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Grundlage vorstehender und hiernach voreiliger Aeußerungen v. Ploeßs dahinfällt.

IV.

Bentrumspartei.

3. Juli. Im Hauptblatt der Zentrumspartei, der Berliner ,,Germania", werden die deutschen Katholiken des Wahlkreises Meseriß-Bomst dringend aufgefordert, bei der bevorstehenden Reichstagswahl für den polnischen Kandidaten zu stimmen. Das Blatt empfiehlt diesen Kandidaten zwar nicht als Polen; aber es unterläßt die Ewähnung, daß er Pole, und begründet die Empfehlung damit, daß er katholischer Pfarrer, während der andre Kandidat, der freikonservative v. Dziembowski ein „Kulturkämpfer“ sei. In Organen der verschiedensten Parteien wird dem Befremden darüber Ausdruck gegeben, daß v. Buol in seiner Eigenschaft als Präsident des Reichstags den Mitgliedern desselben die Einladung zur Teilnahme an der Enthüllung des Windthorstdenkmals übermittelt hat.

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4. Juli. Darauf rechtfertigt die „Germania" den Schritt v. Buols mit den Worten:

Wenn ein Nationalliberaler Präsident wäre und es sich statt Windthorsts 3. B. um Herrn v. Bennigsen handelte, ja, dann wärs ganz was andres! Als Lasker beerdigt wurde, machten Windthorst und andre Zentrumsmitglieder sogar die Feier in der Synagoge mit. Jezt handelt es sich um einen Windthorst und eine ganz objektive Vermittlung und das ist ein Verbrechen.

5. Juli. Dagegen bemerkt die „National-Zeitung“: Ein Verbrechen ist es nicht, aber eine Ungehörigkeit. Das ultramontane Blatt vermag kein Beispiel anzuführen, daß ein national-liberaler Präsident in der Art v. Buols vorgegangen wäre; die Behauptung, man würde in einem solchen Falle mit anderm Maße gemessen haben, ist daher eitel Wind. Daß politische Gegner nach Windthorsts Tode an der Feier in der Hedwigskirche teil genommen, hat ebenso wenig irgendwo Anstoß erregt, wie Windthorsts und andrer Zentrumsmitglieder Teilnahme an der Laskerfeier in der Synagoge, und auch jezt würde niemand Anstoß genommen haben, wenn ein privates Komitee direkt zu der Denkmalsenthüllung eingeladen hätte. Jezt verbreitet der Präsident in seiner amtlichen Eigenschaft eine Mitteilung, die von Privatpersonen ausgeht und seitens dieser eine Parteireklame bezweckt. Denn wenn es sich nur um einen Akt der Pietät handelte, so wäre nicht abzusehen, warum das Denkmalskomitee die Abgeordneten nicht unmittelbar eingeladen hat; das Ein

greifen des Prqulgenten sollte eine Fortseßung der „politischen Apotheose Windthorsts" ermöglichen.

6. Juli. Die „Hamburger Nachrichten" äußern sich über die Einladung des Reichstagspräsidenten also:

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Die Einladung ist für die Zustände, in denen wir gegenwärtig leben, charakteristisch; handgreiflicher als durch diesen Schritt des Reichstagspräsidenten kann nicht bewiesen werden, daß im deutschen Reiche jezt katholisch Trumpf“ ist. Zum Glück zeigt die nationale Presse wenigstens keine Neigung, die Buolsche Einladung gut zu heißen. Uebereinstimmend wird sie von allen patriotischen Blättern als der Würde des deutschen Volkes widersprechend zurückgewiesen. Ueberall finden wir die beschämende Gegenüberstellung hervorgehoben, daß, während der deutsche Reichstag dem Fürsten Bismarck, dem er sein Dasein verdankt, nach dem Willen des Zentrums keine Ehrenbezeugung erweisen sollte, als das ganze deutsche Volk den achtzigsten Geburtstag des großen Staatsmannes feierte, dem nämlichen Reichstage jezt von klerikaler Seite zugemutet wird, den Mann zu ehren, der das deutsche Reich von Anfang an bekämpft hat und jederzeit nur für die den Deutschen diametral entgegengeseßen ultramontanen Interessen eingetreten ist. Die Einladung enthält eine Herausforderung des deutschen Nationalbewußtseins, und wir hoffen, daß es darauf in angemessener Weise reagiren wird. Will man sich darüber täuschen, daß die Feier nicht dem Privatmanne Windthorst, sondern dem vielverschlagnen Zentrumsführer gilt, der als das gestorben ist, als was er gelebt hat, als einer der gefährlichsten, weil geschicktesten und verstellungskundigsten Gegner unsrer nationalen Entwicklung?

