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nicht mehr existirte. Er wich dann nach Polen zurück; die Ruffen standen ihm dort eine Zeit lang gegenüber, ohne ihn zu drängen.

Die österreichischen Truppen hatten nicht so sehr gelitten, wie das übrige Heer; nur das sächsische Contingent, das an ihrer Seite operirt hatte, war hart mitgenommen worden. Im Ganzen war diese Armee aus Volhynien, außer dem preußischen Corps im Norden, jezt die einzige unverbrauchte Kraft, die nach dem Untergang der französischen und rheinbündischen Kriegsrüstung den Andrang der Ruffen aufhalten konnte. Darum war es eine peinliche Ueberraschung für die Franzosen, als Schwarzenberg zu Anfang des neuen Jahres weiter und weiter zurückwich, um bald nachher in Folge eines Vertrags mit den Ruffen auch Warschau zu räumen. Die französische Diplomatie dort versuchte Alles, den österreichischen Feldherrn auf andere Gedanken zu bringen; er wich, ließ die Sachsen (Anfang Februar) ihren Rückmarsch nach der Heimath antreten und befreite damit die Ruffen von der Streitmacht, die bis jest in ihrer linken Flanke gestanden hatte. Die Taktik Schwarzenbergs war ein getreuer Ausdruck der politischen Haltung des Wiener Cabinets. Ohne mit den Ruffen in irgend ein näheres Verhältniß getreten zu sein, wollte man doch die Armee nicht für die Bonaparte'sche Allianz aufopfern, sondern seine Kräfte sparen und sich die freie Wahl einer selbstän digen Politik offen halten. Das österreichische Cabinet handelte ohne Leidenschaft und ohne Enthusiasmus, eine kalte und vorsichtige Berechnung bestimmte seine Schritte; ohne sich mit Napoleon unauflöslich verknüpft zu fühlen, war dasselbe doch auch ganz unberührt von der patriotischen Erregung, die beim ersten Eindruck der russischen Katastrophe überall lebendig ward; ja es blieb im äußersten Fall vielleicht lieber im französischen System, als daß es sich entschloß, die Kraft der Völker zu Hülfe zu rufen.

In Preußen ward der Regierung eine solche Wahl nicht gelassen; eine kühn entschlossene That entfesselte zugleich den Haß und die Kraft des Volkes, um mit unwiderstehlicher Gewalt Alle, auch die Vorsichtigsten, mit fortzureißen.

Es ist früher erzählt worden, unter wie peinlichen Verhältnissen äußeren Zwanges Preußen genöthigt ward, sich dem Napoleonischen Bündniß zu unterwerfen. Preußen war zu einem Kriege gedrängt, der seinem Interesse und seinen Ueberlieferungen widersprach; die Armee sah sich theils in erzwungener Unthätigkeit gehalten, theils der Napoleonischen Armee als Division. einverleibt, das Land ward mit neuen Lasten, Lieferungen, Requisitionen bis zur äußersten Erschöpfung heimgesucht. Es konnte scheinen, als sei es die tiefere Absicht des französischen Kaisers, dies verstümmelte Preußen alle Schmach und allen Druck so weit ertragen zu lassen, daß zuleht der völlige Verlust der nur noch scheinbaren Selbständigkeit kaum mehr empfunden, die

