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auch ist das preußische Volk das aufgeklärteste in Europa in dem Sinn, daß der Schulunterricht in allen Klassen verbreitet ist. Die polnischen Provinzen allein leben noch in einer beziehungsweise geringeren Bildung. In Frankreich, wo man alle auf fremde Länder bezüglichen Verhältnisse so völlig mißach. tet, macht man sich von der Summe geistiger Arbeit, deren Feld Norddeutschland ist, keinen Begriff. Die Volksschulen sind da in Ueberfluß vorhanden, und während in Frankreich die Zahl der Hauptpunkte geistiger Thätigkeit und geistigen Schaffens sich auf einige große Städte beschränkt, ist Deutschland mit dergleichen Lehrstätten bedeckt und, um sie aufzuzählen, müßte man bis zu Städten dritten und vierten Nanges hinab. gehen. Ich werde kein Gewicht auf die Vorzüge legen; wie sie eine vorgerückte Bildung, welche in dem ganzen Volk verbreitet ist, der Zusammensehung des Heeres bringt. Ist es aber nicht sonderbar, daß in Frankreich aufgeklärt genannte Personen sich gegen ihre Zulässigkeit sträuben? Heißt das nicht leugnen wollen, daß Unterricht und Erziehung die Fähigkeiten des Menschen entwickeln und sein Bewußtsein durch Verleihung einer höheren Vorstellung von seinem Werthe erheben? Diese Personen behaupten unbefangen, daß eine Armee von ungebildeten Soldaten, welche aber an den Krieg gewöhnt sind, eine Armee von sogar sehr geschulten, aber der Kriegserfahrung beraubten Leuten schlagen soll. Gut, ich frage, welcher General einen Augenblick zweifeln und schwanken würde, wenn er zu wählen hätte zwischen dem Commando zweier Armeen, von je 100,000 Mann, von welchen die eine ganz aus Zöglingen der polytechnischen Schule oder von St. Cyr, die andere aus Bauern von Limousin oder Berry gebildet ist. Wenn er nur den Vorzug darin finden würde, seine Depot - Truppen schneller auszubilden, würde schon seine Wahl nicht zweifelhaft sein. Mehr aber liegt noch darin, daß in moralischer Hinsicht die eine Armee zehnfach der anderen überlegen sein dürfte. Und in dieser Hinsicht werde ich erwähnen, was mir im August 1866 in Böhmen preußische Offiziere und Unteroffiziere erzählten. Stolz auf ihre Erfolge, maßen sie dieselben großen Theils der intellectuellen Ueberlegenheit ihrer Soldaten bei und sagten mir: »»Als nach den ersten Gefechten sich unsere Soldaten zum ersten Mal österreichischen Gefangenen gegenüber befanden, sie dieselben in der Nähe sahen und diese Leute ausfragten, von welchen Viele kaum ihre Rechte von ihrer Linken unterscheiden konnten, war kein Einziger mehr, welcher sich im Vergleich mit solchen Leuten nicht wie einen Gott ansah, und dieses Bewußtsein verdoppelte unsere Kräfte.«<«

Pflichtgefühl.

Ich muß noch eine Eigenschaft bezeichnen, welche besonders das preußische Volk charakterisirt, und welche zum Wachsthum der moralischen Kraft

seiner Armee beiträgt, nämlich das Pflichtgefühl. Es ist in allen Klassen des Landes bis zu solchem Grade entwickelt, daß man nicht aufhört, darüber zu staunen, je mehr man das preußische Volk studirt. Da ich die Gründe dieses Umstandes nicht zu untersuchen habe, begnüge ich mich mit seiner Erwähnung. Der merkwürdigste Beweis dieses Hanges zur Pflicht ist durch das Beamtenpersonal jedes Ranges in den verschiedenen Verwaltungszweigen geliefert; mit einer wahrhaft überraschenden Sparsamkeit bezahlt, sehr oft mit Familie gesegnet, arbeiten die dies Personal bildenden Männer den ganzen Tag mit einem unermüdlichen Eifer ohne Klage und ohne den Wunsch nach einer bequemeren Stellung zur Schau zu tragen. »»Wir hüten uns wohl, daran zu rühren,«« sagte mir in diesen lezten Tagen Herr v. Bismarck, »»diese arbeitsame Beamtenwelt genügt am besten unserem Bedarf und bildet eines unserer Hauptkraftmittel.« «

So weit Oberst Stoffel über die moralische Ueberlegenheit der preußischen, beziehungsweise der deutschen Armee. Er geht dann in seinem Bericht zunächst zu materiellen Dingen über, beschäftigt sich mit der Dienstzeits-Frage, mit der Militair Organisation, mit der Zusammenseßung der Krankenwärter, Eisenbahn- und Telegraphen Abtheilungen, mit dem Artillerie und Infanterie- Feuer (Chassepot oder Zündnadel) und wendet sich dann schließlich, wieder auf das Gebiet des Geistigen übergehend, dem preußischen Generalstab zu, vor dessen Ueberlegenheit er, als vor der größten Macht der norddeutschen Armee, auffordert, auf der Hut zu sein. Er schreibt:

» Der preußische Generalst a b.

