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über eine Waffenruhe überein, um dann das Weitere zu verabreden. Als die Waffenruhe schon geschlossen war, erstürmte Langeron den Montmartre und drängte bis in die nahe Vorstadt; vorher hatte sich Kleist des Hügels von Cinq-Moulins bemächtigt, die Corps von Horn, Woronzoff und Stroganoff waren in die Vorstädte La Chapelle und La Villette eingedrungen. Auf der entgegengeseßten Seite hatte der Kronprinz den Wald von Vincennes und Charenton befeßt, Pahlens Reiterei streifte schon bis vor die Barrière du Trone und nahm dort französische Geschüße weg. In der Mitte waren die Vertheidiger immer enger an die Stadt hingedrängt worden, die beherr schenden Punkte waren in der Gewalt der Angreifer. Ihre Wachtfeuer umgaben Paris in einem großen Halbkreise, deffen beide Endpunkte sich oberhalb und unterhalb an die Seine anschlossen. So lag die französische Hauptstadt zu den Füßen der Heere, die sämmtlich das Unrecht vergangener Tage zu rächen hatten; jeder längere Widerstand konnte furchtbare Gedanken der Vergeltung wecken und Paris der Verwüstung preisgeben. Es blieb nichts Anderes, als die Uebergabe. Die Marschälle, so lautete die in der Nacht geschlossene Capitulation, sollten die Stadt vor sieben Uhr Morgens geräumt haben; was nach der Zeit an Verwundeten und Nachzüglern zurückblieb, war kriegsgefangen, die Nationalgarde und die Municipal-Gendarmerie wurden entwaffnet; die Stadt Paris ward der Großmuth der Sieger empfohlen.

Das sind unvergeßliche Momente, wie sie sich im Laufe von Jahrhunderten nicht wiederholen nach langer Niederlage und Demüthigung solch ein Triumph! Welch ein Gefühl für die siegreichen Kämpfer, als sie jest das überwundene Babel der Revolution und der Cäsarenherrschaft zu ihren Füßen fahen! Mit gerechter Genugthuung mochten die Russen an ihr Moskau, die Desterreicher an Wien denken und wie dem übermüthigen Feinde jezt die Vergeltung kam; im Lager der Preußen, die am tiefsten gebeugt gewesen und doch zum Siege am meisten beigetragen, mischte sich mit den Gefühlen gerechten Stolzes die ernste Erinnerung an die Tage vergangenen Leides. Für viele von ihnen war es ein wahrhaft heiliger Moment, noch einmal Alles im Gedächtniß zu durchlaufen, von den ersten leisen Anfängen einer Regung für die vaterländische Sache, von Schills und Braunschweigs Zügen an, von Yorks That und den Breslauer Märztagen bis zu dieser Stunde des glor reichsten Triumphes. Es war ein Augenblick, der manches Bittere aus der Vergangenheit fühnte. Wie Gneisenau damals an Rothenburg schrieb: „Was Patrioten träumten und Egoisten belächelten, ist geschehen. Das allgewaltige Schicksal stand uns zur Seite und ließ unsere Fehler dem Tyrannen zum Verderben gereichen. Er schlug jeden Antrag zur Verföhnung aus und nöthigte selbst diejenigen, die ihn gern gerettet hätten, Schritte zu thun, die seinen Sturz herbeiführten."

Als gegen Abend die Waffenruhe verkündet ward, drängte sich Alles bunt durch einander und wollte die Stadt sehen. Unter andern seßte sich

Oberst Below mit seinen litthauischen Dragonern aus der Linie hervor in Marsch und durchritt den ganzen Montmartre, um seinen braven Litthauern Paris zu zeigen. Wie York etwas ungehalten ihn darüber zur Rede stellen ließ, gab Below die Auskunft, „das habe er feinen Leuten schon in Tilsit versprochen, denn man wisse doch nicht, ob sie die Stadt sonst zu sehen kriegten." Diese lezte Sorge war allerdings nicht unbegründet.

