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glieder in den einzelnen Cantonen, als auch sämmtlicher Cantone eines Ritterkreises und sodann Einstimmigkeit der drei Ritterkreise erforderlich. Man unterschied Realisten und Personalisten, je nachdem die Familie immatrikulirten reichsfreien Grundbesitz hatte oder nicht 9). Der Verlust oder die Veräusserung oder Mediatisirung der reichsritterschaftlichen Güter hob die persönliche Reichsfreiheit nicht auf. Ebenso wenig ging diese durch Aufenthalt oder Wohnsitz in dem Gebiete eines Landesherrn verloren 10); doch konnte hierdurch die Religionsübung der Reichsritterlichen beschränkt werden 11).

IV. Die Reichsritter behaupteten immer, wie die Reichsstände, das Recht der Austräge, d. h. eines schiedsrichterlichen Verfahrens vor Standesgenossen, bevor sie vor den Reichsgerichten belangt werden konnten. Bei Streitigkeiten unter einander war ihre regelmässige Austrägalinstanz das Cantonsdirectorium; auch führte dieses in ihren Criminalsachen die Voruntersuchung und war im kaiserlichen Auftrage auch ihre obervormundschaftliche Behörde 12). Ob ein Reichsritter, welcher in die Dienste eines Fürsten getreten war, hinsichtlich dieses Dienstverhältnisses dessen Gerichtsbarkeit unterstand, war streitig 18).

V. In Bezug auf ihre reichsfreien Besitzungen hatten die Reichsritter landesherrliche Rechte oder Hoheiten 1), d. h. die Landeshoheit wie die Reichsstände in ihren Territorien 15), soweit die Ausübung solcher

9) Es gab auch Besitzer reichsfreier immatrikulirter Güter, welche wegen Mangels der persönlichen Qualification oder aus anderen Gründen nicht in der Beichsritterschaft recipirt waren. Diese standen bezüglich ihrer Güter zu der Reichsritterschaft in demselben Verhältnisse wie Realisten. Leist, Staatsr. §. 58. 10) Es galt als Grundsatz:,,Immediatus semper et ubique est immediatus." Leist, Staatsr. §. 21. II.

11) I. P. O. Art. 5 §. 28:,,Libera et immediata Nobilitas, omniaque et singula ejus membra, una cum subditis et bonis suis feudalibus et allodialibus, nisi forte in quibusdam locis ratione bonorum et respectu territorii vel domicilii aliis statibus reperiantur subjecti, vigore Pacis religiosae et praesentis conventionis in juribus religionem concernentibus et beneficiis inde promanentibus, idem jus habeant, quod supra dictis Electoribus, Principibus et statibus competit." Gönner, Staatsr. §. 265. V. Note b.

12) Leist, Staatsr. §. 144. 145. Ueber die Einrichtung der Orts-Austrägalinstanz in einigen Cantonen, s. Kerner, reichsritterschaftl. Staatsr. Th. II. 400. Malblank, Anleitung, IV. 463.

13) Rechtsbeantwortung der Frage, ob ein unmittelbarer Reichsritter, der bei einem Fürsten in Diensten steht, dessen Forum in Ansehung seines Dienstes agnosciren müsse? Nürnberg und Leipzig, 1757. (Bejaht, bei Gönner, Staatsr. §. 265. V.)

14) Ausdrücklich spricht von den „Hoheiten" der Reichsritter, W.-K. Art. I. §. 2.

15) Gönner, Staatsr. §. 265 bezeichnete daher die Regierungsgewalt der Reichsritter als einen „,Inbegriff von Rechten, welcher der Landeshoheit ganz analog ist." Der Streit, ob die Regierungsgewalt der Reichsritter Landeshoheit zu nennen sei oder nicht (Leist, Staatsr. 2. Aufl. §. 56), war praktisch bedeutungslos.

Hoheiten und überhaupt die Herstellung politischer Einrichtungen bei dem verhältnissmässig geringen Umfange der Güter und der geringen Zahl der Unterthanen auf denselben möglich war 16). Namentlich stand ihnen auf ihren Gütern das stets zur Landeshoheit gerechnete jus reformandi zu 17); in Bezug auf die Jurisdiction, insbesondere die Criminaljurisdiction waren sie beschränkt durch die Reichsgewalt und das Cantonsdirectorium 18), ebenso in Bezug auf das Besteuerungsrecht 19).

