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Bundesrat und Reichstag sind daher nicht Apparate, um den Sonderwillen der Einzelstaaten zu sammeln und das Resultat dieser zusammengezählten Einzelwillen herzustellen 1), sondern sie sind Organe für die Herstellung eines selbständigen einheitlichen Willens, der in Kontrast treten kann selbst mit den übereinstimmenden Willensentschlüssen sämtlicher Einzelstaaten. Hierdurch wird es völlig zweifellos, dass der Wille des Reichs nicht die Summe der Willen der Einzelstaaten, auch nicht der Majorität derselben ist. Auch die Reichsbehörden sind nicht gemeinschaftliche Behörden der Einzelstaaten, welche ihre Zuständigkeit und Amtsgewalt von der Staatsgewalt der letzteren ableiten, sondern sie sind Organe eines einheitlichen, selbständigen, den Einzelstaaten übergeordneten Staatswesens 2).

§ 4. Das Subjekt der Reichsgewalt. Das Reich ist, wie sich aus den vorhergehenden Erörterungen ergibt, ein souveräner Staat, ein Subjekt unabhängiger Herrschaftsrechte, also eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Es erhebt sich demnach die Frage, welches ist das Substrat dieser Person? Im allgemeinen ist es nun völlig zweifellos, dass jeder Staat ein Volk voraussetzt, da er seinem Wesen nach eben die rechtliche Ordnung einer Volksgemeinschaft darstellt; dass sonach das Volk als das Substrat der Staatspersönlichkeit anzusehen ist. Auch für das deutsche Reich gilt dieser Satz. Man kann sich das Deutsche Reich nicht ohne das deutsche Volk vorstellen, und sowie das Reich als Person (Herrschaftssubjekt) eine begriffliche Einheit ist, so wird auch durch diese einheitliche staatliche Organisation das deutsche Volk, soweit es von derselben ergriffen worden ist, zu einer Einheit verbunden. Allein die konkrete staatsrechtliche Gestaltung, welche im Deutschen Reich verwirklicht ist, wird durch die unmittelbare Beziehung der Reichspersönlichkeit auf das Volk nicht zum richtigen Ausdruck gebracht. Es ergibt sich dies aus dem historischen und juristischen Vorgang der Reichsgründung und aus der Struktur der Verfassung. Das Deutsche Volk war bei der Errichtung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen. Reiches nicht eine politisch oder staatsrechtlich unorganisierte Masse, nicht ein Volkshaufen als Naturprodukt, sondern es war in eine Anzahl von ,,Staatsvölkern" zerlegt, von denen jedes einzelne seine verfassungsmässige Organisation, seine staatsrechtliche Persönlichkeit besass. Diese Organisation ist nicht behufs Gründung eines gemeinsamen Staatsverbandes zerstört und aufgelöst worden oder auch nur unberücksichtigt geblieben oder als etwas Nebensächliches behandelt worden. Vom Standpunkte der historischen Spekulation aus mag man die Reichsgründung als eine Tat des Deutschen.

einkunft das Reich auflösen und einen anderen „Bund" mit einer anderen Verfassung an seine Stelle setzen könne, im Widerspruch mit Art. 78 der RV. und der staatlichen Natur des Reichs Ein solcher Vorgang würde ein Staatsstreich sein. Vgl. meine Ausf. in d. Jur.-Zeit. 1904 S. 561 fg. Gegen die Ansicht v. Jagemanns hat sich auch Graf Posadowsky in der Reichstagssitzung vom 24. Januar 1905 erklärt.

1) Dies war die Aufgabe des Bundestages im ehemaligen Deutschen Bunde. Auch der jetzige Bundesrat kann ausserhalb seiner reichsverfassungsmässigen Zuständigkeit dazu dienen, Vereinbarungen der Landesregierungen über die gleichmässige Behandlung gewisser Angelegenheit zu erzielen. Siehe unten § 11.

2) Entscheidung des Reichsgerichts in Civilsachen Bd. 44 S. 380; Bd. 55 S. 139.

