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der polytechnischen Schule oder aus der Schule von Saint-Cyr kamen unsere jungen Leute voll Feuer; das Garnisonleben löschte es in wenigen Monaten aus. Ein Unterlieutenant von 25 Jahren war in kurzer Zeit ebenso verbraucht, wie der älteste Capitain seines Regiments, und das will viel sagen. Fast überall brachten unsere Offiziere sieben Achtel des Tages im Café des Theaters zu; vor dem Frühstück Absinth, nach jedem Mahle Caffee und was dazu gehört, zwischen dem Frühstück und Diner Spazierengehen, Billard und Langeweile, des Abends das Theater. In der polytechnischen Schule wurden die jungen Leute noch durch die Hoffnung gehalten, eine gute Note beim Examen zu bekommen. So war es dort noch Sitte, zu arbeiten. Aber in der Ecole d'application zu Meß war es anders; der alte Eifer erkaltete dort in merkwürdiger Weise. Saint-Cyr bot kein tröstlicheres Schauspiel. Namentlich wurden dort Geographic und Literatur verachtet und gehaßt. Der Kaiser selbst war auf diesem Gebiete keineswegs taktfest. Einige Zeit nach dem Beginne des Krieges in Mexiko ließ sich Napoleon III. auf der Karte zeigen, wo Vera-Cruz und Puebla liege! Unter den Generalen gab es nur zu viele, welche die Wissenschaft förmlich verachteten. Als General Frossard in seiner Eigenschaft als Präsident des Generalrathes die Archive der Haute-Marne besuchte, sprach er in meiner Gegenwart die denkwürdigen Worte: »» Warum verbrennt man nicht die Hälfte dieser alten Papiere?«« Die Archive von Chaumont enthalten aber gerade die reichsten Materialien für die alte Geschichte und Geographie von Frankreich. Und General Frossard gehört zu den Genieoffizieren und wurde später Gouverneur des kaiserlichen Prinzen! Die Worte erinnern mich an die Aeußerung eines anderen Generals, welcher Inspector der Militairschulen

»»Es ist sehr hübsch von Euch, daß Ihr arbeitet, meine Kinder; ich für meinen Theil bin ohne das so weit gekommen.«« Die Regimentsschulen existiren fast nur auf dem Papiere. Auf die Offiziere, welche arbeiteten, zeigte man mit Fingern und behandelte sie als Sonderlinge. Am 4. August starb General Douay den Heldentod bei Weißenburg; erst am Tage vorher hatte er sich dazu verstanden, eine Karte anzusehen. Kurze Zeit vor Sedan spazierte einer unserer Generale mit einem meiner Freunde am Ufer eines großen Flusses und fragte: »»Wie heißt dieses Wasser?«« Es war die Maas. Er wußte nichts davon.<<

Hier ist es die Unwissenheit der Offiziere, die angeklagt wird; andere gewichtige Stimmen gingen weiter und fanden den Grund für das Geschehene in dem nationalen Geist überhaupt, in einem allgemeinen Mangel an Erziehung und Bildung, der natürlich in der Armee sich wiederspiegeln mußte. So schrieb Varon Stoffel, auf dessen Auslassungen wir im nächsten Capitel ausführlicher zurückkommen: »Wir sind das dumm

eitelste, gimpelhafteste, nichtssagendste aller Völker. Es giebt kein Land, wo mehr Albernheiten, mehr verkehrte Jdeen und Narrenspossen im Schwange find. Den Hauptgrund dafür haben Sie in der Art des Unterrichts zu suchen, welchen die Jugend empfängt, eines falschen, ausschließlich trügerischen Unterrichts, welcher unsere Fehler verdeckt, statt sie zu bessern, welcher, indem er uns allein die Bewunderung unserer selbst einflößt, uns verhindert, andere Völker, deren Sprache, Sitte, Geschichte zu studiren, und so unser Urtheil schwächt, das sich nur durch die Vergleichung der Dinge und Thatsachen bilden läßt. Es ist durchaus nöthig, daß sich ein vollständiger Umschwung in der Erziehung und Bildung der französischen Jugend vollziehe. Ohne dies kein Heil!«

General Trochu unterhielt im Wesentlichen dieselbe Vorstellung, betonte das geistige und das moralische Element der Armee, die beide darnieder lägen, beide geweckt werden müßten und klagte schon in seinem geistvoll geschriebenen Buche »L'armée française en 1867« über das Erlöschen des militairischen Geistes, troßdem die Nation kriegerisch und für den Kriegsruhm empfänglich geblieben sei. Er klagte ferner über die sichtlich immer mehr sich lockernde Disciplin und zeigte die Nothwendig. keit der Abschaffung der Stellvertretung. Frankreich war bis dahin stolz auf seine alten Berufssoldaten, welche nach abgeleisteter Dienstpflicht als Stellvertreter im Dienst verblieben und dafür aus der StellvertretungsDotations-Kasse sowohl Prämien, als eine kleine laufende Zulage erhielten. General Trochu wies mit Freimuth und ohne allen Rückhalt nach, daß der Vortheil, welchen die Armee aus diesen meist »alkoholisirten« älteren Soldaten ziehen sollte, fast illusorisch wäre. Er drang daher darauf, daß diese Söldlinge, die sogenannten alten » Troupiers«, durch deren Unbrauchbarkeit und schlechte moralische Führung der Armee nur Nachtheil erwüchse, und welche es mit verschuldeten, daß die französische Armee der Nation entfremdet werde, gänzlich ausgemerzt werden sollten. Er sprach rücksichtslos das Wort aus, daß die durch den Mißbrauch innerhalb der Stellvertretung ausgeartete französische Armee, anstatt eine Bildungsschule für das ganze Volk zu sein, vielmehr Laster und Verderbniß in alle Volksschichten verbreite.

