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wie er im Landrecht liegt, ist daher nur ein relativer, und schliesst also den von Anfang an in Deutschland vorhandenen Particularismus des Rechtes nicht aus, und zwar um so weniger, als sich auch kein wirklich in ganz Deutschland gemeines Herkommen anders als in particulären Kreisen, d. h. in den einzelnen Ländern und also nur local zu bilden vermochte.

II. Der Grundgedanke der mittelalterlichen deutschen Rechtsverfassung war, dass das Landrecht, als das in den einzelnen Ländern selbst erwachsene herkömmliche Recht, unter dem kaiserlichen Schutze (unter des Königs Frieden) durch die von kaiserlicher Anordnung ausgehenden Landgerichte gehandhabt werden sollte. Allein der Rechtszustand litt im Mittelalter theils wegen wegen Mangels einer genügenden Organisation der Gerichte oder des guten Willens der Richter 2), theils wegen des Mangels einer die volksmässige Rechtsbildung gehörig überwachenden legislativen Thätigkeit der Staatsgewalt "), theils unter dem Druck des sog. Faustrechts, an einer solchen Unsicherheit hinsichtlich seiner praktischen Geltung, dass das Recht kaum noch durch specielle kaiserliche oder landesherrliche Zusicherungen und damit verbundene besondere Strafandrohungen, d. h. durch die Einkleidung in die Formen von Privilegien und Freiheiten für einzelne Personen oder Classen derselben gewahrt werden konnte 4).

III. Hieraus erklärt sich das allgemeine Streben nach der Erlangung von Privilegien, durch deren allmählig masslos gewordene Ertheilung die praktische Bedeutung des gemeinen Rechtes fast ganz unterdrückt wurde, so zwar, dass in politischer Beziehung das Recht als allgemeine Regel fast gänzlich unterging.

IV. Durch dieses Unwesen der Freiheiten (Privilegien) auf der einen und das Faustrecht auf der andern Seite war allmählig der Rechtszustand auf die äusserste Stufe der Verwilderung gekommen, wohin das schrankenlose Ueberwiegen des subjectiven Rechtsbegriffes führen kann und muss, nämlich zu einem Zustand der vollkommensten rechtlichen Unsicherheit, Ungleichheit und Anarchie. Die Unerträglichkeit eines solchen Zustandes musste aber nothwendig zu der Erstrebung eines geordneteren Zustandes, in welchem das subjective Recht durch das objective, d. h. die Befugniss des Einzelnen durch ein gemeinverbindliches und praktisch gehandhabtes Gesetz verbürgt wird, hindrängen.

2) Häufig waren z. B. die Klagen, gegen adelige Fried brecher kein Recht erlangen zu können, wo die Gerichte selbst mit Rittermässigen besetzt waren. 3) Siehe oben Bd. I. §. 21.

4) Solche Privilegien wurden mitunter allgemein publicirt: besonders zu Gunsten schutzbedürftiger Personen. Cap. Carol. M. de banno dominico (Pertz I. 34). „Contra pauperinus, qui se ipsus defendere non possunt, qui dicuntur un-uermogan" (d. h. unvermögend). Dahin rechnete man insbesondere Wittwen; Waisen, Juden und Kaufleute; ähnlichen Schutz genossen auch Kirchen und Mühlen. Vergl. auch Cap. Sax. 772 c. 1. 2; Schwabensp. c. 248.

V. Der erste Keim für die Belebung eines gemeinen Rechtszustandes und die Begründung der Herrschaft des Gesetzesbegriffes lag aber in der Entwickelung der städtischen Verfassung. Jede Stadt ist nämlich auf den Begriff der Rechtsgleichheit der Bürger, oder eines für dieselben gemeinen Rechtes gegründet; allein selbst die gemeine Freiheit der Bürger erschien in den Städten ursprünglich gleichsam nur als ein Privilegium im Vergleich mit dem grossentheils unfreien und wenigstens in politischer Beziehung meistens unberechtigten Bauernstande. Jedoch sind es eben die Städte, durch welche der Anstoss zur Wiederbelebung eines gemeinen Rechtes gegeben wurde, theils weil ihre Zahl und Bedeutung fortwährend stieg, theils weil auch der Bauernstand, sogar mitunter in gewaltthätiger Erhebung, nach gleicher politischer Freiheit mit dem Bürgerstand strebte und diese auch endlich, des Misslingens des sog. grossen Bauernkrieges ungeachtet, doch nach und nach in Folge der Verbreitung humanistischer und geläuterter politischer Ansichten, und insbesondere seit der Erhebung der Landeshoheit der Fürsten über die Macht des Adels erlangte.

