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älteste germanische Adel sich aus dem heidnischen Priesterthume entwickelt habe, wie mitunter angenommen werden wollte 20), ist geschichtlich nicht nachweisbar. Wohl aber findet sich, dass die Fürsten (principes) oder Könige einzelne religiöse Functionen in heidnischer Zeit, meistens gemeinschaftlich mit den Priestern, vornahmen 21), was sich hinreichend aus ihrer politischen Stellung erklärt 2?).

XII. Desgleichen kann auch die Eroberung eines Landes und die kriegerische Unterwerfung der früheren Einwohner nicht als der allgemeine Grund der Entstehung des Adels nachgewiesen werden 28), indem sich der erobernde und einwandernde Volksstamm höchstens nur in einzelnen seltenen Fällen in seiner Gesammtheit der besiegten Landesbevölkerung gegenüber als ein wahrer Adel ausbildete, regelmässig aber schon in sich selbst die Unterscheidung von Adel und Freien hatte und bei der Einwanderung mitbrachte, und die Besiegten nur als eine tiefere freie Standesclasse, wo nicht als Unfreie behandelte 24).

XIII. Endlich darf man auch den Grund der Entstehung des ältesten Adels nicht in dem comitatus, d. h. nicht in der näheren Verbindung suchen, in welche Leute oder Familien aus den verschiedenen Classen der Nation nach Entstehung eines Volkskönigthums mit dem Volkskönig durch Kriegs- und andere Dienstverhältnisse traten 25). Es ist dies um so weniger zulässig, als sehr häufig gerade da, wo noch kein Volkskönigthum bestand, geschichtlich ein Adel (Familien der principes) gefunden wird, auch, wie schon erwähnt wurde, mitunter eben die königlichen Familien allein den Adel bildeten. Die Entwickelung eines eigentlichen Adels aus Dienstverhältnissen gehört erst einer späteren Zeit an.

XIV. Nächst dem Adel bildeten die Freien (ingenui) den Kern der Nation. Sie erscheinen als ein grundbesitzender und kriegerischer

20) Dieser Ansicht neigte sich u. A. auch Wilda, Gildenwesen, Halle, 1831, zu.

21) So z. B. begleiten und beobachten bei Tacit. Germ. c. 10:,,sacerdos ac rex vel princeps civitatis" gemeinschaftlich die weissagenden Pferde.

22) Ueber die Stellung des Adels zum Priesterthum vergl. J. Grimm, R.-A. p. 270.

23) Aus der Einwanderung minder zahlreicher, aber höher gebildeter Stämme will die Entstehung des Adels ableiten: v. Savigny, Beitr. z. R.-G. des Adels p. 29. Nach dieser Auffassung würde der Adel in Deutschland, anstatt als ein naturwüchsiges, mit geschichtlicher Nothwendigkeit aus den einzelnen Stämmen der deutschen Nation selbst hervorgegangenes Institut, vielmehr als ein feindlich eingedrungenes Element erscheinen. Vergl. dagegen: Gaupp, german. Ansiedlungen, p. 177.

24) So z. B. erklärt der Sachsenspiegel III. 44. 3 ausdrücklich die Entstehung der Laten als eine Folge der Einwanderung der Sachsen in Thüringen.

25) Dass nicht die Familien der Principes, sondern die der Comites (Gefolgsleute) den Adel gebildet hätten, so dass die Bildung des Adels die Bildung des Königthums oder doch einer ihm ähnlichen fürstlichen Herrschaft vorausgesetzt hätte, hat Gaupp, german. Ansiedlungen, p. 115 flg. auszuführen gesucht.

Stand, so dass sie selbst in der Volksversammlung nicht anders als bewaffnet erscheinen 26). Sie bilden die eigentliche Landes- und Volksgemeinde und üben in dieser wichtige politische Rechte aus 27). Uebrigens ergibt sich aus den Quellen, dass auch der Stand der Freien vor der Völkerwanderung keineswegs sehr zahlreich war. Daher mussten auch die freien Gutsbesitzer, gegenüber den weit zahlreicheren Unfreien und Freigelassenen, die wie Colonen auf ihren Gütern sassen 2), schon in der Zeit vor der Völkerwanderung ebenfalls wie eine Art von Aristokratie erscheinen 29). Hierin lag allerdings ein Element für die Entwickelung einer neuen Art von Adel, welches aber auch erst in späterer Zeit zur Geltung als ein solcher (sog. grundherrlicher Adel) gelangte.

§. 8.

Entwickelung des Standes der Gefolgsleute. Der Comitatus.