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Der Hannoversche Kurier" sagt: „Die Einladung dürfte im Vergleiche mit der Haltung des Zentrums in der Frage der Bismarckehrung durch den Reichstag auch dem Blödesten die ganze Größe ultramontaner Anmaßung deutlich vor Augen führen." - Der sozialdemokratische Vorwärts" sagt: „Bei der persönlichen Beliebtheit und der allgemeinen Achtung, deren sich der verstorbne Zentrumsführer auch bei den Gegnern erfreute, werden gewiß viele dem Rufe folgen." Das „Leipziger Tageblatt" meint zu dieser Aeußerung: Welcher Triumph für den Versender der Einladung, wenn die ganze Mehrheit des Reichstags vom 23. März ihm nach Meppen folgt, und wenn selbst die kirchenfeindliche Sozialdemokratie mit Wort und That beweist, daß sie gleich dem Zentrum den toten Windthorst einer Ehrung für würdig erachtet, die dem lebenden Bismarck schnöde versagt wurde!" - Die demokratische Frankfurter Zeitung" äußert: „Der Reichstag als solcher hat mit dem Windthorstdenkmal gar nichts zu thun, und der Präsident kann es nicht zum Gegenstand einer offiziellen Mitteilung machen, die auf Reichskosten gedruckt und unter dem Privilegium der Portofreiheit versandt wird."

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16. Juli. Zu der Enthüllung des Windthorstmonuments in Meppen schreibt die Kopenhagener „Nationaltidende“: Wenn Deutsch

land mit Recht diesen begabten Mann feiert, der aus dem Kulturkampf siegreich hervorging, während sein mächtiger Feind, Bismarck, verloren gehen mußte, hat Dänemark nicht weniger Grund, Windthorst in freundlicher Erinnerung zu behalten.

20. Juli. Der Vorschlag eines sogenannten „erweiterten Kartells" wird von der Germania mit dem Bemerken zurückgewiesen, daß dies nur auf die Herrschaft der Mittelpartei hinauslaufen, und daß damit namentlich den Konservativen ein Aufgeben ihrer Grundsäße zugemutet würde.

Ende Juli. Graf Strachwiz, Mitglied der Zentrumspartei, giebt in einer Rede zu Breslau die Parole aus, daß diese Partei entweder agrarisch sein oder zu bestehen aufhören werde. Freiherr v. Fechenbach läßt die Aufforderung ergehen, bei den nächsten Wahlen die nichtagrarischen Mitglieder der Partei durch Zentrumsagrarier zu erseßen.

1. August. Nachdem für diesen Standpunkt die katholische Schlesische Volkszeitung aufgetreten ist, sagt auch das Organ des katholischen Rheinischen Bauernvereins:

Gewisse Blätter wollen nicht begreifen und noch weniger eingestehen, daß die ländlichen Zentrumswähler eventuell nur diejenigen Abgeordneten nicht wieder wählen werden, die, in ausschließlich landwirtschaftlichen Bezirken gewählt, für den russischen Handelsvertrag gestimmt haben.

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Hiergegen wendet sich die katholische Kölnische Volkszeitung mit dem Bemerken, hiernach dürften ja folgerichtig auch die Zentrumsabgeordneten, die für den Handelsvertrag mit Desterreich gestimmt haben, nicht wieder gewählt werden, und es würde so ein Kampf zwischen Stadt und Land entstehen, bei dem die Einigkeit und Geschlossenheit des Zentrums notwendig in die Brüche gehen müßte. Nachträglich überall da, wo es mit einiger Aussicht auf Erfolg geschehen kann, die Parole auszugeben: für oder gegen den russischen Handelsvertrag, das heißt in eine Entwicklung hineintreiben, die das Zentrum sprengt und es unfähig macht, seine bisherige maßgebende Stellung im Reichstage, auf der die Gesamtstellung der deutschen Katholiken im öffentlichen Leben vorzugsweise beruht, zu behaupten."