Verschmelzung mit andern Gebieten fast wie eine Erleichterung angefehen ward. Wenigstens war es nicht zu wundern, wenn dies Volk irre wurde an sich selber. Seit Jahren hatte man die Jugend ausgehoben, geübt, gerüstet, die Heereskraft in der Stille auf das höchste Maß gesteigert, Alles wie zu einem letzten verzweifelten Kampfe angelegt; die Erziehung, Bildung und selbst die gewöhnliche Form des Lebens war durch die sittlichen Hebel des Patriotismus und der Begeisterung getragen worden - Alles, um, wenn die Stunde der Entscheidung kam, dem verhaßten Gegner die verlorene Selbständigkeit abzuringen, oder doch in einem lehten Kampfe ehrenvoll unterzugehen. Und jetzt diente man unter der Fahne dessen, gegen den alle diese Waffen geschmiedet waren! Eine Wendung der Dinge, die wohl dazu angethan war, ein schlichtes Gewissen zu verwirren, zumal wenn man jah, wie die Besten und Muthigsten lieber das Vaterland verließen und russische Dienste suchten, ehe sie unter Bonaparte'scher Fahne fochten. Auf die Dauer konnten die entsittlichenden Folgen eines so unnatürlichen Zustandes nicht ausbleiben. Schon jest regten sich wieder die Weltklugen und Geschmeidigen, die bereits 1806 den Dienst des Gewaltigen jeder edleren Regung vorgezogen hatten, und predigten Rheinbundspolitik. Auch Bessere, als sie, riethen, aus der Noth eine Tugend zu machen und durch die Gnade des Siegers wieder zu gewinnen, was durch seine Ungnade verloren war. Der gute Geist und die Hoffnungen erstarben, wie Clausewit sagt, auch in jedem Einzelnen. Es bedurfte der ganzen furchtbaren Erinnerung an alles seit 1806 Erlebte, um über diefen lähmenden Eindrücken der Gegenwart der besseren Gedanken nicht zu vergessen, auf deren Pflege im Staate wie im Hause seit Jahren alle Sorge gerichtet war.

Dieser innere Widerstreit der Gemüther konnte nirgends peinlicher empfunden werden, als in dem Theil des Heeres, der bestimmt war, den Napoleonischen Feldzeichen zu folgen. Außer drei Reiterregimentern, die sonst vertheilt waren, bildete das preußische Contingent eine Maffe von 19 Bataillonen, 16 Schwadronen und 7% Batterien, die unter dem Namen „27. Division" den Hauptbestandtheil des zehnten französischen Armeecorps ausmachten. Neben ihnen gehörten noch bairische, polnische und westfälische Regimenter dem Corps an; der Chef des Ganzen war der französische Marschall Macdonald. Die Führung des preußischen Corps war auf Napoleons Wunsch dem befahrten General Grawert übertragen worden; ein verdienter und ehrenwerther Soldat, aber ohne selbständiges politisches Urtheil und voll Bewunderung für Napoleons Genie, galt er für den rechten Mann, das neue Verhältniß militärischer Abhängigkeit zu sanctioniren. Ihm erschien der Feldzug vornehmlich als eine erwünschte Gelegenheit, den preußischen Waffenruhm wiederherzustellen. Sein Antritt des Commandos war durch manche Nach. giebigkeiten gegen unziemliche Forderungen der Franzosen bezeichnet; er gab ihnen die Nehrungsspiße und Pillau preis, er ließ die Prevotalcommissionen

nach französischem Muster in seinem Corps einführen. Das war wohl kaum anders zu erwarten von einem Manne, der nach Yorks Ausdruck in Napoleon etwas Uebermenschliches und in seinen Feldherren Davoust und Macdonald die Jünger eines Propheten sah*)." Aber es ließ sich nicht berechnen, welchen Schaden eine Führung stiften konnte, die sich so bereitwillig zum Organ des neuen Verhältnisses von Dienstbarkeit und Demüthigung hingab. Es war darum ein kluger und glücklicher Griff gewesen, dem nachgiebigen Grawert als zweiten commandirenden General einen Mann, wie York, an die Seite zu stellen. Scharnhorst war es, der diesen Rath gab **).

