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Landung von Hermann Evers vier Menschen in Hamburg am Schweifsfieber gestorben seien 1).

Fassen wir diese an sich sehr werthvollen Nachrichten, an deren vollkommener Glaubwürdigkeit wir keinen Grund finden zu zweifeln, ein wenig schärfer ins Auge, so mufs vor allem in Erwägung kominen, dafs das Schweifsfieber in England schon seit mindestens einem halben Jahre als Volkskrankheit aufgehört hatte, dafs das Vorkommen desselben in einzelnen Fällen zwar nach allgemeinen Ansichten nicht weggeleugnet, aus geschichtlichen Angaben aber durchaus nicht erwiesen werden kann, dafs also der Verkehr der Schiffsgesellschaft von Hermann Evers mit irgend einem Schweifsfieberkranken in England zu den ganz unbestätigten Vermuthungen gehört. Bringen wir dagegen in Anschlag, dafs die Nordsee schon in gewöhnlichen Jahren sehr nebelreich ist, so dafs sie bei wehenden Nordwestwinden die dicksten Regenwolken über Deutschland herabsendet, erwägen wir, dafs sie im Jahre 1529 noch viel dichtere Nebel als sonst aufsteigen liefs, so zeigt sich uns auf ihren Wellen die Hauptursache des englischen Schweifsfiebers in ihrer stärksten Entwickelung, wir können daher mit gröfster Wahrscheinlichkeit annehmen, dafs die Schweifsfieberseuche unter der Gesellschaft von Hermann Evers selbstständig und ohne englische Mittheilung ausbrach, vielleicht in ähnlicher Weise, wie einst auf den Schiffen Heinrich's VII. Hierzu

1),,So balde didt Ship tho Hamborch qwam, begunden de Lude auer de gantze Stadt tho steruen, undt der Morgens borde men dadt 4 darinne gestoruen weren." Aus Reimar Kock's handschriftlicher Chronik von Lübeck. (Die Excerpte daraus verdankt der Verf. der Güte des Hrn. Professor Dr. Ackermann in Lübeck.)

kommt, dafs die Schiffe der damaligen Zeit überaus unreinlich gehalten wurden, und das Leben auf ihnen bei schlechter Kost höchst unbequem und unzuträglich war, so dafs selbst bei kleineren Seereisen der Scharbock, der Schrecken der damaligen Seefahrer, leicht zum Ausbruch kam. Endlich haben wir auch noch ganz bestimmte Nachrichten, dafs in den nördlichen Meeren Ungewöhnliches vorging, so dafs auf stärkere Entwickelung krankmachender Einflüsse in der Seeluft mit vollem Rechte geschlossen werden kann. So bemerkte man während der Fastenzeit in Stettin mit grofser Verwunderung, dafs Delphine in grofser Anzahl das frische Haff herüber bis an die Brücke kamen, während die Ostsee viele todte Thiere dieser Art auswarf 1).

Was aber nun den Einfluss der von Schweifsfiebergeruch durchzogenen Gefährten von Hermann Evers auf die Bewohner von Hamburg betrifft, SO ist keinesweges zu leugnen, dafs ihr Verkehr mit Menschen in den unreinen und engen Gassen dieser Handelsstadt einen Anstofs zum Ausbruch der Schweifsfieberseuche gegeben haben möge, insofern sie den schon vorhandenen Zunder noch entzündbarer machten, oder den ersten Funken hineinwarfen, doch kann nicht in Abrede gestellt werden, dafs unter den obwaltenden Umständen die Schweifsfieberseuche auch ohne den Schiffer Evers über Deutschland hereingebrochen wäre, wenn auch vielleicht erst einige Wochen später, und vielleicht nicht zuerst in Hamburg, dessen Bewohner durch die täglichen Nordseenebel zur ersten Aufnahme der mörderischen Krankheit allem Anscheine nach bevorrechtet waren.

1) Klemzen, S. 254. Man glaubte, das Ostsecwasser wäre vergiftet.

Lübeck, den 29. Juli.

Den Ausbruch lange vorbereiteter Volkskrankheiten auf den Tag zu bestimmen, ist selbst für einen gegenwärtigen Beobachter überaus schwer, und auch unter günstigen Umständen zuweilen unmöglich, denn es fehlt nicht an gewissen Uebergängen verwandter Krankheiten in die Seuche, und an einer Stufenfolge von Erscheinungen, die gewöhnlich schon einige Zeit vorher begonnen haben, und wenn nicht alle Vermuthungen trügen, auch bei der Schweifsfieberseuche nicht fehlten, wenn auch freilich von den damaligen Aerzten hierüber keine Rechenschaft zu verlangen ist. Nach dieser allgemeinen Erfahrung sind die folgenden Angaben zu beurtheilen, deren buchstäbliche Genauigkeit wir freilich nach drei Jahrhunderten nicht mehr verbürgen, die aber doch in ihrer Gesammtheit die eigenthümliche, fast wunderbare Art der Verbreitung des Schweifsfiebers über Deutschland anschaulich machen können.

