Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Erstes Kapitel.

Der strategische Aufmarsch.

Die formelle Kriegserklärung Frankreichs an Preußen ward am 19. Juli 11⁄2 Uhr Mittags dem Grafen Bismarck übergeben. In der Genehmigung der Kreditforderungen für den Krieg in der Sizung des Gesetzgebenden Körpers vom 15. Juli und in den Erklärungen der franzö= sischen Regierung an diesem Tage war jedoch eine faktische Kriegserklärung enthalten, und demgemäß begannen auch am 16. Juli die Vorbereitungen des Norddeutschen Bundes auf den Krieg. Frankreich hatte, nach der Ansprache des Senats= Präsidenten Rouher an den Kaiser und nach anderen officiellen und sonstigen Kundgebungen zu schließen, schon seit dem Jahre 1866 auf den deutschen Krieg gerüstet und nun, diesen Zeitpunkt für den günstigsten haltend, auch specielle militärische Maßregeln getroffen, um in Mitte des Monats Juli bereits eine zahlreiche mobile Armee zur Verfügung zu haben.

Die bedeutendste dieser Maßregeln war die Ablösung der Armee im Lager von Châlons, der zufolge sich Mitte Juli die doppelte Anzahl von Truppen, etwa 80,000 Mann, dort, also in verhältnißmäßiger Nähe der deutschen Grenze befand. Der Umstand, daß gerade in den östlichen Departements sich eine überwiegende Anzahl von Garnisonen befand und daß zudem der deutschen Grenze gegenüber die großen Festungen

Meß und Straßburg und eine Menge kleiner festen Plähe lagen, erleichterte in hohem Grade die Koncentrirung einer Invasionsarmee für Deutschland auf gesicherter Operationsbasis.

Dem gegenüber besaß der Norddeutsche Bund, welchem zunächst der Angriff galt, weder die bedeutenden Grenzfestungen, noch die Anhäufungen von Garnisonen in den bedrohten Provinzen, noch ein stehendes Lager. Die preußische Rheinprovinz bis zu den Festungen Köln, Koblenz und Mainz lag dem Feinde offen, ein großer Theil der Armee mußte aus den östlichen Provinzen einen weiten Weg bis zur bedrohten Grenze machen.

Hätte Frankreich, wie es gerechnet, nur den Norddeutschen Bund sich gegenüber gehabt, so würde vermuthlich die Okkupation des linksrheinischen Gebietes seitens der französischen Armee den Anfang des Krieges gebildet haben.

Die Haltung der süddeutschen Staaten gab zuerst dem Kriege eine für Frankreich ungünstige Wendung. Ueberrascht durch das Festhalten dieser Länder an der Allianz mit dem Bunde, sah sich die französische Regierung zu einer Aenderung des Kriegsplans genöthigt, und auch abgesehen von politischen Gründen erklärt sich die Verzögerung der Aktion zum großen Theil aus der Veränderung der militärischen Lage.

Der Kriegsschauplah erweiterte sich um die ganze lange Grenze von Saargemünd bis Hüningen und es mußte Bedacht auf einen Angriff von Baden oder der bayerischen Pfalz aus genommen werden, welcher das Vordringen der französischen Armee in Rheinpreußen paralysirt hätte.

Um die numerische Ueberlegenheit des deutschen Heeres, welche durch die Haltung der Südstaaten dem Kaiser Napoleon

Niemann, Feldzug.

2

noch frappirender entgegentrat, auszugleichen, drängte sich der französischen Heerführung die Idee auf, schnell den Rhein zu überschreiten, die Vereinigung der Armeen Nord- und Süddeutschlands zu verhindern und vielleicht durch den Eindruck eines ersten Erfolges Verbündete unter den neutralen Staaten zu erwerben.

Dieser Idee entsprechend geschah der Aufmarsch der fran= zösischen Streitmassen in drei großen Gruppen, welche den Feind durch ihre Stellung in Ungewißheit über ihre Bestim= mung lassen sollten. Es sollten 150,000 Mann in Mez, 100,000 Mann in Straßburg und 50,000 Mann im Lager von Châlons koncentrirt werden. Diese Aufstellung mußte sowohl einen Angriff gegen die Rheinprovinzen als auch gegen Baden vermuthen lassen.

Nach vollendeter Koncentrirung wollte der Kaiser Napoleon alsdann die Armeen von Meg und von Straßburg vereinigen, mit einem Heere von 250,000 Mann den Rhein bei Marau überschreiten, Rastatt rechts und Germersheim links licgen lassen und sich zwischen den Norddeutschen Bund und die Südstaaten drängen.

