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Der Rhein.

An der Saar hatte das Vorspiel« begonnen; aber das linke Rhein

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ufer, wie es das eigentliche Object des Krieges war, mußte, aller Wahrscheinlichkeit nach, auch zum Schauplaß des Krieges werden. Die Phrase, je nachdem sie chauvinistisch oder imperialistisch war, verlangte »Revanche für Sadowa«, oder »die Befreiung Deutschlands«, in Wahrheit aber handelte es sich neben allem Gloire Bedürfniß um ein rheinisches Nizza - Savoyen, um Herstellung der »natürlichen Grenzen«. Sehr wahrscheinlich, daß der Kaiser, bei der Unsicherheit des Ausganges (wovon er persönlich eine starke Ahnung hatte), diesen Lieblingsplan jedes Franzosen seit Ludwig XIV. vertagt oder begraben hätte, da aber, wie wir S. 23 gezeigt zu haben glauben, die Verlegenheiten« einmal da waren und dem zweitem Empire hinsichtlich der Kriegsfrage keine Wahl ließen, so war man in den Tuilerien praktisch genug, um neben dem Jdeellen auch das Materielle zu wollen. Dieses Materielle war die baierische Pfalz und das Dreieck zwischen Aachen, Coblenz, Saarbrücken.

»Der Rhein war Object, wie muthmaßlicher Schauplah des Krieges,« so sagten wir, der Rhein, der vielleicht kostbarste und heiterste Streifen Landes, den die heutige Erde aufzuweisen hat. Hier verwirklicht sich seit einem Menschenalter und länger, was die Philantropen des vorigen Jahr. hunderts »die Glückseligkeit des Menschengeschlechtes« nannten, schöner, reicher und voller, als es jene Menschenfreunde in ihrer traurigen Zeit jemals zu ahnen und zu prophezeien wagten. Der Fleiß der Einwohner, ihr leb haftes Naturell, ihr unternehmender Geist in Verbindung mit einer, wie im Bewußtsein ihrer ausgestreuten Wohlthaten, lachenden Natur haben eine Welt geschaffen, die kaum ihresgleichen hat, selbst nicht in den begünstigtsten Zonen, eine Welt, die der Hypochonder der entferntesten Gegenden aufsucht, um sein verfinstertes Gemüth aufzuheitern. Er badet

feine Seele in dieser Atmosphäre der Schönheit und des Glückes, wie seinen kranken Leib in den Heilquellen, die hier überall aus dem Boden springen. Es ist das Land, das keinen Bettler kennt und keine trübseligen Gesichter. Die lustige Pfalz, »Gott erhalt's«, die lieblichen Säume des badischen Schwarzwaldes, der langgestreckte Garten der Bergstraße, das Ganze eine ununterbrochene Perlenschnur von Schönheiten und von Wohnungen des Glückes. Und mitten durch diese Welt wandelt der gewaltige Strom, wie einer der vier Hauptströme des Gartens Eden, Wohlthaten an beiden Ufern ausstreuend, die mehr werth sind, als alle Nibelungenschäße, die in seinem Schoße geborgen liegen. Auf keinem Strome der Welt, einige kurze Mündungen englischer Flüsse ausgenommen, findet sich ein solcher munterer und lebhafter Verkehr, wie auf diesem gesegneten Rhein; seine unzähligen Boote und Dampfschiffe, die Schienenwege rechts und links reichen kaum aus, die Völker, die sich an seinen Ufern drängen, und die Erzeugnisse menschlichen Fleißes ihren Zielen entgegenzutragen. So weit er seine Windungen erstreckt, wachsen die alten Städte, die noch der Römerzeit ihre Entstehung verdanken, ja entstehen neue auf beinahe amerikanische Weise, und selbst die Dörfer sind Stätten der Bildung, des Genusses, der Wohlhabenheit geworden. Und das Alles rein aus dem glücklichen Boden dieser warmen Erde und des thätigen Bürgerthums erwachsen und erblüht und zu Früchten geworden, an deren Anblick sich das ganze deutsche Vaterland erfreut! Da ist kein Fuß breit Erde, der nicht kostbar, kein Menschenherz, das nicht vom Geiste der Ge sittung angeweht wäre. Was wir seit einem Jahrhundert singen: »Gesegnet sei der Rhein«, es ist an seinen Ufern aufs herrlichste in Erfüllung gegangen. Und dieses echtdeutsche Land, dieses Kunstwerk, blühend`in Jugend und Schönheit, es sollte uns jezt (zuvor verwüstet und niedergetreten vielleicht) entrissen werden, um in Zukunft an den »civilisatorischen Aufgaben Frankreichs, an seiner »höheren Cultur und Freiheit« theilzunehmen. Wohl uns, die linksrheinische Bevölkerung sie kannte diesen Vogelstellerruf seit lange, und kein Gimpel war da, der Lust gehabt hätte, sich locken zu lassen. Man kannte dies Lied seit 1693 her, wo General Mélac, der Pfalzverwüster, auch schöne Worte gehabt hatte, deren Ausgang, damals wie später, Naub und Plünderung und Mord gewesen war. Zum Wahrzeichen daran ragt bis diese Stunde die Ruine des Heidelberger Schlosses auf und die Tage, die den herrlichen Bau zerstörten und die Stadt unten zu einem Trümmerhaufen machten, sind unvergessen im Lande. Nicht blos in den Chroniken, auch in den Herzen stehen sie geschrieben.

