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das Christentum für ein notwendiges Merkmal, wo nicht für den Inbegriff der wahren Humanität; jene aber betrachteten, wie Lessings Nathan, die Humanität als ein dem Christentum Übergeordnetes. So traten Politik und Pädagogik mit einander in einen Widerspruch, bei dem die Gesellschaft, die den Staat ausmachte, leiden mußte. Sodann, konnte die höhere Bildung, die man dem Volksschullehrer geben wollte, eine ganze und in sich fest begründete sein oder nur eine halbe, schwankende? und wenn man vermittelst jener vortrefflichen Methode, die von Diesterweg in Frankfurt a. M., dann in Mörs gelehrt wurde, wirklich eine gründliche Bildung der Volksschullehrer erzielte, würde der Staat ihnen die bürgerliche Stellung und eine solche Besoldung ge= währen, wie sie nach ihrem Bildungsgrade dann beanspruchen mußten? Er konnte oder wollte es nicht. Dennoch richtete Altenstein die Seminarien nach Diesterwegs Grundsäßen ein und berief diesen selbst zu Anfang der dreißiger Jahre als Direktor des Haupt- und Musterseminars nach Berlin.

Während nun Diesterweg selber mit pädagogischer Begeisterung und tüchtigem Wissen wenigstens formell gutgeschulte Lehrer bildete, blieb man anderwärts, wo man seine Methodenlehre nachahmte, hierin allzu oft auf halbem Wege stehen, eignete sich dagegen desto häufiger seine Ansicht an, daß in der Pädagogik das christliche Element nicht das wichtigste sei. Es ergab sich nun aus dieser Volkserziehung einerseits der Vorteil, daß sich das Maß von Kenntnissen und die Aufklärung in der Nation erheblich vermehrte, andererseits der Nachteil, daß der religiöse Sinn in den unteren Volksklassen mehr und mehr verfümmerte, weil die Schule ihn statt auf ein Konkretes, auf Abstraktes, statt auf das positive Christentum auf eine allgemeine Religiosität hinwies, die am wenigsten das Volk befriedigen kann. Es traf aber auch der soziale Schaden ein, welchen Richl schildert: „Aus dem Bauernstande hervorgegangen, lebten die Dorfschulmeister früher in und mit demselben, und ihre Lehre ging eben nicht viel über die Bauernweisheit hinaus. Jetzt wurde dem Lehrer, um ihn und dadurch den Bauer über sich selbst hinauszuheben, in den Seminarien eine höhere Bildung beigebracht, zu der doch alle Grundlage fehlte. Der Bauer wurde in ihm ausgetilgt, aber der Gebildete konnte nur halb an dessen Stelle gepfropft werden. In dem neuen Herrn Lehrer' erschien jezt nicht selten der alte,Dorfschulmeister' wie ein studirter Bauer, der von Gelehrsamkeit übergeschnappt ist. Gerade diese echt moderne Stimmung, daß sich der Mann nicht wohl fühlt in seiner Haut und fort und fort die Schranken seines Standes und Berufs durchbrechen möchte, ward den Bauern durch die Schulmeister eingeimpft. Der Schulmeister sucht natürlich den Stand der Halbbildung, zu welchem er selbst übergegangen, auch den dummen

Bauern mitzuteilen und dieselben von,veralteten' Bräuchen und Herkommen gründlich zu befreien. Die Mißachtung seitens der Aristokratie des Dorfs ferner macht den ehrgeizigen Schulmeister vollends unzufrieden mit Gott und der Welt. Man hatte ihn verbessern wollen und er war mit einem Male ein Proletarier der Geistesarbeit, der das ungekannte Gefühl der innern Zerfahrenheit und Weltverbitterung in das Dorf getragen, der, wenn er auch nicht gerade die Sozialreform ausdrücklich predigte, doch in seiner ganzen Erscheinung als eine leibhafte Aufforderung zum Umbau der Gesellschaft sich darstellte."*)

Ein anderer Übelstand lag in dem Verhältnis des Dorfschullehrers zum Dorfpastor; das Gesetz stellte ihn eigentlich unter des letteren Aufsicht, aber da man ihn gelehrt, sich als den Träger der Bildung und die Kirche als eine zweideutige oder entbehrliche Bundesgenoffin, wo nicht als eine Feindin der wahren „Humanität“ zu betrachten, so ordnete er fich dem Geistlichen nur dann gern unter, wenn dieser rationalistisch ge= sinnt war; öfters standen beide in einem gespannten Verhältnis, wozu auch manchmal bei dem einen oder dem andern der Hochmut beitrug, oder sie kümmerten sich um einander so wenig als möglich. Gingen sie Hand in Hand, so verfolgten sie weit häufiger den Zweck einer allge= meinen Aufklärung als einer christlichen Bildung.