Die Armee von Châlons sollte während dessen ihren Marsch auf Met richten, um den Rücken der Invasionsarmee zu decken und die nordwestliche Grenze zu bewachen, eine Flotte mit einer Landungsarmee zugleich von der Nord- und Ostsee aus die preußischen Küsten bedrohen und einen Theil der norddeutschen Armee dort zurückhalten.

Es wird nicht uninteressant sein zu erwähnen, welche Gründe des Mißlingens dieses Plans der Kaiser Napoleon selbst in der Schrift: „Die Ursachen der Kapitulation von Sedan" angiebt.

Es heißt hier:

„Dieser Plan hatte nur dann eine Erfolgsmöglichkeit, wenn der Feind an Geschwindigkeit überflügelt ward. Zu diesem Zweck mußte man in wenigen Tagen auf bestimmten Punkten nicht allein die gegebene Anzahl Soldaten versammeln, sondern auch das nothwendige Nebenmaterial beschaffen, wie Wagen, Train, Artillerieparks, Pontons, Kanonenschaluppen, um den Uebergang über den Rhein zu schüßen, endlich die unablässige Verproviantirung mit Schiffszwieback, um eine zahlreiche Armee zu ernähren, welche vereint marschirt.

„Der Kaiser schmeichelte sich, dieses Resultat erreichen zu können, und das war sein Irrthum; wie alle Welt in der Illusion lebte, daß eine Koncentration von so viel Menschen, Pferden und Kriegsmaterial durch die Eisenbahn mit der nothwendigen Ordnung und Präcision geschehen könne, wenn nicht Alles schon lange im Voraus von einer achtsamen Verwaltung regulirt worden ist.

„Die Hauptursache unserer Verzögerungen lag in den Fehlern unserer militärischen Organisation, wie dieselbe seit fünfzig Jahren schon existirt hatte und die sich seit den ersten Augenblicken schon zeigten. Anstatt wie in Preußen stets organisirte Armeecorps zu haben, welche sich in einer Provinz rekrutiren, und die an Ort und Stelle das nothwendige Material be= sizen, finden sich in Frankreich die eine Armee bildenden Truppen über das ganze Territorium zerstreut, während das Material in einigen Städten in Magazinen aufgehäuft und überhäuft ist.

„Wenn es sich darum handelt, eine aktive Division auf einem Punkt der Grenze zu bilden, so kommt die Artillerie gewöhnlich von einem sehr entfernt liegenden Orte, die Wagen

des Train und der Ambulanzen aus Paris und Vernon, fast die ganze Proviantirung aus der Hauptstadt und die Reservesoldaten aus allen Theilen Frankreichs. Die Eisenbahnen können nicht genügen, um die Menschen, die Pferde und das Material zu transportiren, Konfusion entsteht gar bald, und oft sind die Bahnhöfe mit Gegenständen angefüllt, deren Zweck und Bestimmung unbekannt sind.

„Im Jahre 1860 hatte der Kaiser bestimmt, daß die Rekruten der zweiten Kategorie des Kontingents in den Depots der verschiedenen Departements einerercirt würden, um in Kriegszeiten den ins Feld ziehenden Regimentern zugetheilt zu werden. Diese Disposition vereinigte in sich die Vortheile des preußischen mit denen des französischen Systems. Die Reservemannschaften brauchten sich aus ihren Dörfern nur in die Hauptstädte ihrer Departements zu begeben, wo sie versammelt, equipirt und in kurzer Zeit in die verschiedenen Regimenter einrangirt werden konnten.

„Unglücklicherweise wurde dieses System im Jahre 1866 vom Kriegsministerium modificirt, und jeder Soldat ward vom ersten Augenblick der Aushebung an einem bestimmten Regimente zugetheilt. Auf diese Weise mußten die Reservemannschaften, als sie 1870 unter die Waffen gerufen wurden, oft die komplicirtesten Wege einschlagen, um zu ihren Corps zu gelangen. So z. B. wurden diejenigen, welche sich in Straßburg befanden, und deren Regimenter im Elsaß standen, anstatt sich in den Straßburger Depots zu versammeln, zu ihren Stammdepots geschickt, vielleicht nach dem Süden Frankreichs oder gar nach Algerien, und mußten von dort nach dem Elsaß noch einmal zurückkehren, um ihren ́Regimentern_inforporirt zu ́werden.

‚Man wird begreifen, welche Verzögerung solch eine Orga=

« ZurückWeiter »