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unüberwindlichen innern Schwierigkeiten. Die Versuche, die Staatsordnung durch Strafverschärfungen zu schüßen, dienen nur dazu, die Unbehaglichkeit aufzudecken, die in allen Kreisen der Bevölterung herrscht. Der Hintergrund dieser sozialen und politischen Wirren und deren tiefste Quelle ist die Verwirrung und Zersehung der religiösen Anschauungen außerhalb der katholischen Kirche. In weiten Kreisen hat die atheistische und materialistische Wissenschaft die Grundbegriffe der Religion zerstört. Vom Staate bestellte und besoldete Lehrer der Theologie verwischen in den von unsrer Kirche getrennten Konfessionen die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens und die Grundzüge der christlichen Lebensordnung. Unter sich uneinig und tief gespalten, zeigen sich die religiösen und irreligiösen Parteien einig in der Feindseligkeit gegen die katholische Kirche. In neuester Zeit aber versucht eine eitle, alles zerseßende, anmaßende Wissenschaft diese Grundfeste der christlichen Religion zu zerstören. Eine große Zahl von außer der Kirche stehenden, an unsern Staatsschulen angestellten öffentlichen Lehrern leugnet die Wahrheiten, die in dem Apostolikum enthalten sind, insbesondre die Menschwerdung Gottes und seine wunderbare Geburt: ebendamit den Grundkern des Christentums, die Gottheit Christi. Auf vielen Kanzeln wird von ungläubigen Predigern diese Richtung vertreten und in weiten Kreisen sagt man sich mit großem Lärm von der Lehre der Apostel los. Vor einem Jahre etwa hat ein protestantischer deutscher Fürst bei einer Festlichkeit mit anerkennenswerter Entschiedenheit den apostolischen Glauben, insbesondre die Gottheit Jesu Christi bekannt. Sein Beispiel hatte aber absolut keine Wirkung. In Glaubenssachen gilt das Wort der Fürsten nichts. Die Verhältnisse der Gegenwart sind allzu verworren und zerrissen, als daß das apostolische Wort mit einem Schlag sie zu ordnen vermöchte. Es wird aber dennnoch zur Geltung kommen.

30. Juni. Auf dem Rochusberge bei Bingen wird vom Bischof Haffner von Mainz in Anwesenheit mehrerer andrer Bischöfe die neue Rochuskapelle eingeweiht. In der bezüglichen Rede bringt der Bischof die Frage der Lehrfreiheit der Universitäten zur Sprache, indem er sagt:

Nicht umsonst steht unsere Kapelle dem Nationaldenkmal gegenüber sie soll die Stätte sein, an der für unser deutsches Volk gebetet wird; sie soll ergänzen, was dem Denkmal da drüben fehlt, sie soll die Gläubigen zu warmem, innerm Gebet vereinigen für unser Vaterland. Respice, domine, de domo sancta tua in nos et inclina aurem tuam et exaudi nos! so wollen wir besonders flehen zu den Füßen des heiligen Rochus, daß er uns vor der geistigen Pest bewahre, die unser Volk verwüstet, und vor dem sittlicheu Typhus, der so furchtbar um sich greift. Diese P'est ist die Quelle des Unglaubens, der Atheismus an den Hochschulen und die schlechte Litteratur und die Presse, die über unser Volf hereinbricht; dieser Typhus ist die Unsittlichkeit, die, in so weiten Kreisen gepflegt, vor den falschen Institutionen unsrer Gesellschaft die Seelenmorde beschüßt. Gegen diese Gefahren wollen wir in der neuerbauten Rochuskirche Schuß und Hilfe suchen.

Die zahlreich anwesenden Katholiken beschließen einstimmig die Aufstellung einer langen Reihe von Forderungen, an der Spiße:

Aenderung des gegenwärtigen Zustands der päpstlichen Gewalt in Rom; dann: „vollständige Freiheit des katholischen Lebens von jeder staatlichen Bevormundung." "Insbesondre verwerfen wir die in unserm engern VaterDeutscher Geschichtskalender 1895. II.

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lande Hessen bestehenden Kirchengesete, die sich durch ihre mißtrauische Härte und ihr Zurückbleiben selbst hinter der preußischen Gesezgebung auszeichnen. Wir beklagen das dürftige Maß der jüngsten Revision des Drdensgesezes sowie die gehässige Stellung, die eine Anzahl Mitglieder der liberalen Partei derselben gegenüber einzunehmen für gut befunden." „Wir widersehen uns," heißt es weiter, jeder Beschränkung unsrer ohnehin knapp bemeffnen verfassungsmäßigen Freiheiten." Zum Schluß: Wir erachten es als unbedingte Pflicht jedes Katholiken, die seinen Intereffen dienende Presse mit allen Mitteln zu unterstüßen und für die möglichste Verbreitung zu sorgen, der kirchenfeindlichen Presse dagegen mit ganzer Kraft entgegenzuarbeiten. Immer wieder warnen wir auf das eindringlichste vor der sogenannten farb- oder parteilosen Presse, den Generalanzeigern und ähnlichen Schriften."