Hans David Ludwig von York war 1759 geboren und stammte aus einer wahrscheinlich eingewanderten Familie, die sich in Pommern angesiedelt hatte. Mit Glücksgütern nicht eben gesegnet, hatten unter den Yorks der vorangegangenen Generation sich Mehrere als tapfere Kriegsleute im preußischen Dienst hervorgethan; auch der Vater unseres York hatte als Officier alle Kriege des großen Königs mitgemacht und seinen Sohn schon als zwölfjährigen Knaben in die Armee treten lassen. Eine Ausschreitung im Dienst, deren Veranlaffung den jungen York persönlich ehrte, zog ihm eine strenge Strafe zu; als zwanzigjähriger Lieutenant cafsirt, mußte er in der Fremde sein Glück versuchen. Er fand eine Zuflucht im holländischen Kriegsdienst, der ihn nach dem Cap und nach Ostindien verschlug; auf Land und Meer umhergetrieben, in mancher herben Lebenserfahrung geprüft, kehrte er nach der Heimath zurück, um endlich unter dem Nachfolger Friedrichs den ersehnten Wiedereintritt in die preußische Armee zu erlangen. Er war ein rech ter Ausdruck des alten preußischen Wesens, das unter der jungen Generation, die jest aufwuchs, kaum einen ähnlichen bedeutenden Repräsentanten zählte. In ihm lebte noch der Kriegerstolz und die spartanische Strenge, die Friedrichs Heldenzeitalter durchdrungen hatte; von ernstem, selbst finsterem Wesen, mit einem durchdringenden Blick und unbeugfamem Willen ausgestattet, seine Leidenschaft in scheinbarer Kälte verbergend, voll Ehrgeiz, aber äußerlich resignirt, war er nach Arndts Ausdruck eine Persönlichkeit „scharf wie gehacktes Eisen." In seinem Erwägen bedächtig, aber kühn und rasch in der Action, gegen die Meisten herb und selbst bitter, selten freundlich, niemals weich und nachsichtig, gehörte er zu den seltenen Soldatennaturen, die, ohne zu bestechen und hinzureißen, durch die gebietende Macht ihres Wesens imponiren und anspornen. Ein Mann der alten preußischen Zucht und Ordnung, war er

*) Worte Yorks bei Droysen I. 350, auf dessen Darlegung dieser und der nächstfolgenden Verhältnisse wir hier ein- für allemal verweisen. Ueber Grawert vergl. II. 265 f. Bezeichnende Züge für Yorks Art und Weise theilt auch Reiche mit, Memoiren I. 253. 257. 259. 288 f.

**) Clausewitz VII. 215.

von der Pedanterie der Aelteren, wie von der Frivolität der Jüngeren gleich weit entfernt, die einen Theil der Generation nach Friedrichs Tode erfüllte; das Alte war in ihm noch lebendig und naturwüchsig, unter seiner Hand gewannen die überlieferten Formen eine frische und geistige Gestalt. Die taktische Kleinkrämerei, worin viele Officiere der Armee von 1806 so völlig untergingen, mochte er so wenig leiden, wie das zerfahrene und geniale Thun der Andern, die überall nur vornehmen Tadel oder hochtönende Schlagwörter bereit hatten. Vielmehr erwarb er sich früh den Ruf einer Specialität, die fich namentlich in der Uebung und Ausbildung des Jägerregiments, das ihm 1799 anvertraut ward, mit Auszeichnung bewährte. Strenge Zucht, Technik und moralischer Einfluß des Führers über die Truppe wirkten hier glücklich zusammen. Darum hatte er auch nichts mit dem Tone gemein, in dem sich vor 1806 die herrschenden Kreise der Hauptstadt bewegten. Er spottete über die ästhetischen Officiere, über ihren Umgang mit Schauspielern und Juden; er gefiel sich darin, den gelehrten Officieren gegenüber sich als den bloßen Praktiker und Autodidakten geltend zu machen. Das lärmende und unbändige Treiben des Kreises, der sich um den Prinzen Louis Ferdinand fammelte, erregte seinen ganzen Widerwillen; so wenig ihm die Politik vom Sommer 1806 zusagte, so sehr fühlte sich doch sein soldatischer Sinn durch das aufdringliche Gebahren und durch die Demonstrationen beleidigt, wodurch die Berliner Gardeofficiere damals zum Kriege drängten.

In dieser scharf ausgeprägten Stellung eines Charakters von altpreußischem Schrot und Korn fand den Oberst York die Katastrophe von 1806. Wie er dort unter den wenigen höheren Officieren zu nennen war, die auf dem traurigen Rückzug von Jena nach Lübeck kaltblütigen Muth und militärisches Geschick bewiesen, ist früher erzählt worden; die Gefechte von Altenzaun und Wahren sind glänzende Lichtpunkte in dem dunkeln Chaos jener Tage. Kurz vor dem Frieden ernannte ihn der König zum Generalmajor. Wie dann die Armee neu gebildet ward, war ihm reicher Anlaß gegeben, seine Virtuosität zu entfalten. In der Kunst, die Truppen zu üben und zu schulen, aus den Einzelnen taktische Körper zu bilden und sie zu der Sicherheit zu erziehen, die der künftige Kampf erforderte, haben es ihm Wenige gleich gethan.

