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nem Zeitraume von fünfhundert Jahren (300 v. Chr. 300 v. Chr. bis 200 n. Chr.) vor, und war eine gewöhnliche, fast 200 n. Chr. alltägliche Erscheinung, die selbst von den Nichtärzten oftmals erwähnt wird. Sie war überaus lebensgefährlich, wurde selbst wohl für tödtlich gehalten, und wie sie denn hoch über der griechischen Physiologie stand, so fehlte es nicht an auffallenden Meinungen über ihr Wesen, und an gewagten, selbst abenteuerlichen Behandlungen, denen man die von ihr Befallenen unterwarf. Der Name Herzkrankheit, Morbus cardiacus, νόσος καρδιακή, wahrscheinlich auch νόσος καρδίTig, rührt nicht von Aerzten, sondern vom Volke her, welches im vierten Jahrhundert v. Chr. so alt ist dieser Name - nicht wissen konnte, dafs die Gelehrten darüber in Streit gerathen würden. Denn einige sagten, und unter ihnen gewichtige Männer, wie Erasistratus, Asklepiades und Aretaeus, das Volk habe Recht gehabt, die Krankheit so zu nennen, das Herz sei wirklich der leidende Theil, und man hatte von der Verrichtung des Herzens keine ganz geringen Kenntnisse 1). Andere dagegen wollten in jenem Namen nur eine Andeutung der Gröfse, nicht des eigentlichen Sitzes der Krankheit erkennen, insofern das Herz als Mittelpunkt und Quell des Lebens wohl geeignet sei, diese zu bezeichnen 2). Noch andere, welche feinere Vermuthungen wagten, wollten den Herzbeutel für den Sitz des Uebels ausgeben, weil man zuweilen stechende Schmerzen in der Herzgegend

1),,Est autem cor praestans atque salutaris corpori particula, praeministrans omnibus sanguinem membris, atque spiritum." Cael. Aurel. Acut. L. II. c. 34. p. 154. Vergl. des Verf. Lehre vom Kreislauf vor Harvey, Berlin, 1831. 8.

2) Cael. Aurel. Cap. 30. p. 146.

Bild der Krankheit.

wahrnahm ), oder das Zwerchfell oder die Lungen, oder selbst die Leber: der Meinungen waren viele, die Erkenntnifs gering 2).

Die Herzkrankheit begann mit Kälte und Vertaubung in den Gliedern 3), selbst zuweilen im ganzen Körper; der Puls nahm sofort die übelste Beschaffenheit an, wurde klein, schwach, häufig, leer und wie zerfliefsend, weiterhin ungleich und zitternd, bis zum völligen Verschwinden. Dabei wurden die Kranken sinnverwirrt *), kein Schlaf kam in ihre Augen, sie verzweifelten an ihrem Leben, und gewöhnlich ergofs sich ihnen plötzlich ein übelriechender Schweifs über den ganzen Körper, woher man auch die Krankheit Diaphoresis nannte. Zuweilen brach jedoch erst ein wässeriger Schweifs im Gesicht und am Halse aus, dieser verbreitete sich dann weiter über den ganzen Körper, nahm einen sehr üblen Geruch an, wurde klebrig, auch wohl blutigem Fleischwasser ähnlich, und durchnäfste das Lager stromweise, so dafs die Kranken fast zu zerfliefsen schienen 5). Der Athem wurde hierbei kurz und keuchend, fast zum Vergehen (insustentabilis); jeden Augenblick fürchteten die Kranken zu ersticken 6), sie warfen sich von Angst gefoltert hin und her, und mit ganz dünner und zitternder Stimme stiefsen sie nur abgebrochene Worte hervor. In der linken Seite, oder

1) Cael. Aurel. Cap. 34. p. 156.

2) Das ganze 34ste Kap. a. a. O. Aurelian giebt überhaupt von Cap. 30-40. die vollständigsten Nachrichten über den Morbus cardiacus.

3) Torpor frigidus. C. 35. p. 157.

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auch wohl in der ganzen Brust '), empfanden sie fortwährend einen unerträglichen Druck, und in den Anfällen, die mit Ohnmacht eintraten, oder diese zur Folge hatten, wallte und klopfte ihnen das Herz, ohne alle Veränderung des kleinen Pulses 2). Das Gesicht wurde ihnen leichenblafs, die Augen sanken zurück, und ging es dann zum Tode, so wurde es finster um sie her, Hände und Füfse färbten sich blau, und während das Herz ungeachtet der Kälte des ganzen Körpers immer noch heftig schlug, behielten die meisten ihre volle Besinnung, nur wenige waren kurz vor dem Sterben abwesend, während andere selbst in Verzückung geriethen und mit Seherkraft begabt wurden 3). Endlich krümmten sich die Nägel an den kalten Händen, die Haut wurde runzelig, und so gaben die Kranken ihren Geist auf, ohne Linderung ihres qualvollen Zustandes *).

