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18. Dezember. Die Generalversammlung des Bundes der Landwirte in Ostpreußen unter Vorfiz von v. d. Gröben-Arenstein beschließt, nach einer Rede des Abgeordneten v. Plöß, zwei Erklärungen:

1. Betreffs Herabseßung des Zinses der Staatspapiere, und 2. eine solche mit folgendem Wortlaute: „Die Notlage der Landwirtschaft, des Handwerks, des Kleingewerbes ist eine so trostlose geworden, daß wir im nationalen Interesse an allen Forderungen des Bundes festhalten müssen, besonders der Verstaatlichung der Getreideeinfuhr, Reform der Währung und Börse, dem Befähigungsnachweise für das Handwerk, verbunden mit Schaffung von Zwangsinnungen und an einem durchgreifenden Geseze gegen den unlautern Wettbewerb. Sofern die verbündeten Regierungen in den bestehenden Handelsverträgen ein Hindernis zur Durchführung der von uns geforderten, wahrhaft nationalen Wirtschaftspolitik erblicken, erachten wir es als dringend erforderlich, baldmöglichst die geeigneten Schritte zu thun zu einer Revision oder Abänderung der Handelsverträge unter gleichzeitiger Kündigung aller Meistbegünstigungsverträge.“

20. Dezember. Ueber agrarische Politik und Agitation spricht sich die „National-Zeitung“ also aus:

Der Antrag Kaniß ist die stärkste Zumutung, die bisher, da die Sozialdemokratie ihre „positiven" Vorschläge ja für die Zeit nach ihrem endgiltigen Siege aufspart, an die Gefeßgebung gestellt worden, um die Gesamtheit im Interesse einzelner Volkskreise in aller Form Rechtens zu vergewaltigen. Der Antrag Kanig bedeutet, wenn ernst genommen, eine derartige Steigerung der wirtschaftlichen Gedankenverwirrung und der gesetzgeberischen Leichtfertigkeit, er bedeutet, soweit seine Verfechter nur damit manövriren, eine derartige Steigerung der Skrupellosigkeit in der Wahl der Mittel des politischen Kampfes, daß auch die größte Neigung zur Nachgiebigkeit gegen erregte Wählermassen hier ein Ende finden muß. Es ist eine wahrhaft feltsame Verkehrung der natürlichen Verhältnisse, wenn in Süddeutschland die Herren von Plöß und Genossen Anklang finden. In Württemberg, in Bayern, namentlich in der Pfalz, in Baden hat von jeher eine politische Auffassung geherrscht, die den Tendenzen des ostelbischen Junkertums, den politischen, kirchlichen, gesellschaftlichen, schnurstracks entgegenstand; auch jezt ist diese freie Grundanschauung des öffentlichen und privaten Lebens vorhanden; und dennoch hat in diesen Landesteilen die agrarische Agitation in ihrer schärfsten Form breiten Boden gefunden.

IV.

Deutsche Volkspartei.

20.-22. September. Die Generalversammlung findet in München statt. Der württembergische Kammerpräsident Payer sagt in einer längern Rede:

Es ist ein kleines Stämmchen, diese Partei, das aber hübsch gerade gewachsen ist und nicht gelernt hat, sich nach dieser oder jener Seite zu frümmen. Die deutsche Volkspartei ist eine Notwendigkeit für die deutschen

