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V.

Sozialdemokratie.

14. April. In Lahr findet die Generalversammlung der badischen Sozialdemokratie statt. Sie ist von 63 Delegirten und etwa 100 Genossen besucht.

15. April. Die Verhandlungen drehen sich hauptsächlich um den seit dem allgemeinen Parteitage zu Frankfurt a. M. innerhalb der Partei in Baden herrschenden lebhaften Streit, bei dem es sich vorwiegend um die Führer Dr. Rüdt von Heidelberg und Dreesbach aus Mannheim handelt. Bebel ist anwesend als Abgesandter des Parteivorstands in Berlin. Nach dem Jahresbericht ist die Zahl der einzelnen Vereine von 47 auf 63 gestiegen, und beläuft sich die Zahl der Mitglieder auf 3000. Nach langen, heftigen und kleinlichen Verhandlungen wird ein Antrag auf Ausschluß von Rüdt und Dreesbach abgelehnt und beschlossen, den Streit ruhen zu lassen, bis der allgemeine deutsche Parteitag darüber entschieden haben werde. Ein Antrag auf Ausschluß des Genossen Stegmüller von Lörrach wird angenommen.

18. Oktober. Rüdt, dem inzwischen der deutsche Parteitag in Breslau die Eigenschaft, „Genosse" zu sein, aberkannt hat (S. 140), spricht sich seinen Anhängern gegenüber öffentlich gegen den Terrorismus der Berliner Parteiführer aus.

4. November. Rüdts Anhänger in Mannheim erklären sich mit ihm einverstanden, bezeichnen seinen Ausschluß als einen Gewaltakt und eine Ungerechtigkeit des Breslauer Parteitages, beschließen, aus der sozialdemokratischen Partei auszutreten, und beabsichtigen die Bildung einer besondern Organisation.

VI.

Landtag.

12. November. Der Landtag wird durch den Präsidenten des Staatsministeriums Nokk im Auftrage des Großherzogs eröffnet.

Die Thronrede kündigt an, daß der Staatshaushaltsetat für 1896/97 dem Landtage zugehen würde, und hebt die erfreuliche Sicherstellung des Gleichgewichts hervor. Im Etat wird der gewerblichen Thätigkeit und dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft in weitem Maße Rechnung getragen. Die auf dem legten Landtage von der Regierung ausgesprochene Hoffnung auf eine Reform des Reichsfinanzwesens im Sinne der finanziellen Selb

ständigkeit des Reichs und der Beseitigung der Matrikularbeiträge habe sich nicht erfüllt. Die Regierung werde vorschlagen, bis auf weiteres die Deckung der reinen Matrikularbeiträge in der Form von Zuschlägen zur Einkommensteuer zu bewirken, und ob dadurch eine Erhöhung der Einkommensteuer erforderlich werden wird, bleibe von dem Bedürfnisse im Abschluß des Reichsetats abhängig. Die in Anregung gebrachte Reform der direkten Steuern, insbesondre der Grund- und Gebäudesteuer, sei noch nicht spruchreif, aber eine Denkschrift hierüber werde vorgelegt werden. Ferner wird cine Vorlage angekündigt, betreffend die Fortseßung der Höllenthalbahn von Neustadt nach Ämmerbach. Die Ausführung von neuen Bahnen wird durch Gewährung staatlicher Zuschüsse auch ferner thunlichst gefördert werden. Endlich wird eine Vorlage angekündigt betreffend die Ausdehnung der Städteordnung und das Gesez vom 22. Juni 1890 auf alle Gemeinden, sowie eine Vorlage betreffend neue Bestimmungen über die Landtagswahlen. Die im lezten Landtage behandelte Frage einer Verfassungsänderung sei noch nicht zum Abschluß gelangt.

18. November. Es wird ein Geseßentwurf vorgelegt über Abänderung und Ergänzung des Polizeiftrafgesetzbuchs. Darin werden unter anderm über den Befiz und das Tragen von Waffen neue Bestimmungen getroffen.

19. November. Ein der zweiten Kammer von der Regierung zugegangner Gesezentwurf schlägt die Einführung amtlich gestempelter Wahlkouverts und von Isolirräumen für die Uawähler und die Wahlmänner vor.

26. November. Der Zweiten Kammer wird ein Gesezentwurf wegen Aenderung der Gemeindeordnung vorgelegt.

In erster Reihe verfolgt die Vorlage den Zweck, auch in den kleinen Orten an die Stelle der Bürgergemeinde die Einwohnergemeinde zu sehen, die schon durch die Städteordnung des Jahres 1874 für die größern Städte und durch das Gesez vom 22. Juni 1890 für alle übrigen, 500 und mehr Einwohner zählenden Gemeinden eingeführt worden ist und sich im allgemeinen durchaus bewährt hat.

