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binetsordre vom 20. Dec. wies ihnen dann an, an der Weichsel ein Reservecorps zu bilden; mündliche Instructionen ließen keinen Zweifel darüber, daß es im Plane der Regierung lag, alle Materialien des Krieges so zu vereini gen, daß sie möglichst rasch zur Verfügung des Königs stehen konnten, und zwar sollte dies, so gut es ging, den Augen des Verbündeten verborgen bleiben. Bülow war der rechte Mann, dies ebenso schnell wie vorsichtig auszu führen. Dem Ansinnen Murats, die vorhandene Mannschaft zu den Franzosen stoßzen zu lassen, wich er geschmeidig aus und mied überhaupt so viel wie möglich jede nähere Berührung mit ihren Führern. Es kam wohl vor, daß nach seiner Anordnung eine Abtheilung kampffähiger Leute, die durch Königsberg nach der Weichsel hin zogen und die Murat requiriren wollte, in Schafpelze eingehüllt, wie Fuhrleute truppweise die Hauptstadt durchzogen, während ihre Gewehre auf den Gepäckwagen versteckt waren. Wie dann die Franzosen wiederholt verlangten, er solle seine Leute zu ihnen stoßen laffen, gab er die stereotype Antwort, seine Truppen beständen nur aus rohen und unbekleideten Rekruten, die noch durchaus nicht für kriegerische Unternehmungen gebraucht werden könnten. Unter den Augen der Franzosen gelang es ihm, die kleinen und zerstreuten Depots von ihnen unabhängig zu sammeln und daraus den Kern einer Streitmacht zu bilden, an die sich später so glor reiche Erinnerungen des Kampfes knüpfen sollten.*)

So ward wohl leise an den Feffeln der französischen Freundschaft ge.. rüttelt, aber weiter zu gehen schien nicht an der Zeit. Noch war ein Theil des Landes in feindlichen Händen, Berlin selbst und das nahe Spandau von den Franzosen befeht; selbst wenn die Ungeduld loszubrechen größer gewesen wäre, die That erschien doch immer als ein Wagniß, das zunächst die persönliche Sicherheit des Königs auf's Spiel seßte. Friedrich Wilhelm selbst, noch durch die trüben Erinnerungen von 1806 beherrscht, hatte von einer Volksbewegung keine so günstigen Erwartungen, wie Stein, York, Scharnhorst, Gneisenau; er hatte sich 1808, 1809 und nachher ihrem Drängen widersetzt, es war nicht zu denken, daß seine Abneigung gegen rasche und verwegene Entschlüsse jezt mit einem Male überwunden war. Zudem waren erst in den Weihnachtstagen Nachrichten eingegangen, die über den ganzen Umfang der Katastrophe im Osten klarer sehen ließen.

Am 2. Januar kam der Adjutant des Königs, Graf Henckel, von York gesandt, in Potsdam an; er hatte das preußische Corps am 26. Dec., also in dem Augenblick verlassen, wo die Capitulation noch nicht gefchloffen, aber ihr Abschluß zu erwarten war. Der König war im höchsten Grade überrascht und zwar unangenehm überrascht; es wurde die größte Behutsamkeit empfohlen, um den peinlichen Verlegenheiten, die drohten, auszuweichen.

*) Vgl. (Prittwit) Beiträge zur Geschichte des Jahres 1813. Potsdam 1843. I. 9 ff. 14. 20 f. 24. 25.43.

