les taches ne seraient que les manifestations? On a pendant longtemps admis cette hypothèse, mais différentes considérations nous ont depuis longtemps convaincu qu'elle est insoutenable, car elle est incompatible avec la température élevée que possède le Soleil, comme nous le verrons bientôt.«

pérature connue, on lira l'indication to donnée par la colonne mercurielle, et on multipliera ce nombre par le rapport qui existe entre la surface de la sphère et la surface apparente du Soleil.« (Ibid. p. 266.)

Abgesehen davon, dass die in dem ersten Satze enthaltenen Worte »sa température« und »force vive moléculaire de ses radiations thermiques zwei wesentlich verschiedene Begriffe bezeichnen und daher logisch hier nicht durch »o« verbunden werden können, widerspricht der Inhalt des ganzen Satzes der allgemein bekannten Thatsache, dass die Wärmeausstrahlung eines Körpers nicht nur von seiner Temperatur, sondern auch von seiner Qualität und der Beschaffenheit seiner Oberfläche abhängt.

Leslie hat bekanntlich zuerst quantitative Bestimmungen über das verschiedene Emissionsvermögen verschiedener Substanzen bei derselben Temperatur gemacht, 1) indem er die Flächen eines mit kochendem Wasser gefüllten Metallwürfels mit verschiedenen Substanzen überzog. Die späteren Versuche von Melloni, Knoblauch u. A., welche theils diese Beobachtungen bestätigten, theils auch die Abhängigkeit der ausgesandten Strahlenmenge von der Wellenlänge bewiesen, sind den Physikern allzubekannt, um hier noch besonders erwähnt zu werden.

Dass aber auch für ein und denselben Körper die Quantität der ausgestrahlten Wärme nicht der Temperatur des Körpers proportional, sondern schneller als diese wächst, sobald dieselbe nur einigermassen erheblich wird und z. B. 80° übersteigt, hat schon de la Roche gezeigt. 2) Endlich folgt aus den Untersuchungen Kirchhoff's »Ueber das Verhältniss zwischen dem Emissions vermögen und dem Absorptionsvermögen der Körper für Wärme und Licht« 3) ganz allgemein, dass die Emission der Wärme- und Lichtstrahlen eine Function der Temperatur, der Wellenlänge und der Qualität des Körpers sein muss. Diese Function ist demgemäss für jeden Körper eine andere und kann nur empirisch ermittelt werden, ihre Gültigkeit erstreckt sich

4) Leslie. Inquiry into the nature and propagation of heat. London 1804. 2) Journal de physique T. LXXV. p. 204.

De la Provostaye und Desains bewiesen ferner, dass die Aenderung der Wärmeausstrahlung bei steigender Temperatur bei verschiedenen Körpern nach ganz verschiedenen Gesetzen erfolgt. Vergl. Comptes Rendus

T. XXXVIII.

3) Poggendorff's Annalen CIX. p. 294 ff.

alsdann nur innerhalb derjenigen Grenzen, für welche sie bestimmt ist.

2.

Die Hypothese von der gasförmigen Beschaffenheit des ganzen Sonnenkörpers leistet offenbar für das vorliegende Problem zunächst nichts Anderes, als dass sie eine grössere Verschiebbarkeit der einzelnen Zonen der Sonnenoberfläche begreiflich macht. Wie gross aber diese Verschiebbarkeit oder wie gering die sogenannte innere Reibung einer ihren eigenen Kräften überlassenen Kugel sein mag, die Rotationsverschiedenheit ihrer einzelnen Zonen mag dieselbe ursprünglich durch irgendwelche Ursache erzeugt worden sein muss mit der Zeit stetig kleiner werden und schliesslich ganz verschwinden. Die Atmosphäre unserer Erde, welche die Rotationsgeschwindigkeit des festen Erdkörpers angenommen hat, liefert ein Beispiel für diese Behauptung und widerlegt zugleich die Annahme Gautier's, nach welcher der flüssige Kern der Sonne bezüglich der Reibung an ihrer atmosphärischen Umhüllung sich ähnlich verhalte, wie eine innerhalb einer ruhenden Flüssigkeit rotirende Kugel. 1)

Betrachtet man jedoch die Sonnenflecken nach der von mir vertheidigten Theorie als schlackenartige Abkühlungsproducte, welche auf der glühendflüssigen Sonnenoberfläche schwimmen, so müssen in dieser Flüssigkeit oberflächliche Strömungen stattfinden, welche den in ihnen schwimmenden Schlackenmassen die dem Rotationsgesetz entsprechende Geschwindigkeit ertheilen. Die Ursache, welche diese Strömungen erzeugt, muss gegenwärtig noch vorhanden und wirksam sein.

In meiner letzten Abhandlung » über die Periodicität und

1) Emile Gautier, De la constitution du Soleil. Vgl. Bibliothèque universelle etc. Archives T. XIX. (März 1864). In dieser Abhandlung betrachtet auch Gautier die Sonnenflecken als Schlacken (»solidifications partielles à la surface du soleil« »croúles surnageants sur le disque solaire en fusion«). Indessen trotz der vollkommen richtigen Argumente giebt Gautier in einer späteren Abhandlung (ebendas. August 1869) diese Anschauung zu Gunsten einer mehr wolkenförmigen Natur der Sonnenflecken wieder auf. Es heisst dort: Nous avons à retirer les termes de : »solidification, de croûte solide«< qui, dans le temps, ne nous satisfaisaient qu'à moitié, n'ayant jamais eu l'intention d'assimiler ces phénomènes à une espèce de congélation qu'ils avaient l'air de sous-entendre.

heliographische Verbreitung der Sonnenflecken« habe ich gezeigt, dass sich in der Atmosphäre einer Wärme ausstrahlenden und rotirenden Kugel Strömungen entwickeln müssen, welche an der Oberfläche der Kugel von den Polen nach dem Aequator gerichtet sind.

Die von Secchi beobachtete Temperaturvertheilung an der Sonnenoberfläche ist ebendaselbst als das nothwendige Resultat einer thermischen Reaction jener Strömungen auf die Sonnenoberfläche erklärt worden. 1)

In der vorliegenden Abhandlung soll das allgemeine Rotationsgesetz der Sonne als das nothwendige Resultat einer mechanischen Reaction jener Strömungen auf die flüssige Sonnenoberfläche erklärt werden.

3.

Zu diesem Zwecke mag zunächst das folgende vereinfachte Problem untersucht werden:

Es sei eine feste, homogene und rotirende Kugel gegeben, über deren Oberfläche sich von den Polen herab eine tropfbarflüssige Masse in sehr dünner Schicht mit constanter Geschwindigkeit nach dem Aequator bewegt. Die in dieser Weise sich allseitig ausbreitende Flüssigkeit steht unter dem Einfluss der Schwere und der Reibung an der Oberfläche der Kugel. Es soll die Geschwindigkeitscomponente eines Flüssigkeitstheilchens in der Ebene eines Parallelkreises als Function der Breite des bewegten Theilchens ausgedrückt werden.

Es bezeichne:

r den Radius der Kugel,

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die Breite eines Punctes an der Oberfläche,

v die Componente der Lineargeschwindigkeit,

§ die Componente der Winkelgeschwindigkeit eines Flüssigkeitstheilchens in der Ebene eines Parallelkreises von der

Breite 9,

4) Berichte der kön. sächs. Ges. d. W Sitzung vom 12. December 1870. p. 348.

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