Die erstere unter den Bauern zu verbreiten, waren indes noch andere Umstände thätig. Mit Aufhebung der Unterthänigkeit und mit der Mobilifirung des Bodens kam auch unter die Personen eine größere Beweglichkeit. Knechte und Mägde wechselten häufiger den Dienst, suchten nicht bloß auf den nächsten Gütern, sondern auch in den Städten und Fabriken Arbeit und brachten manche neue Anschauungen heim. Noch viel wirksamer war die allgemeine Wehrpflicht. Denn da die Bauernsöhne jezt massenhaft zum Militärdienst in die Städte gezogen wurden, so nahmen sie eine Menge Weisen und Gedanken der Städter auf. Die dreijährige Dienstzeit war für den Knecht oder Bauer vom Lande gleichsam eine hohe Schule, die ihn nicht nur mit preußischem und soldatischem Sinn erfüllte, sondern auch über vieles im Staate einigermaßen aufklärte, was ihm sonst immer ganz dunkel geblieben war. Kurz, der Gedankenkreis der ländlichen Bevölkerung wurde weiter, und mit den Gedanken wuchsen die Wünsche oft über das Dorf hinaus. Während nun die Unzufriedenheit mit der Gegenwart bei einem Teil der gebildeten Jugend unter Heines Auspizien die Form einer geistigen Modekrankheit, des „Weltschmerzes" annahm, äußerten die Thatkräftigen, besonders in den unteren Ständen, ihre „Europamüdigkeit" durch Auswandern. Die Zurückbleibenden aber wurden durch die Schilderung des

*) Riehl, die bürgerliche Gesellschaft, 2. Aufl., S. 88 ff.

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freien, behäbigen Lebens in den transatlantischen Republiken, die sie sonst mit halbem, jezt, da ihre Bekannten und Verwandten dasselbe schrieben, mit vollem Glauben vernommen, noch mehr zum Mäkeln an den politischen und sozialen Zuständen der Heimat angereizt. Überdies mehrte sich mit der Zunahme der industriellen Massenproduktion das Arbeiterproletariat; besonders am Rhein, wo das Fabrikwesen den breitesten Platz einnahm; hier waren denn auch schon 1830 gleich nach der Julirevolution soziale Umsturzbewegungen vorgekommen, indem die Fabrikarbeiter zu Aachen, Jülich und Elberfeld gegen die Maschinenbesizer Tumulte erhoben, die durch Militär unterdrückt werden mußten.

Durch physische Gewalt war jedoch die soziale Frage nicht zu lösen, der beginnende Pauperismus nicht aus der Welt zu schaffen. Auch fehlte es nicht an Versuchen, das Übel auf rationelle Art zu heben. In Berlin, wo das Fabrikwesen und der Soldatenpöbel aus der Zeit vor 1806 als Hefe der hauptstädtischen Bevölkerung ein Proletariat verworfenster Art, an 20 000 Köpfe stark, erzeugt hatten, seßte ein edler Menschenfreund, der Baron Kottwiß, ein Christ in Franckes Sinne, sich die Heilung dieses Schadens zur Aufgabe seines Lebens. Er errichtete ein Rettungshaus, wo er zwanzig Jahre lang das gräßlichste Elend um sich sammelte: gesunkene Weiber, verkrüppelte Kinder, ausgediente Soldaten der alten Sorte, hungernde, vom Branntwein sich nährende Fabrikarbeiter, - die Ausgestoßenen der Menschheit nahm er hier bei sich auf, wohnte zwanzig Jahre inmitten des Jammers und des ekelhaftesten Schmußes, bot allen ohne Zwang, nur mit Liebe und mildem Ernst christlichen Zuspruch und ehrliche Arbeit; gewöhnte sie mit nie ermattender Geduld an nüßliche Thätigkeit und Ordnung, an ein menschenwürdiges Dasein und verteilte sie dann in die benachbarten kleinen Orte, wo es oft an Arbeitskräften fehlte und wo die Gebesserten, Erzogenen von den Behörden ein Stückchen Kartoffelland, ein wohlfeiles Obdach), von berliner Fabrikherren Arbeit ins Haus erhielten. Ähnliche Liebesthat übte Graf Adalbert von der Recke, der 1819 in Overdyk, 1822 in Düsselthal am Niederrhein Rettungsanstalten für verwaiste und verbrecherische Kinder gründete; eine Idee, die zuerst von Johannes Falk in Weimar, einem geborenen Westpreußen - damals eben war ins Leben geführt worden. Aber so segensreich diese Bestrebungen auch waren, sie wirkten doch nur im einzelnen, und die Wurzel des übels, das Mißverhältnis zwischen der Leistung und dem Lohne der Fabrikarbeiter, blieb, und niemand wußte, wie da gründlich und im großen zu helfen sei. Es waren also auch abgesehen von den Gebresten einzelner Landschaften, dem nationalen Widerwillen der Polen und dem pfäffischen der Ultramontanen lutionäre Keime vorhanden.