So innig er mit der militärischen Reorganisation der Jahre 1807 bis 1812 verflochten war, so fern stand er den politischen Reformen jener Zeit. Er hatte sich in die alte Staatsordnung so hineingelebt, daß ihn die Umgestaltung mit tiefstem Mißmuth erfüllte. Obwol selbst nur ein armer Edelmann, hing er doch mit der ihm eignen Zähheit an der hergebrachten Gliederung der Stände, dem Vorrang des Adels, der feudalen Unterordnung der Uebrigen. Mit bitterem Tadel übergoß er die Männer der Reformperiode, wie ihre Maßregeln. Er sah darin nur eine schwächliche Nachgiebigfeit gegen die Kosmopoliten und -Raisonneurs.“ So etwas, meinte er,

kann nur in der Kanzlei eines Banquiers oder von einem Professor, der einen schlecht verdauten Adam Smith vom Katheder docirt, ausgeheckt werden. In seiner herben und leidenschaftlichen Weise war ihm, besonders über Stein, kein Urtheil zu hart; bei deffen Rücktritt stimmte er mit in den Jubelruf der bittersten Feinde ein. Ein unsinniger Kopf, schrieb er damals, ist schon zertreten; das andere Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift selbst auflösen.

Aber man durfte ihn doch keineswegs mit denen zusammenwerfen, die aus schnödem Eigennut das System der Reform bekämpften oder die da muthlos riethen, sich wohldienerisch dem fremden Druck zu fügen. Ueber das Verhältniß zu Napoleon hatte er gleiche Ansichten, wie die Männer der Reform; er urtheilte wohl über den Zeitpunkt der Erhebung kaltblütiger und vorsichtiger als Mancher von ihnen, aber er stand an muthiger Entschlossenheit, wenn die Entscheidung kam, Keinem nach. In der peinlichen Krisis von 1811-1812, wo er in Westpreußen commandirte, erhielt er darum Aufträge und Vollmachten, wie sie nur das unbedingteste Vertrauen in seine Einsicht und seine Zuverlässigkeit eingeben konnte. So traf ihn die unerwartete Entscheidung vom Frühjahr 1812, die statt des Krieges mit Frank, reich das Bündniß brachte. Er empfand diese Wendung nicht minder schmerzlich, als so viele Andere; aber nach seinen Begriffen von militärischer Zucht tadelte er doch die, welche darum ihren Abschied nahmen. Er blieb im preußischen Dienste.

Es war eine höchst bedeutsame Stellung, die ihm der Ausbruch des Krieges zuwies. Nur ein Charakter von diesem scharfen Schnitt vermochte gut zu machen, was Grawerts Nachgiebigkeit zu verderben drohte; nur ein Mann, in dem Bedächtigkeit mit Thatkraft sich so glücklich mischte, gab die rechte Bürgschaft, daß den Franzosen gegenüber nichts vergeben, aber auch nichts Unbesonnenes begangen ward. Er war, wie sein Biograph sagt, ein völlig unerschütterlicher Halt alles dessen, was hoch gefährdet war; er vermied es durchaus, die Gunst und das Gefallen der Franzosen zu suchen, er strebte vor Allem, seine Truppen in dem vollen Gefühle, daß sie Preußen seien, zu erhalten. Er ließ sich durch Macdonalds gewinnende Art nicht bestechen, sondern hielt dem französischen Marschall gegenüber mit Scharfsicht und Festigkeit die Gränze preußischer Selbständigkeit ein. Der Krieg, den das zehnte Armeecorps in Kurland führte, war nicht von eingreifender Bedeutung, aber es kam doch zu einzelnen Anläffen, die militärische Tüchtigkeit der Truppen zu erproben. General York war es beschieden, bei Eckau, bei Dahlenkirchen, bei Bauske das Hervorragendste zu leisten, was dieser Feldzug aufzuweisen hatte. Schon im August hatte Grawert, kränkelnd und abgespannt, die Leitung an York abgegeben; er commandirte nun das preußische Contingent allein. Der kleine Krieg, den er führte, war eine treffliche Schule für seine Leute; unter den Augen der Franzosen, und von ihnen darum belobt, übte

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