I. Schon nach den ältesten Nachrichten erscheinen die deutschen Könige und Fürsten (principes, §. 7) von einem kriegerischen Comitatus, d. h. Gefolge, umgeben '). Der deutlich erkennbare Grundcharakter dieses Comitatus ist der einer freiwilligen, auf gegenseitiger kriegerischen Treue und Ehre beruhenden Verbindung. Es setzt diese Verbindung nicht nur ein persönliches Vertrauen auf Seiten der Gefolgsleute in die Tüchtigkeit des Gefolgsherrn, sondern auch bei diesem

26) Tacit. Germ. c. 11:,,Ut turbae placuit, considunt armati." Diese Sitte, in den Volks- oder Gerichtsversammlungen bewaffnet zu erscheinen, hatte sich noch lange Zeit erhalten. Weisthum von Oberhachenthal (Grimm, I. 650):,,In gemeiner geding sollen die huber und andere gewaffnet sin." Vergl. Jahrspruch zu Uffried; ibid. I. 797. In Franken erschienen die Zentpflichtigen noch im Ausgang des vorigen Jahrhunderts bewaffnet bei Hegung des peinlichen Gerichts, um es bedecken zu helfen. I. M. Schneidt, Thesaur. Jur. Franc. 1789. Absch. I. p. 3294. Ueber die Fortdauer dieser Sitte in Holstein und der Schweiz, s. meine Alterthümer, II. 442. 448; III. 384.

27) Tacit. Germ. c. 11.

Siehe unten §. 31. 32.

28) Tacit. Germ. c. 25. Siehe unten §. 24.

29) Schon Tacit. Germ. c. 40 bemerkt:,,Langobardos paucitas nobilitat." v. Bethmann-Hollweg, über die Germanen vor der Völkerwanderung, Bonn, 1850, p. 25:,,Im modernen Sinn war der germanische Staat eine Aristokratie des Standes der Freien, und gewiss keine mildere, als sie noch heut zu Tage der westphälische Bauer von seinem stolzen Hofe über die umher wohnenden contractlich von ihm abhängigen Heuerlinge übt.“

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1) Die hauptsächlich hier in Betracht kommenden Stellen sind Tacit. Germ. c. 13. 14. Auch bei den Galliern hatte der Adel (Equites) solche Gefolge. Caesar d. Bell. Gall. III. c. 22: Adcantuannus, 99... ... cum DC devotis, quos illi Soldurios adpellant." Ibid. VI. 15: . eorum ut quisque est genere copiisque amplissimus, ita plurimos circum se ambactos (Ampachts-, Amtleute, d. h. Ministerialen) clientesque habet." Das Wort Comites scheint von Tacitus als Uebersetzung von gwas (gas, vas; dim. gasallus, vasallus), d. h. Geselle, socius, gewählt worden zu sein. Später findet man: sequaces; ags. folgarii, gesidcundmen, thainlith.

den Besitz von grossem Vermögen voraus. Das Comitatswesen hängt sonach mit dem Wesen des Adels vor der Völkerwanderung (§. 7) genau zusammen, wie dies auch die innere Einrichtung der Comitate bestätigt.

II. Es ergibt sich dies aus Folgendem: 1) die Aufnahme in den Comitatus eines kriegsberühmten Fürsten ist Gegenstand des Zudranges der thatenlustigen Jugend, um Gelegenheit zu Ruhm und Auszeichnung zu finden 2). 2) Der Eintritt in den fürstlichen oder königlichen Comitatus ist nicht nur keine Schande, sondern er wird selbst von den jungen Männern der ersten Familien, d. h. des Adels anderer Volksstämme gesucht), und diese sind gewiss, bei dem Gefolgsherrn jederzeit eine bereitwillige ehrenvolle Aufnahme zu finden 1). 3) Es steht ausschliesslich bei dem Fürsten, auf welche Zahl er seinen Comitatus bringen will. Je zahlreicher und kriegerischer das Gefolge ist, desto höher steigt das Ansehen des Fürsten und desto mehr verbreitet sich in Folge hiervon sein Ruhm, selbst bis in das fernste Ausland; daher suchen auch die Fürsten es einander in der Zahl und Tüchtigkeit ihrer Gefolgsleute zuvorzuthun 5). 4) Das Gefolge wird auch im Frieden beisammen behalten 6): sein Unterhalt und seine kriegerische Ausrüstung mit Pferden und Waffen liegt ausschliesslich dem Fürsten ob, und nicht dem Lande; auch verlangt das Gefolge vom Fürsten eine reichliche, wenn auch (nach römischen Begriffen) nicht eben feine Beköstigung und reichliche Geschenke 7). Eben daher musste es wohl den Fürsten mitunter schwer

2) Tacit. Germ. c. 14:,,Si civitas in qua orti sunt, longa pace et otio torpeat, plerique no bilium adolescentium petunt ultro eas nationes, quae tum bellum aliquod gerunt: quia et ingrata genti quies et facilius inter ancipitia clarescunt." (Es sind dies also eigentliche Wargangi; s. oben §. 5, V.)