So Trochu schon 1867. Man wird daraus ersehen, daß es vor wie nach dem 70er Kriege nicht an Persönlichkeiten in Frankreich fehlte, die von der Vollkommenheit und Unbesiegbarkeit ihrer Armee keineswegs durchdrungen waren. Es ist überflüssig, hinzuzufügen, daß insonderheit Alles, was später durch die Republik zu militairischen Ehren oder auch nur zu militairischen Commandos emporwuchs, nicht müde wurde, die Lauge des Spottes, wie über das kaiserliche Frankreich überhaupt, so vor Allem auch über die kaiserliche Armee auszugießen. Nichtsdestoweniger (wir rufen

die zu Zeugen an, die ihnen bei Mars la Tour und Gravelotte gegenüber. standen) war es eine brillante Armee.") So lange die Welt steht, hat die victrix causa nicht blos den Göttern, sondern vor Allem auch den Völkern gefallen, und noch unterlag Keiner, an dem sich nicht, speziell von volkeswegen, das vae victis vollzogen hätte. Jede geschlagene Armee wird ver urtheilt, die siegreiche auf ihre Kosten erhoben. Was einfach ein Gottesgericht oder der Sieg eines zum Leben bestimmten neuen Gedankens war, es wird der Waffe, dem Mittel, dem System zugerechnet, das bestimmt war, jenes Gericht zu vollziehen oder diesem Gedanken zum Siege zu verhelfen. Wir haben in unserer eigenen Geschichte die Beispiele dafür. Die Armee von Anno 13 war der von Anno 6 schwerlich überlegen, aber die eine vertrat ein zum Leben, die andere ein zum Sterben Bestimmtes, und so haben sich Ruhm und Ehre auf die eine gehäuft, während die andere unter Verachtung vom Schauplatz getreten ist.

Jhr Verbrechen war, daß sie unterlag. Die Schuld der französischen Armee von 1870 war dieselbe.

*) Ich stimme auch in dieser Frage zu sehr erheblichem Theile den Auslassungen eines Mannes bei, der in manchen Stücken vielleicht angreifenswerth jedenfalls das Verdienst hat, die Eigenart der französischen Nation, wie kaum ein Zweiter, erkannt und präcisirt zu haben. Ich meine den Herzog v. Persigny. Wie so viele Andere, sucht auch er dem Urgrund der französischen Niederlagen nach, und fand ihn »in der Zersplitterung der Armee bei ihrer Aufstellung, in einem unerhörten strategischen Schnißer, groß genug, um die menschliche Vernunft in Erstaunen zu versehen.« Er fährt dann fort: »Nebenher war es mein Wunsch, bei dieser Gelegenheit auszusprechen, daß unsere Soldaten nicht aus der Art ihrer glorreichen Väter geschlagen waren, und daß, was auch immer gesagt und wiederholt worden ist, unsere Armee eben so gut und eben so vortrefflich war, wie irgend eine jener, die in vergangenen Zeiten die halbe Welt eroberten, und daß, wäre nicht das Verhängniß gewesen, welches es wollte, daß sie einzeln überrumpelt wurde, ehe sie im Stande war, sich zu concentriren, dieselbe leicht die Wunder von Jena und Auerstädt wieder. holt haben würde.« - Dies leztere ist Uebertreibung. Unsere Einigkeit und unsere Zahl, um von nichts Anderem zu sprechen, machte dies unmöglich. Im Uebrigen stimme ich ihm ganz darin bei, daß die Armee ausgezeichnet und der Hauptgrund für die krasse Form, in der die Niederlage auftrat, allerdings die unklug zersplitterte Aufstellung war.

Die deutsche Armee.