Verhältnisse geworden. Denn mehr als je gilt es heute, über die Rechte und Freiheit der deutschen Nation zu wachen, und das kann nur ein organisirtes Ganzes. Wohl auch giebt es andre Parteien, die darauf halten; der Unterschied ist aber der, daß bei uns nicht Standesinteressen, nicht die Religion den Zusammenhalt bildet, sondern die Gesundung des ganzen Volkes. Sehen wir nach rechts, so müssen wir fragen: Soll das Ideal einer Partei die derer um Hammerstein sein? Es ist ein übles Zeugnis für die konservative Partei, daß sie es nicht vermochte, sich rechtzeitig von diesem Herrn loszuschälen, dessen unlautern Charakter jeder gekannt hat. Aber das ist es nicht allein, sondern noch mehr die Gebahrung der konservativen Partei in den lezten Jahren, wenn es sich um finanzielle Fragen handelte. Die Herren, die sich geberden als die Kämpfer für Thron und Altar, haben sich entpuppt als die Männer, die nichts zu besorgen haben als ihre eignen Geschäfte, die dazu bestimmt sind, ihnen Geld in ihren eignen Beutel zu tragen. Die Selbstsucht ist noch nirgends so unverhüllt zu Tage getreten, als bei diesen Junkern. Das wollen die Vornehmsten der Nation sein, ja sie sind so vornehm, daß sie sich scheuen, dem gemeinen Mann die Hand zu drücken, aber sie sind nicht zu vornehm, ihre Hände in die Tasche derer zu stecken, die weniger darin besißen, und sie möglichst gefüllt wieder herauszuziehen. Das alles ist aber auch noch immer nicht das Schlimmste, dieses ist vielmehr die Thatsache, daß die konservative Partei, als sie gefühlt, daß das deutsche Volk nicht dazu zu haben ist, ihre Taschen zu füllen, an der deutschen Volksvertretung, nämlich an dem allgemeinen Wahlrecht gerüttelt hat. In Güte geht die Abschaffung dieses wichtigen Rechts nicht. Wer die Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts predigt, der predigt Blut, den Bürgerkrieg, was aber noch umso verabscheuungswürdiger ist, weil die Konservativen dies im Intereffe ihres eignen Beutels thun. Mit den Konservativen wird es also nichts sein, wenn wir eine ideale Partei suchen. Wollen wir die Ideale also einmal bei den Nationalliberalen suchen. Es ist dies eine Partei, die nur noch zeugt von entschwundner Pracht; nicht eine geborstene Säule, aber ein Trümmerfeld, aus dem niemand mehr klug werden kann, nicht einmal die Nationalliberalen selbst. Dieselben würden ebenfalls zur Schaffung eines Sozialistengeseßes die Hand bieten, wahrscheinlich weil sie fühlen, daß sie aus eigner Kraft nichts mehr können. Wir sind überzeugt, daß wir deshalb die Partei der Zukunft sind, weil wir uns zur Pflicht gemacht, nie einem Stande Vorteile zu bereiten, die einem andern nicht zu gute kommen. Wir sind aber auch davon überzeugt, daß man, ohne sich nach oben etwas zu vergeben, einen gesunden Fortschritt in jedem Staatswesen fördern kann. Es giebt nur eine Partei, die die Gesamtheit des Volkes vereinigen und zusammenhalten kann und für die Rechte und Freiheiten des leßtern einzutreten vermag, und diese Partei ist unsrer Ueberzeugung nach die deutsche Volkspartei! Muser aus Offenburg spricht über den schlimmsten Feind des deutschen Volkes, den Militarismus, dessen Geist den verschiedensten Institutionen des öffentlichen Lebens aufgeprägt sei. So seien die jeßigen Kriegervereine vornehmlich Schußtruppen der reaktionären Parteien, und es sei die Aufgabe der Demokratie, zu sorgen, daß die bürgerlichen Kreise mehr zum Verständnis für die eigne Würde herangezogen würden. Die finanzielle Impotenz des Staates zur Lösung sozialer, wirtschaftlicher Fragen sei eine Konsequenz des Militarismus, der auch der akademischen Jugend jedes frühere Gepräge von Jdealismus genommen habe. Der Kampf gegen den Militarismus sei eigentlich ein wahrer Kulturkampf. Kohn aus Dortmund bespricht das preußische Junkertum, durch dessen allgemeine Bekämpfung der preußischen Reaktion das Rückgrat gebrochen werde. Professor Quidde fordert auf zum Anschluß an die Partei im Kampf gegen die Reaktion.

Die Versammlung beschließt folgende genauere Fassung des Parteiprogramms:

I. Die Deutsche Volkspartei ist eine Partei des politischen Fortschritts; sie bekennt sich zu den demokratischen Grundsäßen der Freiheit und Gleichheit und verlangt die gleichartige Mitwirkung aller Staatsbürger bei Gesezgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, die Durchführung der Selbst= regierung des Volkes im Staate.

II. Die Volkspartei ist eine Partei der nationalen Gemeinschaft und der bundesstaatlichen Selbstverwaltung. Sie tritt ein für die unverbrüchliche Einheit des deutschen Vaterlandes, wie für die Erhaltung der Selbständigkeit und die Gleichberechtigung der deutschen Volksstämme.

III. Die Volkspartei ist eine Partei der sozialen und wirtschaftlichen Reformen. Sie anerkennt, daß die staatlichen und gesellschaftlichen Fragen untrennbar sind, und daß die wirtschaftliche und soziale Hebung der arbeitenden Klaffen und die Verwirklichung der politischen Freiheit sich gegenseitig bedingen. Sie erstrebt den friedlichen Ausgleich der sozialen Gegensäge in einer die Freiheit des Einzelnen verbürgenden Gesellschaftsordnung.

IV. Die Volkspartei ist eine Partei des Friedens. Sie erkennt im Krieg und im Militarismus die schwerste Schädigung des Volkswohlstandes, wie der Kultur- und Freiheitsinteressen. Sie erstrebt einen Friedens- und Freiheitsbund der Völker.

