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Willen der Krone kennen zu lernen, vereitelt worden seien; ferner womit der Ministerpräsident die Behauptung begründe, daß der Wiener Gemeinderat in der leßten Zusammenseßung nicht zur Führung der Geschäfte befähigt sei. Dies ruft eine längere sehr lebhafte Ver= handlung hervor.

B.

Ungarn.

I.

Kirchliches.

19. Juli. Der Fürst-Primas von Ungarn Vaszary erhält die Mitteilung, daß der Papst die Entscheidung der Congregatio inquisitionis annullirt habe, daß im katholischen Interesse auch katholische Lehrer die Stellung der Zivilstandsbeamten sollen bekleiden dürfen.

21. September. Die ungarischen Bischöfe erlassen einen gemeinsamen Hirtenbrief.

Darin werden die Gläubigen ermahnt, ihre Eheabsicht zuerst dem zuständigen Geistlichen mitzuteilen, damit derselbe etwaige Hindernisse beseitigen und die Kopulirung vorbereiten könne, dann erst solle die Eheabsicht in dem Standesamte angemeldet werden. Nach der Zeremonie im Standesamte solle das Brautpaar sofort die kirchliche Trauung in Anspruch nehmen und sich vorher nicht als Ehepaar betrachten. Wer die kirchliche Trauung nicht in Anspruch nehme, würde von allen Sakramenten, auch von der Taufe, der Firmung, dem kirchlichen Begräbnis und den kirchlichen Aemtern ausgeschlossen werden. Die Gläubigen werden auch an die Unlösbarkeit der Ehe erinnert; die Wiederverehelichung Geschiedner verstoße gegen Gottes Gebot, doch werden die Gläubigen bezüglich der Eheschließung im Standesamte darauf hingewiesen, daß auch in andern katholischen Ländern die Katholiken die vom Geseze geforderten Förmlichkeiten erfüllen, um ihrer Ehe die staatliche Giltigkeit zu sichern.

II.

Reichstag.

30. September. Dem am 25. wieder eröffneten Reichstage legt der Finanzminister Lucacs das Budget vor.

In seiner Begleitrede führt er aus, daß nach verschiednen Gesezen aus den Kassabeständen 20,6 Millionen entnommen werden sollten. Thatsächlich

betrug die Entnahme 5,2 Millionen Gulden, daher ist die Einnahme um 15,4 Millionen Gulden günstiger als veranschlagt gewesen. Das rechnungsmäßige Resultat stellt sich um 34 Millionen günstiger als der Voranschlag. Der Voranschlag für 1896 bilanzirt bei 473 000 000 Gulden mit 77000 Gulden Ueberschuß und weist dabei im Ordinarium eine Mehrausgabe um 16 Millionen Gulden auf.

22. Oktober. Im Abgeordnetenhause stellt Graf Apponyi eine Anfrage, welche Schritte unternommen seien, um der anläßlich des Aufenthalts des Königs in Agram beleidigten ungarischen Fahne Genugthuung zu verschaffen; ferner ob er auf die Ansprachen des Königs in Agram sowie auf das Handschreiben an den Banus den verfassungsmäßigen Einfluß geübt habe. Redner erklärt, die Genugthuung könne nur in der Restituirung der Fahne in die geset= lichen Rechte bestehen, die Regierung sei einzig für die Ansprachen des Königs verantwortlich. Franz Kossuth hält über diesen Gegenstand seine Jungfernrede.

25. Oktober. Banffy beantwortet obige Frage also:

Der König sei auf den Rat und in Begleitung der ungarischen Regieruug nach Agram gegangen, und diese übernehme auch die Verantwortung für das, was geschehen sei und noch zu geschehen habe. Das Verbrechen gegen die ungarische Trikolore werde nach der Strenge des Gesches geahndet werden, das die Achtung der ungarischen Staatsfahne auch auf kroatischem Gebiete sichere. Eine andre Genugthuung als die Bestrafung der Schuldigen sei unthunlich, weil die Beleidigung nicht im Auslande, sondern im Julande geschehen sei und von der gesamten gebildeten Bevölkerung ohnehin scharf verurteilt werde. Sowohl der Kaiser wie auch die Militärbehörden, die die bei den Ausschreitungen beteiligten Studenten, soweit sie einen Rang in der Armee haben, ihrerseits bestraft haben, verdammen den Bubenstreich, der nunmehr nur noch die Gerichte beschäftigen soll.