»Es war am 22. Mai 1693, da rückten die Schaaren des General Mélac, ohne auf Widerstand zu stoßen, in die verrathene Stadt Heidelberg ein. Kaum aber waren sie darinnen, so begannen sie mit Sengen, Brennen, Weiber

und Jungfrauen-Schändung, Morden Wehrloser und solcherlei schnöder Arbeit; die Bürger, so nicht mehr in das Schloß flüchten konnten, wurden entweder niedergehauen, oder wenigstens jämmerlich gestoßen, geprügelt, oder sonsten grausamlich mißhandelt, die meisten auch beraubt und nackt ausgezogen. Die Stadt selbst wurde durch fünf Regimenter geplündert und danach angesteckt. Was die Franzosen schließlich noch von Bürgersleuten und Einwohnern, welche aus den brennenden Häusern geflüchtet waren, auf den Straßen antrafen, trieben sie Alles in die Heiliggeistkirche und pferchten sie dorten ein, daß kein Mensch ein Glied regen konnte. Auch diese Kirche hat der Reichsfeind geplündert und an dieser heiligen Stätte noch andere Bosheiten und Gottlosigkeiten verübt. Zum Schluß aber hat er Thurm und Kirche angezündet über dem Kopfe derer, so er hineingesperrt, welches ein solches Schreien und Heulen unter diesen elenden Leuten erwecket, daß sich selbst ein Stein darüber hätte erbarmen mögen. Erst als der ganze Dachstuhl in Flammen stand, der Thurm zu fallen drohte und die Glocken zu schmelzen anfingen, ließ man das arme Volk wieder heraus. Nunmehro aber trieb sie der Franzos in den Garten und das Kloster der Kapuziner, woselbsten er diese armen wehrlosen Leute abermals ganz jämmerlich traktirte; sie wurden nochmals bis auf die Haut geplündert; egliche Kinder wurden todtgedrückt und verschiedene Weibspersonen in das Lager geschleppt. Unter solchen gottlosen Thaten ist die ganze Stadt nach und nach durch die wüthenden Feuerflammen völlig verzehrt und in die Asche geleget worden. Erst nach zehn Jahren hat man sie wieder aufgerichtet.«<

Das war 1693. Ludwig XIV. aber hatte zur Feier jenes »Sieges « ein großes Tedeum singen und zwei verschiedene Denkmünzen schlagen lassen, die auf der einen Seite sein lorberbekränztes Haupt, auf der anderen Seite die in Flammen stehende Stadt zeigten. »Das zerstörte Heidelberg« (Heidelberga deleta) hieß es auf der einen; »der König befahl's und so geschah's« (Rex dixit et factum est) stand auf der andern.

Die späteren Erfahrungen, die die Pfalz mit Frankreich machte, wichen von den 1693ern wenig ab; nur die Worte waren glänzender gewesen.

Mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit war man ins Land gekommen, die guten Pfälzer hatten ihnen geglaubt, und die rothe Müße auf dem Haupt und ça ira brüllend, hatten sie mit ihren »Befreiern« gemeinschaftlich den Freiheitsbaum umtanzt. Das goldene Zeitalter hatten sie erwartet. Aber was war gekommen? Ein Vierteljahrhundert lang waren fie beraubt und mißhandelt worden, man hatte ihnen ihre Geseze in französischer Sprache gegeben und ihre unbärtigen Knaben ausgehoben, um sie auf allen Schlachtfeldern Europa's herumzuschleppen. Die französischen Generale

und Civilcommissaire waren Blutsauger gewesen, wie die Prätoren des alten Rom. »Verres ging arm nach der reichen Provinz Sicilien und kam reich aus der armen Provinz Sicilien wieder nach Hause. «

Auch dieser Zeiten gedachte man wieder in Pfalz und Rheinland; noch lebten ihrer Viele, die jene Tage »schaudernd selbst erlebt«. An die Stelle des bankrutten »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit war jetzt die »civilisatorische und befreiende Mission« getreten, der Kaiser selbst hatte von Mez aus die Worte gesprochen: »das ganze Weltall blickt auf uns; an unserem Erfolge hängt das Schicksal der Freiheit und der Civilisation,« aber man kannte dies und ähnliches; neue Textesworte, aber das alte Lied. Man hörte es, vertraute ihm nicht und schüttete blos (wie Cromwell) »frisch Pulver auf die Pfanne«.

