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Werth deutscher Verbindung; fast rings vom Slaventhum umgeben, hatte diese Colonie die eigenthümliche Art des Mutterlandes vielfach treuer bewahrt, als dieses selber. In dem Adel dieser Länder war der ritterliche Geist alter glorreicher Zeiten noch lebendig geblieben; in scharfem Gegensatz zur slavischen Nachbarschaft blühte hier ein Bürgerthum, ein freier Bauernstand, ein reges, geistiges Leben. Die Kantische Philosophie, mit ihrem tüch tigen Kern altprotestantischen Wesens, ihrer Nüchternheit und Sittenstrenge war hier aus der Schule ins Leben eingedrungen, und die Lehre tief gewurzelt: daß die Pflicht um der Pflicht willen geschehen müsse, ohne Rücksicht auf Genuß oder Lohn.

So hatte denn auch die furchtbare Noth der Zeit die Menschen hier nicht abgestumpft, vielmehr dem stillen Hafse immer neue Nahrung zugetragen. Schon die erste Nachricht vom Rückzug der Franzosen aus Moskau fiel erregend in die Gemüther; „es ist nur ein Funke nöthig,“ schrieb damals Schön, „um Flamme zu haben." Nun kamen sie selbst in Jammergestalt, von Kälte erstarrt und in Bettlerlumpen eingehüllt, noch ein kleines Häuflein von dem gewaltigen Kriegsheer, fürwahr mehr dazu angethan, Mitleid als Haß zu erwecken. Gegen die Hülflofen und Bittenden verleugnete sich die gute Art unseres Volkes nicht; nur wo der alte Uebermuth sich regte, da flammte die Erbitterung der Unterdrückten auf. Am Neujahrstag 1813 war ein Haufe preußischer Rekruten und Beurlaubter auf dem Schloßplate zu Königsberg unbewaffnet aufgestellt, um den andern Tag nach der Weichsel abzuziehen. Ein französischer Gensdarm, der sich durch die Reihen drängen wollte, warf einen Rekruten mit einem Fußtritt zu Boden. Er büßte es mit dem Leben. Am Schlosse stand Murat selbst und fandte Officiere herunter; sie wurden mit zerbrochenen Degen und ohne Epaulettes zurückgejagt. Das Alles geschah im Angesicht der nahen Schloßwache, wo eine Compagnie der vordem stolzen kaiserlichen Grenadiere stand; aber man wagte es nicht mehr, Gewalt zu brauchen. Murat verließ noch am nämlichen Mittag mit feinen Leuten die preußische Hauptstadt*).

Indessen waren die ersten Russen im Lande eingerückt. Schon am 21. Dec. hatte ein Streifcorps unter Tettenborn vorübergehend Tilsit besetzt; die nächsten Tage brachten neuen Zuzug auch an andere Orte. Die Haltung der Ruffen war freundlich; sie hatten die Weisung, Preußen schon fast wie verbündetes Land zu betrachten, ihre Proclamationen boten den unterdrückten Völkern Beistand an und verhießen der Monarchie Friedrichs des Großen ihren Glanz und ihre Ausdehnung wiederzugeben." Das hob die Hoffnungen; mit drängender Ungeduld sah man dem Augenblick entgegen, der das Zeichen gab, die unnatürlichen Fesseln zu zerbrechen. Die Behörden, an ihrer Spiße Männer wie Schön und Auerswald, schickten schon vor Ausgang

*) S. Friccius Geschichte des Krieges in den Jahren 1813 u. 1814. I. 54.

December vertraute Männer nach Berlin, um der Regierung den ganzen Umfang der französischen Auflösung, die Stimmungen und Wünsche des Volkes zu schildern, ihr durch den Mund von Augenzeugen klar zu machen, wie kostbar und unwiederbringlich der Augenblick sei.

Jest erfolgte die Convention von Tauroggen, der rasche Rückzug der letzten Franzosen, der Anmarsch größerer russischer Streitkräfte. Es war zu denken, wie nun erst die Hoffnungen eines nahen Umschwanges sich belebten. Um so peinlicher ward es empfunden, daß gerade in diesem Augenblick eine Stockung eintrat, welche Alles zu verscherzen drohte.

