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10. Juli. Das Abgeordnetenhaus nimmt mit großer Mehrheit das Finanzgeseß an.

Bei der Schlußberatung erklärt Lueger namens der Antisemiten, wegen „Cilli" und wegen des bevorstehenden Ausgleiches mit Ungarn gegen das Budget zu stimmen; wegen „Cilli" erklären auch Bareuther namens der Deutschnationalen und Kraus namens der keinem Klub angehörenden_steirischen Abgeordneten gegen das Budget zu stimmen. Graf Khuenburg erklärt, die Vereinigte deutsche Linke wahre stets gewissenhaft die nationalen Interessen und werde, der Folgen unbeschadet, auch weiterhin ihre nationale Pflicht erfüllen, aber die Ablehnung des Budgets in dritter Lesung sei der gegenwärtigen provisorischen Regierung gegenüber etwas Untergeordnetes und würde die Errichtung slowenischer Parallelklassen in Cilli nicht verhindern; deshalb werde er und die Mehrzahl seiner Parteigenossen für das Budget stimmen.

25. Juli. Im Herrenhause erklärt bei Beratung des Budgets Graf Falkenhayn namens der Rechten, es handle fich bei der Cillifrage nur um die von der frühern Regierung gegebne Zusage, die zu erfüllen die Pflicht der gegenwärtigen Regierung sei, da in der Staatsleitung eine gewisse Kontinuität herrschen müsse. Die Erfüllung der Wünsche des slowenischen Volksstammes sei gerecht, und die Art der Durchführung der den Slowenen erteilten Zusage sei eine dem Ermessen der Regierung anheim gegebne Exekutivmaßregel, mit der die Rechte einverstanden sei. Hierauf wird das Finanzgeset angenommen. Ministerpräsident Graf Kielmannsegg erklärt darauf die Vertagung des Reichsrates.

II.

Parteibewegung.

2. Juli. Der Abgeordnete und bisherige Minister v. Plener tritt aus dem politischen Leben ganz zurück und erhält die Stelle eines Präsidenten des gemeinsamen Rechnungshofs.

13. Juli. In Graz findet eine Versammlung der gesamten Reichsratswähler zum Zwecke einer Entrüstungskundgebung über den nationalen Verrat der deutsch-klerikalen Abgeordneten bei der Beschlußfassung über die Errichtung eines slowenischen Gymnasiums in der deutschen Stadt Cilli statt. Aus allen Teilen des Landes gelangen Zustimmungen zur Verlesung; es wird ein Beschlußantrag gestellt, der von jedem deutschen Abgeordneten fordert, daß er gegen das Gesamtbudget stimme, jeden dafür Stimmenden oder der Abstimmung sich Entziehenden für unwert erklärt, das deutsche Volk zu vertreten, und falls nicht die gesamte Vereinigte Linke dagegen stimmt, die nationalen Mitglieder zum Austritt aus dem Parteiverband auffordert. Dieser Antrag wird einstimmig angenommen.

23. Juli. Der deutschliberale Reichsratsabgeordnete und Parlamentspräsident Baron Chlumezky hält in Znaim als Ehrenbürger dieser Stadt eine politische Rede.

Er führt aus, die gegenwärtige Lage sei eine ernste und unfertige, doch biete sie keinen Anlaß zu Kleinmut und Verzagtheit. Der Zusammenbruch der Koalition war nicht aufzuhalten. Ob es für die deutschliberale Partei vorteilhaft war, daß der unvermeidliche Zusammenbruch der Koalition gerade bei Cilli" erfolgte, wolle er unerörtert laffen, jedenfalls sei die durch Cilli hervorgerufene Bewegung der deutschen Leidenschaften für alle Staatsmänner, die berufen sein werden, die Geschicke Desterreichs zu lenken, ein deutlicher Fingerzeig, wie empfindlich die nationale Saite in den deutschen Herzen erflingt, wie erregt die Bevölkerung durch die frühere langjährige Geringachtung in ihren berechtigten nationalen Interessen geworden und wie notwendig es sei, solche Fragen, mögen sie wo immer in national umstrittenen Gebieten auftauchen, mit großer Vorsicht zu behandeln. Die Linke durfte nicht das Budget verweigern, weil Cilli hierdurch nicht verhindert worden wäre und eine derartige Kundgebung seitens der Gesamtpartei für die Intereffen der Deutschen geradezu verderbenbringend wäre, weil sie nötige, gegen die Deutschen zu regieren. Chlumezky spricht die Ueberzeugung aus, daß die künftige Ausgestaltung der Dinge nicht ohne entsprechende Bedachtnahme auf die Bedeutung des deutschen Volks erfolgen und die deutschliberale Partei ihr gewichtiges Wort erfolgreich mit in die politische Wagschale werde legen können, wenn sie es durch ihr Verhalten nicht unmöglich mache.

III.

Ministerium Badeni.

