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»Gegen 4 Uhr Nachmittags, an demselben Tage (17.), an dem der König von Schloß Berg in München eingetroffen war, hatte sich,« so berichtet ein Augenzeuge, »troß des strömenden Regens eine ernste, aber im höchsten Grade erregte Menschenmasse von mehr als 30,000 Menschen auf dem schönen großen Plaße vor der Loggia versammelt und wartete lautlos auf den Schlag 41⁄2 Uhr von der Theatinerkirche, da für diese Zeit die Kundgebung durch Anschlag an den Straßenecken angesagt worden war. Nun erscholl plößlich ein vieltausendstimmiges »Hurrah «, wie wir es noch nie in München gehört haben. Wohl aber sahen wir manches Auge glänzen vor gerührter Freude über den herzlichen Einklang einer deutschen Stadt mit ihrem Fürsten und zugleich von freudiger kriegerischer Begeisterung für die große Mutter Germania. Wiederholt öffnete sich ein Seitenfenster des dritten Stocks, wo der König (neben dem neuen Wintergarten) seine bescheidene Wohnung aufgeschlagen hat; der jugendliche Monarch verneigte sich freundlich dankend gegen die Volksmenge und allemal erbrauste wieder frisch der Jubel und durchbrach die angestimmten Volksgesänge, das »Deutsche Vaterland « und die baierische Nationalhymne. Niemals war eine nationale Feier ursprünglicher, mehr aus des Volkes Herzen heraus geboren, niemals war sie herrlicher und ergreifender.«

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Schon am andern Tage (18.) brachte der Kriegsminister v. Prankh einen Gesezentwurf ein, worin er einen außerordentlichen Militaircredit von 26,700,000 Gulden forderte, einen Credit von dem man nur insoweit Gebrauch machen werde, als es der Verlauf der Ereignisse nöthig mache.« Nach dem Kriegsminister nahm der Minister des Auswärtigen Graf Bray das Wort. Er gab ein Resumée der Vorgänge in Ems, wies auf die am 13. früh, nach Zurückziehung der Throncandidatur, plöglich gesteigerten Forderungen Frankreichs hin und schloß mit dem Saße die spanische Candidaturfrage verschwindet, die deutsche Frage beginnt. «< Stürmischer Beifall folgte seiner Rede; ein Ausschuß wurde gewählt; am andern Tage schon (19.) sollte im Plenum die Berathung über den geforderten Militaircredit beginnen. Und so geschah es. Die Sizung vom 19., die bis in die Nacht hinein währte, war von solcher Wichtigkeit, zugleich von solchem dramatischen Interesse, daß wir sie, unter Einführung der Hauptredner, in Nachstehendem wiedergeben.

Die Sigung der baierischen Abgeordnetenkammer

am 19. Juli.

Referent Dr. Jörg (Archivar in Landshut und Herausgeber der Historisch politischen Blätter«) nahm das Wort, um über die Ausschußverhandlungen vom Tage vorher Bericht zu erstatten. Die Mehrheit des