VI. Nicht wenig trug sodann das römische Recht zur Wiederbelebung des Begriffes eines gemeinen Rechtes bei, da es im Wesentlichen keine Standesvorzüge und verschiedenen Standesrechte unter den freien Leuten, sowie auch keine Feudalität und Grundherrschaftsverhältnisse kennt, und überhaupt als ein alle Reichsangehörigen gleichmässig bindendes Gesetz betrachtet wurde 5). Es nahm daher das römische Recht seit dem fünfzehnten Jahrhundert für Deutschland den Charakter eines Landrechtes in einem ausgedehnteren Sinne an, als er bis dahin vorgekommen war, und man darf unbedenklich erklären, dass Deutschland mit der Reception des römischen Rechtes (abgesehen von den wenig genügenden allgemeinen Capitularien der fränkischen Könige und den späteren Landfrieden und Reichsabschieden) zum Erstenmale ein umfassendes formell gemeines Recht erhielt. Die grosse und bleibende Bedeutung des römischen Rechtes für die Rechtsbildung in Deutschland besteht daher hauptsächlich darin, dass es dem objectiven Rechtsbegriffe eine grössere und allgemeinere Geltung verschaffte, als derselbe vorher gehabt hatte.

VII. In derselben Zeit, in welcher sich das römische Recht in Deutschland ausbreitete, gab das wiedererwachte Studium des klassischen, in seinen Grundlagen hauptsächlich republikanischen Alterthums der gesammten humanistischen Bildung eine mehr oder minder demokratische Richtung, welche sich fortwährend steigerte, bis sie endlich mit der französischen Revolution von 1789 zum vollen Durchbruch kam. Der Natur der Sache nach ist aber mit jeder demokratischen Bewegung die Forderung gemeingiltiger Gesetze nothwendig verbunden, um das subjective Recht Aller nach dem Grundsatz der Gleichheit gegen

5) Siehe oben Bd. I. §. 27. 53.

Zoepfl, deutsche Rechtsgesch. II. 4te Aufl.

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das subjective Recht Einzelner, d. h. der historischen Aristokratie, zur Geltung zu bringen 6).

VIII. Ebenso begünstigte aber auch die Entwickelung der autokratischen Monarchie in mehreren der grösseren deutschen Länder (nach dem Vorgang von Frankreich) die Einführung von umfassenden Gesetzen, da die Autokratie, um sich über den Adel zu erheben, einer demokratischen Grundlage nicht entbehren kann, d. h. ebenso wie die Demokratie, den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz aufstellen muss. IX. Bei solcher Uebereinstimmung der Vertreter der extremsten Richtungen bezüglich der Nothwendigkeit allgemeiner Landesgesetzgebungen, war der Sieg des objectiven Rechtsbegriffes über den subjectiven bereits entschieden, als die französische Revolution vom J. 1789 der Entwickelung des Staatslebens in Europa einen neuen Anstoss gab, und gleichzeitig von der wieder erwachten Philosophie zu der Erstrebung eines auf gemeingiltigen Gesetzen beruhenden Rechtszustandes hingeleitet wurde.

X. Als sodann die allgemeine Erhebung des deutschen Volkes in den Freiheitskriegen während der Jahre 1813 und 1814 die Idee einer grossen deutschen Gesammtnationalität und eines freien Staatsbürgerthums zum volksmässigen Bewusstsein brachte, wurde von der Nation die Erschaffung eines vernunftgemässen, auf nationalen Grundlagen beruhenden, und zugleich in Gesetzes form festzustellenden gemeinen Rechtes als die Aufgabe unserer Zeit aufgefasst; insbesondere werden seitdem politische Rechte für die Gesammtheit des Volkes in Anspruch genommen, während das Mittelalter solche nur den privilegirten Classen zuerkennen wollte.

XI. Somit ist das neunzehnte Jahrhundert, indem es den objectiven Rechtsbegriff an die Spitze stellt, in den äussersten Gegensatz gegen das Mittelalter getreten, und hofft und erwartet Alles von dem Gesetz und durch das Gesetz 7), für welches aber eben darum Volksthümlichkeit des Inhaltes, und deshalb auch eine Mitwirkung des Volkes durch seine Stellvertreter oder Landstände bei der Gesetzgebung in Anspruch genommen wird.

XII. Nach diesem Umschwung der politischen Zustände musste der mittelalterliche Weg zur Erzeugung des volksmässigen Rechtes, das Herkommen, für die weitere Fortbildung des Rechtes sehr an Bedeutung verlieren, und ist in dieser Beziehung in den meisten Staaten durch die Gesetzgebung fast gänzlich verdrängt worden.

6) So war auch eine wesentliche Aufgabe, welche sich die französische Revolution setzte, das Zustandebringen einer durchgreifenden und umfassenden Gesetzgebung, wovon die sog. Cinq Codes die bleibende Frucht sind.

7) Daher kann auch die gegenwärtige Periode unseres Rechtslebens füglich als Periode der Codificationen bezeichnet werden. Vergl. oben Bd. I. §. 58 flg.

Erstes Hauptstück.

ÖFFENTLICHES RECHT.

I. Abschnitt.

STANDESVERHÄLTNISSE.

1. Die freien Stände.

A. Aelteste Zeit.

(Die Zeit vor und in der Völkerwanderung.)

§. 7.

Aelteste Stände. Adel. Freie*).

I. Unter Stand versteht man einen Inbegriff von Personen, welche wegen ihrer Geburt oder Lebensweise und Berufsthätigkeit bestimmte politische oder bürgerliche Rechte gemein haben oder entbehren. Hiermit ist die Unterscheidung von Geburts- oder erblichen Ständen und von erworbenen Ständen von selbst gegeben.