VI. Die Reichsritterschaft hatte weder in ihrer Gesammtheit, noch hatten die Mitglieder derselben als solche Antheil an der Reichsstandschaft. Jedoch wurde die Reichsritterschaft seit dem J. 1653 in den kaiserlichen Wahlkapitulationen überall neben den Reichsständen genannt, wo es sich um die Zusicherung des kaiserlichen Schutzes landesherrlicher Rechte (Hoheiten) und anderer hergebrachten Rechte und Freiheiten handelte 20). Wegen ihrer persönlichen Verpflichtung zum Reichskriegsdienste nahmen die Reichsritter Freiheit von der Einquartierung und den Reichssteuern in Anspruch. Seitdem aber ihre Ritterdienste nicht mehr für zweckmässig befunden wurden, unterhandelte der Kaiser mit der Reichsritterschaft über Geldbewilligungen, welche subsidia caritatis, CaritativSubsidien genannt wurden 21).

VII. Unter der Reichsritterschaft bestand ein Retractsrecht bei der Veräusserung der reichsfreien Besitzungen eines ihrer Mitglieder 22). Auch suchten die Mitglieder der Reichsritterschaft den Glanz ihrer Familien durch äusserste Beschränkung des Erbrechts der Töchter zu sichern und zu befördern: jedoch ist das Vorhandensein einer gesetzlichen,

16) Ausdrücklich spricht von Unterthanen, subditis" der Reichsritter: I. P. O. Art. V. §. 28 (s. Note 11).

17) I. P. O. Art. V. §. 28 (s. Note 11).

18) Manche Reichsritter hatten überhaupt keine Criminalgerichtsbarkeit oder keinen Blutbann. Kerner, reichsritterschaftl. Staatsr. Th. I. 252; Leist, §. 56. 166.

19) Bezüglich der Steuern, welche das Rittercorpus ausschrieb, hatte der Reichsritter ein jus subcollectandi, d. h. verhältnissmässiges Erhebungsrecht von seinen Unterthanen. Für sich selbst durfte der Reichsritter von seinen Unterthanen Steuern (sog. Privatsteuern) nur erheben auf Grund von Verträgen, Herkommen oder reichsgerichtlichen Urtheilen. Kerner, a. a. O. I. §. 64.

20) Z. B. W.-K. Art. I. §. 2 (siehe diese Stelle oben §. 67 Note 19); W.-K. I. §. 9; III. §. 6; XV. §. 6. 8. Vergl. oben §. 67h. III. Meine Schrift über hohen Adel und Ebenbürtigkeit (1853) §. 74.

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21) Leist, de subsidio caritativo nobilium imp. immediat. Göttingen 1793. Zuletzt soll sich der Kaiser mit der Reichsritterschaft über eine jährliche Zahlung von 10,000 fl. verglichen haben. Häberlin, Handb. III. S. 548.

22) Ausdrücklich anerkannt im Privilegium von Leopold I. a. 1688. Burgermeister, Cod. dipl. I. 288. Hiernach war für die Ausübung des Retractsrechtes eine Frist von 3 Jahren (a die denunciationis directoriae) bestimmt.

für die Mitglieder der Reichsritterschaft insgemein verbindlichen Norm nicht erweislich 23).

VIII. In gleicher Reichsfreiheit, wie die Reichsritter, befanden sich übrigens noch zahlreiche adelige Familien, welche im Reiche zerstreut auf reichsfreien Besitzungen sassen. Einige derselben hatten unter sich eine Art von Erbverbrüderungen in Bezug auf gewisse Burgen oder Häuser errichtet, welche als adelige Ganerbschaften bezeichnet wurden 24).

§. 73.

Von der Reichsregierung.

A. Reichsministerium *).

Da die Reichsregierung wegen des neben dem Prinzipe der Reichseinheit zur vorwiegenden Geltung gekommenen Prinzipes der Staatentrennung (§. 67) hauptsächlich nur das Verhältniss der Stände zum Kaiser und Reiche, die Erhaltung der äusseren und inneren Sicherheit Deutschlands, den sog. Landfrieden, und eine beschränkte Aufsicht über die Landesregierungen zum Gegenstand hatte, so bedurfte man auch nur weniger ständiger Reichsbehörden.

