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II. Die erste eigentliche sogenannte Wahlkapitulation wurde bei der Wahl K. Karl's V. (3. Juli 1519) auf den Rath des Kurfürsten Friedrich von Sachsen abgefasst 3). Seitdem musste jeder Kaiser eine solche ihm von den Kurfürsten vorgelegte Kapitulation unterzeichnen, und wurde erst nach deren Unterzeichnung und Beschwörung als Kaiser anerkannt. Die letzte Wahlkapitulation ist die von K. Franz II. 1792. Ursprünglich wirkten die übrigen Stände ausser den Kurfürsten bei der Abfassung der Wahlkapitulation gar nicht mit; doch wurde sie stets als ein von den Kurfürsten im Namen sämmtlicher Stände mit dem Kaiser geschlossener Vertrag und daher auch als Grundgesetz betrachtet. Den Inhalt bilden die Bedingungen, unter welchen der Kaiser gewählt wird, d. h. die Verpflichtungen, welche er gegen die Kurfürsten eingeht. Die erste Wahlkapitulation bestand aus 34 Artikeln, welche aber später verschiedene Zusätze und Modificationen erhielten.

III. Nach dem Tode Kaiser Rudolph's II. (1612) verlangten auch die übrigen Reichsstände einen Antheil an der Abfassung der Wahlkapitulation, und im westphälischen Frieden (1648) wurde die Abfassung einer beständigen Wahlkapitulation mit Beiziehung sämmlicher Stände zugesichert. Im J. 1664 wurde zuerst ein Project einer solchen beständigen Wahlkapitulation gemacht und im J. 1671 im Ganzen angenommen, aber nicht zum Gesetz erhoben, weil die Kurfürsten ein jus adcapitulandi verlangten, d. h. das Recht, nach Belieben Zusätze zu machen. Erst im J. 1709 nahm man das Project wieder vor, und räumte den Kurfürsten das jus adcapitulandi ein, jedoch sollten die neuen Zusätze nicht als allgemeine Gesetze gelten, auch sollte an der beständigen Wahlkapitulation nichts ohne Zustimmung der sämmtlichen Stände verändert werden. Dieses Project (in 30 Artikeln) wurde am 8. Juli 1711 beschlossen und seit der Wahl Karl's VI. (12. Octbr. 1711) jeder Wahlkapitulation (als sog. capitulatio perpetua) zu Grunde gelegt. Da aber die Kurfürsten das jus adcapitulandi mehrfach gebrauchten, protestirten die übrigen Reichsstände nicht selten gegen die neuen Zusätze (sog. passus contradicti). Ausserdem pflegten die Kurfürsten bei der Wahl an den Kaiser noch sog. „kurfürstliche Collegialschreiben“ zu erlassen, worin sie einzelne Sachen besonders empfahlen.

IV. Der wesentliche Inhalt der kaiserlichen Wahlkapitulation nach der späteren Redaction, namentlich nach der letzten von 1792, ist folgensecurus? Habetne aliquam filiam, quam mihi daret in uxorem ?" etc. (Ueber diese Hinrichtung siehe J. M. Söltl, Ludwig der Strenge. Nürnberg 1857.) Auch der Kurfürst von Sachsen und der von Brandenburg machten es zur Bedingung der Wahl, dass ihnen Rudolph I. seine Töchter vermähle. Chron. dominic. Colm. bei Urstis. P. II. 39:,,Electores vobis significant, quod si volueritis filias vestras nuptui dare talibus dominis, in regem vos eligent Romanorum."

3) Der Name Kapitulation rührt von der Form der Abfassung in einzelnen Absätzen (capitula) her; jedoch wurde dafür die Bezeichnung „Artikel" gebräuchlich.