Man erkennt in diesem Bilde ganz deutlich eine Vergleichung. auffallende Aehnlichkeit des alterthümlichen Herzübels mit dem englischen Schweisse, in der höchsten Steigerung der beiderseitigen Zufälle. In beiden dasselbe Herzklopfen, dieselbe Veränderung der Stimme, dieselbe Angst, dasselbe Hindernifs des Athmens, also dasselbe Leiden der Brustnerven, derselbe übelriechende Schweifs, und durch diesen Schweifs dieselbe tödtliche Entleerung, und alle wesentlichen Zufälle aus demselben Kreise der Verrichtungen hervorgegangen. Denn auch bei den Schweifssüchtigen des Alterthums) blieben die Unterleibsnerven verschont,

1) C. 34. p. 154. Thoracis gravedo.

3) Aretaeus, L II. c. 3. p. 30.

2) C. 35. 156.

P.

4) Cael. Aurel, a. a. O. 5) Diaphoretici, Cardiaci.

Leber, Darm und Nieren nahmen keinen Theil am Hauptleiden, das Zwerchfell machte, wie beim englischen Schweifs, die Scheidewand. Der scharfsinnige Aretaeus nahm daher keinen Anstand, die Herzkrankheit Ohnmacht zu nennen (Syncope), mit einer allerdings wohl ungebräuchlichen Ausdehnung dieses Begriffes, der in gewöhnlicher Abgränzung das stürmische Wogen des Herzens ausschliefst. In dem Hirnleiden tritt einige Verschiedenheit hervor. Denn das Irrereden war wohl in beiden Krankheiten von sehr übeler Vorbedeutung, aber die tödtliche Schlafsucht war dem englischen Schweifse eigenthümlich, kein Beobachter erwähnt ihrer bei der Herzkrankheit.

Gröfsere und ganz wesentliche Verschiedenheiten dieses Leidens vom englischen Schweifs ergeben sich Ursprung noch in anderer Rücksicht. Man kann mit vollem Rechte annehmen, dafs die Herzkrankheit zuerst im Zeitalter Alexander's des Grofsen, d. h. zu Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. auftrat, denn die Hippokratischen Aerzte kannten sie nicht, und nur erst Erasistratus erwähnt ihrer, der am Hofe von Seleucus Nicator Leibarzt, und unter dem ersten Ptolemaeus in Alexandrien ein weltberühmter Lebrer war. Man vergleiche dieses Zeitalter nur obenhin mit dem von Heinrich VII. und VIII., und Afrika, Kleinasien und das südliche Europa mit England, und man wird sich schon von vorn herein leicht überzeugen, dafs beide Krankheiten, ungeachtet ihrer Uebereinstimmung in den Hauptzufällen, nicht dieselben sein konnten. Im Uebrigen wird auch von den Alten unter dem Namen „Morbus cardiacus" vieles zusammengefafst, was bei näherer Prüfung sich nicht als eine und dieselbe abgeschlossene Krankheitsform ergiebt, denn bald ist von diesem Leiden wie von einer

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krankheit.

selbstständigen Krankheit die Rede, bald wird sie nur Symptomaals eine zu anderen hinzugekommene Erscheinung, als tische Herzeine Art des Ueberganges von anderen, sehr verschiedenartigen Krankheiten angegeben, wie dergleichen in neuerer Zeit nie vorgekommen ist. Soranus erwähnt als solche Krankheiten anhaltende Fieber mit vieler Hitze 1), und bezeichnet unter diesen auch den Causus, d. h. ein entzündliches Gallenfieber, zu welchem auch Aretaeus das Herzübel hinzutreten sah. Diese Fieber gingen am fünften oder sechsten Tage in die Herzkrankheit über, auch zeigte sich eine solche Umwandlung vorzüglich an den kritischen Tagen 2). In gleicher Beziehung spricht Celsus sogar von der Phrenitis, unter welchem Namen man hier alle hitzigen Fieber mit heftigen Delirien zu verstehen hat, mit Ausschlufs der eigentlichen Hirnentzündung. Man sieht also, die Herzkrankheit entstand und gedieh auf einem sehr verschiedenartigen Boden von anderen Krankheiten, und war unter diesen Umständen eben so unselbstständig, wie etwa der Lethargus unter ähnlichen Verhältnissen, um bei einem alterthümlichen Beispiele stehen zu bleiben.

Aber es gab auch ohne allen Zweifel eine selbst- Idiopathische Herzkrankständige, nicht symptomatische Form der Herzkrank- heit. heit. Ob diese fieberhaft wäre, oder nicht, darüber waren die berühmtesten Aerzte der früheren Zeit verschiedener Meinung. Wie hätten sie jemals darüber in Streit kommen können, wenn die Herzkrankheit nur immer als Folgeübel am fünften oder sechsten Tage hitziger Fieber erschienen wäre? Der Erasistratäer Apollophanes, Leibarzt Antiochus I., hielt sie

1) Febres continuae flammatae. Cael. Aurel. C. 31. p. 147.
2) Aretaeus, Cur. ac. L. II. c. 3. p. 188.

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