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Indes noch war fich die Nation im ganzen derselben keineswegs

flar bewußt. Jhr behagte das System nicht, welches im Staate galt, aber sie hielt nicht bloß darum an sich, weil die Regierung die Macht hatte, sondern auch deshalb, weil der König ein alter Mann war, den sie nicht kränken mochte. Sie hatte ja mit ihm nunmehr fast ein halbes Jahrhundert lang Freud und Leid geteilt. Er war ihr in der Unglückszeit der Fremdherrschaft ehrwürdig, durch den Glanz der Befreiungskriege, der ihn umstrahlte, teuer geworden; dieses Band hielt König und Volk wenigstens des Kerns der Monarchie fest umschlungen und lockerte sich auch dann nicht, als die Reaktion siegte. Es kam dem Könige hier seine Scheu vor aller Ostentation ungemein zu statten; er hatte nie seine Person hervorgekehrt, sondern alles durch die Bureaukratie gethan; und da er als Mensch sehr achtungswert war, so geschah es, daß man das viele Gute, was an seiner Verwaltung gerühmt werden konnte, dem Wohlwollen und der Weisheit des Monarchen, dagegen die Fehler und Schwächen seines politischen Systems seinen Räten, teils der Bureaukratie, teils dem Adel oder dem Auslande, zuschrieb. Der rüstige alte Herr, in dem schmucklosen schwarzen, bis oben zugeknöpften Infanterierock und der einfachen Militärmüße, der so still und gemütlich ohne Begleitung durch die andern Spaziergänger Berlins im Tiergarten oder auf der Pfaueninsel dahinschritt oder im unscheinbaren, oft ausgebesserten, offenen gelben Wagen, nur von einem Adjutanten begleitet, durch die Straßen der Residenz fuhr, das war der König von Preußen; zumal der Bürgersmann freute sich des schlichten einfachen Fürsten, und jeder war glücklich, ihn grüßen zu können und den Gegengruß zu empfangen. So blieb Friedrich Wilhelm III. in der Mark und wo man sonst Gelegenheit hatte, sein Privatleben zu beobachten, bis an seinen Tod beliebt, und als er (am 7. Juni 1840) starb, wurde er nicht allein von den Berlinern, die zu tausenden draußen vor dem Palais teilnehmend harrten, sondern auch von der großen Mehrzahl des gesamten Volkes aufrichtig betrauert.

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Friedrich Wilhelm IV.

In Wohlstand und Bildung, in allen Gebieten der Kultur seit fünfundzwanzig Jahren mächtiger fortgeschritten als verhältnismäßig irgend eine andere unter den Nationen Europas, in physischer und geistiger Streitbarkeit einer jeden ebenbürtig, war das deutsche Volk doch in einem Stücke weit hinter den meisten zurückgeblieben, in der politischen Entwickelung. Von einer „deutschen Nation" konnte man im Grunde noch immer nicht sprechen; in der zivilisirten Menschheit ist ja das Staatstum ein notwendiges und wesentliches Merkmal der Nationalität. Andrerseits waren die deutsche Sprache und Kultur, insbesondere das Schrifttum, zu mächtige Bindemittel, als daß nicht wenigstens die Gebildeten in Deutschland die Sonderung in verschiedene Nationalitäten je nach dem Staate hätten ablehnen oder doch beklagen mögen. Selbst in Preußen verlangte man vielfach, die preußische Nation müsse sich zur deutschen erweitern.

Aber es fehlte dem deutschen Volke nicht bloß an der Einheit, sondern auch an der Freiheit. In seinen beiden Großstaaten gab es keine Verfassung, in den Kleinstaaten war das Verfassungswesen der Willkür der Landesherren und des Bundestags preisgegeben; so litt Deutschland doppelt durch das übel der Vielstaaterei. Dieses Übel war freilich ein altes, und sein Urquell, die deutsche Sondersucht, noch lange nicht versiegt. Aber schon hatte das Gefühl für Deutschheit, welches die Befreiungskriege einst wach rüttelten, welches sich dann im Zollverein befestigte und nun im weiteren Sinne immerhin ein Nationalbewußtsein genannt werden konnte, dem Partikularismus in der öffentlichen Meinung viel Boden abgewonnen. Volksfreiheit und deutsches Reich, das waren die beiden Güter, welche von der Mehrheit der Gebildeten noch ersehnt wurden; ersehnt nicht freilich mit der leidenschaftlichen Energie, welche der Druck wirklicher Tyrannei entzündet, denn einen solchen gab es nirgends; aber mit jenem Grad von Wärme, zu dem die Reflexion das deutsche Gemüt zu bringen vermag. Daß weder durch Österreich, noch durch den Bund der beiden Großstaaten zu jenen zu gelangen sei, dessen war die liberale Partei gewiß; die Beschaffenheit des habsburgischen Mischreichs und die Geschichte der letzten fünfundzwanzig Jahre gestatteten darüber keinen Zweifel. Nur Preußen, der mächtigste rein deutsche Staat, konnte Deutschland geben, was ihm fehlte; und es mußte seinen Beruf zur Wiedergeburt der Nation erfüllen, wenn es sich nicht selber wollte untreu werden.

Dies waren die Hoffnungen, mit denen alle freisinnigen Patrioten

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