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Der russisch-japanische Krieg: Urteile und Beobachtungen von Mit

kämpfern.

(Fortsetzung.)

Eine bisher nicht veröffentlichte Instruktion
Kuropatkins.

Die russische Armee war mit einer unzeitgemäßen Gefechtsausbildung in den Krieg gezogen, welche besonders beim Kampf im Gebirge total versagte. Die japanische Taktik hatte wie Kuropatkin selbst zugestand ihre Überlegenheit über die russische bewiesen. Um die russischen Truppen über die Gefechtsweise des Gegners aufzuklären, ihnen die eigenen Fehler klar vor Augen zu führen und die Truppen zu passenderen Formen zu verhalten, hielt es der Armeekommandant für angezeigt, spezielle Instruktionen an die Kommandanten bis einschließlich der Unterabteilungskommandanten zu erlassen. Die erste derartige Weisung erschien am 28. April 1904; ihr folgte, gestützt auf die Erfahrungen der Kämpfe am Jalu, bei Kintschou, Wafangou und Kaitschou, am 28. August 1904 die 1. Ergänzung*). Die Gefechtsführung in der Schlacht bei Ljaojan, jenem gewaltigen Ringen der beiden Armeen um den Sieg, beziehungsweise um den geordneten Abzug nach Mukden, gab dem Armeekommandanten die Veranlassung, am 18. September eine 2. Ergänzung zu seiner Instruktion auszugeben**). Außerdem stand die russische Armee am Ausgangspunkte einer groß angelegten Offensive. Sie sollte Angriffskämpfe bringen; derartige Unternehmungen waren bisher entweder erfolglos geblieben oder hatten mit einem Mißgeschick geendet. Ihr Wesen sollte. in dieser 2. Ergänzung näher beleuchtet werden.

Die Ergänzung hatte folgenden Wortlaut:

*) Siehe Streffleur-Heft vom Jänner 1906.

**) Die im Jännerhefte des Jahrganges 1906 angeführte 2., 3. und 4. Ergänzung haben daher als 3., 4., beziehungsweise 5. Ergänzung zu gelten.

2. Ergänzung zur Instruktion vom 15. (28) April 1904. Weisungen für die Truppenkommandanten der mandschurischen Armee einschließlich der Kompagnie- und Sotnienkommandanten, dann für alle Stabschefs vom 18. September 1904.

Trotz der überlegenen Kräfte des Gegners und der Hartnäckigkeit seiner Angriffe haben wir im verteidigungsweisen Gefechte in allen jenen Fällen Erfolge erzielt, wo wir von den Truppen forderten, sich in den besetzten Stellungen hartnäckig zu verteidigen. Unsere Truppen starben, aber sie verließen die ihnen zugewiesenen Plätze nicht. In dieser Art verteidigten wir die besetzten Stellungen bei Daschitsao, Ljandjasan und insbesondere heldenmütig verteidigten wir sowohl die vorgeschobene als auch die Hauptstellung von Ljaojan. Dort, wo die Verteidigung uns keinen Erfolg brachte, lagen die Ursachen in den ungenügend bestimmten Aufgaben, welche den Truppen gestellt wurden und in der allzu raschen Verausgabung der Reserven. Ich bezweifle nicht, daß wir auch bei der bevorstehenden Verteidigung der Stellung bei Mukden die hohen moralischen Eigenschaften unserer Truppen uns zu nutze machen und den Gegner siegreich zurückschlagen werden.

