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einen mit rühmlicher Behutsamkeit und Umsicht zu Werke gingen, und Aretaeus von dem kleinsten Fehlgriff einen tödtlichen Ausgang fürchtete 1), wollten andere wieder mit äusserst gewaltsamen Mitteln die aufgeregte Natur ihrem rohen Gebote unterthan machen. So kam es zuweilen, dafs sie in voreiliger Geschäftigkeit einen heilsamen Schweifs nicht von der lebensgefährlichen „Diaphorese" unterscheiden konnten, ihn um jeden Preis unterdrückten, und so den Kranken den Schatten seiner Väter hinzugesellten. Einige nahmen sofort ihre Zuflucht zur Chrysippischen Einschnürung, dem grofsen Hemmungsmittel starker Ausleerungen, selbst auch heftiger Krämpfe 2). Andere wollten der Entkräftung mit nährender Speise schleunigst zu Hülfe kommen, und bewirkten Ueberfüllung des Magens, als wenn es bei der Stärkung nur auf das Essen ankäme. Andere liefsen vierundzwanzig Stunden lang möglichst vielen Wein trinken, bis zur Benebelung der Sinne 3), und Asklepiades wählte zu diesem sonderbaren Trinkgelage im Todtenbett den griechischen Salzwein *), um Durchfall zu erregen, damit die erweiterten Kanäle der Haut sich wieder schlössen, und die allzu beweglichen Atome ihre Richtung nach dem Unterleibe nähmen. Zu demselben Zwecke verordnete er scharfe Klystiere 5), denn gelang es nur einen starken Durchfall zu erregen, so musste ja der Schweifs nothwendig aufhören! Der Methodiker Eudemus empfahl sogar Klystiere

1) Ἢν γὰρ ἐπὶ συγκοπῇ καὶ σμικρὸν ἁμαρτῴη, ῥηϊδίως εἰς dov τgénε. Cur. ac. L. II. c. 3. p. 188.

P.

169.

3) C. 38. p. 171.

2) Cael. Aurel. C. 37. 4) Graecum salsum, oiros tedaλacoopéros, eine sehr gebräuchliche Mischung aus Wein und Seewasser.

5) C. 39. p. 174. 75.

von kaltem Wasser 1), und was noch sonst die ärztliche Verwegenheit tollkühn ersann, nach dem altherkömmlichen Glauben, dafs grofsen Krankheiten jederzeit nur stürmische Heilmittel entsprechen. Aretaeus empfahl das Aderlafs, welches andere für einen wahren Todtschlag erklärten 2), hatte aber den Causus als Grundlage der Herzkrankheit im Sinn, und konnte mithin Recht haben.

Ein vorsichtiger Gebrauch des Weins war wie es scheint von grofsem Nutzen 3), und was Verwunderung erregen kann, über die Auswahl und den Genufs der Speise geben die Aerzte ausführliche und kleinliche Vorschriften. Gab diese der aufgeregte Magen immer wieder und wieder von sich, so ging man nach römischer Weise sogar so weit, den Kranken vor und nach der Mahlzeit brechen zu lassen, damit ein wiederholter Genufs von Nahrung endlich anschlüge, auch wurde versichert, der Magen behielte Speise und Wein besser bei sich, wenn man vorher den ganzen Körper mit zerriebenen Zwiebeln bestrichen hätte *). Alles dies gewährt einige Blicke in das Wesen dieser merkwürdigen, von der Welt so ganz verschwundenen Krankheit. Besonderes Vertrauen setzte man endlich, bei leichter Bedeckung und Vermeidung der Federbetten, welche die Weichlich

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Ebend.

Sextarien den Tag über,

d. h. etwa 42 Kubikzoll. A. a. O. Cardiacorum morbo unicam spem in vino esse, certum est. Plin. Hist. nat. L. XXIII. c. 2. T. II. p. 303. Bibere et sudare vita cardiaci est. Senec. Cardiaco cyathum nunquam mixturus amico. Juvenal. Sat. V. 32.

Epist. 15. T. II. p. 68. Ed. Ruhkopf.

4) Celsus.

keit schon bei den Alten eingeführt hatte 1), in das Bestreuen des Körpers mit allerlei Pulvern 2), wenn zasammenziehende Abkochungen nichts gefruchtet hatten. Man wählte hierzu Granatapfelschale, Rosen-, Brombeer- und Myrtenblätter, oder auch Cimolische Kreide, Gyps, Alaun, Bleiglätte, gelöschten Kalk (!) 3 ), und wenn nichts anderes zur Hand war, selbst gewöhnlichen Strafsenstaub *). Die Wirksamkeit einiger dieser wunderlichen Mittel ist nicht in Abrede zu stellen, mindestens ist von verwandten alkalischen in der neueren Zeit die Erfahrung gemacht worden, dass sie bei starker Säureentwickelung in der Haut gute Dienste thun, und es ist sehr wahrscheinlich, dafs in dem Schweifse der Diaphoretischen viele Säure enthalten war..

