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trostlosen Lage, schildre ihm mein schmachvolles Aussehen, gemahne ihn meiner Thränen und des steten Kummers, der mich langsam verzehrt. Sage, er sei der einzige Trost, die alleinige Zuflucht der Mutter. Auf ihn habe ich seit seiner Geburt alle Hoffnung geseht. Er sei das blühende Haupt meiner Söhne, alle anderen Glieder seien krank. Doch soll er den Muth nicht verlieren und verkommen im Jammer. Durch seine Mannhaftigkeit und Kraft kann er manches angefressene Glied zur Heilung bringen. Wo aber die Fäulniß zu weit um sich gegriffen hat, da soll er das Messer gebrauchen. Keine andere Hoffnung bleibe uns, als gründliche Kur. Vor Allem, sag' ihm, mißfalle mir die Sonderbündelei einiger Großen im Reich, wodurch die Bande des Gehorsams sich lockern. Gib dem Kaiser zu bedenken, daß die Ursachen des Untergangs mächtiger Staaten wie des Persischen, des Macedonischen, des Griechischen und Römischen nichts anderes war, als Eigennut der Einzelnen und daraus hervorgehende innere Zwietracht. Erkläre ihm, daß er nur einen Fehler hat, allzugroße Milde und Nachsicht, die dem Vaterland verderblich wird. Denn so obstinat find gegenwärtig Alle, daß Langmuth vom Uebel, Tyrannei aber nöthig ist. So sprach sie und verschwand. —

Wir müssen gestehen, der Redner versteht es auf eine freimüthige und doch tactvolle Weise dem Kaiser die Schäden seiner Regierung darzulegen. Freilich schwächt er diesen Eindruck ab, wenn er der Sitte der Zeit folgend darauf übergeht den Kaiser mit übertriebenem Lob zu erheben und mit allen Heroen des Alterthums zu vergleichen. Dann erst kommt er auf seinen eigentlichen Gegenstand; dem Elend des Augenblicks gegenüber, will er die alte Herrlichkeit und Größe Germaniens schildern.

Nur Wenige kennen dieselbe, sagt er, aber das hat seinen Grund darin, daß in Deutschland immer Männer genug waren, die Großthaten vollbrachten, Niemand aber, der darüber schrieb. Hätten wir Schriftsteller, so würden im frischen Gedächtniß sein die Großherzigkeit, die Ausdauer, die Wohlerfahrenheit unserer Carl, Ludwig, Lothar, Friedrich, Otto, Heinrich, Conrad, Rudolf, Albrecht und anderer Kaiser. Nicht immer würde das lügenerische Griechenland seine Theseus, Themistokles, Perikles, Militiades, Conon, Epaminondas, Pausanias, Alkibiades u. s. w., Rom seine Curier, Fabier, Cäsar, Flavier, Scipionen, Horatier, Regulus u. A. als Muster aller Tugenden voranstellen dürfen. Die Unseren kommen den Genannten nicht blos gleich, sondern haben sie weit übertroffen. Jene Alten trieb blos eitle Herrschbegier, was aber die Unseren thaten, das thaten sie für Gott, für den Glauben, für die Ausbreitung christlicher Religion.

Wir wollen dem Redner bei Ausführung dieser Säße nicht nachgehen; er schließt mit der Behauptung: Alle Einzeltugenden, welche die verschiedenen Völker als etwas besonderes für sich in Anspruch nehmen, finden sich bei den Deutschen vereint. Nun folgt eine Untersuchung über den Namen Germanen.

Germania ist das sprossende d. h. das volkreiche Land, Germanen sind seine Sprößlinge, gleichsam Brüder. Die sprossende Kraft der Muttererde zeigt sich in der körperlichen Stärke und Schöne, in dem kriegerischen Geist der Kinder, die Brüderlichkeit derselben aber darin, daß unsere Vorfahren, mochte innerer Streit sie noch so sehr entzweien, dem äußeren Feind

stets in geschlossener Phalanr einig entgegen

traten.

Falsch, fährt Bebel fort, ist die Ansicht des Strabo, welcher den Namen der Germanen daher leiten will, daß sie gleichsam Brüder der Gallier seien. Auch die gegenwärtigen Franzosen, obwohl ein großer Theil derselben germanischen Ursprungs, sind vielleicht durch Einfluß des milderen Klima, so degenerirt, daß sie Brüder von uns sowohl was die Tüchtigkeit des Körpers als des Geistes betrifft, nicht genannt werden mögen. Auch die Ansichten Anderer z. B. die des Tacitus über den Namen Germanen sind unrichtig. Es bleibt also bei der gegebenen, völlig befriedigenden Erklärung. „Denn wo wird eine andere Nation gefunden, welche so viel edle Geschlechter und solche Volksmenge, wo eine, die so viel Körper und Geistesstärke besit?"

