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der Gewalt von Kaiser und Reich emancipirten, unterdrückten sie nach unten jede selbständige, freie, autonomische Gestaltung. Die Ausbildung der Landeshoheit nahm der Corporation ihr Leben, daß nur ein Einzelwille in dem Einzelstaat herrsche, war nöthig, wenn man den Kampf mit dem Reichsoberhaupt erfolgreich fortführen wollte. Eines, kam noch hinzu: der nicht wegzuläugnende Einfluß der römischen Kirche auf die Corporation konnte gerade dadurch am besten entfernt werden, daß man die lettere ihres Wesens als solche beraubte.

Doch zurück zu unseren Wittenberger Facultätsstatuten. Daß wir es in ihnen mit einer Staatsanstalt zu thun haben, zeigt sich eigentlich bloß darin, daß der Fürst die Statuten verleiht, während die Corporation ihre Statuten selbst machte und die alten Universitäten ihre Privilegien zum Theil in blutiger Fehde erkämpft hatten, wie z. B. die Universität Paris ihr Siegel. Die concedirte Verfassung der Facultät selbst freilich beruht noch ganz auf dem Corporationsprinzip. Zwar gibt es in derselben angestellte, vom Kurfürsten auf Vorschlag der Facultät ernannte, ordentliche Lehrer. Das 10. Capitel zählt einen Ordinarius des kanonischen Rechts, der über Gratians Decret zu lesen hat, zwei Ordinarien des Civilrechts, einen Ordinarius iurium novorum d. h. für den Liber VItus und die Clementinen, einen Ordinarius für Institutionen und einen Ordinarius Decretorum auf. Aber die Bedeutung dieser ordentlichen Lehrerstellen war keine andere, als daß die angestellten und besoldeten Inhaber verpflichtet waren, die betreffenden Vorlesungen als regelmäßige und porschriftsmäßige zu halten. In der Facultät besaßen sie kein Vorrecht

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vor den cooptirten Doctoren, der Vorrang, den die beiden Prälaten genießen, ist eine Courtoisie gegen die Kirche und besteht im Wesentlichen nur in der höheren Ehre. Ordinarien, wie wir sie hier finden, hatten schon die mittelalterlichen italienischen Universitäten. In Verbindung damit stand die Eintheilung der Vorlesungen in lectiones ordinariae und lectiones extraordinariae. Wie diese nach Deutschland herüber gekommen war, vermag ich ebenfalls an Wittenberger Erempeln nachzuweisen. Im Sommersemester 1510 z. B. ist Rector: Conrad König aus Stuttgart I. V. D. salariatus in quarto decretalium extraordinarie legens". Also ein angestellter und besoldeter Lehrer für eine Vorlesung, die als außerordentliche galt! Daß aber dieser Extraor dinarius, wenn wir ihn jo nennen wollen, an Rang und Recht den übrigen Doctoren seiner Facultät nicht nachstand, geht wohl schon daraus hervor, daß er die höchste Magistratur der Universität bekleiden konnte, wie er denn auch im Wintersemster 1513/14 als Dekan der Juristen facultät in dem in Halle befindlichen Abrechnungsbuch der Dekane und Rectoren vorkommt. Noch einmal: Zwischen den Doctoren der Facultät bestand keine wesent liche Rang- und Rechtsverschiedenheit und auch der niedrigere academische Grad begründete nur die erstere, nicht die lettere. Licentiaten werden ebenso gut Decane, wie die Doctoren, nur die Baccalarien scheinen eine untergeordnete Stellung eingenommen zu haben, was sich besonders darin zeigt, daß sie nicht öffentlichen sondern nur Privatunterricht ertheilen durften.

Das Verhältniß der Facultäten zur Universität belangend, so sind sämmtliche recipirte Doctoren und Licentiaten vollberechtigt. Doch ist wohl zu beachten die

eigenthümliche und niedrigere Stellung der Artistenfacultät. Sie wird zwar als Grundstein des ganzen Gebäudes betrachtet, allein sie war damals, wo keine abgesonderten Gymnasten eristirten, mehr Vorbereitungsanstalt für die Fachstudien: in ihr finden sich Studenten, die dem Knabenalter angehören, Lehrer, welche kaum die Jünglingsjahre erreicht haben. Was Wunder, daß sich dieses auch äußerlich darstellt, indem nur ihr Dekan und 4 angesehene Lehrer aus ihr an der Universitätsversammlung Theil haben. Der Rectorat geht von Facultät zu Facultät; wählbar ist jeder recipirte Doctor oder Licentiat, Magistri artium dagegen und Baccalaurei der höheren Facultäten nur dann, wenn sie bereits seit 4 Jahren promovirt sind. Dabei wird ausgesprochnermaßen die Praris beobachtet, sobald der Turnus an die betreffende Facultät kommt, immer die zuleht eingetretenen Mitglieder zum Rectorat gelangen zu lassen. So glaubte man die Universität vor Cotterieenwesen zu bewahren und ihr ein bewegliches Element zu verleihen, welches am Sichersten hartnäckigem Festhalten an eingewurzelten Uebelständen entgegenwirken konnte.