Diese Grundsäge werden dann weiter in eine Reihe einzelner Forderungen zerlegt.

15. November. In Düsseldorf findet eine Versammlung der Vertreter dieser Partei statt. Sonnemann aus Frankfurt a. M. hält einen längeren Vortrag. Darin spricht er sich über das Verhältnis dieser Partei zu den andern Parteien, insbesondre über das zur sozialdemokratischen also aus:

Was die Sozialdemokraten anbelangt, so erkennt die Volkspartei an, daß sie seit dreißig Jahren sehr viel Gutes bewirkt haben, und daß ihre Kritik der sozialen Zustände das soziale Gewissen der übrigen Klassen geweckt hat. Wäre die Sozialdemokratie nicht vorhanden, so hätte man sie erfinden müssen. Aber weiter geht unsre Anerkennung nicht. Ihr positives Programm ist ein phantastisches; vor fünfzig Jahren sind von Mary und Engels zu demselben Grundlagen geliefert worden, die mit der heutigen Entwicklung der sozialen Verhältnisse nicht mehr im Einklang stehen. Die damaligen Prophezeiungen von der eintretenden sozialen Revolution, von dem Verschwinden des Mittelstandes haben sich in keiner Weise bewährt. Wo sich die Partei auf den Boden der Thatsachen und Erfahrungen stellen will, gerät sie mit ihrem Programm in Widerspruch. Dies konnte man besonders wieder in Breslau sehen, wo sich zwei diametral entgegenstehende Weltanschauungen zeigten. Die eine wollte der Landwirtschaft nach und nach helfen, wie wir auch, während die andre die Bauern so rasch als möglich eigentumslos machen wollte. Diese Gegensäße werden wohl momentan wieder verkleistert werden. Aber mit der Zeit ist eine Zerseßung der Sozialdemokratie unausbleiblich. In Bayern, Baden, Westpreußen sind schon Ansäze dazu vorhanden. Der besonnenere Teil wird, wie es in der Schweiz schon geschieht, von Fall zu Fall mit andern vorgeschrittenen Parteien zusammengehen. Große Versprechungen kann und will die Volkspartei nicht machen. Ebenso wie die Natur sich langsam entwickelt, ist es auch mit der Entwicklung der politischen und sozialen Einrichtungen der Fall.

V.

Bentrumspartei.

14. September. Der Abgeordnete Lieber sagt in einer Rede in einer Versammlung des katholischen Wahlvereins zu Stuttgart:

Auch wir haben heute Paradeversammlung. Aber wir sind in der glücklichen Lage, auf dem Plaze gewesen zu sein noch vor Berlin und Königsberg. Wir stellen unsre Regimenter, unsre Brigaden, Divisionen, ja ganze Armeekorps. So sind einmal die „dummen“ Katholiken, daß sie sich beizeiten organisiren gegen einbrechende oder herannahende Gefahren. Die Krankheit ist auch nicht erst durch die Sozialdemokratie gekommen. Der Bazillus der sozialen Krankheit heißt Liberalismus. Gegen die Urheber dieser Jrrlehren zu kämpfen ist Pflicht, und nur ein Mittel der Rettung giebt es: Rückkehr, entschlossene Rückkehr zum Christentum. Wir Katholiken sind in dem vom Kaiser angerufenen Kampfe Seiner Majestät getreueste Soldaten. Schon ruft man wieder nach einem neuen Umsturzgefeß; die Vertreter des katholischen Volkes werden nie von der Richtschnur weichen, die sich hinzieht auf dem Boden des gemeinen Rechts. „In deinem Lager ist Deutschland," das wird man unserm Volksverein noch nachrühmen müssen.

15. September. Die Blätter der Partei zeigen sich sehr erregt über die in Rom zum 20. September geplante Feier des 25 jährigen Gedenktags der Einnahme Roms durch die Italiener. Diese Feier, vernimmt man, gelte nicht der nationalen Einigung Italiens, sondern der Niederlage des Papsttums, nur die Freimaurer, die Streber, Stellenjäger und Beutelschneider feierten, und der Mob bilde das Volk dazu. Die,,Germania" empfiehlt den „Katholiken Deutschlands“ als „weitere Art des Protestes" gegen die italienische Nationalfeier am 20. September, man möge von vielen Orten aus Telegramme an Kardinal Rampolla absenden, die einen Protest gegen die Einnahme Roms enthalten, in den Städten würde wohl die Absendung von den Wahlkomitees oder den Vorständen der politischen Vereine erfolgen können.

