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großen Fehler begangen. Die Parole für die Stichwahl mußte nicht lauten: „strikte Wahlenthaltung," sondern etwa: „Kein Zentrumsmann darf für den Sozialisten stimmen, auf der andern Seite kann der nationalliberale Bewerber nicht gerade empfohlen werden; es wird aber dem Belieben der Wähler anheimgestellt, für ihn einzutreten oder sich der Abstimmung zu enthalten." So aber, wie die offiziell angekündigte „Wahlenthaltung“ auf breiter Front geübt worden ist, kommt sie einem Eintreten für den Sozialdemokraten vollkommen gleich. Bei strikter Wahlenthaltung aller Zentrumswähler wäre Möller unsrer Ansicht nach zweifellos gewählt worden. Wir wissen keinen Wahlkreis im ganzen deutschen Reiche, wo eine Anfreundung der katholischen Arbeiterschaft mit den Sozialdemokraten so feuergefährlich wäre wie im Industricbezirk Dortmund-Hörde. Uns sagte schon vor Jahresfrist ein welterfahrner katholischer Geistlicher, der sich in dem bezeichneten Gebiet jahrelang in verantwortungsvollen Stellungen bewegt hat, daß die katholische Arbeiterschaft angesichts der Verlockungen von sozialistischer Seite außerordentlich gefährdet sei dank der Nachgiebigkeit der Presse; er befürchte, daß in zehn Jahren auch die katholischen Arbeiter den Umstürzlern ein geneigtes Ohr schenken würden. Die Verheßung zwischen Arbeitern und Arbeitgebern im Dortmunder Gebiet ist nämlich eine hochgradige. Kommerzienrat Möller ist nicht als Nationalliberaler gefallen, soviel man darüber auch redet, sondern als Arbeitgeber, obwohl er für seine Person anerkanntermaßen ein warmer Freund der Sozialreform ist.

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Die Dortmunder Tremonia," ein Zentrumsblatt, denkt sich den Hergang also:

Kaum war diesmal seitens der Zentrumsleitung die Parole Wahlenthaltung ausgegeben, als wieder die sogenannten guten Katholiken" auf der Bildfläche erschienen und durch Wort und Schrift für die Nationalliberalen agitirten. Die nationalliberale Parteileitung hausirte dann mit diesen guten Katholiken" herum und präsentirte sie den Zentrumswählern als leuchtendes Beispiel gegen die Parteileitung des Zentrums. Das hat furchtbare Erbitterung bet unserm braven katholischen Arbeiterstande hervorgerufen. Nur durch diese grenzenlos dummen Provokationen von der andern Seite ist es erklärlich, wenn vielleicht ein Teil der katholischen Arbeiter für den sozialdemokratischen Kandidaten gestimmt haben sollte.

Aehnlich spricht sich die „Kölnische Volkszeitung", ebenfalls ein Zentrumsblatt, aus:

Das Sprüchlein vom „gemeinsamen Feind" hört man lediglich bei so unbequemen Wahlsituationen, wie soeben in Dortmund. Und da hatte man zur Einleitung des gemeinsamen“ Kampfes den Katholiken fortwährend Faustschläge ins Gesicht versezt. Es folgte eine Herausforderung der andern, und das sollen wir alles lächelnden Mundes hinnehmen und am folgenden Tage für diese selben Nationalliberalen auf die Schanzen steigen, als gelte es, für das Vaterland zu fechten? Das war zuviel!

10. November. Bezüglich solcher Erklärungsgründe sagen die ..Hamburger Nachrichten":

Für die Haltung der Zentrumsleitung gegenüber der Entscheidung in Dortmund ist ein ganz andrer Faktor bestimmend gewesen, als der Haß. Diesen würde die überwiegende Mehrheit der „Führer" unter den heutigen Verhältnissen gern eine Weile zurückgestellt haben, wenn sie durch den Ruhm einer staatserhaltenden That hätte gewinnen können. Sie durften aber die Parole, für Möller einzutreten, nicht wagen, weil ihnen

