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Noch einmal der Sturm gegen St. Privat.

(Nach Berichten von Combattanten und Augenzeugen.)

»Die Entscheidung lag am linken Flügel; die Erstürmung von St. Privat durch die Garden und Sachsen gab den Ausschlag; «*) so sprachen wir S. 327 und 333 unser Urtheil aus. Wir wiederholen das bereits Gesagte auch an dieser Stelle wieder, um es zu rechtfertigen, daß wir diesen Entscheidungskampf, in Skizzen, wie sie unmittelbar nach der Schlacht entworfen wurden, noch einmal an dem Auge des Lesers vorüberführen. Erst diese Einzelnheiten geben ein volles Bild.

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Ein Offizier vom 3. Garde-Regiment schreibt:
Destlich von St. Marie liegt St. Privat.

Dasselbe ist ein

von massiven Mauern umgebenes steinernes Dorf, auf einer nach St. Marie

*) Prinz August von Würtemberg, Commandirender des Garde Corps, erließ am 19. von St. Marie aux Chènes aus folgenden Tagesbefehl:

In blutiger Schlacht hat Gott uns den Sieg verliehen, einen Sieg, dessen Größe

erst heute ganz zu übersehen ist.

Dem Garde - Corps war es vergönnt, zur Erreichung dieses Sieges in hervorragender Weise beitragen zu können.

Alle Truppen haben in Muth und Ausdauer gewetteifert.

Die Artillerie hat durch ihr vereinigtes Wirken an den entscheidenden Punkten und durch ihr ruhiges, sicheres Schießen selbst da, wo sie sich im feindlichen Infanteriefeuer befand, den Angriff der Infanterie erfolgreich vorbereitet und unterstüßt.

Der Sturm auf die von steinernen Mauern umschlossenen Dörfer St. Marie aug Chênes und St. Privat la Montagne ist dem kolossalen feindlichen Gewehrfeuer gegenüber von der Infanterie in einer Weise ausgeführt worden, die über alles Lob erhaben ist.

Fortgerissen von dem Beispiel ihrer Offiziere, warf die Infanterie mit den Jägern, Schüßen und Pionieren den Feind aus einer Position, die er selbst für uneinnehmbar hielt. Groß sind die Verluste, mit denen der Sieg erkauft ist, aber St. Marie aux Chênes und St. Privat la Montagne sind glänzende Lorbeerblätter, welche Ihr dem reichen Siegeskranz des Garde Corps neu hinzugefügt habt.

Ich bin stolz darauf, der commandirende General eines solchen Corps zu sein. Es lebe der König!

abfallenden Höhe gelegen. Vor der Enceinte des Dorfes liegt ein von steinernen Mauern umgebener Kirchhof. Das Feld zwischen beiden Dörfern platt wie ein Brett, ohne Graben, Busch oder Vertiefung. Beide Dörfer etwa 1500 Meter auseinander. — Um 51⁄2 Uhr erhielt die 1. Brigade den Befehl, durch St. Marie hindurch zu gehen, und formirte sich da, wo die Chaussee aus dem Dorfe herauskommt. Mit einem Blick sah ich, welche Aufgabe uns bevorstand, das hochliegende, mit massiven Mauern umgebene Dorf, den bastionartig vorspringenden Kirchhof, Alles gespickt mit Rothhosen, die ich durch das Fernrohr sehen konnte.

Der Angriff über die Ebene hinweg, wie über ein Glacis hinauf, schien mir nach den Regeln der Kriegskunst ein großes Wagniß zu sein. Aber dennoch wurde der Befehl ertheilt und es gingen in sechs Halb-Bataillons das 1. und 3. Garde-Regiment vorwärts. Die ersten hundert Schritte ging es unter mäßig starken Verlusten vorwärts. Mein Schimmel brach todt zusammen. Es kam nun ein unbeschreiblich heftiges Gewehr- und Mitrailleusenfeuer über uns; Mann nach Mann fiel; immer weiter vorwärts. Die Fahne bei meinem Bataillon fiel, der Träger todt - sie erhob sich wieder, von einem Andern getragen weiter vorwärts, ganze Reihen stürzten; es war entseßlich. Da sank ich plötzlich von einem heftigen Schlag gegen den Helm zu Boden; ich fühlte noch, daß beim Vorrücken des Bataillons mir mehrere Leute auf das Gesicht und den Leib traten, darauf eine Weile Nacht. Als ich erwachte, kamen viele Blessirte humpelnd zurück, dann noch einzelne Mannschaften und dann kleine Trupps Franzosen mit wüthendem Geschrei. Ich bat vorbeilaufende Leute, die dem Feuer wichen, mich mitzunehmen. Sie nahmen mich unter den Arm und nun ging es unter fürchterlichem Kugelregen zurück.