Leider muß man gestehen, daß wir bisher in allen jenen Fällen, wo wir zum Angriffe schritten, Schlappen erlitten haben. Als Hauptursache dieser Niederlagen sehe ich die Unterlassung von Maßregeln zur Aufhellung der Kräfte und der Stellung des Gegners an; infolgedessen machten wir anstatt beabsichtigter Angriffe mit genau festgelegtem Plane bloß planlose Vorstöße, deren Folge die Niederlagen waren. Die Absichten des Gegners nicht in Rechnung ziehend, entschieden wir uns zu frühzeitig für die Richtung des Hauptschlages. Es gab Fälle, wo wir ohne Kenntnis über die feindliche Aufstellung die Truppen in seichten Kolonnen bis einschließlich des Bataillons einsetzten. In anderen Fällen handelten wir ohne einen genau festgelegten Plan. Schließlich gab es auch Fälle von viel zu geringer Hartnäckigkeit zur Erfüllung der Aufgaben, welche bei den Angriffen gestellt wurden. Indem ich mir über die Ursachen unserer bei den Angriffen erlittenen Mißgeschicke mit voller Offenheit Rechenschaft lege, indem ich die gemachten Fehler, welche bei einer solchen schweren Tätigkeit, wie es die kriegerische ist, vollkommen erklärlich sind, weder beschönige noch verringere, kann ich die Hoffnung hegen, daß wir in der Zukunft auch aus einer Offensive als Sieger hervorgehen werden, wenn wir die Lehren der Vergangenheit beherzigen.

Momentan bereiten wir uns zum Übergange zur Offensive vor*). Ich halte es daher für angezeigt, folgende Weisungen, gestützt auf die Erfahrungen der verflossenen Zeit, zu erlassen:

1. Es ist für uns notwendig, daß wir bei Beginn der Offensive Erfolge, seien es auch nur kleine, über die vorgeschobenen Truppen der japa

*) Die Offensive begann am 5. Oktober und führte zur Schlacht am Schaho-Flusse.

nischen Armee erzielen; unsere Offensive muß daher zu Beginn sehr vorsichtig und infolgedessen langsam sein; bei Mangel an genauen Nachrichten über die Kräfte des Gegners und ihrer Aufstellung müssen wir wie tastend vorrücken; in jedem einzelnen Falle des Zusammentreffens mit dem Feinde müssen Maßregeln getroffen werden, um eine bedeutende Überlegenheit an Kräften zu besitzen und den errungenen Erfolg auch zu behaupten. 2. Wenn wir uns dem Gegner genähert haben werden, darf man mit dem Angriffe außer in ganz speziell einfachen Fällen nicht eilen, bis durch die Aufklärung der Kavallerie und der Jagdkommanden, ja sogar durch den Kampf der vorgeschobenen Truppen die gegnerischen Stellungen, ihre Flügel und die Stärke des Feindes genau festgestellt werden. Man muß hierbei bedenken, daß die Japaner selbst bei schwächeren Gruppen ihre Flügel tiberaus dreist verlängern, indem sie bei einer bedeutenden Ausdehnung die dominierenden Kuppen besetzen; sonach werden unsere Operationen im Gebirge mit der Besitznahme der einen oder anderen Höhe durch einen offensiven Kampf beginnen müssen.