sonst die Hälfte ihrer Wählerschaft davongegangen und geradwegs in das sozialdemokratische Lager marschiert wäre. Die westfälischen ultramontancn Blätter seßen dies selbst mit einer wahrhaft chnischen Offenheit auseinander. Ein überaus bezeichnendes, erschreckendes Schlaglicht ist es, das auf diese Weise auf das Zentrum fällt, wie es heute geworden ist. In Dortmund ist es die Hälfte seiner Gefolgschaft, die nur mit mehr oder weniger unverfälschter sozialdemokratischer Koft nominell unter der Fahne des Zentrums festgehalten werden kann. Die Partei wird also, wenn sie sich diese Elemente erhalten will, auf die Dauer eine die sozialdemokratische Methode kopirende Agitation zu treiben gezwungen sein. Wenn diese Thätigkeit von Erfolg ist, so wird man statt der roten eine schwarze Sozialdemokratie haben staatserhaltend" ist weder die eine noch die andre. Dem Zentrum mag es ja darauf auch gar nicht ankommen. Es ist kein Geheimnis, daß es hervorragende ultramontane Politiker giebt, die mit dem heutigen Staate bereits fertig sind; sie halten ihn für verloren und beschäftigen sich nur noch mit dem Problem, ob der Zukunftsstaat klerikal-sozialistisch oder demokratisch - sozialistisch sein wird. Bisher hat das Zentrum, so oft der Kampf mit der Sozialdemokratie in Frage stand, seine wahre Stellung zu demselben durch eine Wahlenthaltung voller Phrasen und durch allerlei verwirrende Seitensprünge zu verhüllen gesucht. Nach Dortmund ist das nicht mehr möglich. Auf das Verhältnis der Regierung zum Zentrum kann daš, sollte man meinen, nicht ohne Wirkung bleiben.

VI.

Polnische Partei.

1. September. Gegenüber den Festlichkeiten zum Sedantage nimmt das Polentum eine herausfordernde Haltung ein. Dies tritt besonders hervor bei den Vorbereitungen zur Enthüllung eines Kriegerdenkmals in Samter. Was die Presse betrifft, so sagt der Goniec Wielkopolski":

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Wir haben schöne Zeiten erlebt! Wer hätte es noch vor zehn Jahren erwartet, daß die Nachkommen der Kricger, die die Feinde des Slawentums bei Hundsfeld und Grunwald schlugen heute freiwillig den Triumph der germanischen Waffen über das katholische Volk feiern würden! Der Posener, Dziennik,“ der die Beteiligung der Polen an der Sedanfeier ebenfalls für unzulässig hält, schreibt: „Aus rein ethischen Gründen, die mit dem politisch-nationalen Gefühl nichts gemein haben, geziemt es uns, daß wir uns von demonstrativen Jubiläumsfeierlichkeiten fernhielten, die das berechtigte Gefühl der französischen Nation schmerzlich verlegen mußten, gegen die wir keine Veranlassung haben, gehässig zu sein, und mit der wir im Laufe des lezten Jahrhunderts und auch früher durch verschiedne politische Verhältniffe verbunden gewesen sind, obgleich nicht immer zu unserm Vorteil, was wir augenblicklich hier nicht näher erörtern wollen. Für uns stellt daher die fünfundzwanzigjährige Einigkeit Deutschlands keinen Zeitpunkt der Freude, wohl aber des empfindlichsten Schmerzes und tiefster Trauer dar." Die Wochenschrift „Przeglad Polski“ führt in einem Artikel Sedan und die Polen" aus: Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, daß sich die polnischen Fahnen vor dem blutigen An

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denken des preußischen Sieges neigen würden, ich würde vielleicht dem Verleumder ins Gesicht gespieen und laut gerufen haben: „Lügner derjenige, der mein Volk anklagt, daß es den Nacken so tief beuge und seine Ehre mit Füßen trete." Und heute tauchte diese Nachricht in den Spalten der Zeitungen Posens auf, und ich fand nicht den Mut des Zweifelns. In den lezten Jahren unsers Lebens feierte die Loyalität solche Orgien, und so oft wälzte sich ein Teil des Volkes im Staube, daß man mir den Glauben an den Stolz des Volkes raubte. Es giebt Städte im Großherzogtum Posen und Westpreußen, wo polnische Standarten sich vor dem Denkmal preußischer Macht neigen sollen, wo polnische Bürger die blutigen Lorbeeren der Moltke und Bismarck zu ehren beschlossen, wo sogar der Sokol (die polnischen Turnvereine führen in der Fahne den Falken, sokol), dieser stolze Vogel, im Staub sich neigen will vor dem Triumph von Sedan. Die Provinz überflügelt in loyalen Ehrerbietungen die Posener Hauptstadt, und geleitet von der zitternden Hand feiler Liebhaber von Orden, von Geldfabrikanten oder zügellosen Vorkämpfern des neuen Kurses," verwischt sie die Schamröte und segnet die Peitsche, die über ihrem Ohre pfeift. Es ist aber in dieser dunkeln Nacht, die unsre Gemeinschaft umfaßt, ein heller Strahl, der Hoffnung erweckt denn siehe dal zur Wahrung der nationalen Ehre rafft sich die ganze polnische Presse auf, und vielleicht nur der einzige „Kuryer Poznanski" wird den Verehrern von Sedan Beifall spenden.