2. Der Picard'sche Schweifs.
(Suette des Picards. Suette miliaire.)

Der Picard'sche Schweifs ist ein entschiedenes Frieselfieber, das nicht nur in der Picardie, sondern auch in anderen Gegenden von Frankreich seit länger als hundert Jahren oftmals geherrscht hat, und noch jetzt in einigen Orten als einheimische Krankheit vorkommt 5). Wir haben die Verwandtschaft des englischen Schweifses mit dem Friesel angedeutet, Beide sind rheumatische Fieber, jener von vierundzwanzigstündigem, dieser von mindestens siebentägigem Verlauf. In jenem erschien kein Ausschlag, oder kam

1) Cael. Aurel. C. 37. P. 161.

2) Aspergines, sympasmata, diapasmata. C. 38. p. 171.
3) Aretaeus, p. 192. 4) Celsus, a. a. O.

5) Z. B. in den Dörfern Rue-Saint-Pierre und Neuville-enHez zwischen Beauvais und Clermont. Rayer, Suette, p. 74.

Friesel in Sachsen. 1652.

er in vereinzelten Fällen zum Vorschein, so war er ohne allen Zweifel untergeordnet und unwesentlich. In dem Frieselfieber dagegen ist der Ausschlag so wesentlich, dafs diese Krankheit als die ausgebildete exanthematische Form des rheumatischen Fiebers aufgestellt werden kann.

Der Friesel hat eine an wichtigen Thatsachen überaus reichhaltige Geschichte, in der das Picard'sche Schweifsfieber nur einen neueren Abschnitt der Entwickelung bildet. Der Ausschlag an und für sich ist uralt, und in der morgenländischen Drüsenpest mit den Petechien wahrscheinlich schon von jeher als kritisch - metastatische Erscheinung vorgekommen, wie noch in unseren Tagen; wo nicht vielleicht schon in der alterthümlichen, Thucydideischen Pest. Auch das Fleckfieber wurde von ihm hier und da begleitet, wie ohne Zweifel auch die Pocken und viele andere Krankheiten, auf dieselbe Weise wie noch jetzt, denn der Frieselausschlag ist ein sehr allgemeines Symptom, das sich gar leicht eindrängt, und die Gefahr von sehr verschiedenartigen Zufällen steigert. Ein anderes aber ist es mit dem selbstständigen Frieselfieber, das weder früher, noch selbst in dem Zeitraume des englischen Schweifses, sondern nur erst hundert Jahre später (1652) als eine oft erwähnte Volkskrankheit in Sachsen vorgekommen ist 1). An eine unmittelbare Entwickelung dieser Ausschlagskrankheit aus dem englischen Schweifs, wie vielleicht des Fleckfiebers aus der Drüsenpest, ist also nicht zu denken, wenn selbst eine entschiedenere Neigung dieser Krankheit zur Aus

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1) Godofredi Welschii Historia medica novum puerperarum morbum continens. Disp. d. 20. April. 1655. Lipsiae, 4. Das Hauptwerk über das erste Auftreten des Friesels in Deutschland.

schlagbildung nachgewiesen werden könnte, als nach den ermittelten Thatsachen möglich war. Denn es liegt ein ganzes Jahrhundert (und welche Umwandlungen der Völker!) dazwischen. Dieselbe Trennung durch einen so langen Zeitraum spricht auch gegen die gewagte Voraussetzung, dass der englische Schweifs vielleicht ein abgebrochenes Frieselfieber gewesen sei, welches seine Kraft durch zu üppige Hautthätigkeit am ersten Tage erschöpft habe, bevor es noch zum Ausschlag gekommen wäre. Noch mehr die Gleichheit und Abgeschlossenheit aller fünf Schweifsfieberscuchen in dem kurzen Verlaufe der Krankheit, und die Abwesenheit aller Uebergangsformen von längerer Dauer, welche gewifs nicht gefehlt haben würden, wenn die Natur aus dem englischen Schweifs allmählich hätte ein Frieselfieber herausbilden wollen.

Und wenden wir uns nun zum Friesel, so sind zwar bei dieser Krankheit Formen beobachtet worden, in denen der strömende Schweifs, vereint mit Nervenzufällen schon am ersten Tage lebensgefährlich wurde, eben so oft erschien aber auch der Ausschlag schon am ersten Tage vollständig ausgebildet, und betrach ten wir, wie gebührlich, den regelmässigen Gang des Frieselfiebers in allen Volkserkrankungen, so lag of fenbar immer eine ganz andere Entwickelung der Symptome auch in jenen Fällen im Hintergrunde, als beim englischen Schweifs. Kamen zwischendurch, wie noch in der neuesten Zeit (1821) Frieselfieber vor, in denen sich kein Ausschlag zeigte, so unterliegen diese derselben Beurtheilung, wie andere hitzige Ausschlagskrankheiten, in denen die Natur auf dieselbe Regelwidrigkeit eingeht, ohne sonst das Wesen dieser Krankheiten aufzugeben, wie z. B. das Scharlachfieber. Und hat man endlich in manchen Erkran

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