II. In Deutschland finden sich ursprünglich nur Geburtsstände, und zwar als die äussersten Gegensätze ein Stand der Freien (ingenui) und ein Stand der Unfreien oder Knechte (servi). Der erstere Stand selbst

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*) Die eddische Sage über den Ursprung der Stände, siehe in der Edda Saemund. (Kopenhag. Ausg.) III. p. 170. K. D. Hüllmann, Geschichte des Ursprungs der Stände. (2. Ausg.) Berlin, 1830. Thierbach, über den germ. Uradel. 1835. v. Savigny, Beiträge zur R.-G. des Adels im neueren Europa. Berlin, 1836. v. Strantz, Gesch. des deutsch. Adels. 1845. Eichhorn, R.-G. I. §. 14 b flg. Vergl. auch Löbell, Gregor von Tours und seine Zeit. G. Waitz, deut. Verfassungsgesch. 1844. Bd. I. S. 65 flg. Konr. Maurer, über das Wesen des ältesten Adels der deutschen Stämme. München, 1846. E. v. Wietersheim, zur Vorgeschichte deut. Nation. Leipz., 1852. Th. Mundt, Gesch. der deutschen Stände nach ihrer gesellschaftlichen Entwickelung etc. Berlin, 1854.

1839. S. 502 flg.

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zeigt bereits eine dreifache Abstufung, nämlich 1) einen Adel (nobiles, proceres), 2) die Freien schlechthin (ingenui) und 3) die Freigelassenen (liberti), deren Stellung aber regelmässig von jener der Unfreien nur wenig verschieden war 1).

III. In der Zeit, in welcher unsere Nachrichten beginnen, war also ein Adel bereits vorhanden, und erscheint als ein Inbegriff von Geschlechtern, welchen eine gewisse Auszeichnung vor den übrigen Freien (ingenui) zukommt. Dieser Auffassung entspricht auch die Etymologie des Wortes A del, welches soviel als Geschlecht bezeichnet 2), sowie auch noch im späteren Mittelalter mit dem Ausdrucke „die Geschlechter" stets der Gedanke an Familien von einer gewissen Auszeichnung verbunden war").

IV. Darüber, dass der älteste deutsche Adel, d. h. jener, welcher schon vor der Völkerwanderung erwähnt wird, Geschlechter von Auszeichnung begriff, besteht keine Meinungsverschiedenheit; desto mehr weichen die Ansichten darin von einander ab, worin die Auszeichnung dieser Geschlechter bestanden habe. Während die Einen den Adel als einen erblichen, von den übrigen Freien scharf geschiedenen Stand mächtiger Gefolgsherren auffassen, welche eine Aristokratie in dem Sinne bilden, dass nur aus diesen Geschlechtern die höheren Obrigkeiten gewählt werden durften 4), wollen Andere dem ältesten germanischen Adel durchaus keine eigentlichen Vorrechte vor den übrigen Freien, sondern nur solche (blos thatsächliche) Vorzüge zugestehen, welche lediglich auf der hohen Achtung beruhten, in welcher eine gewisse Familie bei einem Volke (in der öffentlichen Meinung) stand 5).

1) Tacit. Germ. cap. 25: Liberti non multum supra servos sunt exceptis gentibus que regnantur. Ibi enim et super ingenuos et super nobiles ascendunt." Ebenso unterscheidet Tacitus, Germ. c. 44:,, nobiles, ingenuos, libertinos, servos." Ueber die nobiles des Tacitus siehe

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H. Brandes, als Beigabe zu dessen: Erster Bericht über die germanist. Gesellschaft an der Univers. Leipzig. Leipz. 1863.

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2) J. Grimm, R.-A. p. 265: Adel bedeutet genus, prosapia, mit dem Nebensinne nobilitas." In den Legg. Edovardi Confess. c. 35 (bei Schmid, Ges. d. Angelsachs. p. 301) wird,,adaling" erklärt: „In quadam regione Saxoniae, Ling, imago dicitur; Athel, Anglice nobilis est, quae conjuncta sonant nobilis imago (ähnlich, wie man jetzt noch sagt: ein Mannsbild, Weibsbild). Bei den Langobarden finden sich,, Lithingi"; im Gloss. Cav. erklärt als ,,quidam nobilis." Vergl. ags.,,thainlith" (§. 10 N. 54).

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3) So hiessen z. B. in den deutschen Reichsstädten die patricischen Familien oder der sog. Stadtadel kurzweg,,die Geschlechter." Siehe unten §. 22. 4) Dies ist im Wesentlichen die Ansicht von Eichhorn, R.-G. §. 14b und von v. Savigny, in der oben (Note *) angeführten Schrift.

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5) Dies ist die Ansicht von Waitz, Verf.-Gesch. I. p. 65 flg., und von K. Maurer, über das Wesen des ältesten Adels, p. 18. Auch Walter, deut. R.-G. §. 9 scheint sich dieser Ansicht anzuschliessen und ebenso Hillebrand, R.-G. §. 16. Hierzu will es aber freilich nicht stimmen, wenn diese letztgenann

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