In Rußland war der Gedanke, den Krieg nach Deutschland zu spielen, erst ganz neu und kam nicht ohne Mühe zur Geltung. Noch im November meinten Viele, es sei genug, bis an die Gränze vorzugehen, Andere wollten höchstens die Gelegenheit zu neuen Eroberungen benußt und die russische Gränze bis zur Weichsel ausgedehnt sehen; die russische Art und Bildung war der Idee eines Weltkampfes gegen Napoleon schwer zugänglich; was sollte man, hieß es, für fremde Intereffen Krieg führen! In kurzsichtiger Selbstgenügsamkeit glaubten Viele, der Kampf sei zu Ende, man dürfe die Beute nur nehmen; sie überfahen die eigene Erschöpfung und unterschäßten die Widerstandskraft des Gegners. Nur die Wenigsten dachten daran, den Krieg im großen Stile zur Herstellung der europäischen Angelegenheiten zu erweitern. Stein verfocht natürlich mit allem Eifer diese Ansicht und der Kaiser fing an, sich ihr zuzuneigen. Nach Steins Rath sollten die Ruffen unaufhaltsam bis zur Elbe vordringen, Preußen und Oesterreich mit fortreißen, den Kriegsschauplatz zwischen Elbe und Rhein aufschlagen, England zugleich seine Landung beschleunigen und das Land zwischen Rhein und Elbe militärisch organisiren. Eine Einrichtung Deutschlands und Italiens, welche die politische und gesellschaftliche Ordnung Europas vor dem französischen Ungestüm dauernd sicher stelle, sollte das Ziel des Kampfes sein. Stein selbst sprach freilich noch in einem Schreiben vom 7. Nov. seine Zweifel aus, ob es gelingen werde, die Ruffen zu solch einer Politik zu bestimmen. Und leicht war es nicht. Alexanders reizbarer Ehrgeiz ließ sich zwar diesmal von edleren Motiven bestimmen, als einft zu Tilsit; ihn lockte die Größe und Kühnheit des Gedankens, der Ordner und Wiederhersteller der Welt zu werden. Die Ansicht seiner Generale, namentlich Kutusows, die meinten, man müsse in Wilna den erschöpften Truppen Ruhe gönnen und den Feind nur vom russischen Gebiet wegdrängen, genügte ihm nicht mehr, er entschloß sich selbst an die Spiße des Heeres zu treten, neue Truppen auszuheben und den Feind unablässig zu verfolgen. Am 19. Dec. verließ er Petersburg und ging zur Armee.

Damit war vorerst die nächste Gefahr abgewandt und den kleinen Eroberungsgelüsten der Stockruffen ein Damm gesezt. Aber die Verhältnisse waren nicht so einfach, daß das Machtgebot des Czaren sie völlig beherrschen

konnte. Auch Rußland hatte unter dem Kriege gewaltig gelitten, einzelne Provinzen waren verwüstet und entvölkert, die Armee war durch die ruhelose Verfolgung des Feindes sehr zusammengeschmolzen. Kutusows Heer, als es südlich von Moskau stand, ohne die Kosaken gegen 100,000 Mann stark, zählte in Wilna noch 27,000; Wittgenstein hatte einige 30,000, Tschitschagoff noch 17,000 Mann unter sich; Verhältnisse, die dem Rathe Kutusows und des ihm gleichgesinnten leitenden Ministers Romanzoff allerdings eine gewisse Unterstützung gaben. Kutusow, in den Augen der Ruffen der nationale Held und Neberwinder Bonapartes, war eine Macht, die der Kaiser, selbst wenn er anderer Meinung war, nicht ignoriren durfte. Kutusow hatte die altrussische Partei, einen mächtigen Familienanhang und das Vertrauen der Massen hinter sich; seiner Weisheit wurde das beispiellose Gelingen von 1812 zugeschrieben, während Barclay's, „des Ausländers," Unfähigkeit oder Verrath Alles verdorben hatte. Auch Verständigere fingen an, Kutusows Bedeutung nach dem Erfolg zu schäßen, und der Oberfeldherr selbst durfte es_wagen, als der Kaiser schon befohlen hatte vorzurücken, ruhig in Wilna zu bleiben und seine Bedenken gegen eine raschere Kriegführung geltend zu machen *).