Volkes oder als eine Evolution seiner politischen Verfassung bezeichnen; die staatsrechtliche Betrachtung muss sich ausschliesslich auf die rechtlich relevanten Vorgänge beschränken. Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint aber die Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches nicht als eine Tat des Deutschen Volkes", sondern als eine Tat der im Jahre 1867 resp. 1870 vorhanden gewesenen Deutschen Staaten; alle Akte, welche die Errichtung des Bundesstaates herbeiführten, waren Akte dieser Staatspersönlichkeiten. Durch Eintritt in denselben gaben sie ihre Souveränetät, aber nicht ihre staatliche Persönlichkeit auf; ihre rechtliche Individualität dauerte kontinuierlich fort und wurde die wesentliche Grundlage der bundesstaatlichen Gesamtperson.

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Man darf daher für die juristische Konstruktion des Reichsverbandes nicht die Fiktion zu Grunde legen, dass die Einzelstaaten in dem neu gegründeten Reich zunächst untergingen und dann sofort von dem Reich neu geschaffen und mit gewissen Hoheitsrechten ausgestattet worden sind 1). Die Gründung des Reiches war vielmehr die Herstellung einer Staatgewalt über den Staaten; die letzteren sind die Mitglieder des Reiches 2) und bilden das Substrat der Reichspersönlichkeit.

Man hat gegen die Auffassung des Bundesstaates als einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eingewendet, dass die juristische Person nur innerhalb der staatlichen Rechtsordnung existiere, nur als Schöpfung des Staates rechtliche Bedeutung besitze und deshalb nicht zur Charakterisierung des Staates selbst verwendet werden könne3). Dies ist ein Missverständnis. Die Rechtsverbindlichkeit der Bundesstaatsverfassung kann man freilich dadurch nicht begründen, dass man den Bundesstaat als eine juristische Person bezeichnet; der Rechtsgrund der Staatsgewalt und der Staatsverfassung lässt sich nicht mit einer juristischen Formel nachweisen. Allein die juristische Person" ist eine juristische Begriffskategorie und deshalb ebensowenig eine Schöpfung des Staates oder des Gesetzgebers wie der Begriff des Vertrages, des dinglichen Rechts, der Obligation. Sie dient nur dazu, um einen Komplex von Rechtssätzen logisch zu begreifen, einheitlich zu erfassen. Auch für den Einheitsstaat ist es nicht etwas Nichtssagendes und Ueberflüssiges, wenn man ihn als juristische Person erklärt; denn die Vorstellungen des Herrschens, der rechtlichen Macht, der Untertanen, des Gebiets u. s. w. finden in der Vorstellung der Person ihre logische Einheit). Für den

1) So Zorn, I. 72 ff. Borel, S. 71, 141; früber auch Jellinek, Staatenverb. S. 44 ff., 271 ff., 281 ff., er hat sich aber später der im Text entwickelten Ansicht angeschlossen. Ges. u. Verordn. S. 201 fg. Allg. Staatsl. 2. Aufl. S. 275..

2) Dies ist auch in der Reichsverf. Art. 6 ausdrücklich anerkannt. Vgl. Art. 7. 19. 41. Abs. 1.

3) Seydel, Hirths Annalen 1876, S. 648 ff. v. Martitz, S. 567.

4) Die Charakterisierung des Staates als Person ist Gegenstand einer grossen wissenschaftlichen Kontroverse, welche in der Darstellung eines konkreten positiven Rechts nicht mit der erforderlichen Ausführlichkeit erörtert werden kann. Einerseits wird von der sog. empirischen (materialistischen) Schule der ganze Begriff der juristischen Person verworfen und dieselbe als eine Fiktion, als ein rechtswissenschaftlicher Rechenpfennig, als eine logische Krücke u. dgl. bezeichnet, weil ihr die reale (physische) Existenz fehle, die nur den einzelnen Menschen zukomme. Dieser Einwand kann gegen

Bundesstaat aber hat der Satz, dass er eine juristische Person sei, welche von den Gliedstaaten gebildet wird, eine doppelte Bedeutung. Er besagt einerseits, dass der Bundesstaat ein Rechtssubjekt ist und setzt ihn dadurch in Gegensatz zu den sozietätsartigen Staatsverbänden; und er besagt andererseits, dass die Gliedstaaten als öffentlichrechtliche Personen fortbestehen, dass sie in der höheren Einheit nicht verschwinden, dass trotz der einheitlichen Rechtspersönlichkeit des Ganzen auch die Glieder, jedes für sich, für ihre Sphäre die Eigenschaft des Rechtssubjekts haben 1). In diesem Sinne dient est zur Charakterisierung des Deutschen Reiches, wenn von ihm ausgesagt wird, dass es eine juristische Person nicht von 50 oder 60 Millionen Mitgliedern, sondern von 25 Mitgliedern sei.

