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wäre. Aber diese seine eigene Macht war seit Jahr und Tag erheblich, vielleicht tief erschüttert; Concession reihte sich bereits an Concession; das Plebiscit täuschte Niemanden, auch den nicht, den es neu bestätigte, und umdrängt und umdroht von den immer mächtiger werdenden liberalistischen. Parteien aller Arten und Grade, sah sich der Kaiser veranlaßt, ein — gezwungen - freiwilliges Bündniß mit dem Chauvinismus als leztes Rettungsmittel zu wählen. Dies war gleichbedeutend mit Rheingrenze und Marsch auf Berlin.

Die Schwäche, die Unordnungen, die Verlegenheiten des Kaiserreiches, indem sie dasselbe den nationalen Exaltados in die Arme trieben, sie schufen den Krieg.

Seitdem wir das Vorstehende niederschrieben, ist die diplomatische Controvers Literatur noch durch ein weiteres »Rechtfertigungsbuch« bereichert worden, über dessen Inhalt wir nicht ohne Notiznahme hinweggehen können. Wie Benedetti, so hat schließlich auch der Herzog v. Gramont gesprochen. Er sucht in seinem Büche den Beweis zu führen, daß Preußen den Krieg gewollt habe, daß es ihn gewollt habe, weil es ihn brauchte. »Natürlich wird man dies leugnen,« so schreibt der Herzog, »aber was würde in Preußen nicht geleugnet?! Die Ableugnung daselbst ist zu einem System geworden, welches seit beinahe zwölf Jahren mit ebenso viel Ausdauer als Kühnheit betrieben wird. Man studire den dänischen Krieg, die Verhandlungen, welche ihm vorhergegangen und gefolgt sind, dazu diejenigen, welche die Ereignisse von 1866 begleiteten, Verträge, Conventionen, Versprechungen, Verpflichtungen und Erklärungen, und man wird sich in jene Epoche zurückversezt glauben, in welcher ein Diplomat über Oliver Cromwell schrieb: »»Er bedient sich unterschiedslos der Lüge und der Wahrheit, ohne der einen oder der anderen einen besonderen Vorzug zu geben, den Anforderungen des Augenblicks folgend, und, da er gegenwärtig sehr mächtig ist, dekretirt er, Wahrheit sei Lüge und Lüge sei Wahrheit, wie es ihm bequem ist.«« Sollte man nicht glauben, dieses Bild sei gestern entworfen? Um vollständig zu sein, fehlt ihm nur ein einziger, trauriger Punkt; mån müßte hinzufügen, daß das System zur Schule geworden ist, und daß der Meister Jünger findet, sogar unter seinen Opfern. <<

Nach dieser die Gemüther geschickt vorbereitenden Einleitung fährt der Herzog fort: »Wir wollten den Krieg nicht. Während ich es 1866 bitter beklagte, daß Frankreich in die Lage gekommen war, sich von Preußen ins Schlepptau nehmen zu lassen, während ich es damals vorausempfand, welche Folgen jene bedauernswerthe Unthätigkeit nach sich ziehen würde, so war ich doch 1870 weit entfernt davon, den Krieg mit Preußen zu wollen. Der Norddeutsche Bund, wie ihn das Jahr 1866 geboren, war eine Verlegenheit für Preußen, eher eine Zersplitterung, als eine Steigerung seiner Kraft, und in Frankreichs Interesse lag es, einfach die Zeit ihr zerstörendes Werk vollenden zu lassen. Preußen, um dem zuvorzukommen, brauchte den Krieg. Ich gehörte 1870 zur Friedenspartei, weil ich der vollen Ueberzeugung lebte, daß Preußen um jeden Preis und zwar in Kurzem den Krieg dennoch entzünden werde. Frankreich lag nur ob, sich für das Unausbleibliche vorzubereiten. Dies geschah. Rascher als ich erwartet hatte, hatten wir die preußische Provocation (die hohenzollernsche Throncandidatur) und mit dieser Provocation den Krieg. Niemals hätte ich mich zu einem Angriffskrieg verstanden; als man uns aber den Handschuh hinwarf, nahmen wir ihn auf. Wir mußten es, wir glaubten es auch zu dürfen. Dies war unser Fehler. Zu viel Vertrauen auf unsere Militairmacht, zu viel Vertrauen auf unsere kriegerischen Tugenden, welche niemals eine Niederlage erfahren haben,*) der blendende Glanz einer glorreichen Vergangenheit haben Frankreich, seine Repräsentanten und seine Regierung zu einem ungleichen Kampf hingerissen. Man glaubte sich zu stark, um sich beugen zu sollen, und man verstand es nicht, dem so fein angelegten und durch das Verliner Cabinet geleiteten Provocations - System zu widerstehen. Das verwundete Nationalgefühl regte sich, der Krieg wurde mit Elan angenommen, aber er war nicht gewünscht worden, weder von dem Kaiser, noch von seiner Re

