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III.

Politische und kirchliche Reden aus dem Anfange des 16. Jahrhunds.

Wer das Große begreifen will, darf das scheinbar Geringe nicht mißachten. Besonders in Zeiten mächtiger Umgestaltung, wo die Jahrhunderte lang eingehaltenen Bahnen verlaßen und noch unbetretene Richtungen eingeschlagen werden, wo das Alte wankt und Neues gewaltig sich erhebt, sind es häufig in ihren Anfängen bedeutungslos scheinende oder äußerlich andere Ziele verfolgende geistige Regungen mit rüstigem Ningen nach) frischen Gedanken und freieren Formen, welche die Uebergänge vorbereiten und vermitteln, so daß leztere bloß dem stumpfen Blick rasch, plößlich und unerwartet erscheinen, dem tiefer eingehenden Beschauer aber nicht entgeht, wie die geistige Umwälzung meist vollendet war, als die That siegreich in's Leben trat.

Auch die großen Ereignisse, welche in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts Deutschland sich zutrugen, kündigte eine bewegungsvolle Vorbereitungszeit

an.

Nur durch ihre sorgfältige Betrachtung gelingt es, die Reformation richtiger aufzufassen, als es gewöhnlich geschieht. Will man die Großthat derselben lediglich in

Polit. u. kirchl. Reden aus dem Anfange des 16. Jahih. 65

der Kirchenverbesserung sehen, so schlägt man ihre welthistorische Stellung zu niedrig an, denn jene ist nur einem kleinen Theil der Christenheit zu Gute gekommen, sie blieb zwar nicht, wie ihr vorgeworfen worden ist auf halbem Wege stehen, aber ihr Endergebniß mag doch eher eine Kirchenspaltung als eine großartige Wiederherstellung der gesammten christlichen Kirche an Haupt und Gliedern genannt werden. So suche und finde ich denn die wahre Bedeutung der Reformation auch in etwas Anderm, nämlich in der geistigen Befreiung Deutschlands von der absoluten Herrschaft Italienischer Wissenschaft, oder, um weniger concret zu reden, in dem Sturz der Nomanischen Naçe mit einer ihrer gemischten Anlage entsprechenden Denkweise und Bildung und der Erhebung rein germanischer Völker `auf den Herrscherstuhl im Reich des Wissens und Könnens.

Das zu beweisen und im Einzelnen auszuführen würde in dieser kurzen Stunde nicht möglich sein. Aber ich will aus der Vorbereitungszeit jener großen geistigen Umwälzung Einiges mittheilen, was meine Behaup tung stüßt, aber auch zeigt, wie weit die innere Fertigfeit der deutschen Nation gediehen war, als die That kam und wie die leztere kaum richtig beurtheilt werden mag, wenn man die Vorbereitung übersieht.

Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts gab es noch keine Journale mit langathmigen Leitartikeln und politischen Raisonnements. Liegt uns daran, die damalige öffentliche Stimmung aus unmittelbarer Quelle kennen zu lernen, so sehen wir uns von den Hülfsmitteln verlassen, deren Benußung freilich auch für jüngere Epochen nur mit Vorsicht und scharfer Kritik statthaft ist. Dagegen besißen wir aus jener Zeit eine Reihe

von Gelegenheitsreden, die theils vor hohen Personen, theils bei academischen Festen 20. gehalten, zwar nur selten gleichzeitige Ereignisse direct berühren, überall aber tendenziös erscheinen. Sie sind wie ich glaube, für den gedachten Zweck noch zu wenig benüßt. Doch je unbekannter sie blieben, desto mehr halte ich es für angemessen, einige Proben damaliger „Wissenschaftlicher Vorträge für gemischtes Publicum" denn damit sind unsere Reden vergleichbar - vorzulegen.

