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concurrirende Gerichtsbarkeit, so dass theils durch die Wahl des Klägers, theils durch die Prävention bestimmt wurde, an welchem dieser beiden höchsten Reichsgerichte eine Sache zu verhandeln war 2), mit Ausnahme der wenigen Sachen, in welchen das Reichskammergericht ausschliessliche Jurisdiction hatte "). Im Allgemeinen galten daher hinsichtlich der Zuständigkeit des Reichshofrathes als erste, zweite und dritte Instanz dieselben Grundsätze wie bei dem Reichskammergerichte.

II. Ausschliessliche Competenz hatte der Reichshofrath a) in Klagesachen gegen die zu ihm gehörigen Personen, mit Ausschluss des Personals der Reichshofkanzlei, über welches der Kurerzkanzler die Gerichtsbarkeit hatte 4); b) in Sachen, welche die zum deutschen Reiche gehörigen italienischen Länder betrafen, mit wenigen Ausnahmen"); c) in Rechtsstreitigkeiten über die unmittelbar vom Reiche zu Lehen rührenden Fürstenthümer u. dergl. 6); d) in Streitigkeiten über die Gültigkeit, Auslegung und den Verlust kaiserlicher Privilegien, sowie über Erwerb und Verlust des Adels, den Rang einzelner Reichsstände unter sich und über kaiserliche preces 7). Auch wurden in der letzten Zeit des Reiches manche Sachen, in welchen auch das Reichskammergericht competent war, gewöhnlich am Reichshofrathe verhandelt, weil die Parteien ein Interesse dabei hatten, sie hier anzubringen. Dies war besonders der Fall bezüglich jener Sachen, bei welchen die kaiserliche Gnade Einfluss haben konnte, wie z. B. in Criminalsachen der Reichsunmittelbaren 8), in Missheiraths- und Familienzustands-Sachen der reichsständischen Häuser 9); auch wurden die Rechtsstreitigkeiten über die Reichspost, das Münz- und Bücherwesen regelmässig am Reichshofrathe verhandelt 19).

III. In Bezug auf die sog. willkührliche Gerichtsbarkeit hatte der Reichshofrath nicht nur dieselben Befugnisse wie das Reichskammergericht, sondern es gehörte zu seiner Competenz überdies Alles, was in irgend einer Beziehung den Charakter einer Gnadensa che an sich trug, also namentlich die Ausübung der kaiserlichen Reservatrechte, insbesondere die Verleihung der Reichslehen als Reichslehenhof, und überhaupt alle Arten von Privilegienverleihungen, Grossjährigkeitserklä

2) Hoffmann (Praeside Pütter), dissert. de summor. imp. tribunalium concurrente jurisdictione. Göttingen 1760. Gönner, Staatsr. §. 315.

3) Siehe §. 73 b. II.

4) Leist, Staatsr. §. 137. V.; §. 150; v. Berg, Grundriss, §. 116. 5) v. Berg, 1. c. §. 118.

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9) Ausführliche Nachweisungen s. in meiner Schrift über hohen Adel und Ebenbürtigkeit. (1853) §. 41-58.

10) v. Berg, 1. c. §. 117.

Zoepfl, deutsche Rechtsgesch. 4te Aufl. II.

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rungen, Legitimationen unehelicher Kinder, Moratorien, Protectorien, Standeserhöhungen, Bestätigung von Primogeniturordnungen und Hausgesetzen adeliger Familien, worin Abweichungen vom gemeinen Reichsrechte festgesetzt werden sollten u. dergl. 11).

IV. In Bezug auf die besonders privilegirten Länder, in Achtssachen der Reichsstände, in peinlichen Sachen der Mittelbaren und in geistlichen Sachen war die Competenz des Reichshofrathes ganz so ausgeschlossen, wie die des Reichskammergerichts 12).

V. Der Entwickelung des Reichshofrathes aus dem alten kaiserlichen Hofgerichte entsprechend 18), wurde der Kaiser fortwährend als das oberste Haupt desselben und als (oberster) Richter betrachtet 14); er konnte aber dieses Richteramt nur in jenen Fällen persönlich ausüben, in welchen der Reichshofrath verfassungsmässig ein votum ad imperatorem zu erstatten hatte 15).