20. September. In Blättern der Zentrumspartei werden allerlei Protestfundgebungen gegen die Feier der Einnahme Roms aufgezählt. Sie bestehen meist in Telegrammen „katholischer“ Vereine und Versammlungen an den Papst. In München überreichen die Redaktionen von 38 katholischen" Zeitungen Bayerns dem Nuntius eine Protestkundgebung gegen die Wegnahme des Kirchenstaates. Die Vorstandschaft des Augustinusvereins (katholische Presse Deutschlands) schließt sich der Kundgebung an. Die „Germania" äußert sich über die Feier des 20. September:

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Ein Schrei der Entrüstung ging durch die katholische Welt ob dieser frevelhaften Unthat (der Eroberung Roms), die das Oberhaupt der Kirche seines Landes und seiner Freiheit beraubte und zu einem Gefangnen in seinem eignen Palaste machte. Papst Pius IX. ist in dieser Gefangerschaft

gestorben, Leo XIII. hat mit der dreifachen Krone zugleich die Dornenkrone der Gefangenschaft erhalten, während die Revolution triumphirt. Wir Katholiken erblicken in dieser Lage des Papstes eine himmelschreiende Beugung des Rechts, eine Entwürdigung der von Gott gestifteten heiligen Kirche, mit einem Worte: einen furchtbaren Gottesraub. Rom gehört den Päpsten, weil die göttliche Vorsehung ihnen diese Stadt gegeben hat. Rom gehört allen katholischen Völkern und nicht einer einzigen Nation. Rom gehört der katholischen Kirche.

Die Kölnische Volkszeitung" sagt:

Die weltliche Souveränetät des Papsttums bildet allein die Unterlage eines nach allen Seiten ungehemmten Kirchenregiments; in der einen oder andern Form muß Rat geschafft werden.“ Das ist auch möglich, ohne daß das zur Not aufrecht erhaltne europäische Friedensgebäude einfällt, im Gegenteil wird die befriedigende Lösung dieser Frage eine Stüße für den Frieden sein, was ein Blick auf die politische Weltlage sofort ergiebt. Nicht von der Gewalt erwarten wir Katholiken die Lösung; wir gehen in Ruhe und Beständigkeit" den von Leo XIII. empfohlnen Weg. Und dieser wird zum Biele führen!

Die ,,Schlesische Volkszeitung" erblickt in der italienischen Feier eine Beleidigung der deutschen Katholiken. Die mit Trauerrand erscheinende Märkische Volkszeitung" in Berlin schreibt:

Noch haben die Mächte, die sich christlich nennen, obwohl selbst umtost von der Flut des Unglaubens, es nicht begriffen, daß nur der Felsen Betri dieser Springflut Widerstand leisten wird und kann. Keine dieser Mächte hebt die Hand auf, um der Loge, die sich anschickt, am 20. September ihr satanisches Jubelfest über den Gottesraub zu feiern, ein dräuendes Halt! zu gebieten. Nun denn, auf! katholisches Volk, und schare du dich um den heiligen Vater, den Statthalter Christi, schare dich um das heilige Kreuz und bekunde laut vor aller Welt: Rom gehört dem Papste, hoch der Papst-König Leo XIII!

7.-12. Oktober. In Dortmund findet ein „katholischer praktisch-sozialer Kursus" statt. Auch der Abgeordnete Lieber kommt hier zu Worte und flechtet in eine Betrachtung über die Sonntagsruhe die Bemerkung ein: „Bismarck sei innerlich wie äußerlich an der Bekämpfung der Sonntagsruhe zu Grunde gegangen; wenn die Weltgeschichte das Weltgericht sei, so werde man sagen dürfen, daß Bismarck als Sabbatschänder gestorben sei.“

7. Oktober. Ein Teil der Zentrumspresse nimmt die gerichtliche Freisprechung der Brüder Heinrich und Irenäus vom Kloster Mariaberg zu Aachen im Prozesse wegen Meineids zur Veranlassung, diese Ordensbrüder zu rehabilitiren von dem Makel, der im Prozeß Mellage wegen unmenschlicher Behandlung Frrsinniger auf sie gefallen war. So bemerkt eins dieser Blätter:

Der Prozeß Mellage, in dem der Bruder Heinrich als die Hauptfigur und als der Typus eines nichtswürdigen Menschen erschien, ist der Ausgangspunkt einer tollen Heße gegen das Aachener Alexianerkloster und das katholische Ordenswesen überhaupt gewesen und hat Veranlassung zu tief eingreifenden Maßregeln gegeben, mit denen auch die Organe der Staatsregierung sehr rasch bei der Hand waren. Schon vor der Verhandlung vor

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