Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Genesung.

zahllosen Nachrichten der Geschichtschreiber, von denen viele die Krankheit ohne Zweifel selbst gesehen haben, irgendwie Erwähnung geschehen sein, und sie selbst bei den häufigen Rückfällen der Genesenen sich deutlicher und bestimmter ausgebildet haben. Eine Verwandtschaft mit dem Frieselfieber wird durch sie allerdings angedeutet, jedoch nur insofern beide Krankheiten rheumatischen Ursprungs sind, und dieser leise Anflug von dem Wesen einer Ausschlagskrankheit wurde bei dem englischen Schweifsfieber wahrscheinlich nur in ganz vereinzelten Fällen beobachtet. Was mit dieser Andeutung aus dem Schweifsfieber bei längerem Verlaufe hätte werden, ob es vielleicht gar in Frieselfieber hätte übergehen können, diese Frage liegt aufser dem Bereiche des Geschehenen, da auch später Uebergänge dieser Art nie beobachtet worden sind. Beide Krankheiten sind in Verlauf und Eigenthümlichkeit streng von einander gesondert, der Friesel aber entwickelte sich unter ganz anderen Verhältnissen erst im folgenden Jahrhundert zur selbstständigen Volkskrankheit, und seine entschiedeneren Vorläufer sind nur jenseits der fünf Schweifsfieberseuchen aufzufinden.

Die Erschütterung der Lebenskräfte durch den englischen Schweifs war sehr bedeutend, woher denn auch schnelle Genesung wohl nur nach der mildesten Form dieser Krankheit beobachtet wurde, diejenigen aber, denen sie heftiger zugesetzt hatte, mindestens noch acht Tage lang sehr hinfällig und kraftlos blieben, so dass sie durch gute Pflege und stärkende Nah

deszeichen hielt, oder die erst nach dem Tode zum Vorschein kamen. Th. Stapleton, Vita et obitus Thomae Mori, C. 6. p. 26. S. Mori Opera.

rung nur allmählich wieder aufgerichtet wurden. Nach überstandenem Schweifs nahm man sie behutsam von dem Lager, trocknete sie im warmen Zimmer vorsichtig ab, setzte sie an das Kaminfeuer, und gab ihnen zur ersten Erquickung gewöhnlich Eiersuppe, doch konnten die meisten das überstandene Fieber noch lange Zeit nachher nicht ganz verwinden. Selten konnten Genesene schon am zweiten oder dritten Tage wieder ausgehen ').

In noch viel gröfsere Gefahr geriethen die, de- Unternen der Schweifs im Verlaufe der Krankheit Schweifses. drückung des selbst irgendwie unterdrückt wurde. Die meisten von ihnen verfielen dem unabwendbaren Tode

dies bestätigt die Volksstimme seit 1485 - bei denen sich aber die Lebenskraft zu erneutem Widerstande regte, da brach nach kurzer Frist ein neuer Schweifs hervor, noch viel übelriechender als der erste, so dafs der Körper wie von stinkender Jauche trieste, und es schien, als wollten die inneren Theile sich ihrer Fäulnifs in übermässiger Anstrengung auf einmal entledigen 2). Es liegt am Tage, dafs dieser wiederholte Sturm noch vielen, die ohne ein Hindernifs der Entscheidung hätten gerettet werden können, verderblich werden musste, denn es ist in hitzigen Krankheiten nichts gefährlicher, als wenn Aussonderungen unterbrochen werden, welche die Natur als das einzige Rettungsmittel anordnet.

Rückfälle waren häufig, weil die Genesenen Rückfälle. nach überwundener Krankheit noch lange sehr reizbar blieben. Man sah diese zum dritten und vier

1) Und gewifs nur nach sehr zweckmäfsiger, schonender Behandlung. S. das Wittenberger Regiment, Kaye, a. a. O., Schmidt, S. 307., und Klemzen, S. 256.

2) Newenar, fol. 72. b.

ten Male von der Schweifssucht ergriffen werden 1) Spätere berichten sogar von zwölfmaliger Wiederholung des Schweifses 2) wodurch endlich eine völlige Zerrüttung der Gesundheit herbeigeführt wurde, denn es entstand Wassersucht oder irgend eine andere zerstörende Nachkrankheit, bis der Tod dem unheilbaren Leiden ein Ziel setzte, wobei es noch wichtig ist zu bemerken, dass auch der Unterleib an der grofsen Reizbarkeit des Körpers Theil nahm, denn zu frühe Einwirkung der Luft erregte leicht Durchfälle 3).

