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mit der nach Selbständigkeit ringenden Corporation wesentlich modificirt worden ist, bietet ein Bild, welches jeden idealen Elements entbehrt. Es bleibt dabei, daß uns in ihr nichts anderes entgegentritt als ein Abbild des im 17. Jahrhundert erwachsenen bureaukratischen Staats, der Maschine mit einer Menge von Hebeln und Rädern, von denen die einen größer sein müssen, die anderen kleiner, damit das Ganze in Bewegung gesezt in einander greife und sein Pensum abschnurre, wie es eben das tagtägliche Bedürfniß erfordert.

Ich meine nun nicht, daß wir zum alten vorrefor matorischen Idealismus zurückkehren wollen, wir sollen die realen Mächte des Lebens anerkennen und würdigen. Aber wir müssen uns bestreben, sie zu beherrschen, nicht uns durch sie beherrschen zu lassen und das können wir nur durch die Idee. Jene Kräfte müssen der Idee dienen, die Idee darf aber auch die Eristenz derselben nicht ignoriren, wenn sie verkörpert heilvoll wirken soll. Und so halten wir denn fest an der Idee der freien Wissenschaft, aber der menschlich d. h. bedingt, nicht absolut freien Wissenschaft. Die Universitätsverfassung darf daher die Idee der freien Wissenschaft nur in so weit verkörpern, als eine menschliche Freiheit oder mit andern Worten, Freiheit im geordneten menschlichen Zusammenleben, im Staat, möglich ist. Daher ist zuerst zu berücksichtigen die reale Macht des Staats. Seine Herrschaft über die Universitäten ist einmal vollendete Thatsache, die alte Freiheit der Corporation ist unverträglich mit der heutigen Ansicht von der Einheit der Staatsgewalt. Es wird also dabei bleiben, daß die Universitäten Staatsanstalten sind, ja sie werden es vielleicht noch in höherem Maße werden, wie sie es schon wurden. Als solche haben sie

die Aufgabe, dem Staate zu dienen, ihm brauchbare Beamte, Lehrer und Bürger zu erziehen, nicht aber ihm knechtisch dienstbar zu sein. Denn hier ist wieder der Punkt, wo die Idee der freien Wissenschaft durchschlagen und den Universitäten eine Stellung sichern muß, in welcher sie nicht von jedem beliebigen Systemwechsel der Regierung abhängig sind. Das einzige Mittel, diese selb= ständige Stellung ihnen zu bewahren, ist, eine ausreichende Anzahl von Lehrerstellen fest zu dotiren und sich an die aufgestellte Ordnung streng zu halten, so daß bei Anstellungen nicht zufälliger Ueberfluß oder Mangel an Aspiranten, nicht für den Augenblick entstandene Lücken, nicht also ein temporäres Bedürfniß und persönliche Rücksichten maßgebend sind, sondern lediglich die Frage: ist eine ordnungsmäßig dotirte Lehrstelle vacant, oder nicht? Dafür daß nicht durch momentane Verhinderungen Vacanzen entstehen, muß gesorgt sein dadurch, daß man lieber mehr als weniger Lehrerstellen einrichtet. Das Princip der Sparsamkeit ist in dem Staate nur bis zu einem gewissen Punkt berechtigt. Große Genauigkeit den Anstalten gegenüber, welchen die gebildete Jugend, also die Zukunft des Staats, anvertraut bleibt, ist durchaus verwerflich. Die in reichlicher Anzahl angeordneten Lehrerstellen müssen den heutigen Geldverhältnissen entsprechend auskömmlich dotirt, ihre Inhaber aber, ähnlich wie die Richter, inamovibel sein und sich rechtlich gleich stehen. Das leztere verlangt durchaus die Idee der freien Wissenschaft. Mag man, um besondere Verdienste auszuzeichnen Titel, Orden oder höheren Rang im Staatsdienerverhältniß verleihen, in der Facultätsund Universitätsversammlung müssen alle angestellten Lehrer Stimmrecht und Wahlrecht haben, die moderne

Bedeutung von professor extraordinarius als öffentlich angestellter, der Universität und Facultät gegenüber unberechtigter Lehrer muß hinwegfallen.