Die alte Verfassung der Universität Wittenberg ging durch die Reformation zu Grunde. Die Fonds zur Unterhaltung besoldeter Lecturen waren großentheils dadurch gewonnen, daß man die Universität und das Collegiatstift der Allerheiligenkirche vereinigt und die Canonicate mit Lehrämtern belastet hatte. Nach harten Kämpfen in den Jahren 1521-1525 waren die an der alten Kirche und der bisherigen Verfassung festhaltenden Canoniker unterlegen: sie hatten ihre lehte Stüße durch den Tod des Kurfürsten Friedrich des Weisen - den nur blinder Unverstand oder Unwissenheit einen Anhänger

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und Beförderer der Reformation nennen kann, während er nur auf den Namen eines gerechten Fürsten, welcher dem verfolgten Reformator kein Unrecht anthun lassen wollte, Anspruch hat verloren. Von Kurfürst Johann und seinem Sohn Johann Friedrich wurden mehrfache Versuche gemacht, der Universität eine der neuen Ordnung der Dinge entsprechende Einrichtung zu geben, ein Streben, das in der Fundation der Universität von 1536 seinen Abschluß fand. Die Hochschule aber war aus einer mit der Kirche eng verbundenen Corporation, eine rein weltliche Staatsanstalt geworden, sie erhielt zwar ihr eigenes Vermögen aus den Einkünften des ehemaligen Stifts, doch der Herr, der dieses Vermögen schenkte, hatte es auch verstanden, die Besizerin desselben völlig abhängig von sich zu machen. Zwar blieben die alten Statuten, insonderheit die Statuten der Juristenfacultät in Kraft. Aber schon tritt es in der Fundationsurkunde hervor, daß man die Facultät mehr als ein Collegium der angestellten und besoldeten Lehrer deren vier sein sollten, 3 Doctoren und 1 Licentiat, wie als Corporation der recipirten Doctoren dachte. „Professores" werden in der Fundationsurkunde jene angestellten Lehrer genannt, ein Ausdruck der darauf hindeutet, daß man schon das Lehramt als ein Staatsamt betrachtete und für den Inhaber nach einem Titel suchte. Im Mittelalter war der Name Profeffor ebenso zur allgemeinen Bezeichnung des Lehrgeschäfts gebraucht worden, wie der Ausdruck Magister. Und wenn in Ingolstadt schon im Jahr 1472 die Titel,,in novo iure pontificio professor",,,Institutionum professor ordinarius", vorkommen, so findet sich doch daneben die damals übliche Bezeichnung Ordinarius in iure civili und die einz

fache Zusammensetzung Legum Dr. et professor ist ein Beweis, daß professor keine andere Bedeutung hat, als die vorhin angegebene. Zu Ende des 15. und Beginn des 16. Jahrhunderts war es namentlich in Köln und Leipzig Sitte geworden, den Titel professor vor= zugsweise den Magistri theologiae actu regentes

d. h. den wirklich lesenden zu geben. Doch nannten sich auch lesende Mitglieder anderer Facultäten professores, so kommt 1506 in Leipzig vor ein artium et theologiae professor, 1513 ein cyclicarum artium professor, 1518 ein mathematicae artis professor, 1523 ein bonarum literarum professor etc. Unsere Wittenberger Facultätsstatuten brauchen den Ausdruck professor ebenfalls in dem alten Sinn, unter den professores werden alle Mitglieder der Facultät, also alle. Dres, cooptati verstanden. Erst nach der Reformation wurde es gebräuchlich, das durch öffentliche Anstellung erlangte Lehramt durch den Titel Professor auszuzeichnen. Vielleicht hat dazu Melanthon beigetragen, welcher den dem mittelalterlichen Latein entstammenden Titel Lector -er selbst ist 1517 als Mr. Tubingensis et Graecarum literarum lector primus Wittenbergensis in die Wittenberger Matrikel eingetragen mit dem in der That besseren Ausdruc professor vertauschen wollte.

Mochte sich auch noch so vieles geändert haben: ihre äußere Geltung behielten unsere alten Wittenberger, Facultätsstatuten bis 1560. Erst Kurfürst August ertheilte unter dem 1. September jenes Jahres meines Wissens noch ungedruckte Statuten. Sofort tritt uns da der schon vorher zur Thatsache gewordene Unterschied zwischen den Professores im neuen Sinn und den andern Doctores der Facultät entgegen. Zwar besteht

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