Am Abend des 4. Januar erschien ein Adjutant Macdonalds und brachte dem französischen Gesandten, Graf St. Marsan, die Nachricht von dem abgeschlossenen Vertrage. Der Gesandte war gerade mit Hardenberg, Fürst Haßfeld, Narbonne bei Augereau zu Tisch, als der Unglücksbote eintrat; man kann sich den Eindruck denken. Hardenberg eilte sogleich zum König, ihm Bericht zu erstatten; gegen Mitternacht kam er zum französischen Gesandten zurück. Der König, erzählte er, habe ausgerufen: „da möchte Einen ja der Schlag rühren“, er werde York abseßen und vor ein Kriegsgericht stellen, die Truppen zurückberufen. Erst am frühen Morgen des 5. kam Major Thile und überbrachte in Yorks Auftrag die genaue Nachricht von der Convention von Tauroggen. Im Ganzen schien der König nicht unzufrieden darüber, daß York die Truppen nicht nußlos auf's Spiel gefeßt, aber die Motivirung, mit der York dem französischen Marschall den Schritt kundgegeben, erweckte um so mehr seine Mißbilligung. Sie trage, sagte er, gewissermaßen einen politischen Charakter, durch den das Gouvernement in seiner augenblicklich wehrlofen Lage compromittirt werde. Und bei dieser Auffassung blieb man zunächst stehen; es schien durchaus keine andere Wahl möglich als den aufkeimenden Verdacht der Franzosen so rasch wie möglich zu entwaffnen und durch Verwerfung der Convention wenigstens den König und die Regierung vor Gewaltthätigkeiten Augereau's sicher zu stellen. So wurden noch am 5. Jan. im Einverständniß mit St. Marfan die bekannten Beschlüsse gegen die Capitulation gefaßt und Major von Nazmer abgesandt, um fie nach dem Hauptquartier Yorks zu überbringen. Ein Schreiben an Murat sprach die Indignation des Königs über Yorks That aus und stellte es dem Schwager Napoleons anheim, in Bezug auf die zurückkehrenden Truppen seine Anordnungen zu treffen. Nach Paris sollte sofort Fürst Hazfeld abgehen, um dem Kaiser beruhigende Erklärungen zu geben.

Wenn es der nächste Zweck dieser Schritte war, die Franzosen zu beschwichtigen, so ward dieser erreicht. Nur Einzelne waren scharfsichtig ge= nug, zu sehen, daß auch beim besten Willen des Hofes sich auf die Dauer ein Bündniß nicht halten ließe, wo so viel Haß gesäet war). Die Meisten waren ohne Mißtrauen. St. Marfans Depeschen nach Paris gaben eine ungemischte Befriedigung über die Haltung des Königs und Hardenbergs kund. „Sie scheinen ganz aufrichtig zu sein, schrieb er an Napoleon; der König zeigte sich sehr beunruhigt über die gefährliche Lage, in die Macdonald versezt ist**)." Auch der plumpe Augereau, obwohl gewarnt durch ein anonymes Schreiben, das ihm Davoust zugesandt, war voll Zuversicht. „Ich habe das größte Vertrauen in die Hingebung des Königs von Preußen; man müßte aber auch etwas mehr Vertrauen zu ihm haben. Will man allen den De

*) S. Narbonne bei Villemain I. 240.

**) S. die einzelnen Berichte bei Fain, manuscrit de l'an 1813. I. 203 ff.

nunciationen und Intriguen Glauben schenken, so kann ich für die Ruhe Preußens und Deutschlands nicht mehr einstehen." Hardenberg ließ freilich nichts unversucht, die Franzosen einzuschläfern. Es war früher einmal das Project aufgetaucht und, wie man sagte, zuletzt noch im Mai 1812 zu Dresden besprochen worden, den preußischen Thronerben mit einer Bonaparte’schen Prinzessin zu vermählen. Der Staatskanzler nahm die Miene an, als greife er jeßt im Ernst diesen Gedanken wieder auf. So könne Preußen durch einen Familienbund eng an Frankreich geknüpft und aus ihm ein „Schlagbaum des Nordens“. gemacht werden. Der König sei zwar seiner Natur nach geneigt, mehr den Rücksichten des Familienvaters als der Politik zu folgen, auch störe ihn die confeffionelle Verschiedenheit, aber er habe den Vorschlag doch nicht ungünstig aufgenommen. Was der Gesandte selbst über persönliche Aeußerungen des Königs berichtete, stimmte damit zusammen. Friedrich Wilhelm III. sprach sich in bestimmten Worten dahin aus, daß er dem französischen Bündniß treu bleiben werde und die Illusionen der Thoren nicht theile, die glaubten, Napoleon sei zu Boden geworfen. Sagen Sie dem Kaiser, daß ich zwar keine Geldopfer mehr bringen, aber, wenn er mir Mittel zukommen läßt, ihm 50-60,000 Mann ausheben und bewaffnen kann. Uebrigens, fügte er bedeutsam hinzu, ist es in der gegenwärtigen Lage ein Glück, daß Preußen ruhig ist, denn wenn es in diesem Lande einen Aufstand gäbe, so wäre das ein Funke, der durch ganz Deutschland zünden würde*)."