Andere Regimenter gingen vor; eine lange Weile schwankte der Kampf und raste in unerhörter Weise. Gegen 74 Uhr war das vollständig brennende Dorf genommen und Alles darin getödtet oder gefangen.

Ich befand mich mit vielen Verwundeten in einer Scheune von St. Marie, bekam von einem Johanniter Eis auf die Stirn und erholte mich nach einer Stunde so weit, daß ich mit verbundenem Kopfe die Reste des Regiments auf der Chauffee sammeln konnte. Eine Flintenkugel war unmittelbar über der Stirn in den Helm gedrungen und hatte Stücke des silbernen Garde-Sterns in die Kopfhaut getrieben; dieselben wurden sogleich mit einer Pincette entfernt und ich bin wieder gesund.

Gegen 84 Uhr waren 1100 Mann vom Regiment gesammelt. Am fürchterlichsten hat mein Halbbataillon gelitten. 6. Compagnie: 3 Offiziere, 115 Mann blessirt, 19 Mann todt; 7. Compagnie: 2 Offiziere, 32 Mann, 1 Feldwebel todt, 2 Offiziere und 88 Mann blessirt; sämmtliche Offiziere des

Vataillons sind todt oder verwundet. Das 2. und Füsilier-Bataillon unseres Regiments ist auf 2 Compagnieen formirt. Ich habe das 2. Bataillon. «

Ein Offizier vom 4. Garde-Regiment schreibt:

Es mochte jezt etwa 51⁄21⁄2 Uhr sein. Das Terrain, auf dem wir uns befanden, wie das ganze Schlachtfeld des 18., ist ein hügeliges, mit vielen kleinen Eichenwäldern bestandenes, die im Innern durch dichtes Gebüsch kaum zu durchdringen waren; dazwischen zogen sich Stoppelfelder hin. Links vor uns lag St. Marie und etwas rechts davon gerade vor uns St. Privat. Ersteres war zum Theil durch Wald verdeckt; aus letterem, einem freundlichen Dorfe, führt eine von hohen Pappeln begrenzte Straße nach dem etwa eine Meile entfernten Meh. Wir selbst standen im Augenblick in einer Waldblöße und beobachteten von da aus das Dorf und den Artilleriekampf, der bereits seit einer Stunde gegen die Linie Amanvillers-St. Privat geführt wurde.

Jezt entwickelten sich in Front unserer Artillerie-Linie kleine Schüßenzüge, denen bald andere folgten und nun wurde es auf einmal in jener bisher leblosen Pappel-Allee lebhaft; ein Kopf nach dem andern tauchte aus den Gräben hervor und bald war die Straße dicht befäet mit französischen Soldaten, die auf unsere Schüßenlinien feuerten. Hier und dort ging einer unserer Züge etwas zurück, immer und immer aber kam er verstärkt wieder hervor; zu fallen schienen wenige, die Kugeln gingen über sie hinweg und fingen an bei uns, in der Reserve, einzuschlagen. Nun war es für uns mit der ruhigen Beobachtung vorüber, die Zahl der Verwundeten nahm schnell zu und wir waren froh, als der Befehl zum Aufbruch kam. Noch einmal wurde dann Halt gemacht, nachdem wir einige Tausend Schritt vorgegangen waren.