7. August. Diese Fehde erhält neue Nahrung durch eine öffentliche Erklärung des Grafen Strachwiß in der „Schlefischen Volkszeitung." Der Graf sagt u. a.:

Es beliebt einer gewissen Richtung auf katholischer sowohl wie nichtkatholischer Seite, mit „einseitige begehrliche Interessenvertretung von Junkern, Großgrundbesißern," mit der drohenden Warnung vor der Erschütterung des Zentrumturmes, vor der Uneinigkeit in der Fraktion," ja „vor einem Sprengen derselben“ zu antworten. Ich meine, daß gerade umgekehrt in einer solchen Stellungnahme eines Teils der Zentrumspresse die einzige und wirkliche große Gefahr für die EinigDeutscher Geschichtskalender 1895. II.

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keit der Zentrumspartei liegt; auf die Dauer können auch die katholischen Landwirte sich diese Sprache in der Preffe nicht gefallen laffen. Die Vorgänge in Bayern sollten doch zu denken geben. Für oder gegen die Handelsverträge, dies muß allerdings die Losung für die nächste Zeit sein. So kurz die Dauer der Handelsverträge auch erst ist, sie hat genügt, um die Tagesgeschichte das endgiltige Urteil über dieselben bereits sprechen zu lassen. Dasselbe lautet dahin, daß die Handelsverträge für Deutschland einem verlornen Kriege gleichkommen. Das katholische Volk ist in seinem ganz überwiegenden Teile agrarisch gesonnen. 17. August. Ueber das Auftreten des Grafen Strachwiz bemerken die Hamburger Nachrichten":

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Es wäre eine starke Ueberschäßung des Vorganges, wenn man aus ihm auf den nahe bevorstehenden Zusammenbruch des berühmten „festen Turmes" schließen wollte. Was in der Rede des Grafen Strachwiz Pein verursachte, war die Kritik der Haltung des Zentrums gegenüber den Handelsverträgen. Man argwöhnte dahinter eine Erklärung gegen die leitenden Männer der heutigen Reichstagsfraktion des Zentrums. Diesem Argwohn hat Graf Strachwiß selbst in seiner jüngsten Erklärung mit allem Nachdruck den Boden entzogen. Von Bedeutung ist nur, daß der Antrag Kaniß ausdrücklich beiseite geschoben wird. Besonders bedauerlich ist es, daß auf konservativer Seite der alte Wahn, das Zentrum als Bundesgenossen einer echt konservativen Politik gewinnen zu können, durch die Strachwigsche Partei in vielen Köpfen neue Nahrung erhalten hat.

25. August. Dreitausend zum zweiundvierzigsten Deutschen Katholikentag in München eingetroffne Teilnehmer werden vom Grafen Preysing empfangen, der in seiner Ansprache sagt: In unserm Glauben liegt die Gewähr, daß wir Gott und darum dem Vaterlande dienen. Der gefährlichste Feind ist heutzutage die Gleichgiltigkeit. Sie zu bekämpfen, ist die Aufgabe des Katholizismus. Windthorsts Geist der treuen Pflichterfüllung lebt in uns fort.

26. August. Die erste nicht öffentliche Generalversammlung des Katholikentages wird durch Oberlandesgerichtsrat Geiger mit einer Rede über die Bedeutung der Katholikentage eröffnet. Sodann verliest Graf Preysing das Schreiben des Papstes, in dem es nach anerkennenden Worten über die Wirksamkeit der Katholikentage heißt:

Wir haben Grund, von euerm Eifer und euern Bemühungen das Beste zu erwarten, denn ihr bekennt als eure bestimmte Absicht, alles daran zu seßen, daß in euerm Volke mehr und mehr das zur Ausführung gelange, was euch in den Encykliken vorgeschrieben und eingeschärft wurde. Zu den wichtigsten Aufgaben rechnet ihr, die Erziehung der Jugend zu fördern, die Vereinigung der Arbeiter und Handwerker zweckmäßig zu ordnen und die Tagespresse wie die übrige zur Verbreitung von Kenntnissen im Volke bestimmte Litteratur so zu leiten, daß sie den Einfluß, den sie in der Welt und im Reiche ausüben soll, auch wirklich ausübe.