Ausschusses, so begann er, habe beschlossen, die von der Regierung für Militairbedürfnisse geforderte Summe zu bewilligen, jedoch nur für Aufrechthaltung bewaffneter Neutralität. Man frage wohl, was bewaffnete Neutralität« sei. Im Ausschuß habe man diese Frage dabin beantwortet: »Bewaffnete Neutralität ist das ernstliche und prinzipielle Bestreben eines Staates, in den Krieg anderer Mächte sich nicht einzumischen, so lange ihn nicht eine direkte Bedrohung seiner eigenen Existenz zur Action zwingt.« Der Ausschuß habe, im Gegensaße zu der Staatsregierung, den casus foederis nicht für gegeben finden können und er habe darauf das Hauptgewicht bei seiner Abstimmung gelegt. Der Bündnißvertrag mit Preußen berühre uns bei den gegenwärtigen Verwickelungen rechtlich nicht; wir hätten allerdings nicht zu fragen und es sei ganz gleichgültig, wo materiell der Angriff erfolge und wer den Angriff mache; nur die Frage müsse uns erlaubt sein, welches die Ursache der traurigen Verwickelung sei. Diese Ursache aber liege außerhalb der Ehre und Integrität unseres Landes (Sensation). Frankreich sei sein (des Redners) Freund nie gewesen; aber Wahrheit müsse man auch für den Feind haben. Und wenn man die Geschichte der letzten Tage betrachte, müsse man die Gereiztheit Frankreichs begreifen. Ohne den Großmächten auch nur die geringste Mittheilung zu machen, sei der Prinz von Hohenzollern als Candidat für den erledigten spanischen Königsthron aufgestellt worden und der König von Preußen habe hierzu die Erlaubniß gegeben. Habe man in Berlin oder Ems nicht wissen können, was das in Varis bedeuten werde? Allerdings habe der Prinz auf die Krone wieder verzichtet, und von nun an habe Graf Bray gesagt, sei die Sache eine deutsche geworden. Er (Redner) frage, was denn nachher geschehen sei? Frankreich habe verlangt, daß der König von Preußen dem Prinzen Leopold nicht erlaube, eine auf ihn gefallene Wahl nachträglich noch anzunehmen. Nach den Mittheilungen und Actenstücken, die Redner gelesen, hätte es dem König von Preußen nur ein einziges Wort gekostet und den Völkern wären Ströme von Blut erspart worden. Das beweise am allerbesten die Depesche, welche der preußische Botschafter am Pariser Hofe über eine Unterredung zwischen ihm und dem Herzog v. Gramont und Ollivier nach Berlin geschickt habe. Aus derselben ersehe man, daß es nur Eines Wortes bedürft hätte, den Frieden zu erhalten. Keines der vielen Actenstücke, die Redner gestern und heute gelesen, habe ihn mehr erschüttert als dieses. Von da an habe der Gang der Dinge einen verhängnißvollen Verlauf genommen. Mit dem Bericht des dienstthuenden Adjutanten des Königs von Preußen wolle Redner die Kammer nicht einmal in einem Auszug belästigen. Von einer Beleidigung des Königs habe er darin kein Wort finden können. Er habe u. a. eine Note gelesen, welche Graf Bismarck an den norddeutschen Gesandten in

München gerichtet habe: es sei das einzig bemerkenswerthe Document gewesen, das er in dem Wust von Actenstücken vorgefunden. Es schließe mit den Worten: »Se. Majestät der König von Baiern werde ein Gefühl dafür haben, daß Graf Benedetti den König auf der Straße immer wieder zudringlich und wider Willen angesprochen habe.« Jhm (Redner) sei der Eindruck geblieben, daß der entbrennende Krieg seinen Ursprung einem wirklichen oder eingebildeten Verstoß gegen die Etiquette verdanke. (Große Sensation.) Das sei es, was ihm das Herz am schwersten mache. Wie die Sache stehe, könne der Ausschuß in keiner Weise mit der Aeußerung des Grafen Bray übereinstimmen, daß nach dem Verzicht des Erbprinzen die Angelegenheit eine deutsche geworden sei. Es sei nichts Anderes, als der Streit zwischen zwei Großmächten. ... Der Ausschuß habe ferner angenommen, wenn der casus foederis heute anerkannt werde, schlage sich die baierische Armee morgen unter preußischem Oberbefehl; Baiern hätte somit auf sein Heer jeden bestimmenden Einfluß verloren. . . . Bewaffnete Neutralität, das sei die Forderung der Ausschußmehrheit. Graf Bray habe selbst geäußert: wenn sich Neutralität für unser Land erlangen ließe, würde er sie unter den gegebenen Umständen als das Beste erächten; aber allerdings müßte diese Neutralität von beiden Mächten anerkannt werden. Was Frankreich anbelange, so habe es diese Frage bei unserem auswärtigen Amte bereits in Anregung gebracht und sich erboten, unser Gebiet zu respectiren, mit dem Anerbieten einer ausdrücklichen Garantie für die Pfalz. (Unruhe links.) Redner wolle kein Gewicht auf die Depesche legen, welche der baierische Gesandte Graf Quadt in Paris am 17. Juli nach München abgehen ließ und worin er mittheilte, die französische Regierung gebe uns für den Fall, daß wir neutral bleiben wollten, vorerst die Garantie, daß sie, selbst siegreich, keinen Fuß breit deutscher Erde nehmen wolle. (Gelächter links und auf den Galerieen.) . . . Noch einmal also, der Ausschuß verlange bewaffnete Neutralität: erstens weil uns kein rechtlicher Grund zur Betheiligung am Krieg binde (denn der casus foederis sei nicht gegeben), die Kammer dürfe also nichts Anderes vor Augen haben als das Interesse Baierns. Zweitens weil das Land sich in einer Zwangslage befinde, welche nur durch bewaffnete Neutralität behoben werden könnte.

