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nach als eine unrichtige Behauptung zurückgewiesen werden, dass es in der merowingischen und karolingischen Zeit keinen Adel gegeben habe, so ist für einzelne Länder allerdings eine Identität von Adel und Freien anzuerkennen, jedoch aus dem entgegengesetzten Grunde, weil nämlich die grundbesitzenden ingenui derselben in den Adel übergegangen, die weniger vermöglichen aber unter den minoribus personis verschwunden waren. Wo dies eintrat, musste alsbald baro nur noch den Freien als Edelmann, nobilis, d. h. als freien Herrn, liber dominus, bezeichnen 81).

XX. Obschon daher mit dem Dasein verschiedener Geburtsstände von selbst der Begriff der Ebenburt, d. h. der Gleichheit des durch die Geburt bestimmten und daher den Angehörigen einer niedrigeren Classe nicht zuständigen Rechtes gegeben war und nicht fehlen konnte, auch, wie die vielfachen denselben wiedergebenden Ausdrücke beweisen, schon in der merowingischen und karolingischen Zeit nicht gefehlt hat 82), so konnte dieser Rechtsbegriff bei dem grossen Schwanken der noch in den ersten Anfängen einer Neugestaltung begriffenen Rechtsbildung in dieser Zeit noch zu keinen weiteren Entwickelungen kommen, als soweit der Gegensatz der Geburtsstände unzweifelhaft feststand, und dies war nur der Fall hinsichtlich der beiden Hauptclassen, liberi und servi. Es konnte sich daher damals ein Streit im einzelnen Falle nur um die Frage bewegen, ob eine Person der einen oder der andern dieser beiden Classen angehörte. In dieser Beziehung lässt sich nicht verkennen, dass die ganze Richtung der Zeit dahin ging, die niederste Classe der Freien, nämlich diejenigen, auf welchen eine Abgaben- und gemeine Dienstpflicht lastete, immer mehr nach den Grundsätzen des für die Servi geltenden Rechtes zu behandeln, und somit mussten sich die Grenzen zwischen dem dritten Stande der Freien und dem Stande der Unfreien bald noch mehr verwirren, als dies hinsichtlich der beiden ersten Classen der Freien unter sich der Fall gewesen war.

XXI. Unter solchen, Umständen musste sich bald ein engerer Begriff der ingenuitas bilden, wonach darunter vorzugsweise nur ein von aller gemeinen Dienst- und Abgabenpflicht (servitium) völlig freier Geburtsstand, im Gegensatze des ursprünglich auch als eine besondere Stufe der Freiheit betrachteten Standes der liti, fiscalini und homines ecclesiastici

1) In der Bedeutung,,Priores regni" erscheint das Wort barones schon in der karolingischen Zeit. Vergl. das Schreiben der Bischöfe an K. Karl II. (d. Kahlen) a. 856, Pertz, I. p. 447:,,quae . . cum illustribus viris et sapientibus baronibus vestris observanda delegistis." Bei den Burgundern erscheint in gleicher hoher Bedeutung das Wort,,farones" (Fredegar c. 41. 44. 55); von fara, generatio; Leute von (edlem) Geschlecht; nicht zu verwechseln mit den , faramannis" in L. Burg. LIV, was Einwanderer (advenae) eines anderen deutschen Stammes als des burgundischen, fahrende Leute, ähnlich den wargangis (§. 5. V.; von faran, gehen, fahren) bezeichnet.

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82) Schon in den Rechtsquellen der merowingischen Zeit finden sich zur Bezeichnung der Standesgleichheit die Ausdrücke: consortes, similes, consimiles, coaequales, socii, pares, compares.

8. tabularii u. s. w. verstanden wurde. Sonach konnte es vorkommen, dass mitunter nur noch die nobiles und die mediocres, und da, wo auch diese Letzteren zins- oder dienstpflichtig geworden waren, nur noch die nobiles allein als ingenui betrachtet wurden. Hieraus erklärt sich, wie allmählig mit dem Worte ingenuus sogar ein höherer Begriff sich verbinden konnte, wie mit dem ursprünglich gleichbedeutenden Worte liber, welches dann noch auf jene zins- und dienstpflichtigen Leute Anwendung fand, welche nicht ganz in die Stellung von servis im römischen Sinne herabgesunken waren. Auf diese ging später besonders die Bezeichnung als „rustici, qui liberi dicuntur" oder „homines, quos vulgus appellat liberog" 82a).