Bei einem Angriffe der feindlichen Stellung in der Front muß auch die Umfassung eines seiner Flügel zur Anwendung kommen. Bei unserem Übergange zur Offensive wird der Gegner mit seinen Armeen eine Verteidigungsstellung von einigen 10 Werst Länge beziehen; beim Angriffe auf einen Punkt dieser Linie können die Verteidiger der angegriffenen Stellung von den benachbarten Abschnitten. unterstützt werden; die Umfassung muß daher mit Vorsicht durchgeführt werden, damit die Umfassungsgruppe sich nicht einem Stoße in Flanke und Rücken aussetze. Der Angriff selbst muß durch Artilleriefeuer sorgfältig vorbereitet werden; es ist überaus wünschenswert, daß die feindliche Artillerie zum Schweigen gebracht und die Infanterie erschüttert wird. Die für den Angriff bestimmten Truppenteile müssen das Terrain möglichst geschickt ausnützen, sich auf den ihnen bekanntgegebenen Plätzen gegen den Feind gedeckt sammeln und sich möglichst wenig der Wirkung des Artilleriefeuers aussetzen. Eine Vorrückung von geschlossenen Abteilungen im Bereiche des feindlichen. Artillerie- und Gewehrfeuers ist nicht zulässig. Dagegen empfiehlt es sich, ungedeckte Räume bloß mit einzelnen Leuten oder in kleinen Gruppen und bei möglichster Schnelligkeit zu durchschreiten. Der Kampfleiter ist verpflichtet, sich vor Beginn des Angriffs die Aufstellung des Gegners klarzulegen, den Wert der feindlichen Stellung abzuschätzen, einen genauen Angriffsplan aufzustellen und seine Absicht den Unterkommandanten bestimmtestens kundzutun; er ist ferner verpflichtet, die Hauptstoßrichtung festzulegen, weiters zu bestimmen, welcher Teil der feindlichen Stellung und mit welchen Kräften umfaßt werden wird und schließlich verpflichtet, in der Richtung des Hauptstoßes auch seine Hauptkräfte zusammenzuziehen. Es ist besonders im Gebirgsterrain vorteilhaft, zu Demonstrationskämpfen Zuflucht zu

nehmen, um die Kräfte des Gegners von jener Richtung abzulenken, in welcher der Hauptstoß geführt werden wird. Eine einmal begonnene Vorrückung muß energisch, bis zur Erreichung eines Erfolges durchgeführt werden; um dies zu ermöglichen, muß man starke Reserven haben und sie rechtzeitig in den Kampf einsetzen; eine zu große Anhäufung von Truppen aber gegenüber einer in der Front unbedeutenden feindlichen Stellung ist zu vermeiden, da sie für den Kampf keinen Nutzen bringt und zu überflüssigen schweren Verlusten führen kann.

Haben die vorgeschobenen Truppen einen Erfolg nicht erreicht, wurden sie aufgehalten oder gar durch den Gegner zurückgeworfen, so sind sie verpflichtet, sich an jede Deckung anzuklammern, um einen möglichst großen Teil des bei der Vorrückung bereits durchschrittenen Raumes für uns zu behaupten.

Gehen die vorgeschobenen Truppen weit zurück, so sind einige einander folgende Angriffe zur Besitznahme des Terrains, welches bereits in unseren Händen war, durchzuführen. Wenn es klar wird, daß die vorgeschobenen Truppen den Gegner nicht überwinden werden, so ist es am zweckmäßigsten, daß sie aufgehalten werden, eine Stellung besetzen, sich in dieser bei der ersten Möglichkeit verschanzen und das Eintreffen von Unterstützungen erwarten.

Die gegen die Front angesetzten Truppen dürfen den Entscheidungskampf insolange nicht aufnehmen, bis die gegen den Flügel des Gegners vorgehenden Kräfte mit ihnen in engsten Kontakt getreten sind.

Ein hartnäckiger Gegner muß, nachdem man hierzu Kräfte in genügender Zahl versammelt hat, mit dem Bajonett angegriffen werden.

Der aus der Stellung geworfene Gegner ist energisch zu verfolgen und zu beschießen. Wir haben es an uns selbst erfahren, daß die Verluste bei der Verteidigung einer Stellung erst dann die schwersten wurden, wenn der Rückzug begann. Im Gebirgsterrain ist die Verfolgung des Gegners mit Vorsicht durchzuführen, damit die für die Verfolgung bestimmten, von den Höhen herabsteigenden Truppenteile nicht in das Kreuzfeuer des Gegners geraten, welcher hinter seiner Hauptstellung eine Rückenstellung und die benachbarten Höhen besetzte.

Einen bei der Vorrückung oder beim Angriff erzielten Erfolg muß man sowohl durch Artillerie- als auch durch Infanteriefeuer vergrößern. Die Erfahrung hat gezeigt, daß man in manchen Fällen die Höhen mit Gewehrfeuer bestreichen muß, auch wenn die Ziele nicht mehr genügend klar sichtbar sind.

