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der Menge. Und welche Menge! Greise, Frauen mit Säuglingen auf den Armen, kleine Mädchen von 3 bis 4 Jahren, Geschrei, Geheul, Gekreische, unendliche Trostlosigkeit. Man raffte an sich, so viel man eben mitschleppen. konnte, und zuweilen auch noch mehr, als man zu tragen vermochte. Die Männer sinken unter der aufgebürdeten Last zusammen, selbst Kinder müssen tragen helfen. Wohin gehts? keine Antwort. Nach einem einstündigen Marsche gelangen wir in das erste Dorf, welches sich ebenfalls zur Flucht anschickt: Ochsen, Kühe, Alles wird vor uns hergetrieben. Matraßen, Leinwand, allerlei Effekten werden thurmhoch auf vierräderige Wagen geworfen und dabei wächst die Zahl der Flüchtigen mit jedem Schritte. Ich höre zwei Personen französisch sprechen, bitte sie um Aufklärung wegen dieser allgemeinen Auswanderung und höre nun endlich, daß der Zug einem Plateau zugeht, wo wir nach 5. bis 6stündigem Marsche über steile und abschüssige Wege anlangen würden. Welches traurige Schauspiel bot sich auf dem ganzen Wege meinen Augen dar! Man hat eine ganze Bevölkerung vor sich, nirgends Vertrauen mehr. Es ist das Bild einer einbrechenden Invasion. Ich will die Schilderung dieser trostlosen Scenen nicht weiter fortseßen. Um Mitternacht machten die Schaaren von Männern, Weibern und Kindern in einem großen Flecken Halt, dessen deutschen Namen ich vergessen habe. Für mich ist an Schlaf nicht zu denken. Ich sehe jedoch, wie Einzelne auf Schulbänken und in verlassenen Ställen ein Pläßchen der Ruhe gefunden haben. Man unterhält sich lebhaft, aber in deutscher Sprache, und ich glaube aus den Bewegungen zu schließen, daß die Wuth gegen die Führer unserer Armee groß ist. Gegen 5 Uhr Morgens entdecke ich endlich in einem Wirthshause noch ein Gefährt, was mich nach Saarburg führt; ich treffe dort Abends 4 Uhr ein. Hier finde ich das Armeecorps Mac Mahons wieder; dieses so decimirte Corps, das ich am Abende vorher in Zabern gesehen, eine Unzahl Soldaten waren ohne Waffen, ohne Tornister, ohne jegliche Equipirung. Zabern ist auch verlassen und dieser Schlüssel der Vogesen somit dem Feinde überliefert. Auch Saarburg ist wie Zabern geräumt.«

Die Panique war da; nur eines (nach herkömmlicher Art der Franzosen) hielt gleichen Schritt mit ihr: die Anklagen, die Vorwürfe, die Verwünschungen. Auch Herr Texier, aus dessen Berichten wir vorstehend citirt, ließ es daran nicht fehlen. So schrieb er an anderer Stelle:

»Offiziere und Soldaten sind wüthend, sie halten sich für verrathen. Die Unfähigkeit war in der That zu groß. Ich habe Offiziere und Soldaten aller Waffengattungen gesprochen, und Alle stimmten überein in dem Ausdrucke ihrer Klagen und ihrer Entrüstung. Beim Beginne der Schlacht, am 6. Morgens, hatten sie noch nicht einmal Kaffee erhalten, sie schlugen fich bis 6 Uhr Abends, ohne seit 24 Stunden auch nur das Mindeste ge