Diese Mitglieder in ihrer Gesamtheit sind die Träger der Staatspersönlichkeit des Reiches; sie sind an der Reichsgewalt mitbeteiligt, wie in der Demokratie die vollberechtigten Staatsbürger an der Staatsgewalt. Mit Ausnahme der freien Städte sind alle Deutschen Staaten Monarchien; die Landesherren sind daher die allein berechtigten Träger der Einzelstaatsgewalt und als solche üben sie auch die Mitgliedschaftsrechte im Deutschen Reiche, den Anteil ihrer Staaten an der Reichsgewalt aus. In den freien Städten sind die Bürgerschaften, als Einheiten gedacht, das Subjekt der Staatsgewalt und als solche Mitglieder des Reiches. In diesem Sinne kann man daher sagen, dass die Deutschen Fürsten und freien Städte in ihrer Gesamtheit die Träger oder Inhaber der souveränen Reichsgewalt sind. Daraus rechtfertigt es sich, dass die Landesherren der Einzelstaaten ihre persönliche Souveränetät und alle damit verbundenen staatlichen und völkerrechtlichen Ehrenrechte ungeschmälert behalten haben und dass auch die Einzelstaaten als solche ebenfalls alle Rechtsbegriffe ohne Ausnahme erhoben werden. Das Recht ist nur eine Welt von Vorstellungen; einen Rechtsbegriff deshalb ablehnen, weil er der faktischen (physischen) Existenz ermangelt, heisst das Recht überhaupt ablehnen. Auch die Persönlichkeit des Menschen ist nur eine Rechtsvorstellung; die Natur schafft Menschen aber keine Personen d. h. Rechtssubjekte; es gibt keine natürlichen Personen, sondern nur juristische. Andrerseits schreibt die sogen. organische Staatstheorie, deren Hauptvertreter Gierke und Preuss sind, „den „Gesamtpersonen" (sozialen Verbänden, Genossenschaften, Körperschaften, Gemeinden, Staaten) eine ebenso substanzielle Existenz zu wie den einzelnen Menschen und eine Organisation, welche sie dem Organismus im biologischen Sinne gegenüberstellen. Sie verwerfen daher die auf logischer Abstraktion beruhende Vorstellung eines durch die Gesamtheit gebildeten Rechtssubjekts, welches von den einzelnen Individuen begrifflich verschieden ist, als individualistisch, civilistisch, romanistisch u. dgl. und bezeichnen sie als persona ficta im Gegensatz zu der zur Einheit zusammengeschlossenen Vielheit. Aber diese Gesamtperson" lebt und webt nur im Reiche der Gedanken und ist lediglich eine Vorstellung; ist die juristische Person als Rechtssubjekt eine persona ficta, so ist es diese Gesamtperson erst recht. Wenn man den Begriff des Organismus über das Einzelwesen hinaus auf Gesamtheiten von solchen ausdehnt, so verändert er seine Bedeutung und verflacht sich zu einem biologischen Bilde. Eine vortreffliche Kritik dieser Lehre gibt Grasso, I Presupposti giuridici del diritto costituzionale. Genova 1898. Siehe darüber meine Besprechung im Arch. f. öff. R. Bd. 14 S. 569 ff.

