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blieb auch bis zu Beginn des XIX. Jahrhunderts in uneingeschränkter Wirksamkeit. Dann erst änderte sich die Sachlage: mit der Verschiebung der Machtverhältnisse in Europa erfuhren auch die Be. ziehungen der verschiedenen christlichen Mächte zu der Pforte eine derartige Veränderung, daß auch sie ihre kirchlichen Interessen vertreten konnten. Das französische Protektorat über die katholische Kirche im Orient hat demnach heute obwohl es noch zu Recht besteht und erst im Berliner Vertrag von 1878 erneuert zum Ausdruck gebracht wurde keine besondere praktische Bedeutung.

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Die Katholiken Albaniens sind bekanntermaßen vom französischen Protektorate ausgenommen; deren religiöse Interessen werden von Österreich-Ungarn vertreten. Der Ursprung des österreichischungarischen Protektorates läßt sich auf die Friedensverträge von Szöny (1642), Karlovitz (1699), Passarovic (1718) und Belgrad (1739) zurückführen. Am deutlichsten tritt jedoch dasselbe im Artikel 9 des Belgrader Friedensvertrages hervor, welcher folgenden Wortlaut hat: » Alle Privilegien, welche den in den Ländern des osmanischen Reiches lebenden Anhängern der römisch-katholischen Kirche betreffs der freien Ausübung ihrer Religion von den glorreichen Vorgängern des osmanischen Kaisers durch vorhergehende Kapitulationen, durch kaiserliche Akte oder durch sonstige Kundgebungen ob nun vor oder nach dem Frieden von Passarovic gewährt wurden, seien hiemit vom erhabenen Kaiser der Osmanen erneuert. Insbesondere betrifft dies alle jene Privilegien, welche über Requisition des erhabenen Kaisers des römisch-deutschen Reiches den Priestern des Ordens von der heiligen Dreifaltigkeit und Erlösung der Gefangenen bewilligt wurden und welche die Instandsetzung und Wiedererrichtung der Kirchen sowie die freie Ausübung des geistlichen Amtes der genannten Priester betreffen. Niemand soll sie fürderhin bedrücken oder brandschatzen, ob sie nun dem angeführten Orden oder anderen religiösen Gemeinschaften der katholischen Kirche angehören; alle mögen sich des gewohnten kaiserlichen Schutzes erfreuen. Es wird weiters gestattet, daß der Botschafter des erhabenen römisch-deutschen Kaisers in allen Angelegenheiten, welche die katholische Religion oder die von den Christen besuchten heiligen Stätten von Jerusalem und die dort errichteten Kirchen betreffen, bei der Hohen Pforte in angemessener Weise interveniere.<<

Diese Bestimmungen, aus welchen die Legitimität der österreichisch-ungarischen Patronanz über die in der Türkei lebenden Katholiken deutlich hervorgeht, ist übrigens dem Wesen nach bereits in den früheren österreichisch-türkischen Friedenstraktaten, bis zu jenem von Wien (1616) enthalten. Daß Österreich-Ungarn die Ausübung des Protektorates nur auf Albanien beschränkte, mag seine Erklärung in der geographischen Lage des katholischen Albaniens haben.

Die Kapitulations privilegien Österreich-Ungarns gründen sich auf die nachstehenden Traktate und Staatsakte: Friedensvertrag von Szöny vom 19. März 1642; Friedensvertrag von Karlovitz vom 26. Jänner 1699; Friedensvertrag von Passarovic vom 21. Juli 1718; Handels- und Schiffahrtsvertrag von Passarovic vom 27. Juli 1718 (besonders Artikel V); Friedensvertrag von Belgrad vom 17. September 1739; Konvention betreff der fortdauernden Gültigkeit des Belgrader Friedens vom 25. Mai 1747; Sened*) der Pforte vom 24. Februar 1784; Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 22. Mai 1862.

Die Türkei verlangte wiederholt die Aufhebung der Kapitulationen; so gelegentlich des Pariser und Berliner Kongresses (1856 und 1867). Auf dem Pariser Kongresse machten die Delegierten der Signatarmächte auf die bezüglichen Demarchen des türkischen Delegierten, Ali Pascha, die Aufhebung der Kapitulationen von dem Fortgang der mit dem »Hatt-i-Humajun (vom 18. Februar 1856) in Aussicht gestellten Reformen abhängig.

Österreich-Ungarn hat sich gelegentlich der Annexion der Reichslande und Italien gelegentlich der Proklamierung des Annexionsdekretes über Tripolis bereit erklärt, der Authebung der Kapitulationen beizupflichten, soferne auch die übrigen Kapitulationsmächte hiezu bereit wären.

Die Entstehungsursache der Kapitulationen liegt - wie eingangs ausgeführt in der Verquickung des religiösen und bürgerlichen Rechtsbegriffes in der Türkei und der dadurch involvierten Inkompatibilität der morgenländischen mit der abendländischen Rechtsauffassung im allgemeinen. Die Trennung der beiden Begriffe, bzw. die Säkularisation der ottomanischen Rechtspflege, wurde wohl bereits durch den Hatt-i-Scherif von Gülhane vom 3. November 1839 und den Hatt-iHumajun vom 18. Februar 1856 angebahnt, doch blieb sie stets nur ein toter Buchstabe; Praxis und Gesetz kamen nie in Übereinstimmung. Erst die vor 4 Jahren angebrochene jungtürkische Ära gibt die Gewähr, daß die von der ottomanischen Staatsraison schon längst erkannte Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtsbehandlung aller ottomanischen Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf Religion und Nationalität nicht nur in den Landesgesetzen vorhanden sein wird, sondern auch in das Volksbewußtsein Eingang findet und damit die Handhabe zur Beseitigung der Kapitulationen bietet. Das verjüngte, von allen beengenden Imponderabilien erlöste ottomanische Reich mag dann frei und unentwegt seinen Zielen zustreben und durch Kulturarbeit eine neue Glanzperiode herbeiführen, die seiner einstigen militärischen Größe und seines heutigen militärischen Wertes würdig ist. Hptm. Pawlas.