30. November. Die demokratische Fraktion der zweiten Kammer bringt einen Antrag ein, die Regierung möge einen Geseßentwurf vorlegen, nach dem die Regierung sich verpflichtet, die Kammer „jeweils" zu verständigen, welche Instruktionen sie den badischen Bevollmächtigten im Bundesrate erteilt und wie dieselben ihr Stimmrecht ausgeübt hätten.

19. Dezember. Die zweite Kammer genehmigt einen Gesetzentwurf wegen Fortführung der Höllenthalbahn Freiburg i. Br. -Neustadt bis nach Donaueschingen.

Hessen-Darmstadt.

I.

Landtag.

11. Januar. In der zweiten Kammer reicht Westermacher eine Anfrage wegen Verzögerung des Bahnprojekts FrankfurtStockheim ein, die Preußen zur Last falle. Eine Vorstellung der interessirten Hessischen Gemeinden wegen Erbauung der Friedberg Homburger Bahn giebt dem Grafen Oriola Anlaß, zu betonen, daß das Projekt von Regierung und Ständen als dringend wünschenswert anerkannt sei:

Die Bevölkerung in der südlichen Wetterau sei in einer Notlage wegen der Feldbereinigungsarbeiten, deren Vorteile durch spätere Tracirung der Bahn wieder beseitigt werden könnten. Dabei schwinde das Zutrauen zu der Regierung, und die Unzufriedenheit mehre sich, wenn man immer hören muß: Unsre Regierung kann es nicht machen, es liegt an Preußen, wenn wir nicht vorwärts kommen. Die Unsicherheit der Verhältnisse wegen der Ludwigsbahn_sei stets hemmend für andre Eisenbahnen. Wafferburg führt aus, wer Preußen kenne, wisse, daß man von diesem, wo es interessirt sei, nichts zu erwarten habe. Preußens Auftreten gegen die Main-Weserbahn und die hessische Ludwigsbahn sowie sein Verhalten in der Frage der Mainzer Stadterweiterung werden hierfür als Beweise angeführt. Mit Preußen sei mit Erfolg nur zu verhandeln, wenn man sich stelle, als sei man nicht interessirt. Finanzminister Weber hält es im Intereffe der deutschen Einheit für verfehlt, alte und zum Teil unbegründete Vorwürfe gegen Preußen zu erheben. Das wirke ungünstig auf unsre Unterhandlungen mit Preußen. Gegen solches Verfahren protestire er im Interesse des freundschaftlichen Verhältnisses mit Preußen. Wohl seien Verzögerungen in den Unterhandlungen mit Preußen zu beklagen, aber in vielen Dingen habe man sich sehr entgegenkommend gezeigt.

Endlich wird ein Ersuchen um Beschleunigung der Verhandlungen mit Preußen beschlossen.

15. Januar. Die zweite Kammer stellt ein Ersuchen um Einführung einer Staatslotteric.

24. Januar. Die Zweite Kammer nimmt den Entwurf eines neuen Einkommensteuer-Gesezes an, durch das die Deklarationspflicht eingeführt wird.

25. Januar. Die Zweite Kammer lehnt einen Gesezentwurf betreffend die Organisation des Forstschußes ab und nimmt einen Antrag auf Revision des katholischen Ordensgefeßes vom 23. April 1875 an. Ferner bewilligt sie die hausgeseßliche Dotation für die Prinzessin Alix, die jeßige Zarewna, anläßlich ihrer Vermählung im Betrage von 34286 Mt.

26. Januar. Die zweite Kammer bewilligt 2701000 Mt. für den Bau einer neuen Rheinbrücke bei Worms. Diese Stadt hat 300000 Mt. beizutragen. Minister Finger sagt, die Regierung sei überzeugt, daß der Erwerb der hessischen Ludwigsbahn durch den Staat erfolgen müsse.

19. März. Die erste Kammer lehnt einen Antrag auf Zulaffung der fakultativen Feuerbestattung ab.

10. April. Die Regierung legt dem Landtage einen Gesezentwurf vor, betr. die Abänderung des Geseßes über die religiösen Orden und ordensähnlichen Kongregationen.

Hiernach kann denjenigen am 1. Oktober 1874 in dem Großherzogtum vorhanden gewesenen Niederlassungen oder Anstalten von religiösen Orden und ordensähnlichen Kongregationen, deren Mitglieder sich der Aushilfe in der Seelsorge widmen, vom Ministerium des Jnnern und der Justiz fortan die Aufnahme neuer Mitglieder gestattet werden. Der Artikel 3 des Gesetzes von 1875 soll folgende Zusäße erhalten: „Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch solchen sich ausschließlich der Krankenpflege widmenden religiösen Orden und ordensähnlichen Kongregationen, die am 1. Oktober 1874 Niederlassungen im Großherzogtum nicht hatten, die Errichtung von Niederlafsungen durch das Ministerium des Innern und der Justiz gestattet werden. Weiblichen Genossenschaften, die sich ausschließlich der Krankenpflege widmen, kann als Nebenthätigkeit die Pflege und Unterweisung von Kindern, die sich in noch nicht schulpflichtigem Alter befinden, gestattet werden." Neue Niederlassungen oder Anstalten von religiösen Orden oder ordensähnlichen Kongregationen unterliegen, gleich den bereits bestehenden, der Aufsicht des Staats gemäß den Bestimmungen in Artikel 4 des Geseßes vom 23. April 1875.