der: (Art. 1) der Kaiser verspricht Schutz der Christenheit und des Papstes, Erhaltung des Reiches und der Stände bei ihren Rechten, bei Sitz und Stimme auf dem Reichstage und bei der Regierung: ferner keine Reichsstände ohne Land zu machen und nicht in die Landeshoheit einzugreifen: (Art. 2) das Reich zu schirmen und zu vermehren, es nicht erblich zu machen, die goldene Bulle und andere Reichsgesetze zu halten : (Art. 3) die Kurfürsten in allen Sachen zu Rathe zu ziehen, ihre Erzämter und das Reichsvicariat zu erhalten: (Art. 4) in allen wichtigen Sachen sämmtliche Reichsstände zu fragen und keinen Krieg anzufangen: (Art. 5) keine Steuern auf die Reichsstände zu legen: (Art. 6) keine Bündnisse gegen das Reich zu machen: (Art. 7) ordentliche Polizei zu halten, Handel und Verkehr zu befördern: (Art. 8) keine Zölle zu erhöhen: (Art. 9) dem schlechten Münzwesen abzuhelfen: (Art. 10) keine Reichsgüter zu verpfänden oder zu veräussern, sondern womöglich sie wieder einzulösen: (Art. 11) die Reichslehen in der alten Form zu geben: (Art. 12) die Reichskreise zu erhalten: (Art. 13) wenigstens alle zehn Jahre einen Reichstag zu halten: (Art. 14) zu sorgen, dass die Concordate mit dem römischen Stuhle nicht überschritten werden und besonders (§. 4) keinen Recurs nach Rom an den Papst zu dulden: (Art. 15) die mittelbaren Unterthanen zum Gehorsam gegen die Landesherren anzuhalten: (Art. 16) Frieden und Gerechtigkeit, insbesondere die Reichsgerichte in Thätigkeit zu erhalten, und niemand ausser Reiches vor Gericht zu laden: (Art. 17) für die Execution der reichsgerichtlichen Urtheile zu sorgen, remedium revisionis et supplicationis zu gestatten und die Kammergerichts-Visitationen zu beschleunigen: (Art 18) keine neue Executionen von den Reichsgerichten zu geben: (Art. 19) die restituenda ex pace Westphalica zu befördern und (§. 6 u. 7) auf Klagen der Unterthanen und Landstände gegen ihre Landesherren keine mandata ad nudam instantiam zu geben: (Art. 20) Seit Karl VI. (1711) wurden hier über das Verfahren in Reichsachts-Prozessen gegen Reichsstände besondere Vorschriften aufgestellt: (Art. 21) Der Kaiser soll die Landesherren in ihren lehnsherrlichen Rechten manuteniren: (Art. 22) Hier werden die Bedingungen aufgestellt, unter welchen der Kaiser Standeserhöhungen ertheilen konnte. Seit Karl VII. (1742) verspricht hier der Kaiser (§. 4), Kindern aus einer notorischen Missheirath und seit Leopold II. (1790) auch Kindern aus einer gleich Anfangs morganatischen Ehe eines Reichsstandes ohne Consens der Agnaten die väterlichen Titel und Würden nicht zu verleihen, noch sie für successionsfähig zu erklären: (Art. 23) Der Kaiser soll im Reiche residiren und (§. 3) nur die deutsche oder lateinische Sprache als Geschäftssprache gebrauchen lassen: (Art. 24) er soll den Reichshofrath gehörig besetzen und beaufsichtigen: (Art. 25) Kurmainz wird in dem Rechte bestätigt, den ReichsVicekanzler zu ernennen und die Reichskanzlei zu besetzen: desgleichen wird (Art. 26) der Herzog von Savoyen (König von Sardinien) im Reichsvicariate von Italien bestätigt: (Art. 27) Der Kaiser verspricht, nicht zu dulden, dass mittelbare Städte und Landschaften sich unter den Schirm

fremder Staaten stellen; auch nicht, dass jemand vor die Gerichte fremder Potentaten geladen werde: (Art. 28) er soll auch keine Einmischung fremder Gesandten in Reichssachen dulden, und (Art. 29) den Beschwerden gegen die Reichspost abhelfen, jedoch das Reichspostamt manuteniren: endlich (Art. 30) sollen die Mitglieder des Reichskammergerichts und des Reichshofraths auf die Wahlkapitulation verpflichtet werden; auch soll der Kaiser selbst dieselbe in Person beschwören. Ein römischer König, der bei dem Leben eines Kaisers gewählt wurde, versprach hier (§. 3) insbesondere, sich bei dem Leben desselben nicht ohne dessen Befehl in die Regierung einzumischen oder ihm an seiner Hoheit oder Würde Eintrag zu thun.

§. 63.

6) Die Religionsverträge*).