Es war gegen eilf Uhr Morgens (31. März), als der Kaiser von Rußland und der König von Preußen an der Spiße ihrer Garden vor der Barrière eintrafen und umgeben von einem glänzenden Gefolge von Prinzen und Generalen ihren Einzug hielten. Durch die Porte St. Martin, über die Boulevards zogen sie nach der Place de la Concorde und dann den breiten Weg der elyseischen Felder entlang, wo sämmtliche Garden in Parade vorbeidefilirten. Die Heldenschaaren Yorks und Kleists mußten um dieselbe Zeit um Paris herum marschiren, um eine Strecke weit entfernt Quartiere zu beziehen. „Sehen schlecht aus, schmußige Leute," hatte Friedrich Wilhelm III. geäußert, als ihm York den Tag vor der Pariser Schlacht sein glorreiches Armeecorps präsentirte; und allerdings waren Kleidung und Ansehen, Pferde und Waffen nach einem solchen Feldzug nicht parademäßig beschaffen. Aber darum brauchte man das Zartgefühl der Pariser nicht zu schonen und denen die Freude des Einzuges zu versagen, die zum Triumphe selbst das größte beigetragen. Indeffen selbst in diesen größten Momenten hatte der Zopf der alten Zeit seine Geltung bewahrt, und es gerieth beinahe schon wieder in Vergessenheit, wie und durch wen man aus der Schmach von Jena emporgehoben worden war.

Während die Sieger von Laon in kaum verhaltenem Unmuth um die Barrièren der Stadt herumzogen, hatte der Empfang der Monarchen und ihrer Garden in größtem Glanze stattgefunden. In allen Fenstern, auf den Dächern und auf den Straßen wogte die Volksmenge jauchzend auf und ab; kaum konnten die Soldaten sich Raum schaffen. Aus den Fenstern wehten weiße Tücher und ein Lilienregen fiel aus allen Stockwerken auf die sieg reichen Feinde. Allenthalben vernahm man den Ruf:,,Vivent nos libérateurs! Vivent Alexandre et Frédéric Guillaume! Vivent les alliés!" Es war ein solcher Jubel," sagt ein Augenzeuge, ,,daß ein mit den Ereignissen Unbekannter unmöglich hätte glauben können, daß dies der Einzug feindlicher Armeen in eine eroberte Stadt sei."") Dem folgten in den nächsten Tagen auf den Straßen und in Schauspielhäusern Ovationen gegen die Fremden und komödienhafte Ausbrüche des Haffes gegen den überwundenen Imperator in solchem Uebermaß, daß die Sieger selbst sich über „die gallische Unzucht“ empörten.

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*) Henckel von Donnersmark S. 317. Aehnlich Steffens VIII. 97. Vgl. ebendaselbst S. 117 und Nahden, Wanderungen I. 316.

Es mochte ein guter Theil davon feile und werthlose Huldigung des Augenblicks sein oder auf Rechnung der angeborenen Leichtfertigkeit dieses Volkes kommen, allein es sprach sich doch zugleich ein berechtigtes Gefühl in diefem jähen Umschlag aus: die Sättigung an der Napoleonischen Herrlichkeit und der Mangel jeder wahren Opferbereitschaft für sie. Und wer wollte behaupten, daß es der gefallene Imperator um dies Volk besser verdient hätte? Wohl erweckt es tiefen Ekel, wenn man das Idol jezt mit Keth bewerfen sah, vor dem man sich eben noch im Staube gekrümmt, aber in diesen Unwürdigkeiten lag doch das Wesen der Dinge nicht. Die Nation war ermüdet an dieser Glorie und sehnte sich in ihrer tiefen Erschöpfung nach einem Regiment friedlicher und gefeßlicher Ordnungen. Die korsischen Künste schlugen jetzt ihren eigenen Meister; der Herrschaft schnöder Selbstsucht gebührte es, daß sie von der Selbstsucht der eigenen Creaturen verrathen ward.