Der Minister für Kroatien von Josipovitsch erklärt, daß es nur ein ungarisches Staatsbürgerrecht und nur einen ungarischen Adel, kein kroatisches Staatsbürgerrecht und keinen kroatischen Adel gebe.

13. November. Ugron, einer der Führer der äußersten Linken, richtet im Abgeordnetenhause die Aufforderung an den Grafen Apponyi und die Nationalpartei, die 1867 er staatsrechtliche Basis zu verlassen, da die liberale Partei ohnehin egoistischerweise einer Fusion abgeneigt sei, und sich der Unabhängigkeitspartei und der äußersten Linken anzuschließen.

16 November. Graf Apponyi antwortet hierauf, indem er ausführt, die Einladung zur Vereinigung aller auf der Grundlage des 1867er Ausgleichs stehenden Elemente sei von der liberalen Partei schroff abgelehnt worden. Da demnach die Schaffung einer starken Mehrheitspartei unmöglich sei, müsse eine starke Opposition geschaffen werden. Hierzu sei nicht notwendig, daß die Nationalpartei die 1867 er Basis verlasse; im Gegenteile wolle die National

partei die durch liberale Regierungen seit 1875 gefälschte 1867 er Basis wiederherstellen.

III.

Kroatien.

14. Oktober. Kaiser Franz Joseph trifft, nach 26 jähriger Pause, zum Besuche der Stadt Agram ein, begleitet vom ungarischen Ministerpräsideuten Baron Banffy und dem Banus von Kroatien, dem Grafen Héderváry. In seiner in deutscher Sprache gehaltnen Erwiderung auf die Huldigungsansprache des Bürgermeisters führt der Kaiser aus: er nehme mit besonderm Wohlgefallen die Versicherung unverbrüchlicher Treue und Ergebenheit der Einwohnerschaft der Landeshauptstadt seines geliebten Königreichs Kroatien und Slawonien entgegen, dessen kulturellen Fortschritten er das wärmste Interesse entgegenbringe. Er freue sich, der Eröffnung einiger neuen Pflegestätten der Kultur beiwohnen und einige Tage in der Mitte der Bevölkerung verweilen zu können; er spricht seinen Dank für die herzliche Begrüßung aus. Die Bevölkerung von Agram benutzt diese Gelegenheit zu verschiednen gegen Ungarn und Serbien feindseligen Kundgebungen. Wo immer serbische Fahnen ausgesteckt sind, entstehen Aufläufe, die durch Militär unterdrückt werden. Unmittelbar nach dem Besuch des Kaisers in der orthodoren (serbischen) Kirche wird diese von den kurz vorher vom Kaiser in einer Ansprache ermahnten Studenten gestürmt, zugleich beginnt ein Steinregen gegen die serbische Bank. Militär vertreibt die Aufständischen. Es kommt zur öffentlichen Verbrennung der ungarischen Fahne.

16. Oktober. Der Kaiser verläßt Agram.

22. Oktober. Beim Ministerpräsidenten Banffy erscheint in Pest eine Abordnung des Gemeinderats von Agram, die nach Ueberreichung des Ehrenbürgerbriefs erklärt, daß der Gemeinderat den Zwischenfall, den einige Universitätshörer gegen die Fahne der verbrüderten und verbündeten ungarischen Nation vollführten, bedaure und verurteile.

Deutscher Geschichtskalender 1895. II.

17

Rußland.

I.

Beziehungen zum Ausland.

6. Juli. In Petersburg trifft eine vom Hauptmann Leontiew geführte Gesandtschaft aus Abessynien ein, die von seiten des Hofs freundlich begrüßt wird.