Bürgermeister Fischer von Augsburg (von der Fortschrittspartei) tritt Jörg's Auslassungen zuerst entgegen. Was ihn schmerzlich bewegt habe, sagte er, sei der Umstand gewesen, daß der Referent immer nur von einem Krieg zwischen Frankreich und Preußen gesprochen habe. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit sollte doch so weit reichen, daß man von diesem Krieg nicht als von einem Krieg zwischen zweien uns fremden Großmächten sprechen dürfe.

Professor Sepp (von der Partei der »>Patrioten«) nahm hierauf das Wort. Er sprach heute zur Ueberraschung seiner Parteigenossen gegen den Ausschußantrag. Gestern, sagte er, habe er sich, zum ersten Male in seinem Leben, eine Rede einstudirt, er wollte für Neutralität sprechen; heute könne er die Rede nicht mehr brauchen, denn zwischen heute und gestern hätte sich die Lage der Dinge verändert, der furchtbare Appell an die Waffen sei erfolgt, das Gottesurtheil sei herausgefordert worden. Er gedachte dann der Rede, womit der König von Preußen den Reichstag eröffnet, wies auf dessen bestimmte Erklärung von der Bereitwilligkeit der süddeutschen Regierungen hin, an dem Kampf theilzunehmen, und folgerte aus dem Allen, daß der Militaircredit nicht verweigert werden dürfe. Gott gebe, so schloß er, den Waffen der Deutschen den Sieg!

Dr. Völk, dem Ausschußantrag auf bewaffnete Neutralität entgegentretend, sprach zunächst seine Freude über die Worte Sepp's aus und gab der Hoffnung Ausdruck, daß in der lezten Stunde Alle, vielleicht bis auf Einen, mit der Linken stimmen würden. Redner wies an der Hand der Geschichte nach, daß der Oberbefehl über die baierische Armee weder durch die Rheinbund, noch durch die deutsche Bundesacte dem König von Baiern anheimgegeben war, und doch hat man damals keine Klage über verlorene Souverainetätsrechte gehabt. Er führte die Rede Thiers', des alten Feindes Deutschlands, die Urtheile der englischen Presse an, die ein einstimmiges Verdammungsvotum gegen die Frivolität abgeben, mit welcher Napoleon den Krieg gesucht, und fuhr dann fort: Es ist Jedes Geschmacksache, wie viel er sich bieten läßt, und ich weiß nicht, wie oft der König von Preußen nach den Anschauungen des Ausschusses dem Grafen Benedetti noch hätte Rede stehen sollen. Wenn man aber die brüsten Reden der französischen Minister mit dem Betragen Benedetti's in Zusammenhang bringt, so sieht man auf den ersten Blick, daß sich, wenn er nochmals nachgiebig gewesen wäre, der König von Preußen gedemüthigt hätte, um sich hinterher doch schlagen zu müssen. Es war besser, daß er stolz geblieben ist und sich nun ungedemüthigt schlägt. Vom Rhein bis Kalkutta, ja über's Meer herüber von Amerika her, ruft man uns zu: "Wahrt die deutsche Ehre; in dieser Sache darf es keine Partei, kein Separatinteresse geben vorwärts zur Ehre des deutschen Namens! « Man erzählt uns, die Pfalz werde uns von Frankreich garantirt und darum könne man die Sache ruhig abwarten, ihrem Verlauf friedlich zuschauen. Diese Meinung kann ich nur als kindliche Naivetät betrachten und bezeichnen. Hat denn der Ausschuß die Erinnerung aus seinen Gedanken verloren, daß alle Störungen des Friedens, alle Abtrümmerungen deutschen Gebietes immer und immer nur von Frankreich ausgingen? Wenn wir uns heute be