nossen zu haben. Abends nach der Schlacht wurde ebenfalls nichts verabreicht. Ein Soldat sagte mir: »Seit vier Tagen haben wir ausschließlich von Kar toffeln gelebt, die wir von den Feldern holten!« Ich habe noch niemals ein solches Schauspiel der Desorganisation gesehen. Das Mißvergnügen richtet sich jedoch nicht blos auf diesen Punkt. Die Armee Mac Mahons mußte sich ohne alle Unterstüßung schlagen. Man hat es ihr überlassen, sich aus der Affaire zu ziehen, so gut es eben ging. Ganze Regimenter sind verschwunden, Bataillone niedergeschossen. Bei den sech 8 Cürassier Regimentern sind 122 Offiziere getödtet; diese Regimenter wurden durch einen bis jetzt noch unaufgeklärten Befehl genöthigt, einen durch ein Gehölz gedeckten Feind anzugreifen, der unsere Soldaten fast vor dem Flintenlauf und auf einem Terrain niederschoß, auf dem sie nichts ausrichten konnten; außerdem gingen sie mit ungeladenen Pistolen zur Attake vor, man hatte vergessen, Patronen unter sie zu vertheilen. Und so kam es denn, wie es gekommen ist. Dazu keine Communikationen, man weiß nicht einmal, wo die Armee ist, die der Kaiser kommandirt. Am 6. ersireckte sich Frankreich im Osten bis Straßburg, am 7. hörte es in Zabern auf, am 8. in Saarburg. Ich weiß nicht, wo morgen unsere neuen Grenzen sein werden. Das gleicht einem vollständigen Selbstaufgeben, einem Sauve qui peut! Man hatte uns den Feldzug in Preußen angemeldet, man führt uns den Feldzug in Frankreich auf.«

Verluste. Trophäen.

Groß wie der Erfolg, waren auch unsere Verluste.

Wir hatten diesen Sieg theuer erkaufen müssen, in runder Summe eben so hoch, wie vier Jahre vorher den Sieg bei Königgräß. Auch mit etwa eben so vielen Divisionen waren wir im Gefecht gewesen. Unsere Einbußen beliefen sich auf nahe an 8000 Mann an Todten und Verwundeten, darunter über 400 Offiziere. Dieser unverhältnißmäßige Verlust an Offizieren war besonders schmerzlich. Das Verhältniß der Offiziere zu den Mannschaften in Reih und Glied ist bekanntlich das von 1 zu 50; in den Verlusten aber stellte es sich wie 1 zu 20, ja, wenn wir auf die Gefallenen blicken, wie 1 zu 13. Am meisten gelitten hatten das V. und XI. Corps, von jenem besonders die Regimenter 16 und 46, sowie das 50., 37. und 47. Regiment, von diesem das 95. und 83. Jedes dieser Regimenter hatte mindestens ein Drittel seiner Offiziere eingebüßt. Oberst v. Burghoff vom 47., Oberst Köhn v. Jaski vom 88. Negiment waren todt; General v. Bose, Commandeur des XI. Corps, war zweimal (in Schenkel und Fuß) verwundet worden, Oberst v. Veckedorff vom 95. Regiment erlag seinen Wunden. Von der 10. und 21. Division waren alle Regimentskommandeure schwerer oder leichter getroffen worden.")

Viel größer noch waren die Verluste des Gegners, wenn auch vielleicht nicht an Todten und Verwundeten (da er in vortrefflichen Positionen focht), so doch in Folge seiner Einbuße an Gefangenen. Die Zahl derselben betrug wenigstens 6000, darunter über 100 Offiziere. Außer General Raoult, der seinen Wunden erlag, war der Generalstabschef Mac Mahons, General Colson, geblieben. An Trophäen waren uns 2 Adler, 6 Mitrailleusen und 35 Geschütze in die Hände gefallen. Einer der Adler (vom 36. franzö *) Auch die Verluste der Baiern, die im Wesentlichen nur mit zwei Divisionen, mit der 1. und 4., im Gefecht gewesen waren, waren bedeutend. Das I. Corps, v. d. Taon (Division Stephan), verlor 37 Offiziere und 746 Mann, das II. Corps, Hartmann, 36 Offi. ziere und 661 Mann.

sischen Linienregiment) war von einem Soldaten des 2. baierischen Regiments erobert worden; die verhältnißmäßig größte Zahl von Geschüßen (10) erbeutete das 83. Regiment.