VI. In Folge dieser engen. Verbindung des Reichshofrathes mit der Person des Kaisers zeigte das processualische Verfahren an demselben manche Eigenthümlichkeit; namentlich wurden die Eingaben der Parteien immer an des Kaisers Majestät gerichtet und die Rescripte stets in einer Form erlassen, als wenn sie von der Person des Kaisers ausgingen 16). Daher wurde auch der Reichshofrath bei dem Tode eines jeden Kaisers sofort aufgelöst und die Reichshofrathskanzlei bis zur Wiederbesetzung des kaiserlichen Thrones geschlossen 17).

VII. Bei dem Reichshofrathe gab es keine Senate; alle Sachen wurden im Plenum verhandelt 18). Der Präsident 19) hatte bei Stimmen

11) v. Berg, 1. c. §. 364-375.

12) Siehe §. 73b. III.

13) Siehe §. 61. VI.

14) R. H. O. a. 1654, Tit. I. §. 1:,,Unser kaiserlicher Reichshofrath dessen oberstes Haupt und Richter allein Wir und ein jeder römischer Kaiser selbst ist." Demgemäss wird der Reichshofrathspräsident als Stellvertreter des Kaisers, ebendas. Tit. I. §. 4,,,das nachgesetzte Haupt" des Reichshofrathes genannt.

15) W.-K. Art. XVI. §. 15; R. H. O. v. 1654, Tit. V. §. 18. 20. Siehe oben §. 67 Note 9.

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16) Hanzely, Grundlinien, S. 10. 30; dessen Anleitung §. 842. Meine Schrift, über hohen Adel und Ebenbürtigkeit, §. 56.

17) Leist, Staatsr. §. 136. 137.

18) W.-K. Art. XXIV. §. 13: „Sollen alle und jede vor Unsern Reichshofrath gehörige Sachen allezeit in Pleno abgehandelt und weder zuvor noch hernach vor einige Deputationen, Hofcommissionen und was dergleichen ausserordentliche Wege sonst für Namen haben mögen nimmermehr gezogen, noch deren gerader Rechtslauf unterbrochen oder gehemmt werden." R. H. O. v. 1654. Tit. I. §. 14.

19) Siehe oben §. 73. II. Der Reichsvicekanzler machte von seinem Rechte, im Reichshofrath bei Verhinderung des Präsidenten mit Vorzug vor dem Vicepräsidenten zu präsidiren (§. 73. I.) niemals Gebrauch.

gleichheit eine entscheidende Stimme 20); er hatte aber auch das Recht, in diesem Falle, sowie auch wenn die Majorität nur gering war und beide Meinungen auf staatlichen Gründen beruhten, die Sache durch ein votum ad imperatorem zur persönlichen Entscheidung des Kaisers zu bringen 21). Trat aber eine Meinungsverschiedenheit (itio in partes) zwischen den katholischen und protestantischen Reichshofräthen ein, so wurde den Letzteren, da ihre Zahl nie mehr als sechs betrug, eine fingirte Parität der Stimmen beigelegt 22), und musste daher die Sache zur Entscheidung an den Reichstag abgegeben werden 28).

VIII. Gegen die Erkenntnisse des Reichshofrathes waren im Allgemeinen dieselben Rechtsmittel, wie gegen die Urtheile des Reichskammergerichts zulässig. Jedoch wurde hier das Rechtsmittel der Revision gewöhnlich auch als Supplication bezeichnet und hatte die Wirkung, dass die Sache vom Reichshofrathe neuerdings mit Aufstellung eines anderen Referenten und Correferenten geprüft werden musste 24). Der Recurs an den Reichstag fand unter denselben Voraussetzungen wie gegen die Urtheile des Reichskammergerichtes statt 25).

20) R. H. O. Tit. V. §. 16: „Da auch unterschiedliche Vota in der Anzahl gleich wären, so soll unser Präsident einem Theile mit seiner Stimme Beifall thun, und alsdann auf dasselbige als das Mehrere schliessen."

21) Siehe oben Note 15.

22) Ueber den Begriff von paritas vera und ficta, s. §. 73 b. Note 20.

23) I. P. O. Art. V. §. 55:,,Postquam in Pleno etiam Senatu, pari tamen semper utrinque Judicantium numero examinata fuerint, contrariae oriantur Sententiae, Catholicis quidem in unam, Augustanae vero Confessionis Assessoribus in aliam abeuntibus, remittantur ad Comitia universalia." In wörtlicher Uebersetzung in R. H. O. v. 1654 Tit. V. §. 22. Dem Verlangen der Protestanten, auch am Reichshofrath eine sog. Realparität (paritas vera) wie am Reichskammergericht einzurichten, ist nicht entsprochen worden.