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Selbst in diesen Freundschaftsbetheuerungen ist ein gewiffes Schillern nicht zu verkennen; indem Hardenberg die Anhänglichkeit Preußens an das französische Bündniß betheuert, knüpft er doch des Königs Mitwirkung schon an Concessionen und unterläßt es nicht, auf die Stimmungen in Deutschland mit leifer Drohung hinzuweisen. Was sonst im Stillen und Geheimen geschah, ließ vollends keinen Zweifel darüber, daß man mehr darauf dachte, die französischen Bande zu lösen als sie fester zu knüpfen. Ein Vertrauter des Staatskanzlers berichtet, daß in dem Augenblick, wo Fürst Haßfeld reisefertig war, um nach Paris zu gehen, Hardenberg sich schon eifrig mit den Gedanken des Widerstandes beschäftigte und eben mit Staatsrath Hippel den künftigen Kampf besprach, als sich Haßfeld melden ließ, um die letzten Weifungen für Paris mitzunehmen. „Daß nur der nichts davon hört," äußerte der Staatskanzler; „denn Niemand weniger als der darf wissen, was hier vorgeht." Auch die Sendung Naßmers, scheinbar ganz im Interesse der

*) Fain, manuscrit I. 212 f. Man darf übrigens nicht vergessen, daß viele dieser Aeußerungen so wiedergegeben sind, wie sie Hardenberg dem franzöfifchen Gesandten berichtete; namentlich an einzelnen Ausdrücken ist deutlich zu sehen, daß sie nicht vom König stammen, sondern daß sie ihm der Staatskanzler in den Mund gelegt hat.

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Die Nachricht von Yorks Abfall in Berlin. Hardenbergs Taktif. Franzosen angeordnet, trug diesen doppelsinnigen Charakter. Neben seinem officiellen Auftrag, York abzusehen und die Truppen zurückzurufen, hatte Nagmer im tiefsten Geheimniß die Weisung erhalten, sich ins russische Hauptquartier zum Kaiser zu begeben und mit ihm eventuelle Verabredungen zu treffen. Wie er dann zu den russischen Vorposten kam und von Wittgenstein ihm nicht erlaubt ward, zu York zu gehen, ist früher erzählt worden; so begab er sich denn gerades Weges ins russische Hauptquartier, wo er am 13. Januar eintraf. Sein geheimer Auftrag lautete: dem Czaren ein Schuß und Truzbündniß mit Preußen anzubieten, wenn derselbe geneigt sei, den Krieg gegen Napoleon mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln fortzusehen und ohne Aufenthalt die Weichsel und Oder zu überschreiten. Alexander war natürlich über das Anerbieten hocherfreut und ging bereitwillig in die Wünsche ein, die ihm der König kundgeben ließ. Der Grund zu dem russisch preußischen Bündniß ward also in demselben Augenblick gelegt (13. Jan.), wo sich Haßfeld auf dem Wege nach Paris befand.

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In dieselben Tage fällt ein anderes Anzeichen der Umkehr. Es wurde auf britische Anträge, die durch den Gesandten in Stockholm, Thornton, an Preußen gekommen waren, zum ersten Male eingehend geantwortet; der preußische Geschäftsträger am schwedischen Hofe ward (16. Jan.) angewiesen, fich, natürlich mit all der Vorsicht, welche die beengte Lage Preußens gebot, um die Pläne der britischen Politik zu erkunden und zu ermitteln, welche Vortheile England im Falle einer unmittelbaren Mitwirkung Preußen ge währen wolle*).

