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der Kranken enthalten den Keim der gleichartigen Zersetzung in den Körpern, die sie in sich aufnehmen, sie bewirken in diesen einen gleichartigen Angriff auf das innere Getriebe der Verrichtungen, und so entwickelt eine blofse krankhafte Erscheinung des Lebens, in sich selbst die Grundeigenschaft alles Lebens, auf geeignetem Boden sich fortzupflanzen. Darüber ist kein Zweifel, man hat die Erscheinungen, welche dafür sprechen, seit Menschengedenken in unendlicher Abwechselung der Verhältnisse, jedoch immer mit gleicher Offenbarung des Grundgesetzes beobachtet. Auch haben alle Völker, und seit den ältesten Zeiten, sinnreiche Bezeichnungen für diese Vorgänge erfunden, die jedoch selten das Allgemeine, sondern gewöhnlich nur die eigenthümliche Fortpflanzung einzelner Krankheiten anschaulich machten. Gewifs ist eine der besten und sinnreichsten die in dem deutschen Worte „Ansteckung" gegebene, das die Erweckung einer Krankheit in dem geeigneten Körper mit der Entflammung des Brennstoffes durch angelegtes Feuer, mit der Entzündung des Pulvers durch einen Funken vergleicht. Aber wie verschieden sind nicht diese Ansteckungen, von der rein geistigen, die durch den blofsen Anblick eines unheimlichen Nervenübels, durch einen sinnlichen Reiz, der den Geist erschüttert, und in die Nerven, die Wege seines Willens und seiner Gefühle, sich eindrängt, dieselbe Krankheit in dem Sehenden erregt, bis zu der Mittheilung von Krankheiten, die vornehmlich nur in dem Stoffe wuchern, und von thierischen Vergiftungen wenig oder nicht zu unterscheiden sind! Man erwarte hier nicht die vollständigen Grundzüge einer Lehre, die durch das ganze, unabsehbare Gebiet des Lebens wurzelt; sie treten deutlich aus der gediegenen und wohlbe

nutzten Erfahrung der Vorzeit hervor, und sind von Männern entworfen worden 1), welche noch nicht wie ihre späten Nachkommen verlernt hatten, die Volkskrankheiten auf eine grofsartige Weise aufzufassen. Nur an den Unterschied der bleibenden, Jahrhunderte hindurch unveränderlichen, und der zeitlichen und vergänglichen ansteckenden Krankheiten mag es erlaubt sein zu erinnern. Die Ansteckungsstoffe jener können füglich die vollkommenen oder unwandelbaren, im Gegensatze der unvollkommenen oder wandelbaren von diesen genannt werden. Jene sind, einmal gebildet, entweder in einzelnen Kranken, oder in todten Körpern (fomites) immer vorhanden, und werden durch ihnen günstige Ursachen allgemeiner Erkrankung (epidemische Constitution) nur in ihrer Wirksamkeit gesteigert, wobei zu bemerken, dafs sie unter allen Verhältnissen immer dieselben, unveränderlichen Krankheiten erregen, und einzelne Abzweigungen oder Entartungen und Milderungen abgerechnet, ihr eigentliches Wesen nie verlieren. Beispiele sind die Pocken, die Pest, die Masern, und wenn hier auch von fieberlosen Krankheiten die Rede sein kann, der Aussatz, die Krätze und die Lustseuche. Diese dagegen sind nicht immer vorhanden, sondern sie werden von den Ursachen des allgemeinen Erkrankens, den epidemischen Constitutionen, erst aus dem Nichts hervorgerufen, sie verschwinden wieder nach dem Erlöschen der Volkskrankheiten, von denen sie ausgebrütet worden sind, und diese selbst sind in den einzelnen Volkserkrankungen in Entwickelung und Verlauf sehr verschieden. Beispiele

1) Fracastoro, Fernel, Vallériola, Houlier und die meisten übrigen gelehrten Aerzte des sechzehnten Jahrhunderts.

sind das gelbe Fieber, der Schnupfen, die Nervenund Faulfieber, und unter vielen anderen auch der Friesel, eine Krankheit, die sich erst im siebzehnten Jahrhundert zu Volksseuchen ausbildete, und in der Art und Weise ihrer Ansteckungskraft dem Schweifsfieber am nächsten steht. Zu eben diesen letzten gehört nun auch der englische Schweifs, eine durchaus nur zeitliche Krankheit, die nach ihrem Aufhören keinen Ansteckungsstoff zurückliefs, und mithin unfähig war, sich auf die Weise der Krankheiten mit vollkommener Ansteckung fortzupflanzen. Die thierischen Stoffe, welche in dem strömenden Schweifse mit fortgerissen, einen so abschreckenden Geruch um die Kranken verbreiteten, unter ihnen wahrscheinlich flüchtiges Laugensalz in verschiedenartiger Verbindung, und Säure in reichlichem Ueberschufs, enthielten das Ferment der Krankheit, das mit dem Athem in die Lungen der Umstehenden eindrang, und waren diese nur irgend so vorbereitet, wie oben angedeutet worden, dasselbe Uebel unaufhaltsam hervorbrachte. Man kann mit Sicherheit annehmen, dafs die Berührung der Kranken mit den Händen an und für sich die Ansteckung nicht vermittelte, und dafs diese allein entweder durch die verpestete Luft an Krankenbetten, oder durch zurückgehaltene Ausdünstung an unreinen Orten erfolgte, weshalb der Aufenthalt in den gewöhnlichen Herbergen und Gasthäusern für gefährlich gehalten wurde 1).