Besondere Schwierigkeit bietet das Institut der Privatdocenten. Es ist kaum entbehrlich und doch möchte seiner heutigen Gestalt und Bedeutung nach es nicht gut möglich sein, die privatim docentes unter die Zahl der vollberechtigten Lehrer der Universität aufzunehmen. Die alte Universitätsverfassung hatte in dieser Beziehung eine andere Einrichtung, welche mit der eigenthümlichen Stellung der Artistenfacultät in Verbindung stand. In sie trat nach geendigten Studienjahren der junge Mann ein und erwarb sich als Mr. artium bei den höheren Facultäten die Erlaubniß, Vorlesungen über die betreffenden Fächer privatim zu halten. Wenn er so, und bei den Juristen auch noch durch längere advokatorische Praris, seine Tauglichkeit für das akademische Lehrfach bewiesen hatte, wurde er promovirt und dann erst trat er in die höhere Facultät und damit in die Zahl der vollberech tigten Lehrer ein. - Heutzutage erfolgt die Promotion sofort nach den Studienjahren, die Habilitation einige Jahre darauf, ohne daß der sich Habilitirende von seiner Tüchtigkeit zur akademischen Laufbahn andere Proben gegeben hätte, als die höchst unsicheren durch Bestehen der Eramina und die Vorlage von regelmäßig mehr oder minder als Schülerarbeiten anzusehenden Dissertationen. Das ganze Institut wird betrachtet als eine Vorberei tung zum Lehramt. Diese erfolgt jest eben erst nach der Promotion, während sie in früheren Zeiten vorher geschah. Und da, meine ich, ist denn wieder die alte Einrichtung nachzuahmen und zwar dadurch, daß man der Doctorpromotion ihre ursprüngliche Bedeutung als

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Freisprechung von der Schülerschaft und Ertheilung der Meisterwürde gibt. Lasse man immerhin ungraduirte oder niedrig graduirte junge Männer ihr Glück als Docenten gleich nach Beendigung der Studienjahre versuchen; haben sie sich dann durch wissenschaftliche Leistungen und Lehrgabe als tauglich erhibirt, so promovire man fie zu Doctoren. Aber mit dieser Meistererklärung muß auch der Eintrit in die Facultät als berechtigtes Mitglied verbunden sein und das führt uns auf Wiedereinführung des Institus der Doctores adscripticii oder Adjuncten. Die Facultät muß das Recht haben, Mitglieder zu cooptiren und jeder Dr. rite promotus berechtigt sein, Aufnahme in die Facultät zu verlangen. Wir erhalten dann wieder drei Classen von Lehrein: die Doctores ordinarii mit öffentlichem Lehramt, die Doctores adiuncti mit vollem Lehrrecht, die privatim Docentes (Baccalaurei oder wie man sie sonst nenen will) mit dem Recht, sich durch Lehren auf das Lehramt vorzubereiten oder als ge= hörig vorbereitet zu erhibiren. Der Stellung der Universitäten als Staatsanstalten wird dadurch kein Eintrag gethan, den Hauptstamm der Facultäten werden that sächlich doch immer die ordentlich angestellten Lehrer bilden und eben dadurch, daß diese der Staat mit aller Ueberlegung wählt, kann er dem vorbeugen, daß durch unüberlegte oder aus engherzigen Interessen hervorgegangene Cooptationen die Facultäten resp. Universitäten Personen in sich aufnehmen, denen entweder das Bewußtsein der Verantwortlichkeit eines öffentlichen Lehrers oder die Fähigkeit dazu abgeht. Noch einen Vortheil würde die Wiedereinführung der Adjunctur gewähren: Wenn wohlverdiente Männer actis laboribus ihren Lebensabend dazu verwenden wollten, als akademische Lehrer

zu wirken, würde man nicht, wie schon vorgekommen, in Verlegenheit gerathen, was für eine Stellung der Universität gegenüber ihnen einzuräumen sei.

Der Hauptunterschied zwischen der mittelalterlichen und der vorgeschlagenen Facultätenverfassung aber möchte darin bestehen, daß die moderne Facultät ihrem Charakter als Staatsanstalt gemäß immer ihren Stamm in den vom Staat angestellten öffentlichen Lehrern haben würde, welche die Facultät zurückweisen nicht berechtigt ist, wäh rend die alte freie Corporation durch das absolute Recht, sich selbst zu ergänzen und einen Aufgedrungenen nicht dulden zu brauchen vor äußerer Einwirkung gesichert nur zu leicht in starre Abgeschlossenheit und widrigen Zunftsinn versank.

Anmerkungen.

1) Statuta facultatis iureconsultorum Vitebergensium a. 1508 compostia edidit etc. I. G. Theod. A. A. Muther, V. I. D. et P. P. O. Reg. Pruss. a. d. MDCCCLVIII. Prostant apud Salomonem Hirzel bibliopolam Lipsiensem. 8vo.

2) S. über ihn Muther in der Zeitschr. für Rechtsgeschichte IV. S. 408 und den dort citirten Joh. Voigt, Brief= wechsel S. 408.

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