Verglich man mit diesen diplomatischen Schritten die fortdauernde, eifrige Rüstung, so konnte kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß der König und sein leitender Minister den Bruch mit Frankreich vorsichtig vorbereiteten. Rasche und verwegene Entschlüsse lagen nicht in der Art Beider; der ganze Sinn ihres Thuns war aber doch, die Bande allmälig zu lösen, die man in dem Augenblick in Ostpreußen gewaltsam zerriß. Wohl blieben auch jezt die Anhänger der französischen Allianz nicht unthätig; es wurde von ihnen an Tilsit und Erfurt erinnert und die Sorge ausgesprochen, Rußland werde auch diesmal Preußen nur compromittiren, um sich dann auf seine Kosten mit Napoleon zu verständigen. Ihnen schien der engste Anschluß an Napoleon für Preußen jezt vom größten Vortheil zu sein; dadurch werde der Krieg an der Weichsel festgehalten, der Sieg Napoleons gesichert und für Preußen sei dann die Wiederherstellung früherer Macht gewiß. Solche Gedanken, welche die Ehre und das Gewiffen des Staates an niedrigen Calcul zu verkaufen riethen, sind wohl damals noch laut geworden; das Gerücht sprach sogar vorübergehend vom Rücktritt Hardenbergs und der Berufung eines Ministeriums Haßfeld; allein es liegt nirgends ein Beweis vor, daß diese

*) S. Bignon XI. 280.

Rathschläge und Wünsche auf den König und seinen leitenden Minister tieferen Eindruck gemacht haben. Vielmehr deutete Alles auf den nahen Bruch; jede franzosenfreundliche Kundgebung war von irgend einem Act begleitet, der auf das Gegentheil hinwies. So brachten die Zeitungen am 19. Januar die bekannten Actenstücke gegen York, aber am nämlichen Tage wurde ein Edict erlassen, welches 10 Millionen Tresorscheine creirte. Die gefahrvolle Lage, hieß es darin, fordert uns zu Maßregeln auf, durch welche die Vertheidigung des Vaterlandes bewirkt, die Selbständigkeit unseres Reiches erhalten und das Wohl unserer getreuen Unterthanen behauptet · werden fann*).

Wenn noch gezögert ward mit einem offenen Schritte der Entscheidung, so geschah dies offenbar nur, weil man erst die Antwort Alexanders erwarten wollte. War seine Mitwirkung einmal gesichert, dann konnte die Abreise des Königs erfolgen, ohne die ein freies Handeln nicht möglich war. In der Nacht vom 19. zum 20. Januar kam Naßmer nach Berlin zurück; er brachte die willkommensten Versicherungen vom Kaiser, aber auch den dringenden Rath, nicht einen Augenblick länger in der Hauptstadt zu bleiben. Nun ward ohne Zögern zur Abreise gerüstet. Es war in den letzten Tagen Manches geschehen, was dem warnenden Rathe Alexanders Nachdruck gab; es kamen neue Truppenzüge an und das militärische Treiben in der Hauptstadt gestaltete sich unruhiger als bisher. Ungeachtet des Protestes der preußischen Behörden gaben die Franzosen verschiedenen Abtheilungen Quartier in Potsdam, das nach dem Vertrag vom Jahr 1812 frei sein sollte von französischer Besaßung. Es konnte darum das Gerücht schon Glauben finden und ward durch eigene Aeußerungen von Franzosen bekräftigt, daß Augereau damit ́umgehe, sich der Person des Königs zu bemächtigen. Indessen auch ohne diese Sorge war seit Nazmers Botschaft kein Grund mehr zu zögern.

Am Morgen des 22. Januar erschien zu Berlin eine von Hardenberg unterzeichnete Bekanntmachung, welche verkündigte, daß der König beschlossen habe, seine Residenz auf einige Zeit nach Breslau zu verlegen, und daß wäh rend seiner Abwesenheit eine Oberregierungscommission die dringendsten Geschäfte erledigen werde. Vor Tagesanbruch hatte der König die Reise an= getreten; um das Zusammentreffen mit französischen Truppen zu meiden, war der Weg über Beeskow, Sagan und Haynau eingeschlagen, auch Truppenabtheilungen zur Escorte aufgeboten worden. Am 25. Jan. traf der König in Breslau ein.

Als das erste offene Zeichen vom Hofe und der Regierung, daß man die französischen Fesseln zerbrechen wolle, machte der Schritt allenthalben im

*) Der Zwangscurs, der zugleich verordnet ward, erregte großes Mißvergnügen; 1. Prittwit Beiträge I. 88. 187. 205. Drum wurde er auch Anfang März aufgehoben.

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