*) Keiner Anschauung begegnet man bei den Franzosen häufiger als dieser. Sie glauben allen Ernstes: nie besiegt worden zu sein. Es schwindelt einem bei dem Anblick der artig fixer Ideen, die nicht blos mit der Weltgeschichte, sondern sogar mit einer histoire française in Händen, sich so leicht als falsch erweisen lassen. Die französische Kriegsgeschichte ist nicht anders wie jede andre, sie seht sich aus Siegen und Niederlagen zusammen. Es giebt ganze Epochen, wo sie immer unterlagen, so beispielsweise in den Kämpfen gegen Eduard III. und Karl V., während des spanischen Erbfolgekrieges und des 7jährigen Krieges. Crecy, Poitiers und Azincourt, Marignano und Pavia, Höchstädt, Oudenarde und Malplaquet, Roßbach und Minden, Leipzig und Waterloo, bilden eine Reihenfolge höchst stattlicher Niederlagen, wie sie keine andre Nation besser aufzuweisen hat. Dennoch bleiben sie bei der Vorstellung von ihrer »Invincibilität«. Wenn man sie schließlich in die Enge treibt, so geben sie zu, »dem gesammten Europa gegenüber einige wenige Male unterlegen zu haben«. Dieser Dünkfel (wie der Herzog v. Gramont sehr richtig empfindet) zählt mit unter den Factoren, die die große Niederlage verschuldeten. Man war Franzose, das war die beste Garantie des Sieges.

gierung, noch von Frankreich selbst.) Niemand in Frankreich bedurfte des Krieges, für Preußen war er nöthig und unentbehrlich, war er eine Lebensfrage, wenn das Werk von 1866 Bestand haben sollte. «

Als Ansicht mag dies Alles bestehen, als Beweis dafür, daß Preußen dessen König, Minister und Generale in allen mitteleuropäischen Badeörtern zerstreut waren - den Krieg gewollt habe, weil es ihn brauchte, als Beweis dafür können solche Ansichten aber nicht gelten, am wenigsten, wenn sie von einem so schwer belasteten Manne herrühren, wie der Herzog v. Gramont ist. Wir wollen nicht in seinen Fehler verfallen und ihn nach Hörensagen charakterisiren; ein wenig rühmliches Zeugniß würden wir niederzuschreiben haben. Er selber mittlerweile ist desto unkritischer in der Wahl seiner Argumente, die herbeizuschaffen er wenigstens versucht. So handelt es sich beispielsweise um einen Brief, den Graf Bismarck an den Marschall Prim gerichtet haben soll und welcher angeblich folgende Worte enthält: »Die Candidatur des Prinzen von Hohen zollern ist an und für sich eine ausgezeichnete Sache, welche man nicht aufgeben muß und welche im rechten Augenblick erwünscht sein kann.« Von diesem Brief behauptet der Herzog wiederholt und nachdrücklich, daß er

