Constitution wurde aufgehoben: es trat die vollständigste Willkührherrschaft ein. Auch nachdem der Aufstand längst vorüber war, währe ten die Verhaftungen fort; es war Niemand seiner Freiheit sicher. Nach dem Berichte des Engländers Gladstone, der sich um diese Zeit in Neapel aufhielt, befanden sich im Jahr 1850 in den Gefängnissen des Königreichs Neapel 15 bis 20,000 politisch Compromittirte, dar: unter Personen der höchsten Stände, Grafen und Herzoge, auch selbst viele Geistliche. Die Zustände waren derart, daß sich Frankreich und England der gedrückten Bevölkerung annahmen, indem sie den König Ferdinand II. aufforderten, die dringend nothwendigen Reformen, namentlich im Justizwesen, endlich zur Ausführung zu bringen und eine allgemeine Amnestie zu ertheilen. Der König weigerte sich, auf dieses Verlangen einzugehen. Nun erschien am 6. Sept. 1856 auch der österreichische Gesandte in Paris, Baron Hübner, in Neapel, um die Forderungen im Namen seines Kabinets zu unterstüßen. Auch jezt noch beharrte der König auf seiner Weigerung, worauf England und Frankreich Ende Oktober 1856 ihre diplomatischen Beziehungen mit dem Königreich abbrachen und ihre Gesandten aus Neapel abriefen. Durch diesen Schritt der Westmächte ermuthigt, vereinigte sich eine Anzahl Sicilianer unter dem Baron Bentivenga zu dem Zwecke, die neapolitanische Herrschaft gewaltsam abzuwerfen und die Constitution von 1812 zu proclamiren. Der Aufstand brach am 22. November 1856 aus, wurde aber von den neapolitanischen Truppen schnell unterdrückt; Bentivenga büßte sein Unternehmen mit dem Leben. Indessen erlitt die unwandelbare Gemüthsruhe des Königs (er war am zweiten Tage nach den Blutscenen in Neapel am 15. Mai 1848, welche 1753 Menschen. das Leben gekostet hatten, eine Cigarre rauchend unter den Säulengängen von St. Franzesco de Paola auf und ab spaziert) am 11. De= zember 1856 doch eine empfindliche Störung. Bei einer Musterung trat ein junger Soldat, Namens Milano, aus Reih und Glied und führte einen Bayonnetstoß nach dem König, den der daneben befindliche Oberst Latour zwar ablenkte, so daß der König nur leicht in den Schenkel verwundet wurde, aber Ferdinand hielt sich von da an in Neapel nicht mehr für sicher, er zog sich nach Caserta zurück und umgab sich mit vielen Wachen. Die politische Verfolgung begann nun von neuem, es fanden im ganzen Lande massenhafte Verhaftungen statt. In diesem traurigen Zustand blieben die Verhältnisse bis zum Tode des Königs Ferdinand II., der am 22. Mai 1859 erfolgte. Das Regiment seines Sohnes und Nachfolgers Franz II. währte nur noch bis zum 6. September 1860. Während sich auf diese Weise alle italienischen Regierungen, mit Ausnahme der sardinischen des Königs Victor Emanuel, beeiferten, die Bestrebungen der Italiener nach nationaler Einigung zu unterdrücken, wurzelte die nationale Idee eben in Folge dieser harten Maßregeln in den Gemüthern nur um so tiefer und fand von Jahr zu Jahr unter den Bewohnern Italiens weitere Anerkennung. Die Blicke Aller richteten sich auf das Königreich Sardinien, wo unter den Ministerien Massimo d'Azeglio (1849 bis 1852) und Cavour (1852 bis 1859) ein aufrichtig constitutionelles Regiment geführt wurde und die nationale Idee bei König und Regierung eine entschiedene, vor Europa keineswegs verhehlte Anerkennung und Pflege fand. Die kluge Politik des Grafen Cavour, welche ohnehin durch ihr festes Auftreten gegen die Jesuiten und gegen die Uebergriffe der Hierarchie, durch die Gleichberechtigung der Confessionen, durch die