Von allen Elementen der Ueberlegenheit aber, aus denen Preußen in einem bevorstehenden Kriege Vortheile ziehen würde, wäre unbedingt das größte und ohne Widerrede unwiderleglichste, die Zusammensehung seines Generalstabs- Offiziercorps.

Man muß es laut als eine für sich selbst redende Wahrheit bekennen, daß der preußische Generalstab der erste in Europa ist; der unsrige würde sich nicht mit ihm messen können. In meinen ersten Berichten von 1866 hörte ich nicht auf, diese Angelegenheit zu erörtern und die Ansicht aufzustellen, daß es dringend nöthig wäre, an Mittel zu denken, unseren Generalstab auf die Höhe des preußischen zu bringen. Judem ich darzulegen suchte, daß die norddeutsche Armee in einem bevorstehenden Kriege aus der Zusam menseßung seines Generalstabes ernstliche Vortheile ziehen, und daß wir unsere Inferiorität vielleicht noch grausam bereuen würden, komme ich auf diesen, meiner Ansicht nach allerwichtigsten Punkt zurück. Ich kann ihn nicht übergehen; im Hinblick darauf ist meine Ueberzeugung so, daß ich den

Ruf der Besorgniß ausstoße: Caveant consules! Auf andere Weise würde ich glauben, gegen meine Pflicht zu handeln.«

So die Einleitung. Baron Stoffel entwickelt dann aufs genaueste die Organisation des preußischen Generalstabes, die Vorbedingungen, die sich an den Eintritt knüpfen, seine Wechselbeziehungen zur Truppe, den Modus der Wahl und der Beförderung. Nachdem er so den Gegenstand sachlich erschöpft hat, kehrt er zu den Anschauungen zurück, denen er schon in der Einleitung zu diesem Abschnitt seiner Arbeit Ausdruck gab.

»Ich erkläre wiederholentlich,« so schließt er, »daß nach meiner Ueberzeugung es dringend nöthig ist, auf Mittel und Wege zu sinnen, um unseren (französischen) Generalstab aus seiner niedrigen Stellung hervorzuheben. Noch einmal sei es gesagt, daß diese untergeordnete Stellung zu reell und augen. scheinlich ist für Jeden, der sich die Mühe gegeben hat, den preußischen Generalstab zu studiren. Und ohne Uebertreibung, nach genauer Prüfung, nach reiflicher Ueberlegung, habe ich es oben ausgesprochen: Die Zusammen. sehung des preußischen Generalstabes würde in dem nächsten Kriege das wichtigste Element der Superiorität der preußischen Armee bilden.

Ich bin bei meinem Aufenthalt in Böhmen und später in die Lage gekommen, viele Thatsachen kennen zu lernen, die nach ihrem individuellen Charakter keinen Plag in den amtlichen Berichten des Krieges von 1866 finden konnten. Für mich folgt daraus als unzweifelhafte Wahrheit, daß die preußischen Heere einen großen Theil ihrer Erfolge den Offizieren des Generalstabes verdanken. Man geht nicht zu weit, wenn man sagt, daß diese Offi ziere allein den Feldzug von 1866 geführt haben. Wie viele Thatsachen könnte ich anführen, daß die Offiziere, aus welchen sowohl der große Generalstab als die Generalstäbe der einzelnen Armee - Corps zusammengesezt sind, die tüchtigsten Proben eines glühenden Eifers abgelegt haben! Ohne von General v. Moltke zu sprechen, welcher commandirende General würde sich nicht glücklich schäßen, den General v. Voigts Rheh oder den General v. Blumenthal zum Chef des Generalstabs zu haben, Offiziere von der höch sten Auszeichnung, die ihre Stellung während des Feldzuges, der Eine bei der ersten, der Andere bei der zweiten Armee hatten? Und wie werthvolle Eigenschaften, welche Kenntnisse jeder Art bei den Offizieren des Generalstabs, Obersten, Escadron-Chefs, Hauptleuten, die unter ihren Befehlen waren! Ich kenne nicht einen Einzigen, den nicht jeder General gern im Kriege verwendet haben würde. Welche Garantie, ich möchte beinahe sagen, welche Gewißheit des Erfolges geben einem commandirenden General Generalstäbe, die aus so intelligenten, unterrichteten und pflichteifrigen Offizieren zusammengesetzt sind!

