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die Werke fremder Völker in den Originalsprachen zu lesen, oder mußte er sich mit Überseßungen begnügen? -Hat er mit unermüdetem Eifer, allen Hindernissen trogend, der geschichtlichen Wahrheit nachgestrebt, und auf dieser mühevollen Bahn jenen ausdauernden Muth bewiesen, welcher die Heroen der Wissenschaft von jeher unterschied?

So wie bei den Fragen über die Person des Historikers, werden wir auch hier einige Erläuterungen mittheilen.

Die Bearbeiter der Geschichte ihrer eige nen Zeit haben bei Erforschung der historischen Wahr. heit mit vielen Hindernissen zu kämpfen, welche sie sehr oft nicht zu überwinden vermögen. Die meisten Zeitge nossen kennen einen großen Theil der politischen Ursas chen der Begebenheiten nicht, und selbst deren Fol gen nicht in ihrem ganzen Umfange. Die Stellung des Historikers begünstigt manchmal die Kenntniß der geheimen Triebfedern, schließt aber eben so oft dieselbe gänzlich aus. - Dieses ist ganz besonders der Fall bei der neuesten Kriegsgeschichte. Der Krieg be steht in den Kämpfen weier, oder wohl auch mehrerer, einander entgegenwirkender Völker. Gehört der Autor der einen Partei an, so kann er vielleicht die Geheimnisse derselben kennen; aber jene der Gegenpar tei bleiben ihm verschlossen. Gehört er einem dritten Volke an, so sind ihm wahrscheinlich beider kriegfüb renden Parteien Geheimnisse unbekannt. Die näch ften Quellen der Kriegsgeschichte, welche Jedermann sammeln kann, sind die öffentlichen Be richte beider Parteien. Doch diese geben felten strenge Wahrheit. Der Sieger übertreibt die gewonnenen Vor:

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theile; der Besiegte verkleinert die Unfälle und Ver. luste, und beschöniget die begangenen Fehler. Jene Berichte wurden auch oft im Drange der Ereignisse nur schnell hingeworfen; sie sind dann zu gedrängt, uns wissenschaftlich, unklar. Oft, wenn nur für den Augenblick zur Erhebung oder Beruhigung des Volkes be= stimmt, ist in denselben die Wahrheit absichtlich entstellt. · Die Tagebücher und Memoiren der Felds Herren, oder anderer hoher Offiziere, entbehren auch oft der vollen Glaubwürdigkeit. Diese Offiziere schreis ben für ihren eigenen Ruhm und für den ihres Heeres. Daher werden manchmal zufällige Vortheile als Folgen tiefdurchdachter Plane angegeben, Unfälle verkleis nert, Mißgriffe verschleiert, die wahren Ursachen. großer Begebenheiten, besonders wenn sie Staatsgeheimnisse sind, oder wenn deren Bekanntmachung einen politischen oder moralischen Nachtheil bringen könnte, ganz nit Stillschweigen übergangen. - Die Erzähe lungen anderer Augenzeugen sind noch unzuverlässiger. Diese Zeugen selbst sind oft von Vorurtheilen, von Neigung oder Haß, von politischen Meis nungen, von Vaterlandsliebe oder Religionseifer befan= gen, und einer der kriegführenden Mächte ergeben. Das her sind auch ihre Berichte meistens parteiisch und mangelhaft. Wenn sie auch wirklich treu erzählen, was sie selbst sahen, vermögen sie doch nur selten, die Ursachen der Ereignisse und den Zusammenhang derselben anzudeuten.

Um die pragmatische Geschichte eines neueren Krieges verfaffen zu können, wäre es nöthig, daß jede der beiden kriegführenden Parteien bereits ihre eigene Ge schichte gründlich beschrieben, und die geheimen Umstände

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derselben aufgeklärt hätte. Dieser Bedingung wird aber meistens erst viele Jahre nach den Ereignissen entsprochen, wenn die Hauptpersonen, welche in jenen Kries gen handelnd auftraten, bereits die Weltbühne verlas. fen haben, und ihre zurückgebliebenen Papiere zugänglich geworden sind. Die Freunde der Historie sind also nur selten in dem Falle, pragmatische Geschichten ihrer eigenen Zeit zu erhalten, oder zu verfassen. Die Zeitgenossen können meistens nur geschichtliche Materialien liefern, welche auf die Nachwelt in den verschiedenen Gestalten von Memoiren, Chroniken, Sammlungen von Staatsschriften und Berichten, Tagebüchern, u. f. w. übergehen. Diese Materialien erscheinen theils schon ibrer Wesenheit nach als glaubwürdig; theils müssen fie erst durch sorgfältige Sichtung und Prüfung für ges diegene historische Arbeiten brauchbar gemacht werden.