3) Tacit. Germ. c. 13:,,Nec rubor inter comites aspici."

4) Tacit. Germ. c. 13: „,Insignis nobilitas aut magna patrum merita principis dignationem (d. h. eine auszeichnende Würdigung des Fürsten) etiam adolescentulis assignant. Ceteris robustioribus ac jam pridem probatis aggregantur.“ (Siehe über die Auslegung dieser Stelle oben §. 7 Note 15.) Die Richtigkeit der Lesart ,, Ceteris", welche auch alle Handschriften haben, vertheidigt mit Recht v. Bethmann-Hollweg, die Germanen vor der Völkerwanderung, 1850, p. 59, gegen eine Conjectur v. Savigny's u. A., wonach Ceteri" gelesen werden sollte.

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5) Tacit. Germ. c. 13:,,(Magna aemulatio) principum, cui plurimi ac acerrimi comites; haec dignitas, hae vires, magno semper electorum juvenum globo circumdari, in pace decus, in bello praesidium: nec solum in sua gente cuique sed apud finitimas quoque civitates id nomen, ea gloria est, si numero ac virtute comitatus emineat; expetuntur enim legationibus et muneribus ornantur, et ipsa plerumque fama bella profligant."

6) Tacit. Germ. c. 13:,,in pace decus." Siehe Note 5.

7) Tacit. Germ. c. 14: „Exigunt nempe principis sui liberalitate illum bellatorem equum, illam cruentam victricemque frameam. Nam epulae et, quamquam incomti, largi tamen apparatus pro stipendio cedunt." Nachweisungen über die Fortdauer dieser Sitte im Mittelalter, auch Lieferung von ,, vestes aequales" (Uniformen) an die ritterlichen Söldner, Gesellen, socii, Helfer, schon im 13. Jahrhundert, s. in meinen Alterthümern, Bd. I. (1860) S. 332 flg.

fallen, ihr Gefolge im Frieden zu erhalten, und war deshalb auch jede Gelegenheit zum Kriegführen willkommen 8). 5) In der Gefolgschaft selbst bestanden verschiedene Grade, zu welchen ein Gefolgsmann durch den Fürsten nach dessen Belieben befördert werden konnte 9), so dass unverkennbar schon in der ältesten Zeit höhere und niedere Gefolgsleute unterschieden wurden. () Darüber, ob es schon Gefolgsleute gab, welche ihre Eigenschaft als solche auf ihre Nachkommen vererbten, schweigen die Quellen; doch ist dies nicht wahrscheinlich. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so würde nichts desto weniger in den Gefolgsleuten als solchen doch kein Adel in dem Sinne jener Zeiten (§. 7) zu erkennen sein, da ihnen jede politische Auszeichnung abging 10). Höchstens wird man eine erbliche Eigenschaft bei solchen im Comitatus mitbegriffenen Personen annehmen dürfen, welche an sich schon als hörige Dienstleute dem fürstlichen Hause angehörten, und regelmässig nur die untersten Stufen im Comitatus einnahmen 11). 7) Die kriegerische Treue des Comitatus ging so weit, dass man es für schimpflich hielt, wenn ein Gefolgsmann seinen in der Schlacht gefallenen Fürsten überlebte 12).

III. Nicht zu verwechseln mit diesem Comitatus, welcher gleichsam die Hausmacht eines germanischen Königs oder Fürsten bildete, sind die von Tacitus ebenfalls Comites genannten Personen, welche der Gau dem Princeps als seinem politischen Oberhaupte zu stellen hatte, und die theils als ein dem Fürsten zur Seite stehender Rath, theils als eine Landwehr, beschrieben werden 13).

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8) Tacit. Germ. c. 14: magnumque comitatum non sine vi belloque tueantur (al. tueare) materia munificentiae per bella et raptus." Vergl. über diese Stelle: Waitz, Verf.-Gesch. I. p. 149.

...

9) Tacit. Germ. c. 13:,,Gradus quin etiam comitatus habet, judicio ejus, quem sectantur. Magnaque et comitum aemulatio, quibus primus apud principem suum locus."

10) A. M. ist Gaupp, german. Ansiedlungen, p. 118 flg. (siehe oben §. 7, XIII.)

11) Bei Tacitus sind diese hörigen Dienstleute, welche der Fürst auch im Kriege verwandte, unter der Bezeichnung clientes mitbegriffen: Annal. I. 57: ,,ereptus Segestes magna cum propinquorum et clientum manu." In der folgenden Periode erscheinen sie unter der Bezeichnung pueri regis, ministeriales etc.

