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heut zu Tage einige praktische Bedeutung in der Lehre von der Regierungsnachfolge behauptet, ist ein Reichsgesetz, welches unter K. Karl IV. von Böhmen im J. 135C zu Stande gebracht wurde und anfänglich die Kurfürstenbulle, später vorzugsweise die goldene Bulle, wegen der an den Originalausfertigungen befindlichen in Gold gearbeiteten Siegel (Bullen), genannt wurde. Dieses Reichsgesetz baute auf der Grundlage fort, welche die Reichsverfassung bereits durch den Kurverein und die Constitution K. Ludwig's des Bayern erhalten hatte, und war besonders darauf berechnet, einen Septemvirat der Kurfürsten und des Kaisers (da Karl IV. darauf abzielte, dass dieser fortan aus seinem Hause genommen werde) in Bezug auf die Reichsregierung zu begründen 1).

II. Die goldene Bulle Karl's IV. besteht aus fünf verbundenen, in lateinischer Sprache abgefassten (später in dreissig Kapitel eingetheilten) Verordnungen, von denen der grössere Theil (jetzt die 23 ersten Kapitel bildend) auf dem Reichstage zu Nürnberg am 10. Januar 1356, das Uebrige zu Metz am 25. December 1356 2) vom Kaiser mit den Kurfürsten und zum Theile auch mit den übrigen Reichsständen errichtet worden ist3); sie zeigt deutliche Spuren der Einwirkung römischer Rechtskenntniss 4), jedoch ist es ohne Grund, wenn Manche deshalb vermutheten, dass Bartolus an ihrer Abfassung Antheil gehabt habe 5).

ders abgedruckt, Frankf. a. M. 1840. P. Jacoby, die goldene Bulle K. Karl's IV. in der Tübing. Zeitschr. f. d. ges. St.-W. Bd. XIII. (1857), p. 142. (Mit fleissiger Benützung der älteren Literatur, aber ohne wesentliche neue Resultate).

1) Diese Tendenz wird in dem derben Eingange der goldenen Bulle deutlich ausgesprochen. Sie beginnt mit einer Bibelstelle: ,,Omne regnum in se divisum desolabitur: nam principes jus facti sunt socii furum. . . Dic superbia, quomodo in Lucifero regnasses, si divisionem auxiliatricem non habuisses? Tu quidem invidia . . divisionem inter septem Electores sacri Imperii, per quos velut septem candelabra lucentia in unitate Spiritus septiformis sacrum illuminari debet imperium, multoties posuisti."

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2) Karl IV. hatte den Reichstag von Nürnberg nach Metz verlegt, um den Niederlanden näher zu sein, weil sein Bruder Wenzeslaus wegen der Ansprüche seiner Gemahlin auf das Herzogthum Brabant mit dem Grafen Ludwig von Flandern in Händel gerathen war, welche der Kaiser zu vermitteln wünschte.

Wenn P. Jacoby, l. c. p. 152, es einen gewöhnlichen Irrthum nennt, dass die ersten 23 Kapitel der goldenen Bulle in Nürnberg, die letzten in Metz errichtet worden seien, weil anfänglich eine solche Kapiteleintheilung nicht bestanden habe, so ist dies für die Sache selbst ohne Bedeutung, da mit dem jetzt als Kap. 24 bezeichneten Stück die zu Metz gefassten Beschlüsse beginnen.

3) Wie weit sämmtliche Reichsstände an der Abfassung der g. B. mitgewirkt haben, ist nie ganz aufgeklärt worden.

4) Siehe unten Note 17.

5) Auch dafür, dass der Kanzler Rudolph Rühl von Friedeberg die goldene Bulle abgefasst habe, fehlt es an genügenden Beweisen; überhaupt ist

III. Durch dieses Reichsgesetz, welchem man bis zur Auflösung des Reiches die grösste Bedeutung beilegte, wurde die Zahl der Kurfürsten auf sieben festgesetzt. Die Kurstimmen werden hier jenen Fürsten beigelegt, welche der Sachsenspiegel als Kurfürsten nennt 6); zugleich mit Bestimmung ihrer Rangordnung und des unter ihnen bei dem Sitzen und Gehen zu beobachtenden Ceremoniells (sog. Lateral- und Linealordnung) 7). Auch hier wurde die Entscheidung der Stimmenmehrheit bei der Königswahl ausdrücklich anerkannt 8), sodann aber weiter verordnet, dass die Kurstimmen auf den Ländern haften sollten; daher wurde auch für die Kurstaaten der Grundsatz der Untheilbarkeit und der Unveräusserlichkeit der Länder ausgesprochen 9) und die Primogenitur-Ordnung bei der Regierungsnachfolge in den weltlichen Kurstaaten eingeführt 10). Die Volljährigkeit der Prinzen eines kurfürstlichen Hauses

kein bestimmter Verfasser nachweisbar. Dass K. Karl IV. auf die Redaction Einfluss äusserte, versteht sich von selbst; ob er aber auch persönlich den Entwurf gemacht, ist nicht erwiesen.