So folgten sich rasch die Ereignisse, deren einzelner Verlauf außerhalb des Kreises unserer Darstellung liegt. In Paris regten sich Royalisten und Intriguanten, um die Herstellung des bourbonischen Königthums vorzubereiten, und fanden bei Alerander jetzt williges Gehör. Die eigenen Geschöpfe Bonaparte'scher Macht erhoben sich gegen den Ueberwundenen und warfen sich zum Organ einer Volksstimme auf, die nach ihrer Versicherung statt des Soldatenkaiserthums die legitime Monarchie zurückforderte. Die Wahrheit war, daß das Volk, abgemattet und begeisterungsarm, für keine Dynastie und Regierungsform eine lebhafte Sympathie empfand, aber die Sache der Bourbons war darum doch nicht so machtlos, wie sie häufig geschildert worden ist. Die fremden Sieger hatten sich lange gesträubt (nicht nur Kaiser Franz, auch Alexander), der verbannten Dynastie eine Ermuthigung zu Theil werden zu lassen, allein die Nothwendigkeit der Dinge drängte von selber auf sie hin. Sobald man sich einmal entschloffen hatte, den Krieg bis zu Napoleons Entthronung fortzuseßen (und ohne diese war entweder kein ehrenvoller oder kein dauerhafter Friede möglich), so blieb kaum ein anderer Weg, als die Bourbons auf den Thron zurückzuführen. Welcher Art auch die Personen und die Motive sein mochten, welche zu Paris am 31. März und in den nächsten Tagen die Entseßung Napoleons und die Wiederherstellung des Königthums anbahnten, sie folgten nur dem unwiderstehlichen Zuge der Ereig nisse, zu dem die Verbündeten selber sich mehr nachgebend als antreibend verhielten.

Indeffen sich in Paris die Katastrophe des Kaiserthums vorberei tete, war Napoleon nach jener verhängnißvollen Nacht, die ihm den Umsturz fast aller seiner Hoffnungen gebracht, nach Fontainebleau geeilt, wo sich die Reste seines Heeres, noch einige 50,000 Mann, um ihn sammelten. Mit ihnen einen letzten Kampf zu versuchen, waren wohl der Kaiser selbst und auch die Soldaten bereit, aber die Führer wollten nicht mehr. Mar

mont schloß ein Abkommen mit den Siegern, die andern mahnten verblümt und unverblümt zur Abdankung. Die Nation, die hohen Würdenträger, die Feldherren ließen den Imperator fallen; das zusammengeschmolzene Häuflein seiner alten Soldaten war zu schwach, ihn zu halten. Auch hier erntete er nur die Frucht der eigenen Thaten. Vergebens klammerte er sich noch au die lehte Hoffnung: durch eine bedingte Abdankung die Herrschaft seiner Dy= nastie zu retten. Es blieb ihm keine Wahl, als unbedingt für sich und seine Erben auf seine Kronen zu verzichten (11. April). Um diesen Preis gewährten dann die Verbündeten dem entthronten Kaiser, daß er seinen Titel lebenslänglich fortführe und mit einer jährlichen Rente von zwei Millionen Francs sich als Souverain auf die Insel Elba zurückziehe. Für seine Familie und seine Getreuen sollte in gleicher Weise gesorgt werden; 400 Mann von seinen Soldaten durften ihm folgen. Gewiß ein seltsames Abkommen! Einem solchen Manne dies enge Asyl, das war, wenn man der Vergangen. heit gedachte, unendlich wenig und doch für alle Sorgen der Zukunft zu viel. Jest freilich, in dem Augenblick, wo er Frankreich verließ, schienen die Tage seiner Gefährlichkeit für immer zu Ende. Im Süden regten sich mit Macht die royalistischen Stimmungen und schienen selbst sein Leben zu bedrohen. Es wird versichert, er habe sich in eine österreichische Uniform, preußische Kopfbedeckung und einen russischen Mantel eingemummt und die weiße Cocarde aufgesteckt, um unerkannt durch die aufgeregten Massen nach seiner Insel zu entkommen.

Am Tage nach der Abdankung Napoleons war Graf Artois in Paris eingezogen und übernahm als Stellvertreter Ludwigs XVIII. die Regierung. Mit ihm schloffen am 23. April die Verbündeten einen Waffenstillstand, wonach die Bourbons alle Länder und Festungen außerhalb des alten Frankreichs abtraten, aber die Gränzen von 1792 behielten. In dem Verhältniß, als die Auslieferung der noch beseßten Gebiete und Pläge durch die Franzosen erfolgte, sollte die Räumung Frankreichs durch die Alliirten ihren Fortgang nehmen.