Nun werden Beweise für die Tapferkeit der Germanen beigebracht, ihre Feldzüge von Zeiten der Cimbern und Teutonen an erzählt. Alle Völker haben die Schwerter der Deutschen gefühlt, überall haben sie ruhmvoll sich geschlagen. Man lese nur, was sie den Römern für Noth machten! Und dabei kennen wir die Feldzüge Cäsars und Octavians gegen unsere Vorfahren nur aus Römischen Quellen. Wie würden die Berichte lauten, wenn wir einheimische Geschichtsschreiber hätten? - Der Germanischen Tapferkeit hat man die Erweiterung der Grenzen zu danken. Aber nicht blos auf diese, auf unser Wachsthum und unsere Großthaten können wir stolz sein, auch unserer Abstammung und unseres Alters dürfen wir uns rühmen. Tuisco der Sohn des Noa war der erste deutsche König. Billigkeit und Recht, Standhaftigkeit und vor Allem ächte Glaubenstreue war von jeher unser

Erbtheil. Das bezeugen unsere hohen Dome, unsere teuschen Klöster für beide Geschlechter, die Kriege unserer Vorfahren zur Erhaltung und Ausbreitung christlichen Namens. Wie oft sind unsere Kaiser für die Römische Kirche, für den katholischen Glauben, für das Wohl ge= meiner Christenheit durch ganz Europa gezogen? Wie oft haben sie eben deshalb asiatischen Boden betreten? Wie oft haben sie Jerusalem zurückgefordert, wie oft Spaltung aus der Kirche entfernt und Auflehnung gegen die päpstliche Gewalt gezüchtigt? Wenn einzelne Kaiser von dem päpstlichen Bannstrahl getroffen wuden, so lag der Grund nicht in ihrer Schuld, sondern in der Habsucht und Herrschbegier mancher Päpste. Hätten die Kaiser den Päpsten in Italien stets freie Hand gelassen, so würden jene Ercommunicationen nicht erfolgt sein.

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Ausführlich werden nun die Verdienste deutscher Könige um die christliche Kirche aufgezählt; dann aber die Klage wiederholt, daß alle diese Großthaten in das Dunkel der Vergessenheit begraben seien, da es an Deutschen Geschichtsschreibern fehle. Das werde jedoch in Zukunft besser werden. Denn endlich habe Gott Kaiser Marimilian gesendet unter dessen leitenden Auspicien unsere glänzende Geschichte wieder zu Ehren komme.,,Es blühen die Studien, tüchtige Talente treten überall auf, denn der Kaiser licht die Gelehrten und unterstüßt sie, ja er verschmäht es selbst nicht, gleich Julius Cäsar, über die Geschichte seines Reichs zu schreiben“.

Damit schloß Heinrich Bebel seine Rede. Sie hatte die Hörer nicht unbewegt gelassen. Der Kaiser ergriff einen Lorbeerkranz und drückte ihn auf das Haupt des Redners. Das war damals die Form, wissenschaftliche Leistungen von eleganterem Charakter zu ehren. Ein

gekrönter Poet (poeta laureatus) zu werden war das Streben Aller, welche sich durch die geist und geschmacklose Weise, mit welcher noch die große Menge der Literaten das, was sie Wissenschaft nannte, betrieb, nicht befriedigt fühlten. Bebel, eines schwäbischen Bauern Sohn, erscheint in mehrfacher Beziehung als Bahnbrecher der neuen Richtung. Auch seine Rede in laudem Germaniae ist meines Wissens der erste öffentliche Ausdruck, welchen die frisch erwachte patriotische Begeistrung fand. Und sie ist ein würdiger Ausdruck. Denn nicht blos

die

Freimüthigkeit, mit welcher der Redner vor dem Kaiser auftritt, verdient unsere Achtung, auch der Inhalt selbst zeigt, wie der Gedanke an die Größe des Vaterlands in großartigerer Weise ergriffen und innerlich verarbeitet wird, als es vorher geschah. Kein schneidenderer Contrast als die possenhaften scholastischen Streitig keiten um Lumpereien, an denen man sich bisher erfreut hatte, und die würdige, ernste Weise, mit welcher Bebel die Tugenden seines Volkes zu erkennen und das Erkannte schön und geschmackvoll vorzutragen bemüht ist!

An die Schriften Jacob Wimphelings und Conrad Peutingers, welche ebenfalls das patriotische Bestreben und Zusammenschließen der deutschen Humanisten beurkunden, will ich hier nur erinnert haben. Sie tragen äußerlich einen anderen Charakter als die Reden, für welche ich Aufmerksamkeit in Anspruch nehme.

Wir sagen Bebel vor den Thoren von Innspruck Valet. Er wendet sein Roß heimwärts nach der lang= gestreckten Hügelstadt, welche die raschen Wogen des Neckar bespülen. Wir ziehen südwärts über die Alpen. Vier Jahre sind in's Land gegangen, da betreten wir eines Tags die freundlichen Straßen Bologna's. Troß

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