Hebung des Unterrichts alle Denkenden in Europa für sich gewonnen hatte, wußte vermöge der Theilnahme Sardiniens an dem Krimkrieg (1855) die Kabinete von England und Frankreich in ihr besonderes Interesse zu ziehen; und der König Victor Emanuel seinerseits säumte nicht, durch einen Besuch, den er im November des Jahres 1855 am französischen und englischen Hofe abstattete, sich dieses Interesses noch weiter zu versichern. Die Folge dieser an die Westmächte sich anschließenden Politik war, daß Sardinien jezt schon, wie wenn Italien bereits eine Großmacht wäre, seinen Gesandten an den Friedensverhandlungen der Großmächte Theil nehmen. Lassen konnte, die vom Februar bis April 1850 am Schlusse des Krimkrieges in Paris gehalten wurden. Bei dieser Gelegenheit legte Ca= vour den Mächten eine Denkschrift über die Zustände Italiens vor, die zwar für den Moment keine Veränderung in denselben hervorbrachte, aber auf die Stimmung der Machthaber doch nicht ohne Einfluß blieb. Am Anfang des Jahres 1858 trat ein Ereigniß ein, das der italienischen Bewegungspartei sehr zu Statten kam, weil es allem Anscheine nach den Ausschlag gab, daß sich der Kaiser Napoleon fortan der italienischen Sache energischer annahm. Die Italiener hatten aus ihrem bisherigen Unterliegen gegen Desterreich die Ueberzeugung gewonnen, daß sie für sich allein die österreichische Herrschaft in Italien nicht be= wältigen könnten; sie bedurften entweder des Beistandes einer europäischen Großmacht oder einer allgemeinen revolutionären Bewegung in Europa, welche ihren 'mächtigsten Feind zugleich anderweitig vollauf beschäftigte. Heißblütige Naturen sannen darauf, wie man einen solchen allgemeinen Sturm über Europa heraufbeschwören könne, und scheuten zu dessen Herbeiführung auch selbst vor dem Morde nicht zurück. Der Tod des Kaisers Napoleon schien ihnen das geeignete Mittel hiezu. Sie erklärten den Kaiser für einen Italiener, der sich selbst einst an den Bestrebungen für die Befreiung Italiens betheiligt habe und, da er die erlangte Macht jezt nicht für diesen Zweck benüße, den Tod ver diene. Am 14. Januar 1858 schleuderte der Graf Orsini mit vier Mitverschwornen drei Hohlkugeln unter den Wagen des Kaisers, als derselbe vor dem Thore der großen Oper hielt; 156 Personen wurden verwundet, achte davon starben sogleich, der Kaiser und die Kaiserin aber blieben unverlegt, nur der Hut des Kaisers wurde von einem Splitter getroffen. Orsini leugnete seine Absicht, den Kaiser zu tödten, nicht; er erklärte, Napoleon besize die Macht, Italien zu befreien; anstatt dieselbe aber für diesen Zweck anzuwenden, sei er ein Hinderniß dieser Befreiung geworden; die Hoffnung der Italiener beruhe nur noch auf der Revolution. Am 11. Februar 1858 richtete Orsini aus dem Gefängniß ein Schreiben an den Kaiser, worin er sagte: „Dem Ende meiner Laufbahn nahe will ich einen letzten Versuch machen, Italien zu Hülfe zu kommen. Die Unabhängigkeit Italiens ist mein letter Gedanke, der Inhalt der letzten Worte, die ich an Ew. Majestät richte. Italien wird gegen Oesterreich kämpfen. Dulden Sie nicht, daß Deutschland Oesterreich helfe. Das können Sie, wenn Sie wollen, und von diesem Willen hängt das Wohl und Wehe Italiens ab. Erinnern Sie sich, daß die Italiener ihr Blut für Napoleon, den Großen, vergossen haben. Befreien Sie mein Vaterland, und der Segen von 25 Millionen Bürgern wird Sie bis auf die Nachwelt begleiten." Dieses Schreiben wurde am 25. Februar im Moniteur veröffentlicht, was für einen Beweis angesehen wurde, daß es seinen