2. Oktober. An Stelle des am 19. Juli ins Amt getretenen Ministeriums des Grafen Kielmannsegg, das gleich von vornherein als ein bloßes Geschäftsministerium für die Zeit bis zur Wiederbestellung eines politischen Ministeriums bezeichnet war, tritt ein Ministerium des Grafen Casimir Badeni, seit Oktober 1888 Statthalters von Galizien. Er übernimmt neben dem Vorsiz das Ministerium des Innern. Graf Welsersheimb wird wieder Minister für Landesverteidigung, Freiherr v. Gautsch Minister für Kultus und Unterricht, Dr. v. Bilinsky Minister für Finanzen, Graf Ledebur Minister für Ackerbau, Graf Gleispach Minister für Justiz und Freiherr v. Glanz-Eicha Minister für Handel.

IV.

Die kaiserliche Familie.

6. September. Erzherzog Ladislaus, zwanzigjähriger Sohn des Erzherzogs Joseph und der geb. Prinzessin Klotilde von Sachsen-Koburg-Gotha, stirbt in Pest infolge von auf der Jagd erlittenen Verlegungen.

11. September. Kaiser Franz Joseph in Stettin (S. 3).

21. September. Kaiser Franz Joseph wird in Zenta festlich begrüßt. 22. September. Aufenthalt des Kaisers in Klausenburg.

28. September. Der Kaiser ernennt den Prinzen Heinrich von Preußen zum Kontreadmiral.

5. Oktober. Der Kaiser in St. Pölten.

9. Oktober. Enthebung des Erzherzogs Franz Ferdinand vom Kommando der 38. Infanteriebrigade.

14. Oktober. Der Kaiser in Agram.

V.

Kaiserliche und Ministerial - Erlasse.

10. August. Erlaß des Ministers Grafen Kielmannsegg zur Wahrung des Amtsgeheimnisses und zur Ausübung der bürgerlichen Rechte der Staatsbeamten.

4. Oktober. Kaiserliches Schreiben an den Reichsminister des Aeußern, Grafen Goluchowski:

"

Ich habe mich bestimmt gefunden zu verfügen, daß der Minister Meines Hauses von nun an den Titel eines Ministers des kaiserlichen und königlichen Hauses" zu führen habe. Indem Jch Sie hiervon in Kenntnis seße, weise Jch Sie an, Sorge zu tragen, damit diese Bezeichnung fortan in den betreffenden Ausfertigungen zur Anwendung komme und gleichzeitig auch bei der Benennung des Ihrer Leitung unterstehenden Ministeriums den entsprechenden Ausdruck finde.

19. Oktober. Der Ministerpräsident Graf Badeni hebt den am 12. September 1893 durch das Ministerium des Grafen Taaffe über Prag und Umgebung verhängten Ausnahmezustand wieder auf.

VI.

Kirchliches.

Im August. Die Bischöfe Oesterreichs richten an den Papst eine Adresse, in deren Eingang sie sagen:

Heiligster Vater! Schon schallt dir das wüste Geschrei derjenigen entgegen, die, einer betrübenden Missethat beipflichtend, sich darüber freuen, daß vor fünfundzwanzig Jahren das Patrimonium des heiligen Petrus geraubt, den Päpsten die Königskrone entrissen_und_sie selbst in ihrer eignen Hauptstadt gleichsam von der Verbannung betroffen worden sind. Jedermann be

greift, welche Bitterkeit dir, heiligster Vater, diese geräuschvolle Hervorkehrung des verübten Verbrechens zufügen müsse; doch eben dieser übel angebrachte Lärm von Leuten, die eine schlechte Sache feiern, trifft und verlegt auch uns und die Unsrigen, die wir uns mit dir in unerschütterlicher Ergebenheit, Verehrung und Liebe in allem eins fühlen.

(In seiner Antwort hebt der Papst hervor, daß es anläßlich dieser Feier sich von neuem gezeigt habe, daß die Ergebenheit der Völker dem römischen Pontifikat gegenüber kräftig sei, und daß über die Reklamation der Rechte des heiligen Stuhles unter den Katholiken volle Uebereinstimmung herrsche. Ferner heißt es in dem Schreiben, daß die Verbindung und Uebereinstimmung mit dem römischen Papste ein großes Prinzip des Heils enthalte und heute besonders wichtig sei, wo der päpstliche Stuhl einen so heftigen Sturm seiner Feinde erleide.)

VII.

Der Biener Gemeinderat.

27. September. Infolge der Neuwahlen zählen die Antisemiten, die bei den Wahlen im April, vor Auflösung des Gemeinderats, 64 Mann stark waren, während die Liberalen 74 Mandate inne hatten, 91 Gemeinderäte gegen 46 Liberale; sie haben die Zweidrittelmehrheit von 92 Stimmen. Selbst im ersten Wahlkörper der Höchstbesteuerten, wo die Liberalen 33 Size behaupteten, die Antisemiten nur 13 Mandate errangen, haben die Antisemiten die verhältnismäßig große Stimmenzahl von 1420 gegen 2679 Stimmen und acht Stadtbezirke für sich. Im ganzen sind in allen drei Wahlkörpern für die Antisemiten 43776, für die Liberalen nur 22868 Stimmen abgegeben.