6) Siehe oben §. 45. Das herzogliche Haus Bayern wurde hier ganz übergangen, ungeachtet durch den wittelsbacher Hausvertrag von Pavia a. 1329 eine Abwechslung in der Kurstimme zwischen Pfalz und Bayern verabredet worden war. Karl IV. hatte aber den Anspruch, den Bayern hiernach machen konnte, durch ein Privileg vom 7. Jan. 1356 (Olenschlager Urk. 4) aufgehoben: dagegen wird der König von Böhmen als Kurfürst aufgeführt. Von den beiden Häusern Sachsen-Wittenberg und Sachsen-Lauenburg, die bisher um die Führung der Kurstimme gestritten hatten, wurde ersteres, welches sich schon früher zur Partei K. Karl's IV. geschlagen hatte, als das berechtigte behandelt.

7) Die Ordnung im Sitzen bestimmt G. B. cap. 3 und 4; im Gehen G. B. cap. 21. 22. 26. Trier hatte seinen Sitz stets dem Kaiser gegenüber: Mainz und Köln hatten die ersten Sitze zur Rechten und Linken des Kaisers, so dass jeder von ihnen in seiner Diocese und Mainz auch im übrigen Deutschland (ausser der kölner Diöcese) und in Italien den Platz zur Rechten des Kaisers hatte. Unter den weltlichen Kurfürsten erhielt Böhmen wegen seiner Königswürde den ersten Rang: hierauf folgten Pfalz, Sachsen und Brandenburg. Den Kurfürsten wird auch der Vorrang vor allen in- und ausländischen Fürsten jeden Ranges zugesichert, G. B. c. 6. Die Art der Ausübung der Erzämter bei feierlichen Gelegenheiten und sonstigen Ceremonien am kaiserlichen Hofe bestimmt G. B. cap. 26. 27. 28. 29.

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8) G. B. cap. 2 §. 6. Wenn drei Kurfürsten einem vierten ihre Stimme

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gegeben hatten, so durfte dieser sich selbst seine Stimme geben und dadurch eine Mehrheit bewirken. G. B. cap. 2 §. 10. Der Wahlort ist Frankfurt am Main. G. B. cap. 2 §. 1. Das Recht, die Wahl auszuschreiben und bei derselben die Stimmen zu sammeln, gebührt dem Erzbischof von Mainz, daher derselbe auch zuletzt stimmt. G. B. cap. 4 §. 3 und 4.

9) G. B. cap. 20 §. 1; cap. 25 §. 1. 2.

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10) G. B. cap. 7 §. 2: decernimus, ut postquam iidem Principes Electores seculares et eorum quilibet esse desierit, jus vox et potestas Electionis hujusmodi ad filium suum primogenitum, legitimum, laicum; illo autem non extante ad ejusdem primogeniti primogenitum, similiter laicum, libere et sine contradictione cujuspiam devolvatur." §. 3:,,Si vero primogenitus hujusmodi absque

wurde auf achtzehn Jahre festgesetzt 11), und die Regierungsvormundschaft als ein Recht des nächsten successionsberechtigten Agnaten erklärt und insbesondere auf eine gute Erziehung der Prinzen, namentlich auf die Erlernung von drei Sprachen gedrungen 12). Prinzen, welche sich dem. geistlichen Stande gewidmet hatten, wurden von der Succession in die weltlichen Kurstaaten ausgeschlossen 18), ebenso diejenigen Prinzen, welche wegen geistiger oder anderer bedeutender Mängel zur Führung einer Landesregierung untüchtig sind 14). Den Kurfürsten wurde für ihre Staaten ein Privilegium de non evocando und de non appellando ertheilt, d. h. es wurde ihnen zugesichert, dass ihre Unterthanen weder vor auswärtigen Gerichten belangt, noch deren Prozesse von den Landesgerichten, so lange sie dort anhängig sind, durch die kaiserlichen oder andere Gerichte abgerufen und an sich gezogen, noch auch gegen die Entscheidungen der kurfürstlichen Landesgerichte Appellationen an die Reichsgerichte erhoben werden dürften 15). Ausserdem wurden den Kurfürsten die von