Die Convention von Tauroggen hatte wohl manche Bedenken dieser Art überwunden; aber man mußte sie auch so nühen, daß der Rest der französischen Kriegsmacht vollends zersprengt, der Weg zur Weichsel geöffnet, Danzig und Thorn überfallen und dadurch dem Hofe und der Regierung in Berlin Muth gemacht ward zum rechten Entschlusse. Um das zu erreichen, durfte kein Augenblick gesäumt werden; man mußte Macdonald unter dem ersten betäubenden Eindruck von Yorks Abfall überraschen und wo möglich sich ihm noch auf dem Wege von Tilsit nach Königsberg entgegenwerfen. Daß die Wirkung eines solchen Schlages entscheidend gewesen wäre und bis an die Weichsel Alles in Auflösung gebracht hätte, scheint keinem Zweifel unterworfen; in Danzig war bis Mitte Januar Alles in wildester Verwirrung, die Stadt mit Kranken und Sterbenden gefüllt, die Straßen und die Umgebung verpestet, die Soldaten zuchtlos. Wenn plötzlich ein Corps von zehntausend Mann erschien, so war es nach der allgemeinen Ansicht nicht zu hindern, daß die Stadt mit Sturm genommen ward. Allein eben diese Früchte rasch zu pflücken, ward versäumt. Einmal stand die Truppenmacht, die Wittgenstein führte, bedeutend unter der Zahl, die man York vor Abschluß der Convention angab; dann fehlte es aber auch an der rechten Energie und Raschheit, um wenigstens zu erreichen, was mit diesen Kräften möglich war. So gelang es Macdonald, von Tilsit nach Königsberg zu entkommen und dort vereinigt mit den noch zurückgebliebenen Truppenabtheilungen den weiteren Rückzug nach der Weichsel anzutreten. Am 5. Jan. rückten zwar die Russen

*) Tolls Denkwürdigkeiten II. 371. 372.

unter dem Jubel der Bevölkerung in Königsberg ein, aber der Feind war ihnen entronnen; an eine rasche Zertrümmerung seiner noch übrigen Streitkräfte war jest so wenig zu denken, wie an einen Ueberfall der Weichselfestungen. Die Verbindung zwischen der Mark und Preußen blieb durch französische Truppen unterbrochen.

York war in peinlichster Unruhe; von Natur mehr geneigt, die Dinge schwarz anzusehen, glaubte er schon die ganze Frucht seiner That vereitelt und ermaß nun sorgenvoll die ungeheure Verantwortlichkeit, die ihn im Fall des Mislingens traf. Es war ja denkbar, daß die Franzosen sich zum Angriff gegen die Russen ermannten und deren vorgeschobene Truppen zurückwarfen; wenn das aber auch nicht geschah, so waren schon die Wirkungen der matten Verfolgung bedenklich genug. In der ostpreußischen Bevölkerung folgten dem ersten begeisterten Jubel kühlere und besorgtere Stimmungen; wie mußte es vollends in Berlin sein, das nech unter dem unmittelbaren Druck der Franzosen stand! In der ersten Freude hatte man gehofft, der König werde, wie 1807, den Sit seiner Regierung rasch nach Königsberg oder Memel verlegen und damit die Leitung der Bewegung in Preußen in die Hand nehmen. Jezt war er vielleicht nicht einmal in der Lage, einen freien Entschluß zu faffen, oder mußte den Franzosen als Geisel dienen gegen die Ausbreitung des Volksaufstandes. Auch von anderer Seite ward keine Widerwärtigkeit erspart. Der Hochmuth und die Eigenmacht der Russen wuchs in dem Maße, als ihre Verfolgung des Feindes unzulänglich war. Memel wurde occupirt und wie eine russische Eroberung behandelt, gegen preußische Truppen und preußisches Eigenthum nach Kriegsrecht verfahren, überhaupt regten sich die alten Gelüste der Selbstsucht wieder mächtiger. Man schien sich für das Mislingen der französischen Verfolgung an Preußen entschädigen zu wollen. Selbst Wittgenstein, der von den russischen Generalen den deutschen Wünschen am zugänglichsten war, nahm einen Augenblick den Ton des Befehlshabers gegen York an. Eine minder energische Natur als Vork hätte in dieser Lage wohl die Haltung verloren; mit den Franzosen tödtlich entzweit, mit seiner Regierung außer Zusammenhang, fand er auch in den neuen Verbündeten mehr Anlaß zu wachsamem Mistrauen, als eine feste Stütze. Doch überzeugte er sich schon in den ersten Tagen des Januar, daß er, um Schlimmeres zu verhüten, feine neutrale Stellung innerhalb der Demarcationslinie aufgeben und thätig eingreifen müsse. Er zeigte sich geneigt, nach Königsberg vorzurücken und seine zuwartende Haltung mit activer Theilnahme zu vertauschen. Aber es ließ sich denken, daß der Vertreter altpreußischer Disciplin, der nur mit Zögern zu der That von Tauroggen geschritten war, wenigstens die Entscheidung des Königs abwarten wollte. So blieb Alles in der Schwebe und harrte auf einen neuen Anstoß.