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Dieser Kuryer Poznanski" aber, das Organ des Erzbischofs v. Stablewski, sagt:

An der in der Ausstellung zu veranstaltenden Sedanfeier darf kein Pole teilnehmen, da die Ausstellung ein industrielles Unternehmen ist, das mit dem Patriotismus nichts gemein hat. Zahlreiche Stimmen der Entrüstung wurden über den Ausschuß laut, der sich herausnehme, die Ausstellung zu politischen Zwecken auszunußen. Unsre Leser meinen, daß, ebenso wie wir am Tage der Eröffnung der Ausstellung einen stummen Protest erhoben haben, am Montag der Fuß keines Polen den Ausstellungsplag betreten wird. Dasselbe Blatt teilt die den Beschluß der Fuldaer Bischofskonferenz betreffende Verfügung des erzbischöflichen Konsistoriums nicht mit.

2. September. Am Sedantage liegt die Dominsel, auf der der Palast des Erzbischofs steht, in tiefstem Dunkel, und keine Fahne weht auf den Dächern. An vielen Orten wird von polnischer Seite versucht, die Feier der Deutschen zu stören.

13. September. In der „Kölnischen Zeitung" heißt es: Ein Sturm der Entrüstung ist durch die deutsche Bevölkerung der Ostmarken gegangen! Die Heuchelei der polnischen Presse und Agitatoren hat sich in offenkundigster Weise gezeigt. Feindseligste Gesinnung gegen das Reich und sogar gegen die Person des Kaisers, das sind die Früchte der Heßereien, die dem ganzen Volk zum schweren Schaden gereichen werden. Der Glaube an die Loyalität der polnischen Führer ist dahin, der Erzbischof und seine Adelspartei können und werden es nicht von ihren Rockschößen abschütteln, daß das Organ dieser Gruppe genau so gegen die Sedan= feier und ein Kaisertransparent protestirt hat wie der „Vorwärts."

20. September. Die Polen rüsten sich zu einem politischen Feldzug. Die bestehenden Organisationen genügen ihren Führern nicht mehr; sie fordern im „Oredownik“ öffentlich zur Bildung politischer Vereine auf. Als Basis für eine erfolgreiche Or= ganisation sollen die Industrievereine benußt werden, die zu einem großen Verband zusammenzuschließen wären, in dem politische Fragen zur Sprache gebracht werden könnten.

24. September. Die „Gazeta Grudzianska“ will wissen, „daß eine ziemlich bedeutende Anzahl polnischer Gutsbesißer die Nachricht von der Gründung der Landbank mit großer Befriedigung begrüßt habe, und daß diese Landbank schon eine Zahl von Offerten von denjenigen polnischen Bürgern befiße, die sich ihrer Güter entäußern wollten." Das Blatt läßt seine Landsleute nicht im Zweifel über das, was ihrer harrt: „Die polnische Presse wird die vaterländische Scholle überwachen und jeden Schacherer, der sein Gut der Landbank verkauft, mit dem Namen eines Verräters, den Verkauf der Güter an die Landbank als Verrat brandmarken.“

9. Oktober. Der „Goniec Wielkopolski" regt eine polnische Kundgebung an: „Zwei Wochen trennen uns nur noch von einem traurigen Jahrestage. Am 24. Oktober 1795 wurde der Teilungsvertrag mit Preußen unterschrieben, auf Grund dessen sein erster Anteil von 1772 sich um die Länder am Niemen, Bug und der Piliza vergrößerte. Dies dürfen wir nicht vergessen! Jeder Sohn des Vaterlandes, der an die künftige Wiedergeburt eines unabhängigen Polens glaubt, muß dieses Tages in Sammlung des Geistes gedenken." Das Blatt fordert daher die Polen auf, diesen Tag durch Darbringung einer nüßlichen nationalen Opfergabe zu feiern.

