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so darf doch auch nicht übersehen werden, daß der politische Klerikalismus gleichfalls durch eine besonders schwache Entwickelung des deutschen Nationalgefühls gekennzeichnet wird. Dies gilt insbesondre auf der ganzen Linie, wo es sich um den Grenzstreit gegenüber dem Slawentum handelt.

24. Juli. Auch der Schwäbische Merkur in Stuttgart weist auf die Erscheinung hin, daß der Ultramontanismus fortwährend bemüht sei, die Festfreude an den Gedenktagen der 1870er Ereignisse zu vergällen, indem er allerlei,,Nörgeleien“ dazwischen werfe; es scheine fast, daß die Partei, die 1870 Bayern neutralifiren wollte und deren Presse damals das berüchtigte Wort von den ,,lieben kleinen Französlein" von sich gab, immer noch keine rechte Freude an den deutschen Siegen und an deren Folgen haben könne:

So wird jezt behauptet, die großen Hoffnungen, die das deutsche Volk in der nationalen Begeisterung 1870 gehegt, seien nicht erfüllt worden, weil Bismarck und die Liberalen sofort das katholische Volk wegen seiner Religion „verfolgt" hätten. Aerger kann man die Dinge nicht auf den Kopf stellen. Wer hat denn im neugegründeten deutschen Reiche zuerst eine Sonderstellung eingenommen? Die Zentrumspartei scheint vergessen zu haben, daß ihre Abgeordneten (56 Mann) im ersten deutschen Reichstag mit vier Welfen gegen die von 243 Stimmen angenommne Adresse an den Kaiser (als Antwort auf die Thronrede) stimmten, aus dem einzigen Grunde, weil die Adresse den Grundsaß der Nichteinmischung in das innre Leben andrer Völker bekannte und damit zu verstehen gab, daß Deutschland die Frage, ob der vormalige Kirchenstaat zum Königreich Italien gehöre oder als Eigentum des Papstes zu betrachten sei, nicht berühre, wogegen das Zentrum bei den Reichtagswahlen schon das Wiederaufleben der Interventionspolitik in Italien als Zweck bezeichnet hatte und Windthorst die Herstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes als ein Lebensinteresse der katholischen Be= völkerung Deutschlands erklärte. Es ist, wenn der Ultramontanismus die Entstehung des Kulturkampfes den Liberalen und dem Fürsten Bismarck vorwirft und sie als dessen Urheber bezeichnet, genau so richtig und gerecht, wie wenn die Franzosen das deutsche Volk und den Fürsten Bismarck beschuldigen, daß sie den Krieg von 1870/71 provozirt und begonnen hätten. In beiden Fällen liegt die Kampfursache auf der Gegenseite, der Kampf war von den Ultramontanen und den Franzosen aufgezwungen.

6. August. Zu Weimar findet in Gegenwart des Großherzogs, des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg, der Prinzen Bernhard und Heinrich, zur Feier des Gedenktages der Schlacht bei Wörth ein Militärgottesdienst vor dem geschmückten Kriegerdenkmal statt, an dem die ganze Garnison sowie die Veteranen- und Kriegervereine teilnehmen. Darnach legt der Großherzog einen Lorbeerkranz am Denkmal nieder. In Saarbrücken findet eine Feier des Gedenktags der Erstürmung der Spicherer Höhen statt unter Teilnahme des Großherzogs von Baden als Vertreters des Kaisers.

Unter zahlreicher Beteiligung legt in München der bayrische Veteranenverein an dem Grabe des Generals von der Lann einen

prächtigen Lorbeerkranz nieder. — Das 2. Thüringische InfanterieRegiment Nr. 32 veranstaltet in Meiningen eine Jubiläumsfeier der Schlacht bei Wörth, wobei der Herzog Georg in einer Ansprache des Tages gedenkt, die damalige Pflichttreue als Vorbild für das Regiment hinstellt und das damals errungne deutsche Kaiserreich als teuerstes Kleinod feiert. Auf der Reede von Cowes hält der Kaiser an die Mannschaft des Panzerschiffs „Wörth" etwa folgende Ansprache:

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Erinnert euch, daß ihr die Mannschaft eines Schiffes bildet, das nach einer Schlacht benannt ist, in der eure Landsleute sich höchst wacker benommen haben. Heute ist der fünfundzwanzigste Jahrestag der Schlacht bei Wörth, weshalb ich es für angezeigt gehalten habe, dem nach dieser Schlacht benannten Schiffe einen Besuch abzustatten und einige Worte an die Mannschaft zu richten. Hoffentlich werden die Thaten, die eure Mitbrüder bei jenem Anlasse vollbrachten, eine Aufmunterung bilden für euch, wenn jemals Gelegenheit für ähnliche Dienste entstehen sollte. Solltet ihr zum Kampfe gerufen werden, so beschwöre ich euch, mit Herz und Mut für Gott und Vaterland zu kämpfen. (Vossische Zeitung.)