*) Sened ist die türkische Bezeichnung für Note.

Der Versuchskurs für Landwehrsanitäts

formationen am Gotthard 1911.

Von Regimentsarzt Dr. Theodor Beyer des k. u. k. Garnisonsspitales Nr. 2 in Wien.

Mit 6 Textfiguren.

(Schluß*).)

Die Sanitätsfeldübungen des Versuchskurses.

Der Versuchskurs löste seine Aufgaben durch eine Reihe groß angelegter Übungen im Gotthard-Gebiete.

Friedenssanitätsübungen können den Sanitätsfelddienst aus begreiflichen Gründen nicht in allen seinen Zügen veranschaulichen. Nur das Aufsuchen und das Zurückschaffen der Verwundeten auf die Verbandplätze und der Abschub können kriegsmäßig geübt werden. Der Verbandplatzdienst im engeren Sinne und der chirurgische Betrieb kommen nicht voll zur Geltung, weil man Gesunde, nicht Kriegsverwundete zu bergen und zu behandeln hat. Demzufolge waren auch die Feldübungen des Versuchskurses hauptsächlich als Trägerübungen und Trägerleistungen bemerkenswert. Doch wurde der Verbandplatzdienst daneben nicht vernachlässigt. Man sortierte, verband und schiente die Verwundeten, lagerte sie in Zelten und verköstigte sie. Wo es die Annahme und der Übungszweck verlangten, setzte man die Übung fort, räumte den Verbandplatz und schaffte die Verwundeten talabwärts bis an die Straße oder bis in eine zur Aufnahme von Kriegsverwundeten geeignete Ortschaft.

Im folgenden wird der Verlauf der Übungen geschildert. Da sich alle Übungen in dem zur Verteidigung eingerichteten Gotthard-Gebiete abspielten, können Übungsräume und Geländeverhältnisse nur angedeutet werden.

Der 21. August war Eintrefftag. Mannschaft und Pferde wurden in Stand genommen, die Ausrüstung gefaßt, die Bastsättel angepaßt.

*) Siehe Juniheft.

Streffleur 1912, II.

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Nebstdem fand wie an den folgenden Tagen »Soldatenschule< statt, d. h. die Mannschaft exerzierte im Zuge, in der Kompagnie. Die schweizerischen Militärärzte leiten diese Beschäftigung selber und kommandieren mit gezogenem Säbel. Das Fußexerzieren ist in den Wiederholungs- (Versuchs-) Kursen der Sanität nur Mittel zum Zweck, Turnübung. Eine Stunde täglich, gut ausgenutzt, wird für hinreichend erachtet.

Der Vormittag des 22. August verging mit weiteren Vorbereitungen, mit der Zusammenstellung der Züge und Kompagnien. Mittags war die Gebirgssanitätsabteilung marschbereit.

Nachmittags wurde die neue »Instruktion für den Sanitätsdienst« in deutscher und französischer Sprache erläutert, daran eine Schulübung im Absuchen und Räumen eines Verlustfeldes angeschlossen. Diese Übung fand auf dem Exerzierplatze statt.

Wegen ihrer besonderen Wichtigkeit seien die neuen schweizerischen Bestimmungen für das Absuchen und Räumen der Verlustfelder hier auszugsweise wiedergegeben.

a) Die Absuchung des Schlachtfeldes. Verlustfelder werden von den schweizerischen Trägerzügen entweder mit selbständigen »Patrouillen (1 Unteroffizier und 8 Träger) oder mit »geschlossenen Patrouillenlinien abgesucht. Zuvor werden die Verlustfelder in Abschnitte zerlegt, jeder Patrouille ein Teilabschnitt oder eine Richtung angewiesen. Die Sanitätsoffiziere (Ärzte) der Sanitätskompagnien leiten. die Absuchung persönlich; nur der Apotheker als Führer des Verbandplatzzuges und Materialoffizier bleibt zurück und richtet den Verbandplatz ein.

b) Die Räumung des Schlachtfeldes schließt sich an die »Absuchung unmittelbar an und vollzieht sich in zwei Teilakten (vgl. Fig. 1, 2 und 3). Erster Akt: Wegschaffen der Verwundeten aus dem Verlustfelde auf eine für die Weiterbeförderung geeignete Verkehrslinie, »Sammellinie« genannt, oder auf mehrere vom Verbandplatze leicht erreichbare Sammelstellen«. Zweiter Akt: Beförderung der Verwundeten von der Sammellinie oder von den Sammelstellen zum Verbandplatze. Hiezu wird nach Umständen Fuhrwerk verwendet. Im Verlustfelde bewegen sich die Träger entweder auf mündliches deutsches, französisches, italienisches Kommando, z. B.: Auf der Grundlinie ausbrechen, 10 Schritt Zwischenraum, Marsch!«, oder auf Handzeichen und Signalpfiffe, die in der Vorschrift festgesetzt sind.

Es bleibt den Führern aller Grade unbenommen, ausnahmsweise von diesem gewöhnlichen Verfahren abzuweichen, wenn die Arbeit dadurch gefördert wird.

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