Zersetzung. Wie grofs die Zersetzung des organischen Stoffes gewesen, geht aus allen bisherigen Angaben überzeugend hervor. Doch würde sie schon aus der überaus raschen Fäulnifs der Leichen vermuthet werden können, die aller Orten die gröfste Eile mit den Begräbnissen nothwendig machte *), und glücklicher Weise die Furcht vor dem lebendig Begrabenwerden nicht aufkommen liefs. Von Leichenöffnungen haben wir keine Kunde, auch würden sie, hätte man sie überhaupt anstellen können, bei der damaligen Weise zu untersuchen schwerlich irgend eine wichtige Seite der Krankheit enthüllt haben. Wenige Aerzte, fast nur die in Italien gebildeten, kannten den innern Bau des Körpers aus eigener oberflächlicher Ansicht, die meisten nur aus Galenischen Handbüchern hätten sie mit so ärmlichem Wissen das Unverdorbene vom Krankhaften unterscheiden können? Ueber

1477. b. p.

wie

,, et cre

1) Erasm. Epist. L. XXVI. 58.
ep.
bro quos reliquit brevi intervallo repetens, nec id semel, sed bis,
ter, quater, donec in hydropem aut aliud morbi genus versus,
tandem extinguat miseris excarnificatum modis."

2) Kaye, p. 110. - 3) Ebend p. 113.
4) Staphorst, Th. II. Bd. I. S. 83.

dies konnte die Schweifssucht in so kurzer Zeit keine handgreiflichen und in das Gewicht fallenden Verderbnisse der Eingeweide verursachen, wie man dergleichen allein gesucht haben würde. Angaben über die Beschaffenheit des Blutes in den Leichen, das nach so ungeheuerem Verluste von wässeriger Flüssigkeit, nach so gewaltiger Brustbeschwerde, nach so grofsen Hindernissen der Lungenverrichtung höchst wahrscheinlich verdickt und dunkel gefärbt war, so wie über den Zustand der Lungen und des Herzens, würden uns höchst erwünscht sein, aber auch sie fehlen durchweg, und es bleibt nach so langer Zeit nur Raum für Vermuthungen.

Es wiederholte sich in Deutschland die seit 1485 Ursachen. schon so oft gemachte Bemerkung, dafs das mittlere Alter vorzugsweise dem Schweifsfieber ausgesetzt war, die Kinder dagegen von dieser Krankheit fast ganz verschont blieben, und die Alten fast nur in einzelnen Ausnahmen von ihr befallen wurden 1), und dies wahrscheinlich auch nur während der Höhe der Volkskrankheit, wie denn z. B. in Zwickau eine hundertundzwölfjährige Frau von der Schweifssucht weggerafft wurde 2). Wir haben den Grund dieser ganz beständigen Erscheinung schon zum Theil in der üppigen Lebensweise der vollsaftigen jungen Männer gefunden, und wenn wir den sittlichen Zustand der Deutschen im sechzehnten Jahrhundert berücksichtigen, so

P. 473.

[ocr errors]

- 99

1),,Immunes erant pueri et senes ab hoc malo." Ditmar.. Pueri infra decem annos rarissime hac febre corripiuntur." Newenar, fol. 72. a. Senibus solis quandoque pepercit, praeternavigavit etiam magna ex parte atrabilarios et emaciatos corpore, quoniam et horum corpora putris succi expertia erant." Schiller, fol. 4. a

2) Schmidt, S. 307.

Rheumatisches Wesen.

zeigt sich auch bei ihnen dieselbe unmässige Genufsgier wie bei den Engländern, dieselbe Trunkenheit, dieselbe Völlerei bei den häufigen Gelagen, wo die Weinhumpen und Bierkrüge mit allzu gierigen Zügen geleert wurden, endlich auch dieselbe Verweichlichung der Haut durch heifse Bäder und warme Kleidung. Davon wissen alle Zeitgenossen zu reden ), und un sere wackeren Vorfahren standen bei ihren südlichen Nachbarn in allen diesen Dingen nicht im besten Rufe.

Doch ist hierbei noch ein anderes Verhältnifs zu berücksichtigen; es liegt in dem eigenthümlichen Wesen der Krankheit. Schon im Eingange haben wir die Schweifssucht als ein rheumatisches Fieber bezeichnet, und wenn wir den Begriff eines rheumatischen Leidens, wie gebührlich, in seiner weitesten Bedeutung nehmen, so haben sich wohl für diese Ansicht im Verlaufe unserer ganzen Untersuchung gewichtige und überzeugende Gründe ergeben. Sehen wir, dafs gerade diejenigen Völker von dem Schweifsfieber heimgesucht wurden, die sich durch weisse Haut, blaue Augen und blondes Haar auszeichnen - die Merkmale deutscher Abstammung so kann wohl mit Recht angenommen werden, dafs eben diese Eigenthümlichkeit des Körperbaues für die wunderbare Krankheit empfänglich machte. Sie ist es, welche die Empfänglichkeit zu Flüssen aller Art begründet, und welche diese Krankheiten ihres Theils in dem nördlichen Europa einheimisch macht, während die südlichen schwarzhaarigen Völker, und die Schwarzen in den Tropenländern unter gleichen Verhältnissen mehr

1) Z. B. Schiller, um von Tausenden nur einen zu nennen.,, Juvit etiam auxitque malum frequens multaque crapula, et in potationibus otiosa vita nostra," fol. 3. b.

« ZurückWeiter »