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Hierzu bemerken die Londoner Blätter „Standard“ und Daily News," der Kaiser würde gut gethan haben, in britischen Gewässern eine Bezugnahme auf den deutsch-französischen Krieg zu unterlassen. Deutsche Blätter weisen dagegen darauf hin, daß der Kaiser sich an Bord des ,,Wörth" auf deutschem Boden befand, und daß die Sache England ebensowenig anhege, als wenn sie sich in Hamburg zugetragen hätte. Die Braunschweiger Landeszeitung" will in jenen Aussprüchen Londoner Blätter ein betrübendes Anzeichen von der Einbuße deutschen Ansehens im Auslande erblicken; zu Fürst Bismarcks Zeiten würde eine solche Sprache im Auslande nicht gewagt worden sein.

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10. August. Das sozialdemokratische Hauptblatt „Vorwärts" bringt eine Reihe unpatriotischer Aeußerungen über die Feier der Kriegstage.

11. August. Die übrige Presse spricht ihre tiefe Entrüstung hierüber aus; die „Berliner Neuesten Nachrichten“ insbesondre sagen:

Die Schamlosigkeit der Gesinnung, die aus diesen Zeilen spricht, ist nicht mehr zu übertreffen. Man wagt es, in zynischster Weise die patriotische Feier des deutschen Völkes dadurch zu verhöhnen, daß man den Kampf um Deutschlands Existenz und Einigung als einen „brudermörderischen Krieg" bezeichnet und eine Festschrift veröffentlicht, die in Bild und Text von und für Franzosen verfaßt ist. Ist das Wahnsinn, oder ist das Landesverrat? Gleichzeitig liefert das amtliche Organ der Sozialdemokratie einen drastischen Beweis dafür, daß troß seiner Ableugnung eine Ueberwachung der „Genossen, die sich an den nationalen Gedenkfeiern beteiligen, stattfindet. Es bringt nämlich die Notiz, daß in Kassel ein eifriger Sozialdemokrat wegen patriotischer Gesinnung vor ein Parteigericht gefordert sei.

In Deutschlothringen werden die Schlachtfelder von Colombey und Noisseville geschmückt.

14. August. Die Feier der drei großen Schlachttage um Meß findet in dieser Stadt vor dem Denkmale Kaiser Wilhelms I. statt. Der Vorstand des dortigen Gräbervereins unternimmt eine Fahrt über das Schlachtfeld vom 14. und läßt an vielen Stellen mächtig große Kränze niederlegen. Die 33. Kavalleriebrigade begiebt sich zur Stätte des berühmten Todtenritts der Brigade Bredow, zum Denkmal am Walde von Villers aux Bois, wo der Kommandeur eine Ansprache hält.

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15. August. Schmückung der Schlachtfelder Vionville - Mars la Tour und Gravelotte-St. Privat. Niederlegung der Kranzspenden an den in Frankreich gelegnen Denkmälern bei Mars la Tour und am Walde de la Cusse. In Breslau findet zur Erinnerung an die Schlachttage eine Parade des zweiten schlesischen Grenadierregiments Nr. 11 statt, wobei der Kommandeur des sechsten Armeekorps, der Erbprinz von Sachsen-Meiningen, eine Ansprache hält. Das Ulanenregiment Nr. 16 und das Kürassierregiment Nr. 7 be= gehen in Salzwedel, unter Teilnahme des Prinzen Georg von Sachsen, eine Feier der Erinnerung an die Schlacht von Mars-laTour. Bei Potsdam findet eine Parade der ersten Gardeinfanteriebrigade statt, wobei der Kaiser folgende Ansprache hält:

Kameraden der ersten Garde-Infanteriebrigade! Ich habe euch am heutigen Tage hierher zusammenberufen, um mit euch des glorreichen Tages von St. Privat zu gedenken, an dem vor fünfundzwanzig Jahren die preußische Garde, in altbewährter Treue und Hingebung ihren Eid erfüllend, neue Lorbeeren an ihre alten sieggewohnten Fahnen geknüpft hat. Unter der persön= lichen Führung des großen Kaisers ist es der Garde vergönnt gewesen, zwar unter schweren und großen Verlusten, aber mit altbrandenburgischer Tapferkeit und Standhaftigkeit den Sieg zu erkämpfen. Euch aber, ihr Grenadiere vom Ersten Garderegiment, rufe Ich die zehnjährige Feier dieses Tages ins Gedächtnis zurück, wie der große Kaiser Wilhelm heute vor fünfzehn Jahren in das Karree trat, um euch zu diesem Ehrentage zu begrüßen. Er sagte euch damals, daß für ihn das Erste Garderegiment an diesem Tage gleichsam als Vertreter der ganzen Armee vor ihm stehe, und daß die Worte, die er an euch richtet, der ganzen Armee gelten. So soll es auch heute sein. Am heutigen Tage will ich dem Regimente eine besondre Anerkennung erweisen und ihm ein Zeichen Meines Königlichen Dankes verleihen. Ihr sollt fortan an euern Fahnen das Band des Schwarzen Adlerordens mit den Abzeichen dieses Ordens tragen. Die Farben Meines Hauses sollen fortan dem Regimente voranfliegen, zur erneuten Mahnung, Mir und Meinem Hause, wie es bisher immer der Fall gewesen ist, die gelobte Treue zu bewahren und euch mit Mir noch durch ein besondres Band persönlicher Gemeinschaft verknüpft zu wissen. Ihr andern aber sollt diese Ehrung als eine zugleich auch euch geltende mitempfinden und allzeit des großen Tages eingedenk bleiben, an dem ihr durch euern Sieg Deutschlands Einheit erringen halft. Ihr sollt es als eine Ehre empfinden, daß Ich euch heute an dieser Stelle um Mich versammelt habe, vor dem Hause zu stehen, mit dem so viele freudige wie schmerzliche Erinnerungen an den heldenmütigen Kaiser Friedrich verknüpft sind, der an dieser Stätte so oft die Vertretung der Armee, das

Lehrinfanteriebataillon, hat an sich vorüberziehen sehen. Sollte es aber jemals dazu kommen, daß Ich genötigt wäre, Meine Armee zum Schuß des VaterLandes an die Grenzen zu rufen, dann erwarte Ich, daß die erste Gardeinfanteriebrigade jederzeit mit derselben Hingebung und Treue ihre Schuldigfeit thun wird, wie sie es heute vor fünfundzwanzig Jahren bei St. Privat gethan hat.

16. August. Feierliche Niederlegung von Kranzspenden an den Denkmälern des Schlachtfeldes von Gorze-VionvilleRezonville. Beim Kaiserstein nördlich von Gravelotte findet eine Gedächtnisfeier statt in Gegenwart des Befehlshabers des sechzehnten Armeekorps, Grafen v. Haeseler, der gesamten Generalität, zahlreicher Offiziere und Abordnungen aller Fußtruppen von Meß. Der Kaiser sendet dem Befehlshaber des dritten Armeekorps, General der Kavallerie Prinzen Friedrich von Hohenzollern, folgendes Telegramm: Dankbar erinnere Jch Mich heute der im heißen Ringen und unter schweren Opfern in der Schlacht von Vionville-Mars la Tour von Meinen braven Brandenburgern erkämpften unvergänglichen Lorbeeren. Ich beauftrage Sie, der selbst an diesem Tage mitgefochten, dem dritten Armeekorps Meinen Königlichen Dank und Gruß auszusprechen.

17. August. Es wird die Schmückung der Kriegergräber auf den östlichen und westlichen Schlachtfeldern von Mez durch die hier zu diesem Zwecke seit 1872 bestehende Vereinigung unter Mitwirkung des Militärs feierlich vollzogen. Zahlreich sind dazu aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes kostbare Kranzspenden von Städten, Regimentern, Vereinen und Privaten eingetroffen. — Der kommandirende General des ersten Armeekorps, General der Infanterie Graf Find v. Finckenstein in Königsberg, giebt der Garnison folgenden königlichen Armeebefehl bekannt: Unter schweren Opfern errang das erste Armeekorps in der Schlacht bei ColombeyNouilly einen herrlichen Siegespreis. Ich beauftrage Sie, demselben bekannt zu geben, daß Ich der bewährten ostpreußischen Tapferkeit des Korps am heutigen Erinnerungstage besonders warm und dankbar gedenke.

18. August. Die Feier der Erinnerung an die Schlacht bei Gravelotte beginnt mit einem auf dem Pionierübungsplaße von Meg vom evangelischen Divisionspfarrer abgehaltenen Feldgottesdienste unter Teilnahme Tausender von Veteranen und unter Mitwirkung des Mezer Gesangvereins. Hiernach erfolgt die Abfahrt nach Gravelotte, wo unter überaus großer Beteiligung die Hauptfeier stattfindet. Bei Flavigny weiht der kommandirende General des sechzehnten Armeekorps den zum Andenken an weiland den Prinzen Friedrich Karl errichteten Gedenkstein mit einer Ansprache ein. Ferner wird der mächtige Aussichtsturm bei Gravelotte eingeweiht.