heredibus masculis legitimis laicis ab hac luce migraret jus, vox et potestas Electionis praedictae ad seniorem fratrem laicum per veram paternam lineam descendentem, et deinceps ad illius primogenitum laicum devolvatur." Der Fall, wenn bei dem kinderlosen Absterben des Primogenitus der nächst-ältere Bruder desselben schon vorverstorben war, aber Kinder hinterlassen hatte, ist hier nicht vorgesehen; noch bis in das XVI. Jahrhundert finden sich daher Beispiele, dass man (die G. B. buchstäblich fassend) die Succession mit Uebergehung der Descendenz des vorverstorbenen zweiten Bruders sogleich an den noch lebenden dritten Bruder übergehen liess. Später wurde diese irrige Ansicht von den Wirkungen der Primogeniturordnung ganz aufgegeben. Pütter, Entwicklung d. deut. Staatsverf. I. 243. Hinsichtlich der Versorgung der übrigen Mitglieder eines kurfürstlichen Hauses bestimmt die G. B. c. 25 §. 5 nur: ,,(Primogenitus) tamen apud alios fratres et sorores se clementem et pium exhibebit continuo, juxta datam sibi a Deo gratiam et juxta suum beneplacitum et ipsius patrimonii facultates; divisione, scissione, seu dimembratione principatus et pertinentiarum ejus sibi modis omnibus interdicta."

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11) G. B. cap. 7 §. 4: si Principem Electorum seu ejus primogenitum aut filium seniorem laicum mori, et haeredes masculos, legitimos, laicos defectum aetatis patientes relinquere contingerit, tunc frater senior ejusdem primogeniti tutor eorum et administrator existat, donec senior ex eis legitimam aetatem attigerit, quam in Principe Electore decem et octo annos completos censeri voluquam dum exigerit, jus vocem et potestatem et omnia ab ipsis dependentia tutor ipse sibi totaliter cum officio teneatur protinus assignare."

mus .

12) G. B. cap. 30:,,incipiendo a septimo aetatis suae anno in Grammatica, Italica et Slavica linguis instruantur, ita quod infra 14 aetatis suae annum existant in talibus juxta datam sibi a Deo gratiam eruditi.“

13) G. B. cap. 7 §. 2 (siehe Note 10).

14) G. B. c. 25 §. 3:,,Primogenitus filius succedat in eis, sibique soli jus et dominium competat, nisi forsitan mente captus, fatuus seu alterius famosi et notabilis defectus existeret, propter quem non deberet seu posset hominibus principari."

15) G. B. c. 11. Für Böhmen enthält dieses Privilegium speciell G. B. c. 8. Nur für den Fall einer Justizverweigerung war eine Beschwerdeführung bei dem kaiserlichen Hofgerichte nachgelassen. Ebendas. §. 4.

ihnen erworbenen Regalien, insbesondere das Bergwerksregal, hergebrachte Zölle und Münzen und das Judenschutzrecht bestätigt 16). Sogar die Grundsätze der lex 5 Cod. ad Legg. Jul. Majestatis wurden aufgenommen, und was daselbst hinsichtlich der Bestrafung der Verbrechen gegen die Mitglieder des consistorium principis verordnet ist, wurde auf die Kurfürsten übertragen 17). Der Pfalzgraf bei Rhein und der Kurfürst von Sachsen wurden insbesondere als berechtigt zur Führung des Reichsvicariates bei Erledigung des Thrones (sofern nicht schon ein bei dem Leben des Kaisers erwählter Nachfolger, ein sog. römischer König vorhanden war) bestätigt, und deren Befugnisse im Einzelnen bestimmt 18). Auch wurde ausdrücklich das Recht des Pfalzgrafen anerkannt, über den Kaiser zu Gericht zu sitzen 19). Zum Behufe einer gemeinschaftlichen Führung der Reichsgeschäfte sollte eine jährliche Versammlung der Kurfürsten stattfinden 20). Diese kam jedoch nicht zu Stande: dagegen pflegte der Kaiser bei wichtigeren Sachen die schriftliche Zustimmung der Kurfürsten (Willbriefe) einzuholen. Auch in Bezug auf den gemeinen Rechtszustand finden sich in der goldenen Bulle einige Bestimmungen. Es wurde nämlich den Vasallen insgemein verboten, ihre Lehengüter scheinbar und in betrüglicher Absicht zu refutiren, um sie sodann unter dem Vorwande einer Feindschaft und Fehde mit dem Lehensherrn wieder einzunehmen 21). Sodann wurden auch alle Einigungen unter einzelnen Personen, Ständen oder Städten untersagt 22), mit Ausnahme derjenigen, welche Fürsten und Städte zur Aufrechthaltung des gemeinen Landfriedens eingehen würden 25). Insbesondere wurde den Städten die Aufnahme von Pfahlbürgern verboten 24), und endlich auch noch das sog. Faustrecht durch die Verordnung einzuschränken versucht, dass jede Fehde drei Tage vor dem Beginne der Feindseligkeiten und zwar dem Gegner persönlich, oder öffentlich in seinem gewöhnlichen Wohnorte angesagt werden müsse, widrigenfalls sie für ungerecht und der Unternehmer für ehrlos erklärt werden sollte 25).