29. Oktober. Der neue Gemeinderat wählt den Antisemiten Lueger zum Bürgermeister.

Dieser spricht seinen Dank aus und betont, daß bei den leßten Wahlen nicht eine einzelne Partei, sondern die gesamte deutsche Bevölkerung gesiegt habe. Das künftige Regime werde kein Parteiregiment, sondern ein Volksregiment im edeln Sinne des Wortes sein. Der künftige Vorsißende werde den Wert einer sachlichen Opposition stets schäßen, objektiv vorgehen, die Minorität nicht beleidigen, verspotten oder verhöhnen und derselben einen ihrer Stärke entsprechenden Anteil an der Verwaltung einräumen, falls sie gewillt sein werde, davon Gebrauch zu machen. Die Mehrheit werde nicht in die Kompetenz des Landes oder des Reiches eingreifen, aber ihre eigne Zuständigkeit, namentlich die Selbständigkeit der Stadt zu wahren wiffen. Das Volk wolle den Bürger- und Gewerbestand vor Ausbeutung und unredlicher Konkurrenz bewahrt sehen. Die Kinder sollten in den Schulen von Lehrern ihres Stammes und Glaubens in christlichem und nationalem Geiste erzogen

werden. Den Slawen gegenüber werde Gerechtigkeit geübt werden, stets aber werde das Volk cingedent bleiben des historisch überlieferten deutschen Ursprungs der Stadt.

6. November. Der Wahl Luegers wird von der Regierung die Bestätigung versagt.

13. November. Es findet daher eine neue Wahl statt, bei der Lueger wiederum die Mehrheit von 92 Stimmen erhält. Lueger nimmt die Wahl mit dem Bemerken an, daß es sich keineswegs um eine Auflehnung gegen den Kaiser handle. Hierauf verkündigt der Bezirkshauptmann v. Friebeis namens des Statthalters die Auflösung des Gemeinderats.

VIII.
Reichsrat.

22. Oktober. Bei Wiedereröffnung des am 25. Juli vertagten Reichsrats ergreift der Ministerpräsident Graf Badeni im Abge= ordnetenhause das Wort:

Er erklärt, nicht etwa ein weitgehendes Programm, wohl aber das zur Orientirung zweckdienliche vörbringen zu wollen. Die Regierung wolle keinen Zweifel lassen über die einzuschlagende Richtung, welche Irrwege sie zu meiden gedenke, und mit welchen Mitteln sie zu arbeiten beabsichtige, um zum Ziele zu gelangen. Die Regierung habe sich die Aufgabe gestellt, vor allem Bedingungen zu schaffen, unter denen der Gang der großen Maschine der Staatsverwaltung ein ungestörter, regelmäßiger und zeitgerechter bleiben könne. Da dies nur dann möglich sei, wenn ein friedliches Zusammenleben der zu einem Ganzen vereinigten Nationen Desterreichs gesichert sei, so werde die Regierung allen Erscheinungen entgegenwirken, die diesen Frieden zu beeinträchtigen geeignet seien, und durch ebenso entschiednes wie wohlwollendes Vorgehen diesen Frieden herbeizuführen suchen. Die Regierung werde das Staatsinteresse, die österreichische Tradition und österreichischen Geist thatkräftig fördern und vertraue hierbei, daß die Völker Desterreichs unter diesem Banner einer einigen, zielbewußten, wohlwollenden, aber entschiednen Regierung folgen werden. Zwei leitende Grundsäße seien hierbei für das Parlament ebenso wie für die Regierung maßgebend; aktuell berechtigte, dem jeweiligen Zustande der Entwicklung entsprechende Ansprüche, soweit sie sich in den Grenzen der staatsrechtlichen, finanziellen und wirtschaftlichen Zulässigkeit bewegen, sollen stets gerechte und wohlwollende Würdigung finden, wenn sie auf gesetzlichem Wege geltend gemacht werden; die könne und solle aber nur in der Art geschehen, daß die auf dem historischen Momente be= ruherde traditionelle Stellung und langjährige allen andern Völkern voranleuchtende Kultur des deutschen Volkes gebührende Beachtung finden müsse. Diese fünftige Gestaltung erscheine nicht als Gegensaz zur Vergangenheit; die Regierung wolle vielmehr der historischen Vergangenheit treu den Forderungen der Zukunft gerecht werden. Die Erklärung präzisirt damit die Stellung des Kabinetts zur sogenannten böhmischen Frage. Die Regierung bringe der tschechischen Nation volles Vertrauen entgegen, verzichte auf jede Rekrimination und habe auf den glänzend erprobten Patriotismus des böhmischen Volkes

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