19. Oktober. In der Kölnischen Zeitung“ wird folgendes ausgeführt:

Bekanntlich lieben es die Polen, wenigstens bestimmte Kreise derselben und diese auch hauptsächlich dann, wenn sie etwas erreichen wollen, sich als harmlose und loyale Unterthanen hinzustellen, die ganz unberechtigterweise ,verfolgt werden. Es ist unter diesen Umständen immer verdienstvoll, den Polen die Maske vom Gesicht zu reißen, und wenn sie uns selbst die Möglichkeit dazu geben, so ist uns das doppelt willkommen. Als ein solches Zeichen polnischer Loyalität können wir wohl folgenden Artikel des Goniec Wielkopolski betrachten. „Zwei Wochen," so heißt es da, trennen uns nur noch von einem traurigen Jahrestage. Am 24. Oktober 1795 wurde der Teilungsvertrag mit Preußen unterschrieben, auf Grund dessen sein erster Anteil von 1772 sich um die Länder am Niemen, Bug und der Piliza vergrößerte. Dies dürfen wir nicht vergessen! Jeder Sohn des Vaterlandes, der an die fünftige Wiedergeburt eines unabhängigen Bolens glaubt, muß dieses Tages in Sammlung des Geistes gedenken." Deutlicher kann wohl der Wunsch auf Selbständigkeit Polens, d. H. auf Abtrennung Posens von der preußischen Monarchie und dem deutschen Reiche

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nicht ausgesprochen werden, und man kann aus solchen Kundgebungen ersehen, was es mit den entgegenstehenden Beteuerungen auf sich hat. Auch eine andre Auslaffung des Goniec zeigt, wie wenig die Polen in die Rolle der unschuldigen Lämmer passen, in der sie manchmal auftreten. Der Goniec treibt nämlich die Unverschämtheit so weit, den Deutschen überhaupt das Recht zum Aufenthalte in Posen abzusprechen! Wir (die Polen) sind die eingebornen Kinder dieses Landes. Wenn es nicht genügend Brot für beide Nationalitäten giebt, so mögen die Deutschen in ihre Heimatgegenden zurückgehen, uns aber in Ruhe lassen. Es hat sie überhaupt niemand bei uns zu Gast geladen, sie brauchen sich bei uns nicht zu ruiniren, da sie so viel Plaz im »großen Vaterlande« haben." Weiter wird ausgeführt, daß wir (die Polen) die bei uns Brot suchenden Fremden stets gern und gastfrei aufgenommen haben." Kurz, es wird wiederholt die unerträgliche Behauptung aufgestellt, daß die Polen die eigentlichen Herren dieser preußischen Provinz seien und die Deutschen nur der geduldete Teil.

24. Oktober. Am hundertsten Jahrestage der leßten Teilung Polens werden in der St. Martin- und in der Pfarrkirche zu Posen Trauergottesdienste abgehalten. Die „Gaz. Torunska“ bezeichnet die Teilung als einen Triumph der Gewalt und Uebermacht über das natürliche und übernatürliche Recht und sagt:

Aber Polen ist nicht verloren, so lange wir leben, und wir hegen die Hoffnung, daß Gott, der uns troß vieler Unglücksfälle und Verfolgungen nicht untergehen ließ, auch in Zukunft sich unsers Vaterlandes annehmen werde, und daß er, wie das Gold im Feuer, unsre Nation durch Leiden nur prüft, um dieselbe im geeigneten Augenblick rein und edel zur Vollendung des durch die Union von Lublin begonnenen Werkes, d. i. zur allgemeinen Verbrüderung der Völker zu berufen. Wann, in welchen Grenzen und Bedingungen Gott uns das Vaterland wiedergeben wird, wissen wir nicht; wir glauben aber fest, daß Polen hergestellt werden wird.

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Der Goniec Wielkopolski" erscheint mit einem Trauerrand. Auf der ersten Seite befindet sich ein Bild, das die damaligen Herrscher von Rußland, Desterreich und Preußen sowie den König von Polen, die Karte von Polen ausbreitend, darstellt. Dem Bilde folgt ein Gedicht, in dem u. a. gesagt wird, daß die Polen warten würden, bis Gott ihnen Freiheit und Unabhängigkeit senden würde, und daß sie im Gebet Trost suchen würden. Die Schlußstrophe des Gedichts lautet: „Mit gebrochnem Herzen erheben wir zu dir den blutgetränkten, thränenvollen Blick und flehen wir bei den Gräbern der Opfer: Erbarme dich, Herr, der Trauer der Waisen . . . erbarme dich über uns." In einem dem Gedichte folgenden Artikel wird zur Ausdauer in den weitern Kämpfen angeregt und zum Schluß gesagt: „Wenn jeder wahre Pole das Bedürfnis und die Wichtigfeit der ameisenartigen Bestrebungen auf jedem Gebiet begreifen wird, dann werden wir alle Stürme überdauern, und es wird uns oder unsern Kindern dereinst die Morgenröte der Freiheit noch scheinen. Helfen wir uns selbst, und Gott wird uns helfen." Die Graudenzer „Gazeta Grudziadzka“ läßt sich also vernehmen:

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