Meine Ueberzeugung steht zu fest, als daß ich sie nicht noch einmal

aussprechen sollte: Nehmen wir uns vor dem preußischen Generalstabe in Acht!«

Dieser Mahuruf verhallte. Es heißt, daß viele Berichte Varon Stoffel's (wir lassen dahingestellt sein, ob auch der, aus dem wir das Vorstehende citirt haben) uneröffnet in den Tuilerien gefunden wurden. Die Folge hat gezeigt, wie in allen Stücken richtig der französische MilitairBevollmächtigte geurtheilt hatte. Auch in dem, was er, etwa um dieselbe Zeit, über die Chancen eines Krieges schrieb. Seine Auslassungen sind von einer Schärfe und Zutreffendheit, daß sie fast prophetisch berühren:

Der Krieg ist unvermeidlich (so schrieb er April 68) und von einem unbedeutenden Umstand abhängig;

Preußen hat nicht die Absicht, Frankreich anzugreifen, es wünscht keineswegs den Krieg und wird alles Mögliche thun, um ihn zu vermeiden; Aber Preußen hat einen hinreichend klaren Blick, um zu erkennen, daß der Krieg, den es nicht wünscht, unfehlbar zum Ausbruch kommen wird, und es bietet alle seine Kräfte auf, um nicht überrascht zu werden, wenn der verhängnißvolle Zwischenfall eintreten wird; *)

Frankreich endlich hat wegen seiner Sorglosigkeit, Unbedachtsamkeit und vor Allem wegen seiner Unkenntniß der Lage nicht denselben klaren Blick wie Preußen.

Diese den Berichten eines scharfblickenden, mit seltener Unparteilichkeit urtheilenden Gegners entnommenen Sätze zeigen am besten, was die deutsche Armee 1870 war. Zu den alten, vom Feinde selbst anerkannten Elementen ihrer moralischen Ueberlegenheit hatten sich zwei neue Kräfte gesellt: nationaler Enthusiasmus und Zorn über erfahrene Unbill.

*) » Diese Säße Varon Stoffel's sind zugleich die beste Widerlegung der Herzog v. Gramont'schen Anklagen, über die wir S. 23 ausführlich gesprochen haben. Niemand wird be streiten können, daß Varon Stoffel, sowohl seiner Stellung als Militair- Bevollmächtigter, wie seiner scharfen Beobachtungsgabe nach, richtiger urtheilen konnte, als der partei befangene von Grund aus mit falschen Vorstellungen getränkte Herzog v. Gramont. Bei der Wichtig. keit der Sache recapituliren wir in Vetreff der Frage: »wer beschwor den 70er Krieg herauf?« noch einmal in Kürze dahin:

wir erwarteten den Krieg,

wir waren vorbereitet,

wir griffen drittens und leßtens mit Freudigkeit zu, weil wir den poli tischen faux pas des Gegners erkannten ;

aber wir wollten den Krieg nicht, hatten die spanische Thoncandidatur nicht zu diesem Behufe heraufbeschworen und wurden im lezten Moment, troß allgemeinen Vorbereitetseins, dennoch total überrascht.

Abschied.

Die Abreise Louis Napoleon's.

Das kaiserliche Paar weilte während der lezten Juliwochen im Schlosse

zu St. Cloud; nur bei einzelnen Gelegenheiten war der Kaiser nach Paris gekommen, so am 16. als er den Senat und den geseßgebenden Körper in den Tuilerien empfing. Hier war es, wo Minister Nouher sein mehrcitirtes Wort von der »>Befreiung Deutschlands« gesprochen hatte.

Die Abreise nach dem Kriegsschauplatz verzögerte sich um fast eine Woche; man erwartete sie vom 21., dann vom 23. ab täglich. Am 22. war die Proclamatidn des Kaisers an das französische Volk erschienen (fiche S. 63); Tags darauf (23.) übertrug er die Regentschaft an die Kaiserin. Es hieß in dem betreffenden Document:

»In dem Wir Unserer vielgeliebten Gemahlin, der Kaiserin, das Zeichen Unseres in sie gesezten Vertrauens geben wollen und in dem Vorhaben Uns an die Spize der Armee zu stellen, haben Wir Uns entschlossen zu verleihen und verleihen hiermit Unfrer vielgeliebten Gemahlin, der Kaiserin, den Titel als Regentin, um die Befugnisse als solche von dem Augenblick an auszuüben, in welchem Wir Unsre Hauptstadt verlassen haben werden. . . Wir wollen hiermit, daß Unseren Ministern von den bezüglichen Befehlen und Instructionen Kenntniß gegeben werde und daß auf keinen Fall die Kaiserin sich von dem Inhalte derselben bei der Ausübung der Functionen. als Regentin entfernen könne. Wir wollen auch, daß die Kaiserin in Unserem Namen dem Ministerrath präsidire. Indeß ist es nicht Unsre Absicht, daß die Kaiserin Regentin durch ihre Unterschrift irgend andere Geseße genehmigen könne als diejenigen, welche gegenwärtig vor dem Senat, dem gesetzgebenden Körper und dem Staatsrath schweben, indem Wir Uns in dieser Hinsicht auf den Inhalt der oben erwähnten Befehle und Instructionen beziehen. «

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