Deutscher Geschichtskalender 1895. II.

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Vor dem königlichen Schlosse in Berlin findet die feierliche Grundsteinlegung zum Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. statt. Umgeben von zahlreichen Fürstlichkeiten, verliest der Kaiser folgende in den Grundstein zu legende Urkunde:

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Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen thun fund und fügen hiermit zu wissen, daß Wir beschlossen haben, im Namen der Fürsten und Freien Städte des Reiches den Grundstein zu einem Denkmal zu legen, das nach einmütiger Willenskundgebung der geseßgebenden Körperschaften dem Andenken Unsers in Gott ruhenden Herrn Großvaters, Kaiser Wilhelms des Großen Majestät gewidmet werden soll. Wir vollziehen diesen feierlichen Akt an dem Tage, an dem vor fünfundzwanzig Jahren der unvergeßliche Kaiser Deutschlands Söhne im Kampfe um des Vaterlandes Ehre und Freiheit zu entscheidendem Siege geführt hat. Kaiser Wilhelms Jugend reicht zurück in die Zeit schwerer Heimsuchung. Aber, wie es Ihm, dem Jünglinge vergönnt war, die begeisterte Erhebung des Volkes zu schauen und selbst mitzufämpfen für die Befreiung von fremdem Joche, so hat Er, auf den ruhmreichen Thron seiner Väter berufen, den deutschen Stämmen die heiß erschnte Einheit wiedergegeben und dem neu erstandnen Reiche die gebührende Machtstellung in der Staatenwelt sichern dürfen. Nicht ohne hartes Ringen, nicht ohne blutige Kämpfe ist dieses Ziel erreicht worden. In unerschütterlichem, demütigem Vertrauen auf Gott, in fester Zuversicht auf die sittliche Kraft der Nation, die sich gegenüber drohender Gefahr zu ungeahnter Höhe entwickelte, hat Kaiser Wilhelm die Bahn zur Sicherung unsrer Unabhängigkeit betreten. Die opferbreite Einmütigkeit der deutschen Fürsten, der weise Rat und die thatkräftige Unterstüßung seitens des Kanzlers, des Fürsten Bismarck, die vollendete Kriegskunst seines genialen Feldherrn, des Feldmarschalls Grafen Moltke, das unvergleichliche Geschick der kühnen, zur Führung der Heere berufnen Helden, voran des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und die todesmutige Treue des von dem Feldmarschall Grafen Roon in den Waffen geschulten Volkes, sie verbürgten den Erfolg. Aus der blutigen Saat ging die von Gott gesegnete Ernte deutscher Einigkeit hervor, und unter dem Schuße des mit harten Opfern erkämpften Friedens darf Deutschland unbesorgt der Pflege seiner idealen Güter und seiner wirtschaftlichen Interessen sich hingeben. In dieser Pflege ging Kaiser Wilhelm bahnbrechend voran. Kunst und Wissenschaft, Ackerbau und Gewerbe, Handel und Schiffahrt erfreuten sich gleichmäßig seiner Fürsorge. Mit dem innern Ausbau des Reiches hielt gleichen Schritt das auf die Heilung der gesellschaftlichen Schäden gerichtete Streben des Kaisers. Seiner erleuchteten Anregung ist es zu danken, daß Deutschland zuerst den Weg werkthätiger Förderung des Wohles der arbeitenden Klassen betreten hat. Rastlos bis zum leßten Atemzuge auf des Reiches Wohlfahrt bedacht, geliebt und geehrt von seinen Verbündeten und von einem dankbaren Volke, das seiner Führung rückhaltlos vertraute, sichtbar gesegnet in seinem selbstlosen Wollen und Vollbringen, so lebt der große Kaiser in der Erinnerung der Zeitgenossen, das leuchtende Bild eines Vaters des Vaterlandes, und so wird Er, des sind Wir gewiß, in dem Gedächtnis der kommenden Geschlechter fortleben. Um Zeugnis abzulegen von der unauslöschlichen Dankbarkeit, die Deutschlands Fürsten und Völker ihm zollen, soll sich sein Standbild in Stein und Erz hier erheben. Es werde ein Wahrzeichen der Liebe zum Vaterlande, die in großer Zeit Gut und Blut einseßte für des Reiches Herrlichkeit, ein Wahrzeichen der Treue, die in Kaiser Wilhelms Tagen das Band, das die deutschen Stämme umschlingt, zu einem unauflöslichen gefestigt hat. Möge das Denkmal stets auf ein glückliches und zufriednes Volk herniederschauen. Das walte Gott!

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