Ein Geschichtswerk, dessen Verfasser den Stoff nur aus gedruckten Materialien geschöpft hat, entbehrt des Reißes der Neuheit. Man wird in demselben weder bisher unbekannte Thatsachen erfahren, noch die geheimen Triebfedern der Ereignisse kennen lernen, auch nur selten Aufschlüsse über den Zusam menhang und die Wechselwirkung der Begebenheiten erhalten. Indeß kann ein solches Werk dennoch durch den Geist, den Scharfblick und die Sachkenntniß des Verfassers einen höheren Werth gewinnen. Auch hängt der innere Gehalt solcher Arbeiten sehr von der Menge und der Güte der wirklich gebrauchten gedruckten Quellen, von der kritischen Auswahl dieser Materialien, und von der künstlerischen Anordnung der rohen Stoffe ab. Führt der Verfasser seine Quellen umständlich an; ist an seiner Aufrichtigkeit nicht zu zweifeln, oder

diese durch eine prüfende Vergleichung des Buches mit dessen Quellen schon bewähret; so kann auch die Stufe des wissenschaftlichen Gehaltes seines Werkes mit eini ger Sicherheit bestimmt werden. Über den Kunstwerth müssen das Gefühl und der Geschmack gebildeter und in dem Fache bewanderter Leser entscheiden.

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In dem seltenen Falle, daß es einem Historiker vergönnt war, schriftliche Originalquellen, Berichte von Augenzeugen, Tagebücher der Feldherren, Akten der Kriegsarchive zu benüßen, gewinnen deffen Arbeiten einen hohen Rang in der kriegsgeschichtlichen Literatur. Einen solchen pragmatischen Karakter tragen die Darstellungen des Feldzuges 1809 von dem östreichischen General Karl Baron Stutterheim, - des Feldzuges 1812 gegen Rußland von Okous neff und Butturlin, die Geschichte der Revoluzione kriege von Jomini, der Précis des Evénemens von 1799-1807 von Matthieu Dumas, - und alle jene kriegsgeschichtlichen Aufsätze der östreichischen militärischen Zeitschrift, deren Titel die Bemerkung beigefügt ist, daß sie nach östs reichischen Originalquellen verfaßt worden. Seine Kaiserliche Hoheit der Erzherzog Karl vereinigte in seinen Werken die strategische Einsicht in den von ihm selbst so ruhmvoll geleiteten Gang der Ereignisse von 1796-1799 mit der sorgfältigsten Benügung aller diese beiden Feldzüge betreffenden Dien stesschriften. Napoleon hat von den zahlreichen und durch ihren historischen Werth unschäßbaren Papieren, welche in der Correspondance inédite öffentlich bekannt gemacht worden sind, bei Verfassung seiner Memoiren auf Sanct Helena keinen Gebrauch machen

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wollen, oder ́er wurde daran durch die Umstände verhindert. Aber auch die Erinnerung an diese seine eigene Korrespondenz hatte ihn häufig verlassen; da feine Memoiren mit derselben oft im grellsten Widerspruche stehen. Jourdan, Soult, Gous vion Saint Cyr legten ihre eigenen Papiere ihren kriegsgeschichtlichen Werken zum Grunde. Der Lettere, cem als Kriegsminister alle französischen Archive offen standen, lagt dennoch über den Mangel an offiziels len Quellen für die Kriegsgeschichte der ersten Revo luzionsjahre.

Auch die Darstellung längst vergangener Ereignisse gewinnt oft einen hohen Werth, wenn der Stoff aus echten Quellen geschöpft, und bei jeder bedeutenden Angabe auf die in denselben enthaltenen Beweis stellen hingewiesen wurde. So verfuhren Sismondi in seis ner Geschichte der italienischen Freistaaten des Mittelalters, und in jener der Franzosen, Gibbon in

der Geschichte des Verfalls des Römerreiches, und Hams mer in der Geschichte der Osmanen. Der Leştere bes nüşte überdieß bei seinem vortrefflichen Werke eine gros Be Anzahl authentischer Quellen, die vor ihm dem wife senschaftlichen Europa noch gar nicht bekannt gewesen, und hat dadurch diese Geschichte auf die höchste Stufe historischer Glaubwürdigkeit erhoben.

Wenn die Prüfung der Persönlichkeit des Autors und feiner Quellen die Überzeugung verschafft hat, daß derfelbe der historischen Wahrheit und der Wis fenschaft genug gethan, wäre noch ferner zu untersuchen, ob er auch der historischen Kunst genüs get. Der Geschichtschreiber soll die Gabe der Rede im reichen Maße besigen. Doch soll der durch Philosophie

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