Mit diesen Bestimmungen war dem künftigen Frieden seine Linie bereits gezogen. Frankreich behielt also das Gebiet, das es vor der Revolution beseffen, und alle die patriotischen Begehren nach Straßburg, dem Elsaß, Lothringen blieben fromme Wünsche. Es konnte das freilich kaum überraschen, nachdem schon in dem Frankfurter Decembermanifest den Franzosen ein Gebiet verheißen war, größer als sie es je unter ihren Königen beseffen hatten. Diese Verheißung war nie zurückgenommen, vielmehr auch in späteren Erflärungen immer die Taktik festgehalten worden, den Krieg mit Napoleon und die französische Nation zu trennen. Von den vier verbündeten Mächten hatten zwei, Rußland und England, kein Interesse dabei, daß Deutschland

wieder zu seinen verlorenen Landschaften kam; dagegen erschien es als ein Gebot europäischer Sicherheit, Frankreich nicht so zu verkleinern, daß die ohnedies sehr schwierige Stellung des wiedereingefeßten Königshauses dadurch noch mehr verschlimmert ward. Um gegenüber diesen Erwägungen das gute Recht Deutschlands zur Geltung zu bringen, hätten die Monarchen und die leitenden Staatsmänner, die Deutschland vertraten, andere sein müssen, als sie waren. Selbst ihre nachsichtigsten Beurtheiler mußten zugeben, daß Keiner von ihnen im Stande war, dem Uebergewicht, das Alexander erlangt, die Wage zu halten. In dem Czaren regte sich aber neben jenem europäischen Gesichtspunkte und neben der überlieferten russischen Antipathie gegen das Wachsthum Deutschlands zugleich die Leidenschaft, Großmuth zu üben gegen die Franzosen und sich in dem Weihrauch ihrer populären Huldigungen zu berauschen. So kam es, daß von den Härten des Sieges, die Frankreich in allen seinen Kriegen schonungslos geübt, ihm keine vergolten ward weder die ungeheuren Requisitionen, noch die Ausplünderung der Hauptstädte, noch die riesenhaften Kriegssteuern. Niemand hätte es unbillig nennen dürfen, wenn, wie Stein damals fruchtlos beantragte, zur Erleichterung der schwer heimgesuchten Nationen, die seit zwanzig Jahren bekriegt, beraubt und ausgesogen worden waren, Frankreich eine Contribution hätte entrichten müssen. Aber daran war nicht zu denken; man holte nicht einmal den noch vorhan denen Raub zurück. Nur die Trophäen aus dem Dom der Invaliden, die aus der Wiener Bibliothek mitgeschleppten Bücher und Handschriften und die aus Berlin geraubte Victoria vom Brandenburger Thore wurden zurüc genommen.

Ueber die Verhandlungen des Friedens haben die Betheiligten bis jezt ein hartnäckiges Schweigen beobachtet; wir kennen nur das Ergebniß. Indeffen darüber kann kein Zweifel bestehen, daß dieselbe Gruppirung der Mächte, die man bisher beobachten konnte, auch in den Friedensconferenzen Statt gehabt hat. Rußland hatte, neben der schonenden Rücksicht auf Frank reich, vornehmlich sein Absehen auf Polen gerichtet und dachte dabei zunächst nicht auf Widerstand zu stoßen; England hielt vor Allem darauf, daß seine maritimen und colonialen Intereffen eine vollständige Befriedigung fanden; es war wie Rußland größeren Abtretungen Frankreichs abgeneigt und sah lieber einen oranisch-niederländischen Mittelstaat an den Ostgränzen Frankreichs aufgerichtet, als Deutschland durch seine ehemaligen Vorlande vergrößert. Defters reich war gegen die Intereffen am Rhein und im deutschen Westen gleichgültig; es gab die Niederlande und die vorderösterreichischen Gebiete willig hin, wenn ihm Tirol, Salzburg, das Innviertel und in Italien außer der Beute von Campo Formio eine recht ausgiebige Vergrößerung zu Theil wurden. Preußen, dem in Polen Rußland, in Norddeutschland Hannover, am Niederrhein und an der Maas Oranien den Platz schon weggenommen, war am schwächsten vertreten. Wir haben schon vorher das Mißverhältniß wiederholt

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