I. Der oberste Reichsbeamte und gleichsam geborene Reichsminister war der Reichs-Erzkanzler (Mainz), welcher sein Amt theils aus seinem Kabinet, theils durch Gesandte, theils durch einen von ihm ohne Rücksicht auf ein Standesverhältniss ernannten Stellvertreter am kaiserlichen Hofe, den Reichshofvicekanzler oder Reichsvicekanzler ausübte 1). Dieser wurde als der eigentliche constitutionelle

23) Man bezieht sich für die gegentheilige Ansicht auf ein angebliches sog. Geislinger Statut v. 1653, abgedruckt in Burgmeister, reichsritterschaftl. Corp. Jur. (Ulm 1707) p. 533; auch in Burgermeister, Cod. diplom. I. 515. Siehe auch hierüber Reyscher, in d. Zeitschr. f. deut. R. Bd. VI. (1842) S. 247 fig., und meine Grundsätze des Staatsr. (5. Aufl.) §. 105. V.

24) J. J. Moser, von den Reichsständen, p. 1493; dessen Zusätze zum neuen Staatsr. p. 1010. Mader, sichere Nachricht von der Burg Friedberg. 3 Thle. Lauterbach, 1766-74. Pütter, instit. §. 465. Ueber den Begriff von Ganerben siehe Wehner, obs. pract. voce: Ganerben. Siehe auch Bd. III. §. 118.

*) Pütter, inst. §. 68. 69. 132 sq. Gönner, Staatsr. §. 203 flg. Schmid, Staatsr. §. 145.

1) Der Reichserzkanzler, der zugleich das allgemeine Reichstagsdirectorium (§. 69) und das Directorium im Kurfürstencolleg (§. 68) hatte, war demnach der ausgezeichnetste Reichsstand. Auch war er der Chef aller Reichskanzleien, und hatte das Recht, sie zu besetzen und die Kanzleigefälle zu beziehen, wovon er aber den Unterhalt des nöthigen Personals bestreiten musste. Auch war ihm provisorisch die Visitation des Reichshofrathes übertragen; sie wurde aber von ihm nie vorgenommen. I. P. O. Art. 5 §. 55. W.-K. Art. XXIV. §. 6. 7; Art. XXV. §. 1.

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Reichsminister betrachtet, indem er dem Kaiser über alle Reichsangelegenheiten Vortrag zu erstatten hatte und der Kaiser ohne dessen Einvernehmung nichts beschliessen konnte, wenn er gleich an dessen Gutachten nicht gebunden war 2). Derselbe hatte auch alle kaiserlichen Erlasse zu contrasigniren ) und führte zugleich (als Reichssiegelbewahrer) die Aufsicht über die Reichssigille. Es wurde (mit Recht) als eine der grössten Eigenthümlichkeiten der deutschen Reichsverfassung betrachtet, dass der Kaiser seinen ersten Minister aus der Hand eines Reichsstandes empfing, welcher bei dessen Ernennung völlig unabhängig von aller Zustimmung des Kaisers war. Der Reichsvicekanzler hatte auch von Amtswegen im Reichshofrathe Sitz und Stimme und das Recht, bei Verhinderung des Präsidenten, das Directorium darin zu führen. Dem Reichsvicekanzler standen bis zum J. 1803 zwei Reichsreferendarien, einer für die lateinische, der andere für die deutsche Expedition (seit 1803 nur noch einer), als vortragende Räthe und Secretäre im Reichsministerium zur Seite, welche ebenfalls der Reichserzkanzler ernannte.

II. Der zweite Minister war der Reichshofrathspräsident als verfassungsmässiger Justizminister des Reichs 4): dieser wurde, sowie der gesammte Reichshofrath, von dem Kaiser ernannt. Bei Berathschlagungen über Justizsachen mussten von dem Kaiser, ausser dem Reichsvicekanzler und dem Reichshofrathspräsidenten, auch noch einige Reichshofräthe, mindestens noch der Referent und der Correferent, zugezogen werden 5).

III. Das eigentliche Regierungscollegium des Reichs (Staatsrath) war der kaiserliche Reichshofrath, welchem daneben auch

2) W.-K. Art. XXV. §. 4: ,,Insonderheit sollen und wollen Wir bei künftiger Unserer Regierung die kaiserlichen und Reichsangelegenheiten, als die Reichstags-Geschäfte, die Instructiones Unserer kaiserlichen Gesandten in und ausser Reichs, die Erstattung ihrer Relationen in Reichssachen, nicht weniger die Reichs-, Kriegs- und Friedens-Geschäfte betreffende Negotiationes und Schlüsse an und durch Niemand anders, dann durch den Reichs-Vicekanzlern gehen, nicht aber dieselbe zu unserer Erb-Land - Hofkanzlei ziehen lassen." Vergl. Wahlkap. Art. XXII. §. 7.