Wir standen in heftigerem Feuer als vorher, und nirgends war ein Feind zu sehen. Die Soldaten lagen auf dem Voden, die Offiziere standen oder saßen zu Pferde neben ihnen. Todte und Verwundete mehrten sich, unser Brigadegeneral wurde in die Hand geschossen, massenhaft kamen die Verwundeten der übrigen Garde-Regimenter, die bereits vorgegangen waren, zurück, zum Theil mühsam von andern unterstügt, zum Theil auf unsern Tragbahren. Da, gegen 6 Uhr, ging es weiter, das Feuer aber, in das wir jest geführt wurden, entzieht sich jeder Beschreibung. Ohne daß irgend Jemand zu sehen war, der ein Gewehr abschoß, befand sich das ganze große, freie Terrain in einem Hagel von Kugeln. Ich kannte das Kleingewehrfeuer aus den beiden früheren Kriegen; solch dichtes Aufeinanderplagen von Kugeln, solche Ueberstreuung eines großen Feldes ohne irgend welche

Pause, ohne auch nur auf Minuten nachzulassen, das hatte ich nicht für möglich gehalten. Fast ausschließlich waren es Chassepot- und Mitrailleusenkugeln, selten nur Granaten. Daß auch nur einer unverwundet von diesem Ort zurückgekommen ist, erscheint mir noch heute wunderbar; nicht selten traf den eben zu Boden gestürzten Verwundeten eine zweite, eine dritte Kugel. Unser Verlust an Offizieren und Mannschaften stieg von Minute zu Minute. Schon fing es an zu dunkeln, und ich glaube es war wohl Keiner, der nicht gewünscht hätte, daß das Dunkel der Nacht dem blutigen Kampfe ein Ende machen möchte.

Noch war der Feind jedoch aus seiner legten Position zu vertreiben. Auf dem linken Flügel, im Centrum war Alles ruhig geworden, und nur auf unserm rechten Flügel, so erschien es mir, hielt noch der Feind die Anhöhe beseßt. Unser Bataillon ging vor, um auch hier ihn zu vertreiben. Bisher waren Tausende von Kugeln rechts und links von mir eingeschlagen, keine hatte getroffen, nur hier und da eine mein Pferd leicht gestreift, das dann heftig zusammenzuckte. Doch so ganz ohne einen kleinen Denkzettel sollte ich nicht fortkommen; eine Kugel durchbohrte meinen Rock, prallte aber, wie sich am andern Morgen herausstellte, auf dem Messingring des Säbelgurts ab und hatte nur noch die Kraft, diesen etwas unsanft in die Haut einzudrücken.) Da ich im ersten Augenblick den Thatbestand nur feststellen konnte, daß mich eine Kugel getroffen, erwartete ich vom Pferde zu fallen, sintemal es eine ziemlich allgemeine Erfahrung ist, daß der Getroffene, selbst wenn er nur eine leichte Verlegung davontrug, häufig zu Boden stürzt. Da

*) Solcher Rettungen, wie in jeder Schlacht, kamen zahllose vor. Nicht ohne ein gewisses poetisches Interesse ist die folgende. »In Ragaz, bei Ausbruch des Krieges, hatten sich alle anwesenden Deutschen, darunter auch Damen, um einen jungen Gelehrten versammelt, der eben aufbrach, um dem Rufe des Vaterlandes zu folgen. »Ich bin etwas abergläubisch), « wandte sich an ihn eine ältere Dame, »und möchte Ihnen gern noch irgend ein Amulet um hängen, das Ihr Leben in der Schlacht bewahren soll. Wo finde ich nur gleich eine Broche oder so etwas.« Der so Angeredete wies auf eine Rolle Goldes, die man ihm als Freundesgabe zu Kriegsbedürfnissen aufgedrängt hatte, und erwiederte halb scherzend: »Suchen Sie bei Leibe nicht nach weitern Amuleten; da liegt Ihr reiches Geschenk; jedes der Goldstücke kann ja, so Gott will, eine Kugel abbalten.« Vier Wochen später befand sich unser Dr. phil. mitten im Sturmlaufe wider St. Privat la Montagne. Wie Alles um ihn getroffen hinsinkt, erreicht's ihn auch. Im Fallen schreit er Hurrah und denkt: das war mein lehter Ruf. Doch nach einigen Augenblicken dünkt's ihm, als könne der Schuß nicht tödtlich sein, so wüthenden Schmerz er auch empfindet. Er springt in die Höhe. Zuerst will ihm der Athem noch nicht vorhalten, bald aber gelingt's ihm zu laufen und unter freudigem Hurrah stürmt er mit der wiedererreichten Colonne das Dorf, um welches so lange gerungen worden. Bald hernach brach der Abend herein. Nicht weit von einer brennenden Scheune stehend, fand er Muße, seine Wunde zu untersuchen. Der Rock, die Westentasche waren durchbohrt und aus der lezteren fiel ein vollkommen hohl geschossenes Zwanzig, Francs - Stück und eine plattgedrückte Kugel heraus. Plöglich stand ihm der Abschied aus Ragaz vor der Seele. Gerade noch Ein Goldstück vom damaligen Zehrgelde hatte er übrig. Die tödtlich gerichtete Kugel war daran abgeprallt.«