Die französische Armee war gut, sehr gut, die deutsche war bessser, war ihr überlegen; so etwa sagten wir im vorigen Capitel. Es waren Verhältnisse ganz wie im 66er Kriege gegen Oesterreich. Unsere Ueberlegenheit war keine absolute, erstreckte sich nicht auf Alles, nur im Ganzen war sie da. Schriften, die vor dem Kriege erschienen und die Superiorität der deutschen Armee als zweifellos hinstellten, erkannten doch dem französischen Soldaten gewisse Vorzüge zu: größere Selbstständigkeit (individualité), raschere Fassungskraft (intelligence), lebhaftere Initiative (elan), dazu die unschäßbare Gabe des Frohsinns. Auch über die zahlreichen alten »Troupiers« dachte nicht Jeder so ungünstig wie General Trochu. (Vgl. S. 87). » Alkoholisirt« oder nicht, es waren erprobte Soldaten. Summa: es war eine so gute Armee, wie sie Frankreich nur je ins Feld gestellt hatte; das zweite Kaiserreich hatte jedenfalls nichts Aehnliches bis dahin unter seinen Fahnen versammelt. Die Armeen, die in der Krim, in Italien, in Mexiko gefochten hatten, verschwanden neben dieser. Man war sich also in den leitenden Kreisen, trog anscheinenden Leichtnehmens, der Größe der Aufgabe sehr wohl bewußt. Man that sein Bestes. Dennoch unterlag dies »Beste«. Ehe drei Monate um waren, war die ganze kaiserliche Armee kriegsgefangen in Deutschland. Was hatte unsererseits gesiegt? in etwas die Zahl,*) noch mehr die Führung, am meisten das moralische Uebergewicht. Es wird uns obliegen, dies »moralische Uebergewicht« nachzuweisen. Wir sind dabei in der glücklichen Lage, den Gegner sprechen lassen zu dürfen.

*) Daß wir in allen Hauptactionen der ersten Hälfte des Krieges, mit Ausnahme des Tages von Mars la Tour, unseren Gegnern an Zahl überlegen waren, ist unbestreitbar. Bei Wörth fochten wir 2 gegen 1, bei Gravelotte und Sedan 3 gegen 2. Es nimmt uns dies aber nichts von unserem Ruhm. Die brillanten Positionen bei Wörth und Grave lotte, die dem Chassepotgewehr gestatteten, seine ohnehin vorhandene Ueberlegenheit doppelt geltend zu machen, glichen das Zahlenverhältniß mehr als aus.

Noch ehe der Krieg die Probe auf das Exempel machte, hatte Baron Stoffel, französischer Militairbevollmächtigter am preußischen Hofe, sich über das geistige und moralische Uebergewicht der norddeutschen Armee in Berichten an den Kaiser ausführlich ausgesprochen. Diese Berichte sind klassisch) in Form wie Inhalt. Nie ist das Wesen des norddeutschen Volkes, zugleich seiner Armee, schärfer, unparteiischer beobachtet und geschildert worden. Vielleicht ein wenig zu günstig. Die Vorzüge sind in den Vordergrund, die Schwächen zurückgestellt worden.

Baron Stoffel schrieb 1868 an den Kaiser: »Es wird mir zunächst obliegen, die moralischen Elemente der Ueberlegenheit der preußischen Armee im Vergleich zur französischen, überhaupt zu jeder anderen europäischen Armee, namhaft zu machen. Es sind dies vor Allem drei: 1. das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht; 2. der auf alle Klassen des Volkes ausgedehnte Unterricht (Schulzwang) und 3. das Pflichtgefühl.

Allgemeine Wehrpflicht.

Es ist weil kaum eine abweichende Meinung existirt nahezu überflüssig, über den moralischen Werth zu sprechen, welchen die preußische Armee durch die Vertretung aller Stände und Klassen der Bevölkerung in ihren Reihen erhält, und durch das Bewußtsein, daß stehendes Heer und Landwehr das ganze Volk in Waffen bilden. Welches auch die Mängel sein mögen, die man in der militairischen Organisation Preußzens vielleicht finden könnte, so kann man doch nicht anders, als dieses Volk bewundern, welches im richtigen Verständniß dafür, daß, wie für ganze Staaten, so für die einzelnen Individuen, die erste Bedingung die Existenz ist — dahin gestrebt hat, das Heer zur ersten und geachtetsten aller Staatseinrichtungen zu gestalten und alle wehrfähigen Männer an den Lasten wie an der Ehre theilnehmen zu lassen, das Vaterland zu vertheidigen oder dessen Macht zu vermehren. Welch herrliches Beispiel geben, um nur von den Offizieren zu sprechen, diese allen Volksklassen! Sieht man hier die durch Geburt oder Geld Bevorzugten in bedauernswerthem Müßiggang leben, wie anderswo? Weit davon! Die Mitglieder der reichsten Familien, alle berühmten Namen dienen als Offiziere, ertragen die Anstrengungen und die Entbehrungen des Militairlebens und lehren so durch ihr Beispiel; beim Anblick solchen Vorganges fühlt man sich nicht nur von Achtung erfaßt für dieses ernste und derbe Volk, sondern man kommt fast auch zu Befürchtungen vor der Kraft, welche derartige Einrichtungen seinem Heere geben.

Schulzwang.

Das Prinzip des Schulzwanges ist in Preußen seit länger als dreißig Jahren, und man könnte sagen, seit Friedrich dem Großen angenommen;

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