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24) I. P. O. Art. V. §. 54: . ne partes ibidem (sc. in Judicio aulico) litigantes omni remedio suspensivo destituantur, loco revisionis in Camera usitatae licitum esto parti gravatae, a sententia in judicio aulico lata, ad Caesaream Majestatem supplicare, ut acta judicialia denuo adhibitis aliis gravitate negotii paribus . . . consiliariis, et qui concipiendae et ferendae priori sententiae non interfuerint, aut certe referentium et correferentium partes non sustinuerint, revideantur." In wörtlicher Uebersetzung in R. H. O. 1654 Tit. V. §. 7. W.-K. Art. XVII. §. 14: „Mit der im Reichshofrath anstatt der Revision gebräuchlichen Supplication wollen Wir nach Inhalt des Instrumenti Pacis Art. V. §. 54:,,Quoad Processum judiciarium" und nach der Reichshofrathsordnung allerdings verfahren." Die Processualisten behandelten diese Supplication regelmässig unter dem Namen der Revision. v. Berg, 1. c. §. 346.

25) Siehe §. 73a. III. 3.

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§. 73 d.

IV. Reichs-Untergerichte.

1) Die Austrägal-Instanz*).

I. Schon lange vor der Errichtung des Reichskammergerichts hatten vielfach Reichsstände und andere Reichsunmittelbare unter sich Einrichtungen zu schiedsrichterlicher Erledigung ihrer Streitigkeiten getroffen, wofür die Bezeichnung Austräge gebräuchlich geworden war 1).

II. Diese Einrichtungen, welche ursprünglich nur auf Willkühr und gegenseitigem Belieben beruhten, behielten sich die Reichsstände bei der Errichtung des Reichskammergerichtes bevor; sie wurden von der Reichsgesetzgebung ausdrücklich bestätigt 2) und überdies für die Reichsstände und andere reichsunmittelbare Herren unter gewissen Voraussetzungen gesetzlich angeordnet, ja sogar manchen Personen (oder auch Reichsstädten) das Recht, vor Austrägen belangt zu werden, durch kaiserliche Privilegien verliehen 3). Hiernach unterschied man gewillkührte, gesetzliche und privilegirte Austräge1).

*) H. Ch. Senckenberg, flores sparsi ad jus austraegarum, Giess. 1739. Prehn, v. d. Austrägen, 1779. Moser, v. d. deutsch. Justizverf. I. 46. Malblank, Anleitung IV. 420 flg. v. Berg, Grundr. d. reichsger. Verf. §. 39 flg. G. F. Eichhorn, de differentia inter Austraegas et arbitros compromissarios, Götting. 1801. Pütter, inst. §. 280 flg. Gönner, Staatsr. §. 317 flg. Leist, Staatsr. §. 144 flg. Schmid, Staatsr. §. 151. -- Gohren, Ursprung u. Entwickelung der Austrägalinstanz in Deutschland, in der Zeitschrift für deutsches Recht, 1858.

1) „Austragen" bezeichnet überhaupt soviel, als eine Sache freundlich auseinandersetzen und gleichsam die Parteien vergleichen. Der Austragsrichter hiess im barbarischen Latein ,,austraega".

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2) Von den Austrägen handelte insbesondere die K. G. O. 1555. Th. II. Tit. 2 fig. K. G. O. 1495 §. 28; Concept d. K. G. O. Th. II. Tit. 2 princ. Welche sonderliche gewillkührte rechtliche Austräge gegen einander haben, der sollen sie sich laut derselben gegen einander gebrauchen." - I. P. O. Art. V. §. 56:,,Caeterum in aulico non minus, quam camerae imperialis judicio privilegium primae instantiae, Austraegarum, . statibus imperii illibata sunto." W.-K. Art. XVIII. §. 4:,,Sondern einen jeden bei seiner Immedietät. item jure austra egar um tam legalium quam conventionalium vel familiarum. bleiben lassen."

...

...