Eindruck auf den Kaiser nicht verfehlt hatte. Am 11. März, zwei Tage vor seiner Hinrichtung, sandte Orsini einen zweiten Brief an den Kaiser, in welchem er für die Veröffentlichung seines ersten Schreibens dankte, da dieselbe ein Beweis sei, daß seine Worte in dem Herzen des Kaisers ein Echo gefunden hätten, und erklärte: „Ich gehe dem Tod mit dem Troste entgegen, daß Ew. Majestät von wahrhaft italienischen Gesinnungen beseelt sind." Am 13. März 1858 wurde Orsini_guillotinirt; er brachte auf dem Schaffot ein Hoch auf die Freiheit Italiens aus und starb gefaßt. Es ist schwer zu glauben, daß dieser Vorgang auf das Gemüth des Kaisers nicht einen tiefen Eindruck gemacht haben sollte; die Geschichte zeigt wenigstens, daß er sich von dieser Zeit an der Sache der Italiener mit größerer Entschiedenheit annahm. Im August desselben Jahres 1858 erschien der Minister Cavour bei dem Kaiser in dem Badeorte Plombières, und hier scheinen bereits be stimmte Verabredungen zu einem gemeinsamen Kriege gegen Oesterreich, so wie über die Abtretung Savoyens und Nizza's an Frankreich stattgefunden zu haben. Zugleich wurde die Verheirathung der ältesten, sechzehnjährigen Tochter des Königs Victor Emanuel, der Prinzessin Clotilde, mit dem Prinzen Hieronymus Napoleon (geboren 1814, Sohn Hieronymus Bonapartes, vormaligen Königs von Westphalen) in Anregung gebracht; die förmliche Verlobung fand auch schon am 13. Januar, die Vermählung am 30. Januar 1859 in Turin statt. Man sprach schon damals von einem schriftlichen Vertrage zwischen Victor Emanuel und Napoleon, durch welchen sich der Kaiser zur Mithülfe für die Eroberung der Lombardei zu Gunsten des Königs, der König dagegen zur Abtretung Savoyens und Nizza's an Frankreich verbindlich gemacht hätte. Die Verhältnisse zu einem Kriege gegen Oesterreich lagen für Frankreich und Sardinien günstig. England stand entschieden auf ihrer Seite; auf die Neutralität dieses Staates konnte mit Sicher heit gerechnet werden. Rußland war über das Verhalten Desterreichs im Krimkriege, von dem es, in Anerkennung der russischen Dienste im Jahr 1849, eher Beistand, als eine feindliche Haltung erwartet hatte, in hohem Grade ungehalten; auf russische Hülfe konnte das österreichische Kabinet nicht hoffen. Die einzige Bedenklichkeit gaben Preußen und der deutsche Bund; allein so lange nur italienisches und nicht deutsches Gebiet des österreichischen Kaiserstaates angegriffen wurde, hatte der Bund keine Verbindlichkeit, Oesterreich beizustehen, und von Seite Preußens stand, bei der beständigen Rivalität des preußischen und österreichischen Hofes um die Hegemonie in Deutschland, ohnehin kein besonderer Eifer in Aussicht, eine Schwächung Desterreichs abzuwenden. Eine Veranlassung zum Kriege war leicht gefunden. Cavour hatte in der Denkschrift, die er dem pariser Congreß vorlegte, den Beistand der Großmächte für eine nationale Einigung Italiens angerufen, und für das lombardisch-venetianische Königreich und Neapel liberale Institutionen verlangt. Seitdem war der Kampf zwischen der sardinischen und österreichischen Preffe ziemlich heftig geworden; so daß es auf beiden Seiten an verlebenden Ausdrücken gegen die andere Regierung nicht fehlte. Der Kaiser Franz Joseph von Desterreich hatte mit der Kaiserin im Januar 1857 Venetien und die Lombardei bereist und war daselbst in Folge der Ertheilung einer politischen Amnestie von der Bevölkerung günstig aufgenommen worden. Gerade diesen Aufenthalt des Kaisers in Italien aber benüßte die sardinische Presse zu