3. Führte der Kampf zu keinen entscheidenden Resultaten, so müssen sich die Truppen um jeden Preis in den erreichten Stellungen behaupten, sich verschanzen, mit der Absicht, den Kampf nachts oder am anderen Tage fortzusetzen.

Nach einem erfolgreichen Kampfe müssen die genommenen Abschnitte der feindlichen Stellung unverzüglich befestigt und

mit entsprechenden Kräften besetzt werden, um einem Gegenangriffe des Feindes mit starkem Widerstande begegnen zu können.

Nachts muß man wachsam sein; damit ein nächtlicher Angriff des Gegners nicht gelinge, muß man, wie ich schon oft hervorgehoben habe, ihn selbst nachts beunruhigen. Gelang unser Angriff nicht, näherten wir uns aber der feindlichen Stellung genügend, so ist es überaus vorteilhaft, den Angriff in der Nacht zu erneuern. Die geeignetste Zeit hierzu liegt, wenn die Nacht finster ist, vor dem Tagesanbruch.

4. Wie in den früheren Kriegen, so auch im gegenwärtigen, haben wir Niederlagen wegen der mangelnden Übereinstimmung in den Handlungen der einzelnen Kolonnen- und Detachementskommandanten erlitten. Ein besonders anschauliches Beispiel hierzu liefert der Kampf am 20. August (2. September), in welchem die linke Kolonne den Kampf frühzeitig begann und ihn noch frühzeitiger mit einem ungeordneten Rückzuge beendete, was den Ausgang unserer ganzen Operation in äußerst ungünstiger Weise beeinflußte *).

5. Bei verständiger Verwendung kann uns die Artillerie bei der Offensive große Dienste erweisen; die Feuerleitung durch Beobachtung von glücklich gewählten Punkten muß besonders überlegt. organisiert werden, um die Resultate des Artilleriekampfes zu vergrößern. Ich habe am 20. August (2. September) eine ganze Division Artillerie fast ohne jede organisierte Beobachtung kämpfen gesehen. Wir müssen den Japanern nachahmen, mit welchem Verständnis sie im Gebirgsterrain Beobachtungspunkte auswählen und wie sie ihren Signaldienst einrichten. Die Infanterie muß der Artillerie bei jeder Gelegenheit volle Hilfe leisten; ich erinnere an meinen Befehl, daß jede Batterie eine spezielle, von ihr untrennbare Bedeckung haben muß, welche für die Unversehrtheit der Batterie bei einem Rückzuge bürgt. Weiters erinnere ich von neuem an die Notwendigkeit, mit den Patronen, insbesondere aber mit der Geschützmunition zu sparen. Bei Ljaojan haben wir in zwei Tagen unseren ganzen Vorrat, welcher 100.000 Geschützpatronen überstieg, verbraucht. Man bedenke, daß der Munitionszuschub ein äußerst schwieriger ist und daß eine Batterie, welche ihre Munition verbraucht hat, zu einer schweren Bürde für die Armee wird. Nach den bisherigen Erfahrungen über die Kämpfe im Gebirge hoffe ich zuversichtlich, daß unsere Feldartillerie in dem Terrain, in welchem wir in der nächsten Zeit kämpfen werden, alle Schwierigkeiten überwinden wird, daß sie in vielen Fällen unter Mitwirkung von Infanterie solche Stellungen beziehen wird, welche bisher als bloß für Gebirgsartillerie erreichbar bezeichnet wurden.

*) Generaladjutant Kuropatkin meint hier das Detachement GM. Orlow, welches als äußerste östliche Kolonne, ohne mit dem I. sibirischen Korps in enge Verbindung getreten zu sein, vom Steinkohlenbergwerk Jantaj gegen den Mandschuyama vorstieß, hierbei aber selbst in der Flanke von der 12. japanischen Division angegriffen und fast völlig vernichtet wurde.

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