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nimmt, als sie aus dem Munde eines Klerikers kommt und wiederum zeigt, wie schon lange vor der Reformation die Ueberzeugung von der Verderbniß der Geistlichkeit bei einsichtsvollen und der katholischen Kirche keineswegs entfremdeten Männern durchgedrungen war. „Pfui der Schande, ruft Hummel, in diesen entarteten Zeiten werden wissenschaftliche Uebungen jeder Art, gemeinsame wie Privatstudien, gleich als ob es einen Feldzug wider dieselben gelte, aus den Häusern der Kleriker entfernt. Ihre Stelle nehmen Allotria und von der Kirche ver= pönte Dinge ein. Statt der Schriften zum Studiren finden wir bei ihnen in kostbaren Behältern feine Leinwand, Seidenzeuge und Prunkgewänder aller Art. Da erblicken wir silberne Gefäße, Leiern und Lauten, bunte Polster, Würfel und Karten, weiche Lotterbetten, geschnäbelte Waschgefäße, herumgestreute Locken und Aehnliches. Die Bücher dagegen, wo sie etwa noch vorhanden, sind in schaudererregendem Zustand und liegen in Staub und Schmuß, wie Hiob. Doch keine Stimme ruft: „La= zarus, komme hervor! Läßt sich von ungefähr ein alter Koder blicken, so schwört der verläugnende Petrus, er kenne den Mann nicht und der Pöbel der Umgebung ruft: Kreuziget ihn! Der alte Soldat ehrt die Waffen, mit denen er gefochten hat, aber der ignorante Kleriker veräußert die merkwürdigsten Pergamente an Maler und Kürschner, oder gibt sie Goldarbeitern, um sie zu Behältern für Armbänder und Halsketten zu verwenden, oder klebt wohl gar mit ihren Blättern Oeffnungen in den Fenstern zu."

,,So bei den Weltgeistlichen, fährt der Redner fort; noch schlimmer aber sieht es in den Klöstern aus: Die Sorge der Mönche geht auf ihren Bauch, ihre Kleider,

ihre Paläste. Und erbarme der Himmel sich ihrer Schulen! Wie träge Fischer bedienen sie sich alter Neze, welche sie kaum dürftig auszubessern verstehen, an das Stricken neuer ist nicht zu denken. Sie stehlen fremde Arbeit, indem sie fremde Werke vorlesen und fremde Ansichten oberflächlich wiedergeben. Wie Papageien schreien sie im Komödiantenton unverstandene Worte nach: bloße Nachbeter, keineswegs Autoren! Ohne gründliches Studium der freilich nicht leicht zu bewältigenden, dickleibigen Quellen, schöpfen sie ihre Weisheit aus fractätchenartigen Compendien und so kommen sie zu ganz spani schen Fabeleien und apogryphischen Unsinn. Auf diese Weise wird ein lernbegieriges Gemüth keineswegs er= quickt, vielmehr das Ohr des Hörers mit Wortgeklingel betäubt; die heilige Schrift erklärt man nicht, sondern tritt sie durch solches Gebahren auf der Gasse mit Füßen."

Von den Laien führt Hummel aus, daß sie die Wissenschaft weder kennen noch lieben. Ihre Kinder werden, sobald sie der Wiege entwachsen sind, an gotteslästerliche und üppige Späße, an lascive Reden gewöhnt; bald im Sattel, bald auf der Jagd, bald Vögel fangend, dann auf dem Turnirplaß tummeln sie sich herum, fie prahlen förmlich mit Lastern, ja es gewährt eine Auszeichnung, zu Unthaten bereit zu sein und den Eitelkeiten der Welt sich hinzugeben. Besonders der Adel deutscher Nation wird wegen seiner Unwissenheit gezüch tigt und seiner Ahnen gemahnt. Diese stifteten Zufluchtsörter für Religion und Wissenschaft, ihre Burgen waren der Sig geistiger Kultur und guter Sitte. Kaiser mie Könige beschäftigten sich mit Studien und bekannt ist, daß jedes Gemeinwesen durch die Einsichtsvollsten und Weisesten am besten regiert wird.

Dieß der Inhalt der Rede Hummels 1) in groben Umrissen!

Man braucht nicht gelehrter Kenner der Zustände des ausgehenden Mittelalters zu sein, um zu sehen, wie Hummel durchweg den Nagel auf den Kopf trifft. In der That war es nöthig, daß der Wissenschaft eigene Häuser gewidmet wurden, denn in den Wohnungen Anderer war eben kein Raum für sie. Aber insoferne bedürfen die Anschauungen unseres Redners einer kleinen Erweiterung, als dasjenige, was er unter dem engen Horizont seiner Umgebung und Zeit beobachtete, für die ganze civilisirte Welt während eines Zeitraums von etwa 300 Jahren gilt.