*) Man kann diesen Saß, »daß weder der Kaiser, noch die Regierung, noch Frankreich den Krieg gewollt hätten,« eben so gut zugeben, wie man ihn schließlich doch immer wieder und wieder bestreiten muß. Wir persönlich glauben zunächst ganz aufrichtig, daß der Kaiser, sein erster Minister Ollivier (wegen Gramont's unterhalten wir starke Bedenken) und die große Majorität des Volkes den Krieg nicht gewollt haben; eine rührige Minorität aber, die sich aus den verschiedensten Elementen zusammenseßte, aus Chauvinisten, Ehrgeizigen, Unzufriedenen und Umstürzlern von Fach, wollte den Krieg allerdings, die Einen aus Haß gegen Preußen, die Andern aus Haß gegen Napoleon, und dem Andringen dieser immer mächtiger werdenden Phalang konnte der immer schwächer werdende Kaiser nicht widerstehen. So wollte er schließlich den Krieg (wie wir das S. 22 bereits im Texte ausgeführt haben), nicht weil er ihn wollte, sondern weil er ihn wollen mußte. Einer Anekdote nach, die, wenn sie erfunden ist, wenigstens gut erfunden wurde, gab im legten Momente die Kaiserin den Ausschlag. Als am 13. Juli in St. Cloud, wo der Kaiser, die Kaiserin, Gramont und der italienische Gesandte, Ritter Nigra, anwesend waren, die telegraphische Depesche eintraf, daß der Erbprinz entsagt, und der König diese Entsagung gut geheißen habe, ruhte das Auge des Kaisers Minuten lang auf dem Telegramm; endlich sagte er ruhig: »Je vais encore une fois donner au monde un grand exemple de ma modération.« »De ton envachissement« †) rief Eugenie, riß ihm die Depesche aus der Hand und zerknitterte sie. »Er hatte 20 Minuten für den Frieden, sie 1 Sekunde für den Krieg gebraucht.« So schließt die Erzählung. Daß ein gewisses spanisch-katholisches Element dies Wort nicht national, sondern lediglich als Kennzeichnung einer bestimmten Art von Katholicismus genommen mitschürte und den Krieg wollte, weil es sich für seine Interessen etwas von diesem Kriege versprach, scheint uns mindestens wahrscheinlich.

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†) De ton envachissement ist unübersehbar. Wörtlich würde es heißen (von la vache, die Kuh, abgeleitet) von Deiner Verkubung«. Es ist Jargon, Kraftsprache, und enthält die Doppelanklage geistiger Versimplung und physischer Erschlaffung.

existire; zwar er selbst hat ihn weder gesehen, noch gelesen, giebt aber vor, zuverlässige Gewährsmänner zu kennen, deren Namen nichts zur Sache thäten und welche ihm Details aus demselben mitgetheilt hätten. Welche Mesquinerieen! Ob der Brief existirt, bleibt mindestens zweifelhaft, und wenn er existirt, was wäre an Beweismaterial damit gewonnen! Der König, nach längerem Zögern, hatte schließlich die Throncandidatur des Erbprinzen Leopold gut geheißen, diese Thatsache ist nie bestritten worden; welch neue Schuld, welch neuer erschwerender Umstand kann noch aus dem Sage seines ersten Ministers hergeleitet werden, daß diese Candidatur eine ausgezeichnete Sache sei?!«

Das Buch des Herzogs v. Gramont mag Bagatellen berichtigt und häusliche Streitpunkte (namentlich zwischen dem Herzog und dem Grafen Benedetti) aufgeklärt oder zu allgemeiner Kenntniß gebracht haben, an dem Verdict der europäischen Jury hat es nichts zu ändern vermocht. Refuges of lies - so schreibt Thomas Carlyle im Hinblick auf Frankreich were long ago discovered to lead down only to the Gates of Death Eternal.< Wenn der Herzog v. Gramont aber sein Buch in gutem Glauben schrieb, wenn es nicht »Refuges of lies« waren, zu denen er griff, so war er vorurtheil - geblendet und beschwor einen Zusammenstoß dadurch herauf, daß er mit Fanatismus an den Krieg glaubte, ihn beständig als drohendes Gespenst vor Augen sah.

Ueber dies Beneficium hinaus, das ohnehin eine allergünstigste Voraussetzung hat, ist dem Herzoge und seinem Buche nichts Weitres zu bewilligen.

Bis zur Kriegserklärung.

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