Zum Vorsißenden wird Justizrat Müller aus Koblenz gewählt. 27. August. In der zweiten öffentlichen Versammlung des Katholikentages spricht Bachem über die Weltanschauung des Sozialismus; er bezeichnet als Grundirrtum der sozialistischen

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Lehre, daß sie von dem natürlichen Wesen des Menschen absehe und zuerst den Zukunftsstaat, nachher den hierzu passenden Idealmenschen konstruire. Redner schließt mit der Aufforderung, den Sozialismus auf der ganzen Linie zu bekämpfen. Abgeordneter Woerle spricht über das Thema: Unsre Forderungen für die Volksschule." Redner verlangt Konfessionsschulen, kirchliche Schulaufsicht und Vereinfachung des Unterrichtsstoffes. Gymnasialdirektor Orterer bekämpft die naturwissenschaftliche Philosophie und die moderne Kunst. Das Christentum müsse in der Schule und in der Wissenschaft wieder zur Geltung kommen. Freiherr v. Hertling hält einen Vortrag über „Rom und Papst im Jahre 1895":

Auch im neunzehnten Jahrhundert werde die Menschheit von religiösen Fragen am tiefsten ergriffen. In Rom sei vicles anders geworden durch eine wenig begründete Großmannssucht und die Tendenz, altes zu verwischen. Der großstädtische Pöbel habe die Römer von ehedem verdrängt, und beseitigt seien im Kolosseum die an den Tod der Märtyrer erinnernden Kreuze und Stationen. Die heilige Atmosphäre Roms sei verschwunden, und der Papst sei ein Gefangner, wenn auch ohne Ketten und Fenstergitter, aber wenn er den Vatikan verlassen wollte. Dagegen müßte die ganze katholische Welt protestiren. Das ärgste sei nicht die Beraubung persönlicher Freiheit oder die erzwungne Nichtteilnahme an großen Kirchenfesten, sondern daß der Einfluß des Papstes in Rom gehemmt sei. Troß allem sei aber der historische Charakter der Stadt, die weltumspannende Thätigkeit des Papstes geblieben. Niemals war die Verehrung für den Papst größer als in unsrer Zeit, und der ganze Erdkreis lauscht seinen Kundgebungen. Der Papst, als Gefangner, angewiesen auf die Liebesgaben der Gläubigen, ist noch immer eine moralische Macht, ein politischer Faktor, vielleicht mächtiger als im fünfzehnten Jahrhundert, während Papst Sixtus mit Venedig in Fehde lag. Immerhin ist die gegenwärtige Stellung des Papstes unwürdig, unmöglich. Er darf nicht Unterthan eines weltlichen Fürsten sein. Die Italiener leugnen das Bestehen einer römischen Frage, aber diese war nie rein national, weil der Papst der ganzen katholischen Welt gehört. Auch früher, beispielsweise zur Zeit des Exils in Avignon, ertrugen die Völker nie eine wirkliche oder scheinbare Abhängigteit des Papstes. Die Katholiken werden nie aufhören, die Lösung des 1870 geschaffnen Konflikts zu verlangen. Leo XIII. selbst sagte, thöricht sei es, am untergegangnen Alten festzuhalten. Der Papst ist Friedensfürst und lehnte die gewaltsame Erneuerung der frühern Verhältnisse ab. Wir sind keine Feinde des Dreibundes, von einer Rückkehr des italienischen Volkes zum Papst erwarten wir das Heil, und durch die friedliche Lösung der Frage würde Italien an innerer Kraft gewinnen. Die Liberalen haben den Einfluß auf die Maffen verloren, wir aber vertrauen auf die mächtige Gewalt der öffentlichen Meinung.

Es werden sodann Anträge gegen die leichtsinnige Auswanderung nach Amerika, auf Unterstüßung angehender tüchtiger katholischer Gelehrter, auf Verbreitung katholischer Litteratur, auf Erhaltung des konfessionellen Charakters der Schule und auf Wahrung des kirchlichen Einflusses auf die ganze Schule sowie auf Beseitigung der Simultanvolksschulbücher angenommen.

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