Von dem alten Schul- und Aberwiş, von der sy= stematischen Mönchsverdummung, welche vor der Reformation auf deutschen und außerdeutschen Universitäten herrschte, wird zwar von Vielen gesprochen, aber nur Wenige haben davon eine deutliche concrete Vorstellung. Und es ist nicht leicht sich diese zu verschaffen. Wir sind daran gewöhnt, daß über erkannte oder nicht erkannte Wahrheiten selbst, über Gedanken ihrem Inhalte nach gestritten wird. Solche Disputirweise war dem Mittelalter und der nächstfolgenden Zeit fremd. Die Sache trat in den Hintergrund gegenüber der Form, es kam einzig und allein darauf an, durch gewandte Handhabung dialectischer Künste den Gegner aus dem Sattel zu heben, das materielle Resultat des Streites blieb gleichgültig. Daher auch die Erscheinung, daß oft über die geringfügigsten Lappalien mit der größten Heftigkeit verhandelt wurde. Das ganze Denken war etwas rein Formelles, man strebte nicht darnach, den Gedanken der äuBern objectiven Erscheinung adäquat zu machen — was nur durch sorgfältige Beobachtung der Letteren geschehen kann, man war zufrieden auf Grund, dessen, was irgend eine Autorität ausgesprochen hatte, Syllogismer zu bauen und war die Form geglückt, so kümmerte sich

Niemand darum, daß es ein Unsinn sei, wenn etwa bewiesen war, schwarz sei weiß oder weiß schwarz. Man erstrebte nicht materielle, sondern formelle Wahrheit. Vielleicht wird eine Stelle aus einer la teinischen Comödie ergößen, welche Heinrich Bebel, ein Tübinger Humanist, in den ersten Jahren des sechszehnten Jahrhunderts von Studenten seiner Universität aufführen ließ, um das barbarische Latein, wie die Bildungsund Denkweise der herrschenden Schule zu geißeln1).

Der scholastisch erzogene Sophist Lentulus begegnet seinem Jugendfreund, dem Humanisten Vigilantius. So= fort provocirt Jener im gräulichsten Latein zum Disputiren um sechs Groschen. Vigilantius nimmt die Wette an und nun beginnt jener zu argumentiren:

Was ich bin bist Du nicht.

Vigilantius: Das gebe ich zu.
Lentulus: Ich aber bin ein Mensch.
Vigilantius: Gebe ich ebenfalls zu.
Lentulus: Folglich bist Du kein Mensch.

Doch solche geistreichen Schlüsse gehören schon dem feineren und höheren Genre an. Häufig wurde der wissenschaftliche Streit mit bloßem Berufen auf Autoritäten und Schimpfen gegen die Anhänger anderer Schulhäupter geführt. Mit gewaltigem Geschrei treten im fünften Act der Bebel'schen Comödie die Scholastiker Chrysippus und Leucippus auf.

Chrysippus: Worin studirst Du Leucippus? Leucippus: In den Subtilitäten des Scotus. Chrysippus: Was hältst Du vom Scotus? Leucippus: Den müssen alle für einen solchen halten, der durch Gelehrsamkeit und Tiefe des Genies vor allen christlichen Doktoren ausgezeichnet ist.

Chrysippus. Das lügst Du in deinen Hals hinein. Leucippus: Das sage ich als die Wahrheit. Aber Du lügst, denn wen könnte man von Jemand Jenem vorgezogen sehen?

Chrysippus: O! Bei Weitem ausgezeichneter ist der König aller Doctoren Wilhelm Odam.

Leucippus: Wenn ich das glaube, soll mich gleich der Kukuk holen. Ich halte gar nichts von Eurer Secte und bin allen Anhängern derselben todtfeind.

Chrysippus: Ebenso ich den Gliedern der Eueren.
Leucippus: Schweig Du Frosch.

Chrysippus: Schweig Heuschrecke.

Leucippus: Wenn mich nicht die Rücksicht auf die Anwesenden abhielte würde ich mich nicht enthalten, Dich an den Haaren herumzuziehen.

Chrysippus: Thu's doch, an Drohungen ist noch Niemand gestorben. Aber das sage ich und wiederhole es: Du greifst eine gehörnte Bestie an. Von mir gilt das Wort: er hat einen Büschel Heu am Horn.

Leucippus: Das wird sich zeigen. Dennoch wage ich zu sagen, daß Deine Partei leeres Stroh drischt und im Finstern tappt.

Chrysippus: Und ich behaupte immer noch, Deine Richtung sei grundfalsch.

Daß diese Bilder, wenn auch karrikirt, doch aus dem Leben gegriffen, läßt sich nicht läugnen. Die etwa 15 Jahre später erschienenen Briefe der Dunkelmänner enthalten ganz ähnliche Schilderungen von wissenschaftlichen Unterhaltungen der scholastischen Gelehrten. Aber auch die Opposition, welche die Humanisten machten, war anfänglich nicht viel tiefer gehend als die damalige Wissenschaft selbst. Sie bezog sich lediglich auf die Form. Die Ita

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