Als Grundgesetze des Reichs wurden auch die Staats-Verträge anerkannt, welche zwischen dem Kaiser und den Ständen in Religionssachen abgeschlossen worden waren. Hierher gehören, auf die Grundlage der augsburger Confession von 1530 gestützt:

I. der Passauer Vertrag v. 30. Juli 1552, wonach zwischen beiden Religionstheilen (den Katholiken und den augsburgischen Confessionsverwandten, oder seit dem Reichstage zu Speier 1529 sog. Protestanten) ein bleibender Friede sein solle, wenn man sich auch der Religion wegen nicht mehr vereinigen könne 1). Dieser Vertrag ist also das erste Toleranzgesetz in Deutschland.

II. Der Religionsfrieden von Augsburg v. 25. September 15552). Er enthält die definitive Bestätigung des Passauer Vertrags) und gab den augsburgischen Confessionsverwandten freie Religionsübung 4), Freiheit von der bischöflichen Jurisdiction) und ruhigen Besitz der eingezogenen Kirchengüter 6). Diesem Religionsfrieden fügte aber Erzherzog Ferdinand, Bruder Karl's V. und römischer König und Reichsviceregent, kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit die unter

*) Pütter, histor. Entwicklung der deut. Staatsverf. I. 405. Literatur, II. §. 687 flg.; III. §. 877 fig.

Dessen

1) Neue Samml. der R.-Absch. III. 3 flg. Anhang §. 6 (ibid. p. 11): „Da aber die Vergleichung auch durch derselben Weg keinen würde erfolgen, dass alsdann nichts destoweniger obgemeldter Friedstand bey seinen Kräften bis zu endlicher Vergleichung bestehen und bleiben solle."

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*) Neue Sammlung der R.-A. III. 16. Lehmann, acta orig. de pace relig. Frankfurt 1631.

3) Religionsfrieden a. 1555 §. 13.

4) Auf andere Confessionen, als die augsburgische und katholische hatte der Religionsfrieden keine Anwendung: ebendas. §. 17:,,Doch sollen alle andere, so obgedachten beeden Religionen nicht anhängig, in diesem Frieden nicht gemeint, sondern gänzlich ausgeschlossen sein.“

5) Ebendaselbst, §. 20.

Eben daselbst; §. 19.

der Bezeichnung geistlicher Vorbehalt" (reservatum ecclesiasticum) berühmte Clausel bei, dass ein Geistlicher, welcher zum Protestantismus übergeht, dadurch seine Pfründe verlieren solle 7).

III. Hierher gehört auch der westphälische Friede von 1648, soweit er gravamina ecclesiastica erledigt 8).

§. 64.

7) Die Concordate mit dem römischen Stuhle.

I. Wenn auch durch das Wormser Concordat v. J. 1122 die Bischofswahlen in Deutschland geregelt worden waren '), so war doch im Uebrigen während der folgenden Jahrhunderte nichts für eine bessere Ordnung der Verhältnisse der katholischen Kirche in Deutschland geschehen, und daher waren endlich im XV. Jahrhundert gehäufte Beschwerden über die päpstlichen Anmassungen und die Unterdrückung der deutschen Kirchenfreiheit, über kirchliche Missbräuche und Mangel an Kirchenzucht laut geworden. Zwar ging die Kirchenversammlung zu Constanz (1414 bis 1417) damit um, eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern durchzuführen2); allein auch hier wurde der rechte Augenblick versäumt, und nachdem einmal die verschiedenen Gegenpäpste beseitigt worden waren und die Kirche in Martin V. wieder ein allgemein anerkanntes Haupt erhalten hatte, zeigte der römische Stuhl sofort wenig Geneigtheit der deutschen Kirche Zugeständnisse zu machen. Mit Mühe kam daher unter Kaiser Sigismund ein Concordat mit Martin V. (das sog. Constanzer Concordat) im J. 1418 zu Stande, worin ausser einigen Modificationen des dem Papste in den Bullen Execrabilis und Ad regimen beigelegten Provisionsrechtes nur allgemeine Zusicherungen der Herabsetzung der päpstlichen Taxen, wo sie zu hoch wären, und der Abstellung der auffallendsten Missbräuche, wie z. B. der übermässigen Ablässe, gegeben waren 3) aber selbst dieses Concordat war nur provisorisch auf fünf Jahre geschlossen und kam auch fast in keinem Stücke zur Ausführung.