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3) Nach der W.-K. Art. XXII. §. 7 durften alle kaiserlichen ,,Expeditionen" nur bei der Reichskanzlei geschehen: es mussten daher auch jene Expeditionen vom Reichsvicekanzler unterzeichnet werden, welche der Kaiser nicht selbst unterschrieb.

4) Ausser dem Reichsvicekanzler und dem Reichshofrathspräsidenten gab es keine anderen Reichsminister.

5) W.-K. Art. XVI. §. 15: „Wo auch im Reichshofrath in wichtigen Justizsachen ein Votum oder Gutachten abgefasst und Uns referirt werden sollte, wollen wir solches anders nicht, als in Anwesen des Reichshofrathspräsidenten und Reichsvicekanzlern mit Zuziehung von Re- und Correferenten und anderer Reichshofräthen beider Religion, wann die Sache beiderseits Religionsverwandten betrifft, vortragen lassen, mit denselben darüber berathschlagen und in keinem anderen Rath resolviren.“ Ueber die Fälle, wenn es zu einem solchen votum ad imperatorem kam, siehe oben §. 67 II.

die Eigenschaft eines höchsten Reichsgerichtes zukam 6). Die Thätigkeit des Reichshofrathes als Regierungscollegium äusserte sich besonders in der Form seiner häufigen Official verfügungen, d. h. Verfügungen von Amtswegen, ohne vorgängiges förmliches processualisches Verfahren 7). Der Kaiser musste sich bei Behandlung aller Regierungssachen, wohin man auch alle Gnaden- und Reichslehensachen rechnete, des Reichshofrathes reichsverfassungsmässig bedienen; es stand ihm aber frei, nebenbei sich noch ein besonderes Kabinet und Rathgeber (kaiserliches geheimes Rathscollegium, kaiserlichen Hofkriegsrath oder andere Minister) zu halten; jedoch durften diese nicht in die reichsgesetzlichen Befugnisse des Reichshofrathes eingreifen 8). Der Reichshofrath durfte nur mit deutschen Räthen besetzt werden 9).

§. 73a.

B. Die Reichsjustizverfassung.

I. Der Reichstag als Gerichtshof.

I. Das altherkömmliche Recht der fürstlichen Reichsstände, nur durch Standesgleiche, durch ein sog. Fürstenrecht (judicium parium) unter dem Vorsitze des Kaisers oder des Pfalzgrafen bei Rhein in Folge besonderen kaiserlichen Auftrages gerichtet zn werden, namentlich wo es sich um eine Achtserklärung oder Criminalsache handelte 1), war zwar weder bei der Errichtung des Reichskammergerichtes, noch des Reichshofrathes ausdrücklich aufgehoben worden; doch wurden seitdem die Sachen, welche früher vor ein Fürstenrecht gebracht worden waren, meistens vor dem Reichshofrathe verhandelt 2), dessen Befugniss sich eben

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6) Siehe oben §. 61 und unten §. 73.

7) W.-K. (seit 1658) Art. XVI. §. 12. 13: „Auch wollen Wir nicht gestatdass andere Unsere Räthe und Minister sich in des Reichs Sachen, welche vor den Reichshofrath gehören, einmischen" etc. W.-K. (seit 1711) Art. XVI. §. 14: „,. . . und das gesammte Reichshofrathscollegium bei der ihm gebührenden Autorität gegen andere Unsere Räthe und Minister ernst und kräftiglich handhaben." W.-K. Art. XVII. §. 6: ,Wie dann auch kein Stand des Reichs in Sachen, so praeviam causae cognitionem erfordern, und obverstandener massen vor den Reichshofrath gehören, mit kaiserlichen Decreten aus Unserm geheimen Rath beschwert, noch dieselben in judicio angezogen werden sollen."

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8) v. Berg, Grundriss d. reichsgerichtl. Verf. u. Praxis. Göttingen 1797. §. 366.

9) Ausdrücklich sicherte dies zu der Passauer Vertrag 1552 §. 14. 1) Vergl. Sachsensp. III. 55; Schwabensp. c. 125. 138; Mainzer Landfrieden v. 1235 §. 15; siehe oben §. 47 Note 14. 18. 19. 23. Entwickel. d. deut. Staatsverf. I. 211.

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Gönner, Staatsr. §. 310.

Pütter, Schmid,

v. Berg, Grundriss d. reichsger. Verf. u. Praxis, S. 9.

2) v. Berg, 1. c. S. 36.

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Ein Beispiel eines Fürstenrechts, gehalten unter K. Maximilian I., 1504, s. bei Pütter, Entwickel. Bd. I. S. 319.

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