schwaßen ließen, unsere Bundes, unsere Stammesgenossen im Stiche zu lassen, würde uns der Kaiser von Frankreich unser Gebiet garantiren. Sp sagt man uns. Ja, wer garantirt denn dem Kaiser von Frankreich, daß er im Stande ist, sein Wort zu halten? Der Kaiser soll sich selbst erst garantiren; wir können keinem Mann vertrauen, der die beschworene Staatsform drei Jahre später gebrochen hat. . . . bat davon gesprochen, daß wir übel wegkommen würden, wenn wir uns der Vertragserfüllung entschlügen. Gewiß. Man erinnere sich doch der Entstehungsgeschichte dieses Vertrages, wie sie von einem früheren Minister in diesem Saal gegeben wurde; das Kriegsglück war uns nicht günstig und wenn uns der siegreiche Gegner ganze Provinzen vom Leibe gerissen hätte, hätten wir es nicht verhindern können. Preußen hat es nicht gethan; es begnügte sich mit dem Abschluß dieses Vertrages und hoffte, daß derselbe ehrlich und aufrichtig. erfüllt werde. Der Ausschuß muthet uns zu, uns in die Ecke zu stellen, neutral zu bleiben: wenn wir vertragsbrüchig werden, ist Baiern jedenfalls mehr Schaden zugefügt, als wenn wir an der Seite unserer deutschen. Brüder in den Krieg ziehen. . . . . Der Geist von 1813 weht durch alle Gauen Deutschlands; Sie werden doch nicht glauben, daß er sich an den Mauern des baierischen Ständehauses brechen und hier eine Isolirung gestatten soll, welche nimmermehr zum Heile Baierns und Deutschlands gereichen kann. (Stürmisches Bravo!)

Pfarrer Westermaier (»Patriot«) erhob sich nun für den Ausschußantrag.

Sein Herz, sagte er, bliebe kalt und ungerührt, wenn man immer von einem deutschen Kriege, einer deutschen Sache spreche. Die spanische Thronfrage habe mit Deutschland nichts zu schaffen; das seien blos dynastische Interessen, die hier in Frage ständen. Auf beiden Seiten sei gefehlt worden und die Völker müßten nun für die Empfindlichkeit ihrer Fürsten bluten und sterben. Er spreche sich unter zweien Uebeln für das geringere aus. Er möchte den Pfälzern die Gräuel des Krieges nicht zutragen (die Pfälzer Abgeordneten rufen: »Wir scheuen sie nicht!«). Wenn aber im Nachbarhaus ein Dieb einsteigt, so muß ich mein eigenes Haus versperren und kann dem Nachbar keine Hülfe bringen. (Tumultuarische Unterbrechung. Die Abgeordneten der Linken fahren von ihren Sißen auf, Varon Stauffenberg ruft: »Pfui« und im Saale und auf den Galericen pflanzt sich im Nu das Wort der Verachtung fort.)

Der Abg. Levi (Pfälzer) versichert, daß in der Pfalz über die Anschauung, daß wir am Kriege theilnehmen müssen, eine Differenz nicht bestehe. Die Pfalz weiß, sagte er, was ihr bevorsteht. Wird Neutralität decretirt, so glauben Sie sicher, sind wir für Sie verloren. (Sensation.)

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