1) v. Martitz, a. a. O. erhebt die Frage, ob sich die Begriffskategorie „Staat“ von einer Vielheit von Menschen auf eine Vielheit von Korporationen übertragen lasse, und verneint dieselbe. Gewiss ist diese Frage, so gestellt, zu verneinen. Es können nicht beliebige Korporationen sein; ein Staat kann nicht aus Aktienvereinen oder Kirchen oder Hilfskassen gebildet werden. Die Korporationen müssen kongenialer Art d. h. selbst Staaten sein, also Untertanen, Gebiet, Herrschaftsrechte, politische Aufgaben haben. Dann fehlt es auch dem über diesen Staaten stehenden Oberstaat nicht an den, für den Staatsbegriff wesentlichen Merkmalen.

die völkerrechtlichen Ehrenrechte der souveränen Staaten noch jetzt ausüben. Aus dem Grundsatz, dass der Einzelstaat als Mitglied des Reiches mitberechtigt an der Reichsgewalt ist, ergibt sich ferner, dass die Ausübung dieser Mitgliedschaft eine Lebenstätigkeit des Staates ist, die im innigsten Zusammenhange mit den übrigen Betätigungen des staatlichen Lebens steht, und dass der Landesherr bei der Ausübung dieser Seite des staatlichen Handelns keine andere Stellung hat, als sie ihm das öffentliche Recht seines Staates überhaupt anweist. Die Ausübung der Mitgliedschaft, die sich namentlich, wenngleich nicht ausschliesslich, in der Instruktion der Vertreter des Staates im Bundesrat betätigt, kann daher nicht getrennt oder losgelöst werden von der Regierung des Staates; die Instruktion der Bundesratsmitglieder gehört zu den Regierungsgeschäften des Einzelstaates und alles, was staatsrechtlich oder faktisch einen Einfluss hat auf das Zustandekommen des Staatswillens, hat diesen Einfluss auch hinsichlich der Ausübung der Reichsmitgliedschaft. Eine wichtige Konsequenz dieses Satzes besteht darin, dass die Regierung des Einzelstaates nach Massgabe des Staatsrechts dieses Staates politisch und rechtlich verantwortlich bleibt für die Art und Weise, wie sie die Mitgliedschaft am Reich ausübt 1). Diese Verantwortlichkeit bezieht sich nicht auf die Beschlüsse des Bundesrats; noch viel weniger auf Reichsgesetze, bei denen der Bundesrat überdies durch die Zustimmung des Reichstags gedeckt ist; es handelt sich vielmehr lediglich um die Verantwortung für Regierungshandlungen des Einzelstaates, d. h. um die Verantwortung für die Instruktions-Erteilung an die Vertreter des Staates im Bundesrate, beziehentl. für die Unterlassung einer Instruktionserteilung, wo eine solche durch das Interesse des Einzelstaates geboten gewesen wäre. Ob eine derartige Regierungshandlung oder Unterlassung überhaupt geeignet ist, eine juristische Verantwortlichkeit zu begründen, ist ausschliesslich nach dem Minister-Verantwortlichkeits-Gesetz des einzelnen Staates zu entscheiden; eine politische (parlamentarische) Verantwortlichkeit ist in jedem Falle vorhanden und keine Regierung wäre berechtigt, eine Rechtfertigung ihres Verhaltens und eine Darlegung der Gründe desselben ihrer Landesvertretung gegenüber mit dem Hinweise abzulehnen, dass die in Rede stehende Angelegenheit Reichssache sei; denn die Instruktions-Erteilung an die Vertreter des Staates im Bundesrat ist in der Tat niemals Reichssache, sondern immer eine Regierungs-Angelegenheit des Einzelstaates ").

§ 5. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich. I. Das Verhältnis des Reiches zu den Einzelstaaten hinsichtlich der Ausübung der Staatstätigkeit ist im Art. 4 der RV. prinzipiell in der Art geregelt, dass die in diesem Artikel aufgeführten Angelegenheiten der Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegen".

1) Vgl. Fürst Bismarck im verfassungsberat. Reichstage. Stenogr. Berichte 393

397 und im Reichstag v. 1867. Stenogr. Ber. 135. 137.

2) Vgl. Pistorius, Die Staatsgerichtshöfe und die Ministerverantwortlichkeit. Tübing. 1891. S. 195 ff. Anderer Ansicht Hänel, Studien I. 221; Meyer, Staatsr. $ 186 u. A. Eine Uebersicht der Literatur und der verschiedenen Ansichten daselbst Note 4.