Die Zeit, wo die Kirche bei hereinstürzender Barbarei als treue Pflegmutter die Wissenschaft aufgenom men und von dem Untergang gerettet hatte, war, als die Universität Freiburg eingeweiht wurde, schon lange dahin: jene Zeit des Beda Venerabilis († 735), der für den gelehrtesten Mann seines Jahrhunderts galt, des Aldhelmus Malmesburiensis († 709), welcher sich durch trefflichen lateinischen Stil auszeichnete, des Winfrid und Alcuin, die als Beförderer der geistigen Kultur im Frantenreich wirkten, endlich des Lanfrancus, welcher Schaaren wißbegieriger Jünglinge aus allen Ländern Europas nach seinem Kloster Bec in der Normandie zog; jene Zeit, wo in Italien die Klöster Monte Casino und Bobbio, in Frankreich Clugny, in Deutschland Fulda durch das Sammeln und Abschreiben alter Schriftwerke sich die größten Verdienste erwarben, und, um nur noch ein Beispiel aufzuführen, die alleinige Benedictinerabtei Reichenau innerhalb 35 Jahren mehrere hundert Manuscripte für ihre Bibliothek geschrieben hatte

(8. und 9. Jahrhundert). Zwar vertraten noch lange nach: her die Klöster, insonderheit des durch seine Regel zum Abschreiben guter Bücher verpflichteten Benedictinerordens, gewissermaßen die Stelle von Druckereien, indem sie für die Vervielfältigung von Handschriften sorgten und die Scriptoreien in St. Albans, Glastenbury, Edmundsbury, Fulda, St. Gallen, Sponheim, Glocester, St. Martin zu Tours, St. Victor zu Paris sind in dieser Beziehung bekannt genug; auch manche weniger berühmte Klöster, wie z. B. die Benedictinerabteien zu St. Michael in Bamberg und Reinhardsbrunn in Thüringen, die Karthause zu Erfurt und viele Andere, lieferten, sobald es glückte, fleißige und kenntnißreiche Armarien d. h. Directoren des Schreibzimmers und der Bibliothek zu be fißen, eine nicht geringe Zahl von Manuscripten; aber diese Schreiberei war allmählich mehr und mehr zum reinen Handwerk geworden und wurde, wenn ja ein Kloster noch alte Zucht und Sitte mit Zwang zur Arbeit aufrecht erhalten hatte, geschäftsmäßig betrieben. Die Schilderung Hummels von der geringen geistigen Cultur der Mönche und insonderheit dem Verkommensein ihrer Klosterschulen, steht keineswegs vereinzelt. Auch die,,Briefe der Dunkelmänner" haben ihre Vorläufer: schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts etwa sind Ausfälle und Satyren wider die Unwissenheit und bäurische Tölpelhaftigkeit der Mönche und Klosterschüler nichts seltenes.

Vor einigen Jahren stieß ich beim Durchblättern eines um 1470 zusammengeschriebenen Miscellancoder der Kgl. Bibliothek zu Königsberg i. Pr. (No. 161) auf ein derartiges, meines Wissens noch gänzlich unbekann tes Schriftwerk, aus welchem, da es tiefen Enblick in

die Anschauungen und Sitten seiner Zeit gestattet, überdem ähnlich manchen Briefen des Aeneas Sylvius und Poggius Florentinus modern novellistischen Character trägt, ein möglichst wörtlich gehaltener Auszug mitge theilt werden mag.

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Doch schon die Ueberschrift desselben bedarf einer Erläuterung. Sie lautet: „Ein sehr schöner Brief von einem dummstolzen Beanus und einem demüthigen Studenten" 2).,,Beanus" übersehen wir am besten mit Schulfuchs und wurde dieser Ausdruck im Mittelalter vorzugsweise gebraucht, wenn man von Klosterschülern sprach, Studentes, Studenten dagegen nannte man die an Universitäten Immatriculirten. Ort und Zeit ber Verabfassung des Sehr schönen Briefs" anlangend, ist zu bemerken, daß derselbe zu Leipzig um die Mitte des 15. Jahrhunderts seine Entstehung fand. Wie es scheint, war er zum Vorlesen bei einem Aristotelesfrühstück bestimmt. Lezteres war eine Schmauserei, welche nach der in jedem Semester stattfindenden Magisterpromotion die neucreirten Magistri artium ihren älteren Kollegen gaben, wobei nicht bloß wacker gezecht, sondern auch allerlei Scherz und Kurzweil getrieben wurde. Ein solcher Leipziger Aristotelesschmaus war es, von welchem in den,,Briefen der Dunkelmänner" der Baccalaureus Thomas Langschneyder berichtet: . . . und ich war auch dort und wir tranken zum ersten Gericht drei Schluck Malvasier und beim ersten Wechsel seßten wir frische Semmeln darauf und machten Brodkugeln; und dann hatten wir sechs Schüsseln mit Fleischspeisen, und Hühnern und Capaunen und eine mit Fischen; und beim Forschreiten von einem Gericht zum andern tranken wir immer: Koßburger Wein, Rheinwein und Einbecker Bier,

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