Damit soll jedoch nicht behauptet werden, dafs

1),,quod vulgaria diversoria parum tuta sunt a contagio sceleratae pestis, quae nuper ab Anglis in nostras regiones demigravit." Es ist von dem englischen Schweifs in Deutschland (1529) die Rede. Erasm. Epist. L. XXVII. ep. 16. col. 1519. e.

während der drei Volkserkrankungen, welche wir bis jetzt kennen gelernt haben, die Verbreitung des Schweifsfiebers allein durch Ansteckung erfolgte, denn waren die allgemeinen epidemischen Ursachen mächtig genug, ohne irgend ein vorhandenes Gift die Krankheit zu erregen, wie hätten sie nicht auch im Verlaufe der Seuchen dieselbe Wirkung noch viel selbstständiger hervorbringen mögen, da sie sich höchst wahrscheinlich, wie dies in allen Volkskrankheiten beobachtet wird, fort und fort steigerten? Man kannte in dieser Zeit die Verschlimmerung der Seuche durch grofse Volksversammlungen, und kam dabei ganz natürlich auf den Gedanken von Ansteckung. Doch mufs hierbei wohl erwogen werden, dafs auch ohne diese, und blofs durch das Zusammensein vieler Menschen, in denen das gleiche Uebel vorbereitet war, und schon Andeutungen seines Herannahens gab, dieses unter den blofs Kränklichen durch gegenseitige Mittheilung schon krankhafter Ausströmungen leicht zu Stande kommen konnte. Denn wie die Geneigtheit zu irgend einem Uebelsein, ein Mittelzustand zwischen diesem und dem frühern Wohlbefinden 1), die Eigenschaften der Krankheit schon ganz deutlich offenbart, in die sie überzugehen droht, so unterschieden sich eben diese Ausströmungen von den in der schon ausgebrochenen Schweifssucht erfolgenden gewifs nur in unwesentlichen Rücksichten, und konnten mithin die blofse Geneigtheit zum Schweifsfieber mehr und mehr steigern, bis zum Ausbruch der Krankheit selbst. Doch wirkte zugleich auch eine Anstekkung, welche selbst Mäfsigen und anscheinend Gesunden, ja sogar den in englischer Luft und von engli

1) Brown's Opportunität.

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1510.

scher Nahrung lebenden Ausländern verderblich wurde, wie das Beispiel des Italieners Ammonius ganz deutlich beweist ').

Bei allen Volkskrankheiten, welche sich zur Ansteckungskraft steigern, kommt es vornehmlich darauf an zu unterscheiden, welche von den Ursachen die mächtigeren sind: die vorbereitenden, epidemischen, welche die Geneigtheit begründen, oder die veranlassenden, unter denen die Ansteckung in den meisten Fällen oben an steht. Hier waren offenbar die vorbereitenden die wirksameren, die Ansteckung gesellte sich erst auf der Höhe der Volkskrankheit hinzu, und wenn sie auch bei der Verbreitung derselben nicht wenig in Anschlag kam, so blieb sie doch immer den übrigen Triebfedern des Erkrankens untergeordnet, und aller ansteckende Stoff verschwand spurlos bei dem Aufhören der Seuche, so dafs die späteren Ausbrüche derselben immer nur wieder durch die erneuten allgemeinen Ursachen über und unter der Erde hervorgebracht wurden. Der wesentliche Grund dieser Erneuerung ist aber innerhalb der Gränzen des menschlichen Wissens eben so wenig aufzufinden, wie etwa die nächste Ursache der Erscheinung der Schimmelflecken zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, oder irgend eines von verborgenen Naturkräften je vorbereiteten und angeregten Vorganges.

6. Influenzen.

Volkskrankheiten so übersinnlichen Ursprunges kamen im sechzehnten Jahrhundert nicht wenige vor. Zu den denkwürdigsten gehört ein heftiges und weitverbreitetes Schnupfenfieber im Jahre 1510, von der

1) Erasm. Epist. L. VII, ep. 4. col. 386.

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