II. Kräftiger als das Constanzer Concilium benahm sich anfänglich

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7) Ebendaselbst, §. 18. Dieser Grundsatz wurde erst nach langem Streite im westphälischen Frieden auch von den Protestanten anerkannt. Instr. Pac. Osnabr. Art. V. §. 15:,,Si igitur Catholicus archiepiscopus, episcopus, praelatus, aut A. C. addictus in archiepiscopum, episcopum, praelatum electus vel postulatus, solus aut una cum capitularibus, seu singulis, seu universis, aut etiam alii ecclesiastici religionem in posterum mutarint; exidant illi statim suo jure, honere tamen famaque illibatis."

8) Siehe unten §. 65.

1) Siehe oben §. 56.

2) Die Acta dieses Conciliums siehe bei Hermann von der Hardt, magnum oecumenicum Constantiense concilium. Frkf. et Lips. 1697 fig.

3) Neue Samml. der R.-A. I. 111.

die Kirchenversammlung zu Basel (1431-1448) +), indem sie die Annaten und die Gelder für die Pallien abschaffte, die päpstlichen Reservationen, d. h. das Besetzungsrecht von kirchlichen Benefizien ausserhalb des Kirchenstaates aufhob und dem Papste Eugen IV., welcher diese Kirchenversammlung aufzulösen strebte, sogar einen Gegenpapst (Felix V.) entgegensetzte. Diese reformatorischen Decrete des Baseler Conciliums waren von K. Albrecht II. und dem Reiche durch eine förmliche Acceptationsurkunde v. 26. März 1439 angenommen worden: insbesondere sprachen sich die Kurfürsten nach Kaiser Albrecht's II. Tode noch im J. 1440 dahin aus, bei diesen Grundsätzen beharren und darauf bestehen zu wollen, dass derjenige von den beiden Päpsten, auf dessen Seite sie über kurz oder lang zu treten sich entschliessen würden, sich vorerst zur Anerkennung derselben verpflichten müsste.

III. Eugen IV. machte zwar den Versuch, die deutschen Fürsten durch die Absetzungs-Erklärung der Erzbischöfe von Köln und Trier einzuschüchtern, brachte jedoch die Kurfürsten hierdurch so sehr gegen sich auf, dass sie sich neuerdings zur Behauptung der ausgesprochenen Grundsätze verbanden und dem Papste Eugen IV., welcher nunmehr durch die Vermittlung des Aeneas Sylvius und unter Begünstigung durch den Kaiser wieder einlenkte, einen von dem Reichstage zu Frankfurt am 5. Oct. 1446 angenommenen, in ihrem Sinne abgefassten Entwurf eines Concordates vorlegen liessen. Diesem Projecte, den später sog. Fürstenconcordaten, ertheilte Papst Eugen IV. nothgedrungen, um das Anschliessen der Kurfürsten an Felix V. zu verhindern, seine Genehmigung, und zwar mit Rücksicht auf die Zahl der von den Fürsten aufgestellten Vergleichspunkte in vier Bullen (drei Bullen vom 5. Febr. und eine vom 7. Febr. 1447) 5). Hiernach waren alle Annaten und ähnliche Gelder aufgehoben und die Decretalen Execrabilis und Ad regimen ausser Wirkung gesetzt. Die Fürstenconcordate waren aber dem römischen Stuhle viel zu ungünstig, als dass erwartet werden konnte, er werde sich dabei beruhigen. Vorsichtig hatte Eugen IV. schon in seine Bullen die Clausel eingerückt, dass die Verabredung so lange in Kraft bestehen solle, bis durch einen päpstlichen Legaten etwas anderes verglichen, oder durch ein Concilium etwas anderes bestimmt werden würde 6).

IV. Noch in dem Jahr 1447 begannen die Verhandlungen über ein neues Concordat auf dem Reichstage zu Aschaffenburg mit einem

4) Vergl. Labbeus, concil. T. XVII. (Lünig, Cod. dipl. I. 1434.)

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5) Neue Samml. der R.-A. I. 174 flg. Die erste Ausgabe der Fürstenconcordate besorgte Horix, 1763, welcher auch diese Bezeichnung aufbrachte. Auch in Koch, Sanctio pragmatica Germanorum illustrata. Strassb. 1789.

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6) In einer eigenen Bulle vom 5. Febr. 1447 erklärte sogar Eugen IV. mit Bezugnahme auf seine Kränklichkeit alles für unverbindlich, was er etwa gegen die Lehre und Rechte der Kirche zugestanden haben sollte. Neue Sammlung

der R.-A. I. 178.

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