Am 7. Ruhetag; am 8. Vormarsch bis an die Vogesen. Das II. baierische Corps hatte wieder (wie bei Wörth) den äußersten rechten Flügel, dann folgte, nach links zu, das I. baierische, dann das V., dann das XI. Corps. Zwischen dem V. und XI. Corps marschirte die würtembergische Division. Nur die badische Division blieb im Elsaß zur Deckung der linken Flanke zurück. Wir werden ihr später bei der Belagerung von Straßburg wieder begegnen.

Das Hauptquartier des Kronprinzen war am 8. in Merzwiller, am 9. in Obermottern am Fuß der Vogesen, am 10. und 11. in Petersbach. Die III. Armee hatte in zwei Tagemärschen die Vogesen glücklich durchschritten. Auf diesen Marsch kommen wir an andrer Stelle zurück. Am 11. erließ der Kronprinz folgenden Tagesbefehl:

»Soldaten der III. Armee. Nachdem wir mit dem siegreichen Gefechte bei Weißenburg die französische Grenze überschritten und darauf durch den herrlichen Sieg bei Wörth den Feind gezwungen haben, den Elsaß zu räumen, sind wir heute bereits über das Gebirge der Vogesen hinaus, weit nach Frankreich hineingedrungen, und haben die Verbindung mit der I. und II. Armee erreicht, vor deren Erfolg der Feind ebenfalls weichen mußte. Eurer Ausdauer im Ertragen aller Schwierigkeiten und Anstrengungen verdanken wir die bedeutungsvollen Ereignisse. Ich danke Euch im Namen 'des Königs von Preußen, unsres Oberfeldherrn, sowie in dem der verbündeten deutschen Fürsten, und bin stolz, mich an der Spiße eines Heeres zu befinden, welchem der Feind bisher nicht Stand zu halten vermochte und auf dessen Thaten unser deutsches Vaterland mit Bewunderung blickt.«

Die III. Armee zog weiter in Lothringen hinein. Auf diesem Vormarsche werden wir uns später ihr wieder zugesellen.

Das Schlachtfeld von Wörth

(am 28. September 1870).

Am 28. Mittags waren wir in Sulz,

Soultz sous forêts (unterm

Wald), wie an den Straßentafeln stand. Alles war in Aufregung; die Nachricht von der Capitulation Straßburgs war eben eingetroffen. Am bestürztesten erschienen einige junge Zuaven Offiziere, die, am Tage von Wörth verwundet und in die Sulzer Lazarethe geschafft, hier ihrer Genesung entgegensahen. Der eine freilich zeigte noch mehr Verstimmung als Bestürzung und trug überhaupt Allüren zur Schau, als befänden wir uns noch in Soultz sous forêts und nicht in Sulz unterm Wald.

Nach einigen Schwierigkeiten war ein Einspänner gemiethet; der Wirth fuhr selbst; ein junger Würzburger, den die patriotische Neugier hinausgetrieben, gesellte sich uns als Dritter; so ging es in die stille, sonnenbeschienene Landschaft hinein. Alles ein Bild des Friedens, nirgends die Spuren des Kriegswagens sichtbar, der erst sieben Wochen früher über diese Felder hingegangen war.

Von Sulz bis Wörth, auf nächstem Wege, ist anderthalb Meilen ¡ wir schlugen aber, in südlicher Ausbiegung, einen Umweg ein, um genau die Linie zu halten, auf der am 6. August unsre in Reserve stehenden Truppen vom XI. Corps, sowie die Würtemberger, zum Angriff vorgegangen waren. Der Umweg führte uns durch mehrere Dörfer.

Diese haben noch ganz den deutschen Charakter und weichen sehr ab von den steinernen, baum- und schmucklos daliegenden Ortschaften, wie man ihnen beispielsweise schon in Lothringen begegnet. Im Elsaß, wenigstens auf dem Lande, findet man hohe, zweistöckige Fachwerkhäuser, die Fächer geweißt, die Balken geschwärzt, und über dem Ganzen ein steiles Giebeldach. Von der überall herrschenden Wohlhabenheit tritt einem wenig oder nichts entgegen; der Blousenmann, der neben dem langen, eigenthümlich bepackten

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