XXII. Die ingenuitas in vorgedachtem engeren Sinne hatte ohne Zweifel schon in diesem Zeitraum eine dingliche Grundlage. Dies ergibt sich namentlich aus bayerischen Urkunden aus dem X– XII. Jahrhundert, wonach der Veräusserer eines adeligen oder freien Gutes (eines „mansus nobilis viri“) offenbar nach uraltem Herkommen einen gewissen Theil desselben (,,partem de praedio libertatis suae") mit einer Hofstatt (,,curtilis locus, quem vulgus handgimali vocat“) zur Erhaltung seines edlen oder freien Standes („pro libertate tuenda“) zurückbehalten musste 82b).

XXIII. Als ein äusseres Zeichen dieser ingenuitas scheint schon damals die Befugniss betrachtet worden zu sein, ein cingulum militare, d. h. einen ritterlichen Schwertgürtel, eine Schärpe, tragen zu dürfen, da die Nöthigung zur Ablegung desselben für eine grosse Erniedrigung und Strafe ehrloser Handlungen galt 82c).

XXIV. Wenn es sich um die Behauptung des freien Geburtsstandes gegen irgend eine Anfechtung (revocatio in servitium) handelte 85), so war der Beweis der Freiheit nach einem theilweise in die Lex Salica übergegangenen Edicte Childebert's II. durch einen Zwölfereid (thalaptas jurare) zu führen 84). Dabei genoss der Beklagte die Begünstigung, ver

82a) Urkk. v. 1206. 1282. Siehe unten §. 15 Note 25b u. 26.

82 b) Die Nachweisungen s. in meiner Ausführung über das Handgemal in den Heidelb. Jahrb. 1871, Nr. 11 u. 12, S. 173 flg. 184; vergl. oben §. 5 N. 18b, und unten §. 14, III. und IV.

82c) Urk. a. 832 (Pertz, Legg. I. 368 lin. 50): „(Ludovicus Pius poenitentiam agens) cingulum militiae deposuit et super altare collocavit.“ Ludov. Germ. conv. Mog. a. 851 c. 11 (ibid. I. p. 414): Verurtheilung des Albgis, wegen Entführung einer Ehefrau: „,deposito cingulo militari" etc. ,, Militiae cingulum derelinquere" als Strafe des Incestus und des Parricidium: Capp. Lib. VI. c. 71. Siehe unten §. 17.

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83) L. Sal. Herold. LXXVIII.; L. Rip. LXVII. (69) 5; L. Fris. Tit. XI.

de lito.

8+) L. Sal. Herold. LXXVIII.:,,In quantas causas thalaptas debeant jurare Posunt autem jurare de dote, de re in hoste perdita et de homine qui in servitium revocatur." Edictum Childeberti II. c. a. 550 c. 4. (Pertz, II. 6).

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langen zu dürfen, dass dieser Eid in seiner Heimath abgenommen werde weil er dort am sichersten hoffen konnte, die erforderlichen Eideshelfer aus seiner Verwandtschaft aufzubringen. Soweit die Eigenschaft als homo ecclesiasticus u. dergl. auch als eine (gleichwohl beschränkte) Freiheit anzusehen war, musste auch die Behauptung jener Eigenschaft als eine vindicatio libertatis angesehen werden. Dies zeigt sich auch als praktisch in der Stellung, welche die Geistlichen, insbesondere die Bischöfe, als die defensores libertatis der tabularii einnahmen 85).

§. 10.

Einfluss der Commendationen auf die Standesverhältnisse.

Vasalli *).

Antrustiones.

I. So wie schon in der Zeit vor der Völkerwanderung der freiwillige Eintritt in das kriegerische Gefolge (den Comitatus) eines Königs oder Fürsten einen freien oder adeligen Mann in eine besondere Stellung bringen konnte, so treten nach der Völkerwanderung deutlich mehrfache Standesverhältnisse hervor, welche, obschon unter sich vielfach verschieden, doch soviel gemeinsam haben, dass sie insgesammt auf einer Commendation, d. h. auf einem freiwilligen Eintritt oder Ergebung (se commendare, tradere) in ein Abhängigkeitsverhältniss von einer mächtigen Person (potens) beruhen 1), jedoch die persönliche Freiheit des Commendirten nicht vernichten, wenngleich mitunter sehr wesentlich beschränken. Auch wird man mit Sicherheit annehmen dürfen, dass bei jeder Commendation eine gewisse, je nach den Arten derselben bald

Lex Francorum Chamavorum c. X:,,Si quis hominem ingenuum ad servitium requirit, cum duodecim hominibus de suis proximis parentibus in sanctis juret (sc. homo requisitus), et se ingenuum esse faciat, aut in servitium cadat." Vergl. meine Schrift: die Ewa Chamavorum (1856) S. 5 flg. 30. 32. 92. fig. 85) Vergl. L. Rip. LVIII. (60) de tabulariis.