Wir werden später im Zusammenhang zu berichten haben, in welcher Situation der Hof und die Regierung von der Yorkschen Botschaft überrascht

ward und wie peinlich man dort die Unfreiheit einer Lage empfand, die zunächst dem König keine andere Wahl ließ, als entweder seine persönliche Sicherheit auf's Spiel zu sehen oder York und seine That zu desavouiren. Er entschied sich für dies Lehte; die Convention vom 30. December ward verworfen, Yerk und Massenbach sollten abgesetzt, der Oberbefehl an Kleist übertragen und das Armeecorps Murat zur Verfügung gestellt werden. Majer von Nahmer verließ am 5. Jan. Berlin, um diese Befehle nach Preußen. zu bringen. Zwar ließ Wittgenstein, als er diesen Auftrag erfuhr, den Mafor nicht zu York durchpassiren; aber seine Botschaft eilte ihm voran. Am 10. Januar wußte man in Königsberg die Verwerfung des Vertrags und die Absehung Yorks; nicht amtlich, aber doch so beglaubigt, daß kein Zweifel daran aufkommen konnte. Es war eine Prüfung, die selbst einen eisernen. Charakter wie York erschüttern mußte. Schon fah er im Geiste, wie sein Corps ihn verließ, die Officiere ihm den Gehorsam kündigten, er als Feigling vor ein Kriegsgericht gestellt, vielleicht von den Franzosen abgeurtheilt ward. Es war nur ein dürftiger Trost, daß in demselben Augenblick günstige Verheißungen aus dem Hauptquartier des russischen Kaisers kamen und ein Brief Alexanders an Friedrich Wilhelm III. überbracht ward. York war in der That entschlossen zu weichen und forderte Kleist auf, das Commando zu übernehmen. Der weigerte sich und sprach seine Ueberzeugung aus, es werde Niemand im Corps fich finden, der es übernehme. Diese Weigerung gab den Ausschlag; York beschloß, das Commando zu behalten und die königliche Entscheidung zu ignoriren. Mit blutendem Herzen schrieb er am 13. Januar an Bülow, der an der Weichsel stand - zerreiße ich die Bande des Gehorsams und führe den Krieg auf meine eigene Hand. Die Armee will den Krieg gegen Frankreich, das Volk will ihn. Der König will ihn, aber der König hat keinen freien Willen. Die Armee muß ihm diesen Willen frei machen. Ich werde in Kurzem mit 50,000 Mann bei Berlin und an der Elbe sein. An der Elbe werde ich zum König sagen: Hier, Sire, ist Ihre Armee und hier ist mein alter Kopf - dem König will ich diesen Kopf willig zu Füßen legen, aber durch einen Murat läßt sich York nicht richten und verurtheilen."

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So kamen die Dinge mehr und mehr in die richtige Bahn. Denn nach zwei Seiten hin, der Gebundenheit in Berlin, wie den Ruffen gegenüber, that es dringend Noth, daß eine feste preußische Hand die Zügel faßte. Nun war in den Tagen vor dem Abschluß der Capitulation, wo York sehnfüchtig auf Weisungen von Berlin harrte, wenigstens Eines gekommen, was ihm eine Bürgschaft des Vertrauens gab: eine Cabinetsordre hatte ihm für den Fall, daß er auf preußischen Boden zurückkehrte, die früher bekleidete Stelle eines Generalgouverneurs der Provinz, die inzwischen Bülow versehen, wieder übertragen. Er trat die Stelle jest in Königsberg an. Auch den Ruffen gegenüber hatte das seine Bedeutung. Einzelne ihrer Generale setzten,

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