8. Juli. Das „Journal de St. Petersbourg" teilt mit, daß am 24. Juni zwischen Rußland und China ein Abkommen zu= stande gekommen ist, wonach Rußland die neue chinesische Anleihe garantirt. Die Bürgschaft hat folgenden Wortlaut:

In Fällen, wo aus irgend welchem Grunde Summen, die für die Zahlung fälliger Koupons und gezogner Obligationen der chinesischen Anleihe erforderlich sind, den Banken und Bankhäusern, die diese Zahlung ausführen, nicht zum festgeseßten Termin zur Verfügung gestellt würden, sind gedachte Banken und Bankhäuser mit den hierzu erforderlichen Mitteln für Rechnung der russischen Regierung zu versehen, unter Bedingungen, die die russische Regierung d. h. der Finanzminister - festgesezt hat.

11. Juli. Eine Abordnung aus Bulgarien, geführt vom Metropolit Klement, erscheint in einer Versammlung des „Slawischen Wohlthätigkeitsvereins" in Petersburg. Sie wird hier begrüßt durch eine Ansprache, in der es heißt:

Ihr Blick drang in unsre Herzen, die von derselben Liebe zu Ihnen erfüllt ist wie früher. Ihre Ankunft in Rußland bezeugt das Erwachen des bulgarischen Volksgeistes uud das Erkennen jener nationalen Idee, deren Entwicklung dem uns teuren bulgarischen Volke die Möglichkeit gewährt, den Plaß einzunehmen, der ihm unter den andern slawischen Völkern gebührt.

12. Juli. Empfang der abessynischen Gesandtschaft beim

Kaiser.

17. Juli. Die bulgarische Abordnung wird vom Kaiser empfangen, dem sie ihr tiefstes Bedauern über den Tod des vorigen Kaisers sowie darüber ausspricht, daß das bulgarische Volk nicht früher schon dem Kaiser unmittelbar sein Beileid hätte ausdrücken können. Der Kaiser antwortet, er habe nie an der Aufrichtigkeit des bulgarischen Volkes gezweifelt und werde ihm auch in Zukunft seinen Schuß erhalten.

Anfang September. Die Pamir-Grenzregulirungskommission geht unverrichteter Sache wieder auseinander.

(Die Beziehungen Rußlands zur Türkei und zu China s. unter den Rubriken dieser Länder.)

II.

Die kaiserliche Familie.

12. Juli. Der Zar spricht sich bei einem Mahle in Peterhof sehr herzlich über die außerordentlich friedliche Rede des deutschen Kaisers bei der Eröffnung des Nordostseekanals aus. Der darin angeschlagne warme Ton finde in seinem Herzen freudigen Wiederhall.

24. Juli. Taufe der Prinzessin Irena Alexandrowna.

Im August. Der Zar verleiht dem Botschafter Baron Mohrenheim in Paris aus Anlaß seines 50jährigen Dienstjubiläums den Wladimir-Orden erster Klasse mit dem Bemerken, daß er die auf Erhaltung „freundschaftlicher Beziehungen“ zwischen Rußland und Frankreich gerichtete Thätigkeit des Botschafters anerkenne, vor allem, weil sie zur günstigen Lösung der seinem Herzen tenren Aufgabe, „den allgemeinen Frieden zu befestigen" beitrage.

Ende August. Der Zar schenkt dem Fürsten von Montenegro 30000 Gewehre, 15 Millionen Patronen, ferner Kanonen, Mitrailleusen und Dynamit.

15. September. Der Zar erläßt einen Befehl wegen Gründung des Kuratoriums für Arbeiterhäuser.

1. Oktober. Der Zar empfängt den Flügeladjutanten Oberst v. Moltke in Audienz behufs Entgegennahme eines Handschreibens des deutschen Kaisers. Später erfährt man, daß es sich um die Ueberreichung eines Bildes handelte, unter das der deutsche Kaiser geschrieben habe: „Völker Europas, wahret eure heiligsten Güter!" 15. November. Dem Kaiserpaar wird eine Tochter geboren, die den Namen Olga erhält.

Frankreich.

I.

Die Kammern.

1. Juli. Die Deputirtenkammer lehnt einen vom Sozialisten Vaillant vorgeschlagnen Geseßentwurf zur Einführung des Branntweinmonopols ab.

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