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III.

Die großherzogliche Familie.

11. März. Geburt einer Tochter des am 19. April 1894 mit der Prinzessin Viktoria Melita von Sachsen-Koburg-Gotha vermählten Großherzogs Ernst Ludwig.

25. April. Die Königin Viktoria von Großbritannien, Großmutter des großherzoglichen Paars, trifft zum Besuch desselben in Darmstadt ein.

7. August. Der Großherzog richtet an den Landesverband der Hessischen Kriegervereine einen Erlaß, in dem er den zur Erinnerungsfeier versammelten Kriegervereinen als Protektor seinen Gruß entbietet.

Mecklenburg.

20. November. Der am 13. in Sternberg eröffnete Landtag genehmigt eine Vorlage über die Vermehrung des mittlern und kleinen Grundbesißes auf dem platten Lande. Die Einigung findet über folgende Fassung statt:

1. Die Ansiedlung hat in der Regel dorfschaftsweise zu geschehen, entweder durch Gründung neuer, selbständiger bäuerlicher Gemeinden oder durch Anlehnung an schon bestehende Dorfschaften; 2. in der Ritterschaft kann jedoch die Zahl der auf einem Landgute noch vorhandnen bäuerlichen Erbpacht- resp. Hauswirtstellen durch Ansiedlung auf kleinen Grundbesißerstellen vermehrt werden; auch ist die Anlegung solcher kleiner Grundbesigstellen, unabhängig von dem Vorhandensein bäuerlicher Erbpacht- resp. Hauswirtstellen, zulässig. Weil im Domanium die großen Bauern und die Großgrundbesizer an tüchtigen Arbeitskräften Mangel haben und kleinere Grundbesizer, die ihren

Ader selbst bestellen, beffere Aussicht auf eine gedeihliche Entwicklung haben, so beschließt man, vorzugsweise auf die Schaffung kleinerer und mittlerer, spannfähiger, bäuerlicher Nahrungen Bedacht zu nehmen.

22. November. Der Landtag lehnt eine Aufbesserung der Gehaltsverhältnisse der Volksschullehrer durch Lebensmittel grundsäglich ab.

1. Dezember. In Schwerin findet eine militärische Feier der Erinnerung an die Schlacht von Loigny statt.

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Sachsen-Weimar.

27. Januar. Der Landtag wird durch den Staatsminister v. Groß eröffnet. Die Propositionsschrist" gedenkt des Todes des Erbgroßherzogs und bringt den Dank des großherzoglichen Hauses für die allgemeine Trauerkundgebung zum Ausdruck. Am Voranschlag des Staatshaushaltsetats seien erhebliche Verschiebungen eingetreten. Obwohl die einzelnen Einnahmen troß der teilweisen Ungunst der wirtschaftlichen Verhältnisse sich auf der frühern Höhe erhalten hätten, sei infolge des Verhältnisses zum Reiche, ungeachtet der möglichsten Sparsamkeit, eine Erhöhung der Einkommensteuer nicht zu umgehen. Auch ein weiterer Ausbau der Steuerverfassung sei nötig. Andre Vorlagen beziehen sich auf eine neue Gemeindeordnung sowie auf die konfessionellen Verhältnisse der Kinder der gemischen Ehen.

5. Februar. Dem Landtage wird der Entwurf eines Steuergeseßes vorgelegt. In erster Klasse soll die Einkommensteuer 1 Prozent betragen. und bei einem Einkommen von je 300 Mark um je 0,1 Prozent steigen. Die bisher für alle Fälle gleich hoch mit 4 Prozent bemessene Erbschaftssteuer soll für alle Erbfälle an entferntere Verwandte auf 6 Prozent, an Nichtverwandte auf 8 Prozent erhöht werden.

5. März. v. Wurmb und Genossen stellen im Landtag den Antrag auf ein Ersuchen an die Regierung, in Anerkennung der dringenden Notlage der Landwirtschaft und des gewerblichen Mittelstandes die von Reichswegen zu treffenden Maßnahmen auf Linderung dieses Notstandes, sei es auf dem Grunde des Antrags Kanik, sei es auf andre geeignet erscheinende Weise, mit allen Kräften zu fördern.

15. März. Die Regierung legt dem Landtage den Entwurf eines neuen Landtagswahlgeseßes vor, wonach die Zahl der Abgeordneten von 31 auf 34 erhöht wird, von denen 11 von den Besigern eines Einkommens von wenigstens 4000 M. gewählt werden, 23 aus allgemeinen Wahlen hervorgehen sollen. Für lettere wird das indirekte Wahlsystem beibehalten, jedoch wird, um das Interesse der Urwähler mehr zu beleben, das bisherige Verfahren dahin geändert, daß unter Aufgabe der künstlichen Bildung von Wahlbezirken ausschließlich die politische Gemeinde einen Urwahlbezirk zu bilden hat und eine Listenwahl eingeführt wird, vermöge deren in den größern Orten, wo auf je 500 Seelen ein Wahlmann kommt, jeder Urwähler zur Teilnahme an der Wahl aller Wahlmänner berufen ist. Nur die größern Städte sollen auch ferner in einige wenige Urwahlbezirke eingeteilt werden.