heftigen Ausfällen gegen die Person des Monarchen. Es erfolgte deßhalb am 10. Februar 1857 von Mailand aus eine Beschwerde des österreichischen Ministers Grafen Buol an das sardinische Kabinet. Cavour antwortete am 20. Februar, er bedauere diese Angriffe selbst; Dergleichen fände aber in allen Ländern statt, wo freie Presse bestünde; Denen, die sich verletzt fühlten, stünde es ja frei, ge= richtliche Klage zu erheben. Uebrigens verfahre die österreichische Presse gegen das sardinische Gouvernement ganz ungestört in gleicher Weise, und die sardinische Regierung befinde sich dabei gegen die österreichische noch in dem Nachtheil, daß die sardinischen Zeitungen in Desterreich verboten, die österreichischen dagegen in Sardinien zugelassen seien. Diese Antwort erklärte das österreichische Kabinet für unbefriedigend und rief am 16. März 1857 seinen Gesandten von Turin ab, worauf am 27. März auch der sardinische Hof seinem Gesandten in Wien den Befehl zur Abreise zugehen ließ. Zu gleicher Zeit richtete das österreichische Ministerium eine Zuschrift an die fremden Höfe, worin erklärt wurde, Oesterreich sei durch die verlebenden Angriffe der sardinischen Presse zu diesem Schritt gezwungen worden; auch neuerdings wieder, bei der Discussion in der Kammer über die Befestigung von Alessandria, habe die sardinische Regierung eine feindselige Haltung gegen Oesterreich an den Tag gelegt; die Absicht des sardinischen Kabinets sei keine andere, als Italien zu revo= lutioniren, sich an die Spitze dieser Revolution zu stellen und die österreichische Herrschaft im lombardisch-venetianischen Königreich zu vernichten. In dieser Spannung blieben die Verhältnisse das ganze Jahr 1857 hindurch; Sardinien rüstete, Desterreich verstärkte seine Truppen in Oberitalien; doch glaubte man immer noch nicht an den Ausbruch eines Krieges; da Sardinien sich Desterreich gegenüber zu schwach fühlen mußte, das österreichische Kabinet aber die Einmischung Frankreichs zu fürchten hatte. Unter den Italienern selbst nahm die Gährung inzwischen zu. Gegen das Ende des Monats Juni 1857 versuchten die Anhänger Mazzini's in verschiedenen Städten (Livorno, Genua) repu= blicanische Erhebungen. Der Herzog von Pisacane, ein vorma liger neapolitanischer Officier, führte eine Schaar Republikaner, die sich auf offener See des Schiffes bemächtigt hatten, das sie als Passagiere aufgenommen hatte, gegen Neapel, wurde aber, nachdem er am 27. Juni 1857 die Staatsgefangenen auf der neapolitanischen Insel Ponza be freit hatte, nach seiner Landung an der neapolitanischen Küste von den Küstenwächtern überwältigt und blieb mit 167 seiner Gefährten auf dem Plaze. Das österreichische Kabinet hatte ganz recht, wenn es erklärte, Victor Emanuel gehe auf die Vernichtung der österreichischen Herrschaft im lombardisch-venetianischen Königreich aus und wolle fich zum König von Italien machen; das sardinische Kabinet war aber auch seinerseits nicht im Unrecht, wenn es in seinen Erklärungen an die europäischen Höfe die Ueberzeugung durchblicken ließ, bei dem nicht mehr zu bewältigenden Streben der Italiener nach nationaler Einigung sei die Ausdehnung der sardinischen Monarchie über Jtalien der einzige Weg, das Land vor einer unheilvollen republicanischen Anarchie zu bewahren. Der erste Januar des Jahres 1859 sollte in diese beständige Schwebe zwischen Krieg und Frieden Entscheidung bringen. Nachdem der Kaiser Napoleon an diesem Tage den in den Tuilerien versam melten Diplomaten für ihren Glückwunsch zum neuen Jahr seinen Dank |