Was will der Franzos? So hieß es damals in jedem Haus und jeder Hütte den ganzen Lauf des Rheines hinunter. Und das rheinische Volk gab Antwort darauf. »Was will der Franzos?« Der Franzos hat eine schlechte Ernte gehabt, er kommt nun herüber und will sich die unsre holen. Ja wohl, sette ein Anderer hinzu, der Franzos hat eine schlechte Ernte gehabt, aber noch ganz anders, als blos von heuer, und darum will er den Krieg, und ist ihm die schlechteste Ausrede gut genug. Was will der Franzos? Ich will es euch sagen. Der Franzos hat ein böses Gewissen, ist unzufrieden mit sich, und darum will er im Kriegstaumel sich betäuben, und weil er seine eigene schlechte Wirthschaft nicht ordnen kann, draußen in der Welt herum rumoren; er ist mit sich selbst im Krieg, darum sucht er Händel mit Anderen. Er sieht seinen Nachbar, das deutsche Volk, ruhig und bedachtsam, in treuer Arbeit, in wachsendem Wohlstand sich einen, heilsame Geseze bilden, das öffentliche Wohl gewissenhaft verwalten. Die ganze Welt betrachtet dies Alles mit Achtung, nur der Franzos, statt sich ein Beispiel daran zu neh men, was thut er? Neidisch auf den Nachbar, will er ihm die Ernte seiner emsigen Arbeit zerstören. Er macht große Worte, aber dahinter steckt Ländergier und gemeine Raubsucht. Auf unseren Bergen grünen die Wälder, die Franzosen haben ihre Wälder verwüstet. Und tief unter der Erdkrume, darauf der Landmann arbeitet, ruht von Urzeiten her die Kohle, die unseren Ge werbefleiß fördert. Die Franzosen wollen sich unsere Kohlenländer am Rhein und an der Saar holen und sprechen dabei von den Herrlichkeiten, die sie uns bringen wollen. Ja, wer kann etwas bringen, was er selber nicht hat? ... Noch einmal, was wollen die Franzosen? Sie wollen den Vorrang, die Vormundschaft über die Völker, das sogenannte Prestige. Sie erfrechen sich, dem Nachbarvolke zu sagen: Du darfst Dich nicht wohl befin den, weil ich mich auch nicht wohl befinde; Du darfst Deine Angelegenheiten

nicht ordnen, wie es Dir gut dünkt; Du mußt die Suppe essen, wie ich sie Dir salze. Diese Anmaßung muß den Schlag bekommen, den sie verdient. Unser deutscher Fahnenspruch heißt: Gleichberechtigung der Völker. Wir befreien uns und die Welt von der Anmaßung der Franzosen und befreien die Franzosen selbst von ihrer Anmaßung. Wir wissen was wir wol len, und dürfen es laut bekennen. Die Franzosen müssen sich etwas einreden und der Welt durch alle falschen Künste etwas einzureden suchen.

So gewiß es ist, daß die Wahrheit über die Lüge siegt, so gewiß ist der Sieg unser.

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So etwa ging das Gespräch damals am Rhein. Die Lockrufe von drüben, noch einmal sei es gesagt, verfingen nicht, und was in Frankreich) soweit es damals im Stande war auf Fremdes zu achten - am meisten überraschen mochte, war die Thatsache, daß sich auch die unbetheiligten Mächte von Anschauungen und Versicherungen abwandten, über deren Unbegründetheit man 20 Jahre und länger Zeit gehabt hatte, sich immer klarer zu werden. Die »Napoleonische Legende« hatte nur noch in gewissen Schichten Frankreichs Anhänger und Gläubige; der Rest von Europa war immer skeptischer geworden. Worte, Worte! Freiheit hieß linkes Rheinufer, und Civilisation hieß das Kohlenbecken von Saarbrück. Vor Allem waren es die Engländer, die das Spiel durchschauten. Die Times, wie schon früher hervorgehoben, noch mehr die Saturday - Review standen auf unserer Seite. Die SaturdayReview schrieb in treffendster Weise das Folgende:

»Was die Franzosen wollen, ist das linke Nheinufer. Sie wollen es seit 50 Jahren, immer wieder und wieder. Ihre größten politischen Anstrengungen verfolgen alle das eine Ziel: die Welt glauben zu machen, sie hätten ein natürliches Anrecht an den Rhein. So grundfalsch dies ist, so gewiß ist es, daß sie mit vielem Geschick ihren Zweck verfolgt haben.

Ein Wassertropfen ist ein kleines harmloses Ding, aber fortwährend fallende Tropfen nußen den härtesten Stein ab, und fortwährend fallende Wassertropfen waren die wirksamste Folter der Inquisition. Ebenso giebt es kein besseres Mittel, um geglaubt zu werden, als wenn man eine Sache fort und fort wiederholt. Gleichviel, ob es von Anfang an falsch war, gleichviel, ob es hundert Mal widerlegt worden, sprecht es nur keck immer wieder aus. Die Leute glauben schließlich, was sie so oft hören, ja es kann sogar kommen, daß derjenige, der es behauptet, am Ende selbst daran glaubt.

So geht es auch mit den politischen Formeln: wiederholt sie nur oft und keck, und die Anderen werden sie euch nachsprechen, und durch bloßzes Nachsprechen dahin gelangen, sie zu glauben und sich einzubilden, daß sie dieselben verstehen. Auf diese Weise sind Worte mächtiger als Thaten. Der gegenwärtige Herrscher von Frankreich hat uns so oft versichert, wie rein und

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