16) G. B. cap. 9. 10.

17) G. B. cap. 24; s. unten §. 68 Note 14.

18) G. B. cap. 5.

vicarien unten §. 67%).

(Siehe die ausführliche Darstellung der Rechte der Reichs

19) G. B. cap. 5 §. 3. (Siehe diese Stelle unten §. 67e Note 10.)

20) G. B. cap. 12.

21) G. B. cap. 14:,,De his, quibus ut indignis, auferuntur bona feudalia."

22) G. B. cap. 15:,,De conspiratoribus.“

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(Siehe oben §. 55 Note 26.)

23) G. B. cap. 15 §. 2: „Illis confoederationibus et ligis duntaxat exceptis, quas principes et civitates, ac alii super generali pace provinciarum atque terrarum inter se firmasse noscentur."

24) G. B. cap. 16. (Siehe oben §. 55 Note 25).

25) G. B. cap. 17:,,De diffidationibus."

Note 20.)

(Siehe diese Stelle unten §. 60

§. 60.

3) Der ewige Landfrieden*).

I. Unter Landfrieden (pax publica, pax profana) verstand man im Mittelalter die von dem Könige ausgehenden Gesetze, welche die Erhaltung des öffentlichen Rechtszustandes, insbesondere der öffentlichen Sicherheit und die Bestrafung der hiergegen begangenen Verbrechen zum Gegenstande hatten. Die Landfrieden waren daher ihrem Inhalte nach eigentlich Criminalgesetze. Sie beschränkten sich jedoch regelmässig auf eine kurze Bezeichnung der als Landfriedensbruchsachen zu betrachtenden Handlungen und die Einschärfung der Verfolgung und Bestrafung der Landfriedensbrecher.

II. Schon in der merowingischen Zeit finden sich solche Landfriedensgesetze unter dem Namen pacta pro tenore pacis 1). Denselben Charakter zeigen zahlreiche karolingische Capitularien. Ohne Zweifel wurden auch solche Landfrieden schon unter den ersten Königen und Kaisern nach der Trennung Deutschlands von der fränkischen Monarchie erlassen, obschon die ältesten derselben nicht auf unsere Zeit gekommen zu sein scheinen 2). Mit Sicherheit steht fest, dass die von den deutschen Königen und Kaisern verkündigten Landfrieden in der älteren Zeit von diesen selbst und den Grossen, sowie von dem Volke förmlich beschworen und gelobt wurden. Dies ergiebt sich schon aus der Bezeichnung des Landfriedens in der Urkunde des K. Heinrich II. a. 1019, welche die erste Kunde davon gibt, als treuva (treuwa, treuga) und der Erwähnung des dabei üblichen Friedenskusses"), sowie aus der entsprechenden

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*) Abgedruckt bei Schmauss (1774) p. 56. Neue Sammlung d. R. Abschiede. II. 1. J. Ph. Datt, de pace imperii publica. Ulm 1698. P. Wigand, Wetzlar. Beiträge. Heft 2 (1837), p. 152; derselbe, zur Geschichte des ewigen Landfriedens, in dessen Denkwürdigkeiten des Archivs des Reichskammergerichts. 1854. a. 593 p. 17. W. Brückner, zur Gesch. des Reichstags zu Worms. Heidelb. 1860. A. L. J. Michelsen, Urkundlicher Beitrag zur Geschichte der Landfrieden in Deutschland. Nürnberg 1863. die oben §. 56 Note 18 angef. Literatur, den Gottesfrieden betr.

Vergl. auch

1) Vergl. den pactus pro tenore pacis, oder auch sog. Edictum Chilperici (a. 561-584) bei Pertz, Legg. II. p. 10 und den pactus pro tenore pacis von Childebert II. u. Chlotar II. a. 593 ibid. I. 7. Bd. I. Quellengesch. §. 4. VII.)

(Siehe oben

2) Diese Vermuthung gründet sich darauf, dass schon die Constitution Heinrich's II. a. 1019 von dem Landfrieden, treuga, als einer allbekannten Einrichtung spricht. (Siehe Note 3.)

3) Constit. Henr. II. imp. Strassburg, a. 1019 (Pertz, Legg. II. p. 38) c. 3:,,Qui vero infra treu vam (treugam) et datum osculum pacis aliquem hominem interfecerit" etc. Ueber das Wort treuwa, treuga siehe oben

§. 56 Note 18.

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