12) Tacit. Germ. c. 14:,,Cum ventum in aciem, turpe principi, virtute vinci; turpe comitatui virtutem principis sui non adaequare. Jam vero infame in omnem vitam et probrosum, superstitem principi suo ex acie recessisse." Vergl. Caesar, d. B. G. III. 22. Ammian. Marcellin. XVI., 12. 60. Hiermit hängt auch die aus späterer Zeit bekannte nordgermanische Sitte zusammen, wonach es als eine Ehre galt, wenn ein alternder Fürst einen Gefolgsmann aufforderte, sich mit ihm zu tödten.

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13) Tacit. Germ. c. 6. 12. (Siehe unten §. 32). Diese zweite Classe der Comites hat Waitz, Verf.-Gesch. I. 77. 100 (dem sodann Roth und Hillebrand nachgeschrieben haben) mit der vorbeschriebenen ersteren Classe durchaus vermengt und die Behauptung aufgestellt, dass nur das politische Oberhaupt

IV. Endlich darf man mit dem königlichen oder fürstlichen Comitatus auch nicht jene zusammengelaufenen Massen verwechseln, welche auf die Einladung oder den Aufruf eines Fürsten sich seinem Gefolge (gleichsam als Freischaaren) anschlossen 14), noch auch jene Züge, wenn ein ganzer Volksstamm oder ein Theil desselben mit seinem Könige oder einem seiner Fürsten und dessen Comitatus an der Spitze aufbrach, um sich neue Wohnsitze zu erobern 15), oder in das Verhältniss römischer Hülfstruppen (foederati) oder militärischer Colonisten (laeti) zu treten 16).

B. Merowingische und karolingische Zeit.

§. 9.

Die Standesverhältnisse nach den Volksrechten und Capitularien. Nobiles.

Ingenui*).

I. Als eigentliche Standesgegensätze treten auch nach der Völkerwanderung, beziehungsweise seit der Entwickelung der fränkischen Monarchie, ebenso wie in der früheren Periode, der Stand der Freien und

eines Gaues einen Comitatus haben konnte. Allein schon das, was Tacitus über die beliebige Vermehrung der Gefolgsleute durch den Gefolgsherrn und die ihm persönlich obliegende Last, sein Gefolge zu erhalten und auszurüsten, sowie über die bis in den Tod verpflichtende Treue der Gefolgsleute berichtet, schliesst die Möglichkeit der Annahme aus, dass ein solches Gefolge, wie es Tacitus in der Germania c. 13. 14 beschreibt, einem als Oberhaupt beliebig gewählten Manne von der Landesgemeinde zu seiner Unterstützung im Amte hätte gestellt oder von diesem hätte angenommen werden können. Dies erkennt auch an: Walter, R.-G. §. 11. Siehe noch unten §. 32, II.

14) Einen solchen Freischaarenzug, welchen der junge (Ostgothe) Theodorich ohne Vorwissen seines Vaters gegen die Sarmaten unternahm, beschreibt Jornandes c. 55.

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15) So z. B. die Gothen, Vandalen, Sueven.

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16) So z. B. die Heruler, die Burgunder. Amm. Marcellin. XXVIII. 5: jam inde temporibus priscis sobolem se esse Romanam Burgundii sciunt." Die Bezeichnung laeti barbari sc. auxiliares, barbari milites, geht nur auf solche Germanen, welche als gemeine Krieger von den Römern Grundstücke, meistens an des Reiches Grenzen, mit der Obliegenheit, dafür Kriegsdienste zu leisten, erhalten hatten. Diese Ländereien hiessen terra laeta, terra laeticia, corrump. terra laetitiae, gleichbedeutend mit agri veteranorum, agri limitrophi (wahrscheinlich abgeleitet von hledhlot, lot, sors, sortes barbaricae). Solche Militärcolonien errichtete zuerst Alexander Severus (a. 222-235); s. Lampridius, in vita Alex. Sev. c. 58; sie wurden vermehrt unter K. Probus (c. a. 277) und wiederhergestellt unter Valentinian I. (c. a. 370). Vergl. über laeti und terra laeticia den Cod. Theodos. Const. 10. 12: de veteranis (7. 20); Const. 9: de censitoribus (13. 11).

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*) Eichhorn, R.-G. I. §. 46 flg. Waitz, deut. Verf.-Gesch. 1847, II. p. 147 flg. Walter, 1852, §. 408 flg. Hillebrand, St. u. R.-G. 1856, §. 46 flg. Die Ansichten sind sehr verschieden; insbesondere hat Waitz das Dasein eines Adels bei den Franken in dieser Periode gänzlich in Abrede gestellt.

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