3) Eine spätere Beschränkung enthält: W.-K. Art. XVIII. §. 7:,,Und nach Inhalt des Reichsabschiedes v. J. 1654 §. 116 mit Konzession der Privilegien erster Instanz oder sonderbarer Austräge, auf diejenigen, welche dieselben bisher nicht gehabt oder hergebracht, förderst an Uns halten."

4) Die gewillkührten Austräge wurden durch Vertrag oder Testament begründet. Zu den gewillkührten Austrägen rechnete man auch die reichsritterschaftliche Orts-Austrägalinstanz; s. oben §. 72 Note 12. Die gewillkührten Austräge hatten an sich nur Verbindlichkeit für die Theilnehmer; sollten sie auch Dritte (als Reichsanstalt) verpflichten, so war kaiserliche Bestätigung nöthig.

III. Gesetzliche Austräge (sog. „, Austräge der Ordnung" 5), d. h. in der Kammergerichtsordnung angeordnete Austräge) hatten nur A) Kurfürsten, Fürsten und Fürstenmässige 6), ohne allen Unterschied des Standes des Klägers 7); B) die Prälaten, Grafen und der unmittelbare Reichsadel, wenn der Kläger gleichen oder höheren Standes war 8). C) Ausserdem war anerkannt, dass auch die eigenen Unterthanen eines Landesherrn, welche über Missbrauch der Regierungsgewalt sich beklagen wollten, in erster Instanz vor den Austrägen ihres Landesherrn klagen mussten, wenn die Sache nicht zu denjenigen gehörte, welche an sich unmittelbar bei den obersten Reichsgerichten angebracht werden durfte 9). Dasselbe galt im Allgemeinen auch hinsichtlich der Klagen der Unterthanen gegen ihren Landesherrn in Privatsachen, da man früher diese nicht scharf von Staatssachen unterschied 10). Durch die Wahlkapitulation Leopold's II. 1790 wurden aber die Klagen, welche die landesherrliche Kammer betrafen, vor die Landesgerichte verwiesen 11).

IV. Die Reichsgesetze hatten für die Bildung der gesetzlichen Austräge eine Reihe verschiedener Formen festgesetzt, wobei besonders auf den Rang und Stand des Beklagten Rücksicht genommen worden war 12). Wo die Austrägalinstanz aus Standesgenossen gebildet wurde, galt

5) Dieser Ausdruck findet sich im Concept der K. G. O. Th. II. Tit. 30: „Weiter ordnen . . . Wir, dass alle und jede Personen und Sachen, die der Kaiserlichen Jurisdiction ohne Mittel unterworfen, und durch sondere Austräge dieser Ordnung, oder andere Privilegien, Freiheiten, Gewillkühre und rechtmässige Gewohnheiten nicht ausgenommen seynd, an Unserm Kaiserlichen Kammergericht vorgenommen und gerechtfertigt werden sollen."

6) Unter Fürstenmässigen wurden in dieser Beziehung nur wirklich gefürstete Prälaten und Grafen verstanden. Leist, Staatsr. §. 145 Note 1.

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7) Also auch, wenn Bürger oder Bauern klagten, die nicht Unterthanen der Fürsten oder Fürstenmässigen waren. K. G. O. 1500. Tit. 11. Vergl. K. G. O. 1555. Th. II. Tit. 4 §. 18 (s. Note 9).

8) Concept d. K. G. O. Th. II. Tit. 3 u. 5.

9) K. G. O. Th. II. Tit. 4 §. 18. Concept, ibid. §. 21:,,Und sollen solche Austräge der Prälaten, Grafen, Ritterschaften und Städte, in aller Maasse wie abgesetzt, auch mit den Bürgern, Bauern und anderen Unterthanen gegen den Fürsten und Fürstenmässigen Statt haben." Leist, Staatsr. §. 147. Mitglieder der Reichsritterschaft konnten in diesem Fall auch bei der Orts-Austrägalinstanz (s. Note 4) belangt werden. Leist, Staatsr. §. 145 Note 6. - Kerner, reichsritterschaftl. Staatsr. II. 410.

10) Leist, Staatsr. §. 147. II.

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11) W.-K. Art. XIV. §. 6: ,Wenn Landstände oder Unterthanen wider ihre Obrigkeit in Privatsachen, welche die landesfürstliche Kammer antreffen, Klage führen, so sollen und wollen Wir diese bei ihren ordentlichen Landesgerichten entscheiden lassen" etc.

12) Concept der K. G. O. Th. II. Tit. 2 bis 5.

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