*) P. Roth, Geschichte des Beneficialwesens von den ältesten Zeiten bis in das zehnte Jahrhundert. Erlangen, 1850. G. Waitz, über die Anfänge der Vasallität, im Bd. VII. der Abhdl. d. k. Gesellschaft d. Wissensch. zu Göttingen und im besonderen Abdruck. Göttingen, 1856. P. Roth, Feudalität und Unterthanschaft. Weimar, 1863. - F. J. Kühns, über Ursprung und Wesen des Feudalismus, in Virchow und Holtzendorff, Samml. gemeinverständl. wissenschaftl. Vorträge. Berlin, 1869.

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1) Die gewöhnliche Bedeutung von commendare ist tradere, insbesondere zum Schutze, empfehlen, frz. recommander. In diesem Sinne konnte man sowohl Personen (sich selbst und Andere, z. B. auch Kinder zur Vormundschaft), als Sachen commendiren (s. Note 96); aber ebenso, wie sich im Mittelalter mit dem deutschen Worte empfehlen (enphelen) eine zweite Bedeutung von „, entreissen, entfremden" verband, war dies auch der Fall mit dem commendare. Vergl. z. B. L. Sal. Herold. tit. 72 de terra commendata: „Si quis alteri avicam terram suam commendaverit (cf. Lindenbrog. Form. 38. „,abstraxerit“) et ei noluerit reddere."

mehr, bald minder feierliche Form, jedenfalls eine Handreichung (Handschlag) stattfand, so dass das „per manus commendare" nicht als eine besondere Eigenthümlichkeit nur gewisser Arten der Commendation zu betrachten ist, wenn es auch bei einigen derselben vorzugsweise häufig erwähnt zu werden pflegt 2). Der Grund, aus welchem die Commendationen in der merowingischen und karolingischen Zeit immer häufiger wurden, lag hauptsächlich in den damaligen politischen Verhältnissen, welche es den minder mächtigen Personen ebenso wünschenswerth und zum Bedürfniss machten, einen mächtigen Beschützer zu haben, als es auf der anderen Seite den Mächtigen willkommen war, durch die Commendationen die Zahl der von ihnen abhängigen und nach Umständen dienstpflichtigen Personen zu vermehren und damit ihre eigene Macht zu verstärken.

II. Alle Commendationen begründeten auf Seite des Herrn ein Schutzrecht, welches zugleich den Charakter einer Schutzpflicht an sich trug, wofür die allgemeine technische Bezeichnung Mund, mundius, oder wie man jetzt allgemein zu schreiben pflegt, mundium") oder mundeburdis, mundeburdium4) ist. In gleicher Bedeutung erscheinen die Ausdrücke sermo3)

2) Als eine Eigenthümlichkeit des eigentlichen Vassaticum betrachtet das per manus commendare s. tradere Waitz, Vassalität, p. 36. Allein diese Form findet sich ganz allgemein, wo immer ein mundium u. dgl. übergeht: selbst bei der Auffassung des Mundium an den Ehemann; cf. Rothar. c. 183; und bei der Bestellung eines Vormundes (siehe unten Note 27). Auch irrt Waitz, a. a. O. p. 56, darin, dass er die Hand nur als Symbol der Gewalt auffasst, während sie im deutschen Rechtsleben vielmehr vorwiegend Symbol der Treue ist, daher noch heut zu Tage die Handreichung bei keinem Geschäfte fehlt, wodurch (gegenseitig oder einseitig) eine Treuverpflichtung übernommen wird, sowie auch noch jetzt häufig der Handschlag die Stelle des eidlichen Gelöbnisses vertritt.

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3) In den wenigen Stellen, in welchen das Wort Mund" mit lateinischer Endung im Nominativ erscheint, zeigen die lombardischen Handschriften mundius"; nur im Accusativ erscheint „mundium;" s. L. Rothar. c. 26 u. 165; Legg. Luitprand. Vol. II. c. III. (9), sowohl in der Ausgabe von Baudi a Vesme, als in der Ausgabe von Bluhme. Die Form,,mundius" entspricht auch dem noch jetzt gebräuchlichen „der mund." Dieses Wort hat sich noch in der Bedeutung von potestas über Personen in der Form ,,Vormund, Vormundschaft" erhalten. Die mittelalterlichen Uebersetzungen, sermo, verbum u. s. w. weisen auf Mund, os, oris, hin, und so wird dieses Wort auch in den mittelalterlichen deutschen Rechtsquellen begriffen. Siehe unten §. 90b n. 1.

