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Staatswörterbuch

in drei Bänden

auf Grundlage des deutschen Staatswörterbuchs von Bluntschli
und Brater in elf Bänden, in Verbindung mit
mehreren Gelehrten

bearbeitet und herausgegeben von

Dr. Löning.

Dritter Band.

Zürich,

Verlag von Friedrich Schulthe ß.

1872.

Okkupation.

Okkupation im völkerrechtlichen Sinne ist die Errichtung bezw. Ausübung von Staatsherrschaft in fremdem Lande, insbesondere das Beseßthalten fremden Gebietes durch Militärmacht.

Mit den gegenwärtig praktischen Wirkungen dieser völkerrechtlichen Oklupation haben wir uns aber hier allein zu beschäftigen; denn es wäre verfehlt, dem Beispiele Berner's zu folgen, welcher in der großen Ausgabe dieses Staatswörterbuchs ausführliche Betrachtungen über die Bedeutung völkerrechtlicher und privatrechtlicher Okkupation im Naturstand und bei den alten Germanen anftellt.

Nur Staaten können direkt oder durch nachträgliche Bestätigung von Handlungen ihrer Unterthanen eine Oftupation im völkerrechtlichen Sinne vornehmen; offupirt werden kann nur, was Gegenstand staatlicher Herrschaft oder staatlichen Eigenthums sein kann. Fremdes Land ist also der wesentlichste Gegenstand solcher Besißnahme; fremdes Seegebiet nur soweit es vom Lande aus beherrscht werden tann. Daß das offene Meer niemals Gegenstand der Okkupation sein kann, ist heutzutage zweifellos, da Theorie und Praxis in dem Saße übereinstimmen, daß sich dasselbe seiner eigenen Natur zu Folge jeder Staatsherrschaft entzieht.

Es muß ferner teine Staatsherrschaft in einem Lande bestehen, wenn dasselbe mit Rechtswirkung soll otkupirt werden können.

1) Solches Land gibt es aber im Frieden nur außerhalb der Grenzen des Herrschafts-Gebietes des Völkerrechtes, weil nur außerhalb dieses Gebietes noch staatlose Zustände bestehen. Jeder Staat kann durch Otkupation solches Land erwerben; thatsächlich werden hierzu freilich nur jene Staaten im Stande sein, welche wie Rußland und die Vereinigten Staaten mit ihren Grenzen staatloses Land berühren. Soweit die Unterwerfung derartigen Landes in Wahrheit erfolgt ift, soweit ist dasselbe durch Okkupation erworben, und es hängt von dem Willen des okkupirenden Staates ab, ob er sich mit der Ausbreitung seiner Herrschaft über das ollupirte Territorium begnügen oder dasselbe zugleich zu seinem Eigen» thume machen will. Dritte Staaten müssen den auf diese Weise gewonnenen Befizftand achten; sog. symbolische Befißergreifung hingegen durch Aufpflanzen von Fahnen, Kreuzen u. dergl. ist völkerrechtlich völlig bedeutungslos.

2) Innerhalb der Gränzen des Gültigkeitsgebietes des Völkerrechts hingegen tann Staatlosigkeit eines Landes nur herbeigeführt werden durch kriegerische Gewalt, welche die bisherige Staatsherrschaft in einem Territorium entweder vernichtet oder dieselbe zeitweilig verdrängt.

Die Herrschaft über ein debellirtes Land wird durch Otkupation in gültiger Weise erworben. Das Eigenthum des debellirten Staates wird durch Oklupation Eigenthum der siegreichen Macht.

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Die Invasion feindlichen Landes gibt dem Steger die Möglichkeit des Erwerbs provisorischer Staatsgewalt im Wege militärischer Okkupation; das mobile Staatseigenthum des Feindes wird Eigenthum des Siegers, welcher dasselbe okkupirt.

Diese beiden Arten kriegerischer Okkupation sind bereits in dem Artikel Eroberung" besprochen worden, auf welchen wir daher in dieser Beziehung verweisen können.

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3) Es gibt aber endlich noch eine militärische Okkupation invadirt gewesenen Landes, welche sich nach beendigtem Kriege in den Frieden hinein fortsett, und welche bezweckt, die Ausführung der Stipulationen eines Friedensvertrages zu sichern. Frankreich gegenüber ist diese Okkupation schon mehrfach und gegenwärtig wieder durch den Frankfurter Frieden praktisch geworden. Ihre juristische Natur ist daher zum Schluß noch in Kürze zu erörtern.

Die Okkupation im leßterwähnten Sinne gibt dem Okkupanten das Recht, einen Theil des Gebietes des verpflichteten Staates militärisch besezt zu halten. Insoweit erscheint sie als Fortseßung der kriegerischen Okkupation, aus welcher sie entstanden ist, aber fte erhält einen von derselben durchaus verschiedenen Charakter durch den inzwischen eingetretenen Friedensschluß. Durch diesen ist die Staatsgewalt über das offupirte Gebiet wieder auf den ursprünglich Berechtigten zurüc übertragen worden; nur hat sich der Souverän des okkupirten Landes verpflichtet, eine Beschränkung seiner Rechte durch den Okkupanten so lange zu dulden, bis er seine im Friedensschlusse übernommenen Verpflichtungen vollständig erfüllt hat. Sache speciellen Uebereinkommens ist es, die Beschränkungen, welche dem Verpflichteten aus der Okkupation erwachsen, im Einzelnen zu bestimmen; die Last, welche eine Okkupation dem otkupirten Lande auferlegt, kann daher eventuell sehr verschieden sein. Wir begnügen uns im Folgenden die nothwendigen Merkmale jeder derartigen Otkupation hervorzuheben.

Der Ottupant übt Staatsgewalt in dem offupirten Territorium, soweit dies nothwendig erscheint, um den Okkupations-Truppen daselbst eine Rechtsstellung zu fichern. Soweit hat er gleichsam ein Retentionsrecht an der Staatsgewalt und dem ihr zur Verfügung gestellten Staats eigenthum des Verpflichteten. Keineswegs aber hat er ein Pfandrecht an dem otkupirten Lande oder dem in demselben befindlichen Staatseigenthum. Er fann nicht über die Einkünfte des ollupirten Gebietes und das daselbst befindliche Staats eigenthum verfügen wie ein Pfandgläubiger über das Pfand-moderne Staatsgewalt entzieht sich zudem der Natur der Sache nach der Verpfändung.

Der Oklupant hat aber ferner nur ein vertragsmäßig begründetes Recht, welches seiner Dauer nach abhängig ist von dem Fortbestand des Forderungsrechtes, zu deffen Sicherung es eingeräumt wurde. Mit Tilgung der garantirten Forderung muß auch die Okkupation aufhören; eine Verlängerung derselben aus andern Gründen würde rechtswidrig sein.

Mit Abzug der Ottupations-Truppen endlich koncentrirt fich von selbst wieter die volle Staatsgewalt in der Hand der Regierung des ollupirt gewesenen Landes.

Strauch.

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