18. März. Der Landtag genehmigt einen Gesezentwurf, betreffend die tonfessionelle Kindererziehung bei gemischten Ehen. Die aus einer Ehe stammenden Kinder sind in einer und derselben Konfession zu erziehen. Die Bestimmung, die Kinder in der Konfession der Mutter zu erziehen, muß gerichtlich oder notariell erfolgen, und zwar nicht früher als nach der Geburt des ersten Kindes; Verträge über die konfessionelle Erziehung find ungiltig. Der Uebertritt aus einer Kirche in die andre muß vor Gericht oder Notar erklärt werden, nachdem der Betreffende vorher seinem Geistlichen Mitteilung über seine Absicht gemacht und von diejem über diesen Schritt beLehrt worden ist.

26. März. Der Landtag genehmigt das Erbschaftssteuergeseß.

30. März. Der Landtag genehmigt das Steuergeseß für 1896-98. 28. Juni. Der Landtag genehmigt die Vorlagen der Regierung betreffend den Verkauf der Werra, Saale- und Weimar - Geraer Bahn an Preußen und den mit Bayern abzuschließenden Staatsvertrag wegen Erbauung einer Eisenbahn von Mellrichstadt nach Ostheim.

Oldenburg.

15. März. Der Landtag wird vom Minister Jansen eröffnet. Es werden ihm Vorlagen gemacht über Erweiterung der Eisenbahnanlagen in Oldenburg, über Errichtung einer Baugewerkund Maschinenbauschule und über die Kosten für den Umbau eines zur Wohnung des Erbgroßherzogs bestimmten Schlosses.

28. Auguft. Die Erbgroßherzogin Elisabeth, Tochter des Prinzen Karl von Preußen, stirbt in Adolfseck bei Fulda.

17. Oktober. Auf Schloß Erlaa in Nieder-Desterreich stirbt Herzog Elimar, Halbbruder des Großherzogs Peter.

Braunschweig.

14. Februar. Der Landtag genehmigt eine Vorlage über Errichtung von Schulsparkassen und Konfirmanden-Sparvereinen. Minister Otto giebt im Landtag der Hoffnung Ausdruck, daß der Reichstag die Tabaksteuer-Vorlage annehmen, und daß dadurch der Unsicherheit, die das jeßige finanzielle Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaaten für das Finanzwesen der lezteren mit sich bringe, ein Ende gemacht werde. Diese Unsicherheit habe bisher den Ersatz der braunschweigischen Personalsteuer durch eine Einkommensteuer verhindert.

17. Februar. Der Landtag genehmigt eine Vorlage wegen Errichtung eines Verwaltungs-Gerichtshofs.

21. September. Bei einer Feier des Geburtstages des Herzogs von Cumberland in Hannover seitens einer welfisch gesinnten Versammlung erklärt Freiherr v. Schele es als Lüge, daß die Herzogin von Cumberland ihrem Gemahle geraten habe, auf Hannover zu verzichten, damit Prinz Georg Wilhelm „von Preußens Gnaden" Herzog von Braunschweig werde; der Kampf für das Recht müsse vielmehr fortgesezt werden.

Sachsen-Koburg-Gotha.

6. Juni. Der am 16. Mai eröffnete gemeinsame Landtag genehmigt einen Geseßentwurf, betreffend die Organisation des Staatsministeriums und die Einseßung einer Beschwerde-Instanz.

15. Oktober. In Koburg findet die Großjährigkeitserklärung des Erbprinzen Alfred statt. Der Herzog richtet an ihn die feierliche Mahnung, der hohen Pflichten eines deutschen Fürsten eingedenk zu sein und mitzuwirken zur Mehrung des Ansehens des herzoglichen Hauses, zur Förderung des Wohles beider Herzogtümer und ihrer Bevölkerung und zur Erhaltung und Stärkung des deutschen Reiches.

17. Oktober. Der Landtag bewilligt eine Reihe kleinerer Forderungen und genehmigt die pachtgeldfreie Ueberlassung der Domänengüter Rosenau und Kallenberg an den Herzog für die Dauer seiner Regierungszeit.

Sachsen-Altenburg.

6. Februar. In Altenburg findet die Vermählung der Prinzessin Louise, 22jährigen Tochter des Prinzen Moriz, Bruders des regierenden Herzogs Ernst, mit dem Prinzen Eduard von Anhalt, drittem Sohne des regierenden Herzogs Friedrich statt.

17. August. Herzog Friedrich feiert sein 50 jähriges Militärjubiläum.

Anhalt.

4. März. Der Landtag wird vom Minister v. Koseriß mit einer Ansprache eröffnet, in der es heißt:

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