Die Durchführung und Handhabung der Gesetze dagegen ist auf das Reich nicht übergegangen, sondern den Einzelstaaten verblieben. Die Einzelstaaten haben daher dem Reiche gegenüber diejenigen Befugnisse, welche den Selbstverwaltung s körpern zustehen, und das Wesen der Selbstverwaltung ausmachen 1), während das Reich diejenigen Rechte ausübt, welche der souveränen Staatsgewalt den Selbstverwaltungskörpern gegenüber gebühren, nämlich die Aufstellung der Normen und die Kontrolle ihrer Befolgung. Im übrigen ist das Mass der den Einzelstaaten überlassenen Selbstverwaltung auf den verschiedenen Gebieten der staatlichen Tätigkeit höchst mannigfach bestimmt, wie sich bei der Darstellung der einzelnen Verwaltungszweige ergeben wird.

Von dieser prinzipiellen Ordnung bestehen aber nach beiden Seiten hin Abweichungen. Für einzelne Angelegenheiten hat das Reich den Einzelstaaten die Befugnisse der Selbstverwaltungs-Körper nicht zugewiesen, sondern sie gänzlich ausser Funktion gesetzt und sich seinen eigenen Apparat zur Ausübung seiner Tätigkeit geschaffen; es gilt dies namentlich von den auswärtigen Angelegenheiten mit Einschluss des Konsulatwesens, der Marine, der oberen Post- und Telegraphenverwaltung, eines Teils der Gerichtsbarkeit letzter Instanz, eines Teils der Finanzverwaltung und einiger anderer Angelegenheiten. So wichtig aber auch diese Zweige sind, im Verhältnis zu der Gesamtheit der Geschäftsverteilung zwischen Reich und Einzelstaaten bilden sie die Ausnahme.

Andrerseits ist neben den der Gesetzgebung und Aufsicht des Reichs unterstellten Angelegenheiten noch ein grosser Kreis von öffentlich rechtlichen Funktionen vorhanden, hinsichtlich deren die Einzelstaaten nicht Selbstverwaltungskörper des Reiches sind, sondern eine freiere und unabhängigere Stellung haben, indem sie nicht der Gesetzgebung des Reiches und demgemäss auch nicht der Oberaufsicht desselben hinsichtlich der Ausführung dieser Gesetze unterworfen sind. Freilich können diese Angelegenheiten nicht völlig getrennt und losgelöst werden von denjenigen, für welche das Reich kompetent ist; die verschiedenen Lebensfunktionen des Staates hängen innerlich so fest zusammen, durchdringen und bestimmen sich gegenseitig so vielfach, sind so ineinander geschlungen und verwickelt, dass es unmöglich ist, sie durch einen tiefen Schnitt von einander zu trennen oder zwischen ihnen eine Kompetenzgrenze wie eine chinesische Mauer aufzurichten. Die Einzelstaaten empfinden auf allen Gebieten des staatlichen Lebens die höhere Macht, der sie unterworfen sind, da sie sich nur innerhalb des Raumes bewegen können, den die Reichs

1) Das Wesen der Selbstverwaltung ist nicht mit der vulgären Auffassung in der Verwaltung durch unbesoldete Ehrenbeamte (im Gegensatz zur Verwaltung durch besoldete Berufsbeamte) zu erblicken, so namentlich noch G. Meyer, Staatsr. $ 106 III, sondern es besteht darin, dass eine obere Gewalt die ihr zustehenden Hoheitsrechte nicht unmittelbar mittelst eines eigenen, zu ihrer ausschliesslichen Disposition stehenden Apparates durchführt, sondern mittelst ihr untergeordneter, aber innerhalb ihres Wirkungskreises selbständiger Korporationen oder Einzelpersonen. Vgl. Reichsstaatsrecht I. S. 97 ff. Uebereinstimmend Zorn, I. S. 109 ff. Vgl. über den Begriff der Selbstverwaltung insbesondere Rosin in Hirths Annalen 1883 S. 305 ff., ferner Hänel, Staatsr. I. S. 135 ff. und meine Abhandlung im Rechtsgeleerd Magazijn 1891 S. 147 ff. O. Mayer, Verwaltungsr. I, 127; II S. 372 ff. P. Schoen, Das Recht der Kommunalverbände in Preussen 1897 S. 1 ff. Jellinek, System (2. Aufl.) S. 290fg.; auch Allgem. Staatslehre (2. Aufl.) S. 616 ff.

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