dies aber nicht geschah, so war ich zu der Annahme berechtigt, daß die Sache nicht so schlimm sein würde, und hatte die Freude noch zu sehen, wie unser Bataillon, unter Anführung seines Commandeurs, troß des heftigsten Feuers mit Bajonet und Kolben den hartnäckigen Feind von der Höhe vertrieb.

Während des Orbnens verlor ich in der Finsterniß mein Bataillon, und viel schrecklicher noch, als das laute Gewühl der Schlacht, war der stille Ritt, den ich jezt durch das Schlachtfeld machte. Die größte Sorge, die ich hatte, war die, den französischen Feldwachen in die Hände zu fallen; zeigte doch der nächste Morgen, daß wir kaum 800 Schritt von ihnen ent fernt waren. Langsam und vorsichtig schritt mein Pferd zwischen den herum. liegenden Todten und den zahlreichen Verwundeten hindurch; oft fuhr es schreckhaft zusammen, wenn plößlich neben seinen Füßen der Ruf: »Wasser!« oder »Tragt mich fort!« oder nur lautes Stöhnen ertönte. Keinem der Unglücklichen vermocht' ich unmittelbar zu helfen; meine Flaschen waren leer, ich allein konnte Keinen forttragen und es blieb mir nur übrig, tröstend zuzurufen, daß die Hülfe nicht fern sei. Vielen von ihnen kam sie wohl zu spät. Hier und da traf ich einen schwarzen Haufen, der aus den Resten der zusammengekauert daliegenden Bataillone bestand. Sie bivouakirten lautlos, ohne Feuer; die Meisten schliefen schon. Ich rief den Namen meines Regimentes. »Nein.« Wo ist es? »Wir wissen es nicht.« In der Ferne leuchteten drei in Brand geschossene Dörfer, ich ritt auf eins derselben zu. Da am Rande. des Waldes wurde zu meiner großen Freude der Ruf nach meinem Regimente mit Ja« beantwortet. Man hatte mich schon verloren gegeben, und freute sich mich wieder zu sehen. Aber nur wenige Worte, dann war Alles wieder still. Keiner hatte Lust zu reden; eine dumpfe Stille herrschte; hatten doch auch wir die Hälfte unserer Offiziere verloren und noch kannte Keiner die Größe des Sieges. « *)

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*) Am andern Morgen gelangten wir aus unsern Positionen in die, welche die Franzosen während der Schlacht inne gehabt hatten. Ein ganzes großes Zeltlager lag hinter St. Privat; eine kurze Ruhe in demselben gestattete uns, dasselbe näher zu untersuchen. Die Franzosen hatten sich hier häuslich eingerichtet, als ob sie gemeint hätten, aus dieser Position nie vertrieben werden zu können; Alles aber deutete darauf hin, in welch' wilder Haft sie es verlassen. Wir fanden Datteln, Sardinen, Confitüren der verschiedensten Art, Effenzen, Maccaroni, Zucker in großen Massen und Dinge, deren Namen wir zum Theil in unserm Bivonacleben schon vergessen hatten. Besonders interessant war mir eine große Anzahl dicker Bücher und kleiner Brochüren über Deutschland, Geographieen, Pläne von deutschen Festungen, les bords du Rhin illustré ich will sie bei meiner nächsten Rheinreise benüßen. Da lagen massenhaft kleine Päckchen mit Cigarettenpapier. Was irgendwie brauchbar und transportabel war, wurde mitgenommen; Einer beschaffte sich einen neuen Sattel, ein Anderer einen neuen Degen, Jener einen neuen Revolver; Dieser zog ein Paar feine Pariser Stiefel an und ließ die plumpen deutschen zurück; die Bataillonsqusik rüstete sich mit neuen Justrumenten

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