4) Mundeburdis, Mundeburdium, ags. Mundbyrde, ist Mundgebührniss, das Schutzrecht des Königs, bez. dessen Zuständigkeit, was in deutschen Quellen,,monparschaft" heisst. Mundbyrdenesse, bedeutet (ags.) insbesondere,,confirmatio regis, privilegium." Vergl. z. B. Urkk. bei K e mble, Cod. dipl. IV. Nr. 843. 845. 855. 857. Vergl. ags.,,Mundbora," tutor, advocatus, Vogt, dem das Schutzrecht zusteht; z. B. Urk. bei Kemble, I. Nr. 235. 5) Marculf. I. 24:,,sub sermone tuitionis nostrae."

verbum oder verbum oris 6), votum 7), tuitio 8), defensio 9), potestas 10), dominium 11) und patrocinium 12), mitunter auch manus 13). In den alten nordischen Dialecten erscheint ein jetzt völlig obsoletes Wort, mundr, in der Bedeutung von potestas über Personen, welches Wort daher auch wohl in der Bedeutung von manus, in dem eben gedachten figürlichen juristischen Sinne, nicht aber auch, wie mitunter behauptet wird 18a), im grammatischen Sinne aufgefasst werden kann. In den angelsächsischen Urkunden erscheint mund bald in der Bedeutung von potestas 1b), bald in der Bedeutung von protector, tutor, advocatus oder Vogt 1). Dass sowohl bei den Franken, als bei den Westgothen die Entwickelung der neuen Schutzverhältnisse an das römische Patronatsverhältniss anknüpfte, dürfte nicht zu verkennen sein 11).

III. Auf Seite des Commendirten begründete die Commendation jedenfalls einen Anspruch auf den Schutz des Herrn, dem sie geschehen war: in den meisten Fällen aber überdies eine Pflicht des Gehorsams (obsequium) 15) oder des Dienstes (servitium) 16), d. h. eine Pflicht zu ge6) L. Sal. Herold. XIV. 5:,,si puella quae trahitur, in verbo regis fuerit." Gregor. Tur. IX. 19:,,Sicharius in ejus (reginae Brunichildis) verbo posiLegg. Edovardi c. 7 §. 1: ,,utlagabit eum rex de verbo oris sui." 7) Rothar. c. 224 §. 2: „,qui in votum regis dimittitur."

tus."

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8) L. Rip. LVIII. 1: „tabellarii sub tuitione ecclesiae consistant." tum Guntchramni et Childeberti a. 585. (Pertz, Legg. I. p. 5. 6): „,sub tuitione et defensione domini Childeberti (Chlotildis), secura possideat.“ In gleicher Bedeutung findet sich auch tutela.

9) Formul. Lindenbrog. 38: mundiburde vel defensio."

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10) Rothar. c. 182. 224 u. s. w., daher auch ibid. c. 204: ,,silpmundia“ eine Frau,,quae in suae potestatis arbitrio vivit“ (im Selbst-Mundium).

11) Glossarium Matritense, bei B. a Vesme, Legg. Langobard.: „mundio i. e. dominio" (d. h. Herrschaft). Das Glossarium Cavense, ibid. setzt: mundio, h. e. pertinentia: dies drückt mehr die Stellung des Commendirten, die Angehörigkeit, die Hörigkeit im weiteren Sinne aus.

12) L. Wisigothor. V. t. III. c. 1. (Rubr.):,,Si is qui in patrocinio constitutus est."

13) Rothar. c. 186 ertheilt der Frau, welche mit Gewalt entführt worden ist, das Recht zu wählen: „,qui mundium ejus in potestatem habere debeat; vult ad patrem, vult ad fratres, vult ad barbanes, vult ad manum regiam.“ 13a) Siehe z. B. J. Grimm, R.-A. p. 138.

13b) Urk. bei Kemble, Cod. dipl. IV. Nr. 844.

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13c) Urk. K. Eduard's, bei Kemble, IV. p. 232 Nr. 896:,,and ic eom daes mynstres mund and up heald." Vergl. ebendas. IV. Urkk. Nr. 931. 970. 14) Uebereinst. Waitz, Vassallität, p. 65. Man findet daher als Synonyma von Mund auch:,, patronatus; patrocinium; senioratus; vassaticum.“ 15) L. Rip. XXXI. 1. 3:,,homo ingenuus in obsequio alterius." Die von Roth, Benefic. p. 167 versuchte Erklärung dieser Stelle hat bei Waitz, Vassallität p. 62 ihre Widerlegung gefunden. Rothar. c. 167:,,in obsequio regis vel judicis ;" - ibid. c. 225:,,in obsequio ducis vel privatae personae." L. Wisig. V. t. 1. c. 4:,,obsequio ecclesiae (filios suos) commendare.“

16) Die Synonymität von obsequium und servitium (im Allgemeinen) bezeugt: Formul. Sirmond. 44 (s. unten Note 17).

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