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In Lübeck, der nächsten Ostseestadt, zeigte sich das Schweifsfieber fast um dieselbe Zeit. Denn schon am Freitag vor Petri Kettenfeier (den 30. Juli) wurde es bekannt, dafs in der Nacht vorher eine Frau daran gestorben wäre 1). In den nächsten Tagen nahmen die Todesfälle reifsend zu, und die Krankheit wüthete alsbald so gewaltig, dafs man sich wohl noch des schwarzen Todes von 1349 erinnern konnte. Es starben unzählige Menschen, in der Stadt wie in der Umgegend, und die Bestürzung war nicht geringer, als in Hamburg 2). Am meisten erkrankten, wie überall,

1) Reimar Kock's Chronik von Lübeck.

2),, A. 1529 ist die schwere Kranckheit in Deutschland überall gegangen, in sehr kurtzer Zeit und sind in dieser Kranckheit zu Lübeck in der Vornacht Vincula Petri viel

die kräftigen und wohllebenden jungen Leute, wogegen die Kinder und die Armen in den Kellern und in den Dachstuben fast ganz verschont blieben 1).

Nun könnte man, in Voraussetzung einer fortschreitenden Luftveränderung, wie etwa bei den Influenzen, oder wenn an eine Mittheilung von Menschen zu Menschen gedacht werden soll, welche als Hauptursache dieser Volkskrankheit nicht angenommen werden kann, eine allmähliche Verbreitung des Schweifsfiebers von Hamburg und Lübeck aus in immer gröfseren Kreisen erwarten, in der Wirklichkeit aber ergab es sich nicht so. Denn zunächst brach nun die Schweifssucht am Fufse des Erzgebirges, in Zwickau aus, funfzig deutsche Meilen von Hamburg Zwickau, den entfernt, und ohne vorher die gewerbreiche Handels- 14. August. stadt Leipzig berührt zu haben. Hier wurden schon am 14. August 19 an ihr Verstorbene beerdigt, und in einer der folgenden Nächte erkrankten daran über 1002), woraus zu entnehmen ist, dafs die Seuche in Zwickau ihre Herrschaft auf eine sehr empfindliche Weise geltend machte.

Möglich, dafs das grofse Gewitter vom 10. Au- Gewitter, den gust in der Entwickelung unserer über alles denkwür- 10. August. digen Volkskrankheit den Ausschlag gab, denn elektrische Spannungen und Entladungen steigern die Em

pfänglichkeit für Krankheiten, auch ist nicht zu über

sehen, dafs am 24. August bei bedecktem Himmel Grofse Hitze, eine unerträgliche Hitze entstand 3), welche die Körper den 24. Aunach lange ertragener nafskalter Witterung erschlaffen

treflicher feiner Bürger gestorben. Regkman, S. 135.- Vergl. Kirchring, S. 143. Bonn, S. 144.

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gust.

mufste,

genug, in den ersten Tagen des September Allgemeiner finden wir das Schweifsfieber in Stettin, in Danzig Ausbruch um und anderen preussischen Städten, in Augsburg, tief tember. unten jenseits der Donau, in Köln am Rhein, in

den 1. Sep

Stettin, den

31. August.

Strafsburg, in Frankfurt a. M., in Marburg '), in Göttingen und Hannover 2) zu gleicher Zeit ausgebrochen. Die Lage der genannten Städte giebt eine anschauliche Vorstellung von dem unabsehbaren Gebiete, das der englische Schweifs wie durch einen Zauberschlag in Besitz nahm. Es war wie ein sengender Brand, der sich unaufhaltsam nach allen Seiten hin verbreitete, doch gingen die Flammen nicht von einem Heerde aus, sondern sie schlugen, wie von selbst entzündet, überall empor, und begegneten sich aller Orten, und während dies alles in Deutschland und Preufsen geschah, wurden auch die Bewohner der übrigen nordischen Länder, Dänemark, Norwegen, Schweden, vielleicht auch Litthauen, Polen und Rufsland von der Gluth des Schweifsfiebers ergriffen.

3

In Stettin zeigte sich die Krankheit am 31. August unter der Dienerschaft des Herzogs 3). Am 1. September erkrankte die Herzogin selbst mit vielen Hofleuten und Bürgern in der Stadt, wenige Tage darauf zählte man schon einige Tausend von der Seuche Befallene, und es war keine Gasse, in der nicht. tagtäglich einige Leichen angemeldet wurden. Doch währte diese Schreckenszeit nicht viel länger, als eine Woche, denn gegen den 8. September liefs die Seu

1) Euric. Cordus.

2) Gruner, It. p. 23.

3) Nämlich Dienstag nach Johannis Enthauptung (den 29. August), die auf einen Sonntag fiel, da Aegidi (den 1. September) ein Mittwoch war. Die Zeitbestimmung ist hier durchgängig nach Pilgram's Calendarium chronologicum.

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