Ende April. Dem Landtage geht eine Erklärung vieler angesehener Männer zu, die der Stimmung und den Wünschen der evangelischen Bevölkerung dahin Ausdruck giebt, daß dem Lande mit einer Abweisung des vorstehenden Gesezentwurfs am besten gedient wäre. Insbesondre wird zu Artikel 2 des Entwurfs bemerkt: Es soll hiernach geseßlich freistehen, in die am 1. Oktober 1874 vorhandnen Orden und ordensähnlichen Kongregationen, die sich der Seelsorge widmen', eine unbeschränkte Zahl von Mitgliedern aufzunehmen. Es handelt sich aber hierbei um Ordensleute, die in ihrer wissenschaftlichen Vorbildung und ihrer staatsbürgerlichen Rechtsstellung völlig unkontrollirbar sind. Wir unterlassen nicht darauf hinzuweisen, welche Gefahr für den religiösen Frieden in den konfessionell gemischten Bevölkerungskreisen in dieser unbeschränkten Zulaffung einer allezeit mobilen, nur kirchlichen, dazu oft auswärtigen Obern verpflichteten Truppe liegt." Der zweite Teil der Petition richtet sich gegen die unbeschränkte Zulassung solcher Orden, die sich der Krankenpflege widmen. Es wird geltend gemacht, daß mit derartiger Krankenpflege erfahrungsmäßig stets eine stille wirkungsvolle Propaganda verbunden sei, die dazu angethan sei, den Samen der Zwietracht in die Familien und die paritätische Bevölkerung zu säen.

1. Mai. Die zweite Kammer beschließt ein Ersuchen an die Regierung, sie wolle, falls der Reichstag die Umsturz vorlage in der Fassung der Kommission annehme, im Bundesrat mit allen Kräften dagegen stimmen.

27. Mai. In der ersten Kammer findet über den von der zweiten Kammer bereits genehmigten Geseßentwurf zur Aenderung des Ordensgefeßes eine lebhafte Verhandlung statt. Fürst IsenburgBirstein und Bischoff Haffner von Mainz bedauern, daß die Regierung nicht weiter gegangen sei. Der Bischof erklärt, er werde mit Genehmigung des Papstes für die Vorlage stimmen und richtet heftige Angriffe gegen die hessischen Kirchengeseze. Der Präsident des Evangelischen Oberkonsistoriums Goldmann und Prälat Habicht erklären, daß sie nach den Auslaffungen des Bischofs Haffner die Vorlage ablehnen. Auch der Minister Finger bedauert diese Aeußerungen, die geeignet seien, Beunruhigung hervorzurufen. Schließlich wird die Vorlage mit allen gegen 5 Stimmen angenommen.

28. Mai. Die erste Kammer nimmt den Gesezentwurf betreffend die Abänderung der Einkommensteuer nach dem Antrag der Majorität des Ausschusses troß des Widerspruchs der Regierung an.

11. Juni. Die zweite Kammer stellt an die Regierung das Ersuchen, die Verstaatlichung der hessischen Ludwigsbahn zu beschleunigen, eventuell, falls die Verhandlungen über die Erwerbung des ganzen Bahnneßes nicht zu einem baldigen Abschluffe kommen, die Regierung zu ermächtigen, alle hessischen bereits heimfälligen Linien vom 1. Januar 1896 ab als Staatsbahnen zu erklären und staatlich verwalten zu lassen.

20. November. Die Regierung läßt der Zweiten Kammer einen Geseßentwurf betreffend die Gehalte der Volksschullehrer zugehen, nach dem jeder definitiv angestellte Lehrer an Volksschulen nach dreijähriger Dienstzeit ein Gehalt von 1100 Mk. zu beziehen hat, das von drei zu drei Jahren um 100 Mt. bis zum Höchstbetrage von 2000 Mt. steigt. Außer dem Gehalt hat jeder Lehrer eine angemessene Wohnung, womöglich mit Garten, oder eine ent= sprechende Mietsentschädigung zu beanspruchen.

II.

Katholisches.

Anfang März. Bischof Haffner von Mainz sagt in einem Hirtenbriefe:

Inmitten der Wirren der Zeit steht die katholische Kirche kraft ihrer Apostolizität unüberwindlich und fest da. Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zeigt sich peinliche Unruhe, Unzufriedenheit der Armen gegen die Reichen, und heftige Agitation nährt das Verlangen nach gewaltsamem Umsturz. Troß äußerer Machtentfaltung stehen die Regierungen vor

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