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Wer die alte Domkirche zu Königsberg i. Pr. betrat, hat das schöne Frauenbild bemerkt, welches an der Ostwand, für den Eintretenden links vom Altar, sich befindet. Auf den ersten Blick möchte man meinen, eine Madonna aus deutscher Schule vor sich zu haben. Die edlen Formen und der geistige Ausdruck des Gesichts, die weiße Kleidung, das Kind auf dem Schoß würden wol zu dieser Annahme berechtigen. Allein ein nicht zu verkennender Zug tiefen Seelenleidens erregt Zweifel und die Ueberschrift belehrt uns, daß wir ein Portrait bewundern, die Gedenktafel der Anna Sabinus, der Gattin des ersten Rectors der Universität Königsberg Georg Sabinus, der Lieblingstochter Philipp Melanthons.

Das Bild selbst, der Gatte, der Vater erregt unser Interesse und ich glaube den Wünschen Mancher zuvorzukommen, wenn ich von den Schicksalen der Frau das mittheile, was ich bei Gelegenheit meiner auf andere Zwecke gerichteten Arbeiten gefunden habe.

,,Dem Philippus wurde eine Tochter geboren, Hanna, ein feines Kind" schreibt am 4. Septemb. 1522 Luther an Spalatin1). Melanthon war damals noch nicht volle zwei Jahre mit Katharina, Tochter des Bürgermeisters Hieronymus Crapp, verheiratet. Luther, der Stifter dieser Ehe2), wurde Taufpathe des ersten Sprößlings derselben 3): er gab Anna ihren Namen. Je glücklicher die Ehe Melanthons war und in je größerer Gefahr die Mutter geschwebt hatte 4), desto stärker mußte die Freude sein, welche der Vater über die Geburt der Tochter empfand. War er doch überhaupt ein Freund der Kinder. Unwiderstehlich ja leidenschaftlich fühlte er sich zu ihnen hingezogen 5). Anna umfaßte er von zartester Jugend an mit innigster Zärtlichkeit. Besuchende Freunde treffen ihn mit der einen Hand ihre Wiege in Bewegung sehend, mit der andern ein Buch haltend. Er demonstrirt den verwunderten Gästen, das sei seine Pflicht als Hausvater und beruft sich auf die große Gnade, in welcher Kinder bei Gott stehen ®). Als Anna älter wird, freut er sich der ersten Spuren geistiger Entwicklung; Antworten, welche ihm noch halbstammelnd das zweijährige Töchterlein giebt, sind ihm günstige Vorbedeutungen). Und alle diese Dinge machten auf ihn tiefe Eindrücke, welche, anders wie sonst bei leicht erreg baren Menschen, unauslöschlich eingeprägt blieben. Als er eines Morgens in tiefer Kümmerniß über Angelegenheiten der Kirche in Thränen ausbrach, trocknete Anna

seine Wangen mit ihrem Hemdchen. Und wol an zwanzig Jahre nachher erinnert sich Melanthon jenes Umstandes noch und schreibt: Bis in die innerste Seele drang mir der Gestus, so daß ich meinte, er sei nicht bedeutungslos 8). Ebenso hat er noch nach langen Jahren Gedächtniß für eine Krankheit der kleinen Anna und für den Trost, der ihm beim Gebet aus dem „,wie ein wunderbares Licht" ihm aufgehenden Gedanken kam, sie stehe in Gottes Hut®).

Je mehr aber die Tochter sich entwickelte, desto mehr mußte Melanthons Liebe zu ihr sich steigern: zwischen ihrer Natur und derjenigen des Vaters bestand eine innere Verwandtschaft, sie war mit einem eben so reichen Gemüt begabt, wie jener und besaß treffliche Anlagen 10). Ihre Erziehung überschritt den Maasstab, den man damals an weibliche Bildung legte, bei Weitem. Daß Melanthon es nicht versäumte, sein Kind mit den Lehren des Glaubens und mit der heiligen Schrift bekannt zu machen, sie zu wahrer Frömmigkeit hinzuleiten, brauche ich kaum zu erwähnen. Daß er aber auch strebte, ihr eine elegante Bildung zu geben, war etwas ungewöhnliches. Freilich war diese, dem Stand der allgemeinen Bildung gemäß, eine lateinische. Anna wurde eine Gelehrte und verstand es sogar, sich lateinisch auszu drücken 11).

Mehr als Unterricht und äußere Erziehung wirken auf Kinder die Eindrücke, welche Geist und Treiben im älterlichen Hans überhaupt auf sie machen. Bei Anna mußten diese die besten sein, denn auch ihre Mutter tennen wir als eine überaus treffliche Frau. Joachim Camerarius, der liebste Freund ihres Mannes, sagt von ihr:,,Sie war ein sehr frommes, ihren Mann innig lie

bendes Weib, vor Allem eine treue und emsige Hausfrau, freigebig und wohlthätig gegen Alle, eifrig für die Armen." Nicht nur sie selbst gab und half, wo sie konnte, oft über Vermögen hinaus, sondern sie war auch nicht müde im Fürbitten und Fordern bei Anderen, selbst auf die Gefahr hin, unbequem zu erscheinen. Das Haus wurde nicht leer von Ansprechenden und Niemand ging ohne eine Gabe traurig von dannen 12). Eben so gastfrei gesinnt, wie ihr Mann, war Katharina Melanthon die freundlichste Wirtin 13). Ihr Heerd war ein Sammelplaß vieler bedeutender Geister der damaligen Zeit. Durchreisende Fremde wurden gastlich empfangen und beherbergt, die Wittenberger Freunde oft zu heiterer Tafelrunde versammelt. Ueberhaupt darf man das gesellige Leben jener Tage sich nicht öde und einförmig vorstellen. Die freundschaftlichen Zusammenkünfte in den Häusern wechselten mit großen öffentlichen Gelagen, bei denen häufig auch die Frauen zugezogen waren. Promotionen und andere festliche Akte gaben dazu die Veranlassung. Bei einer einzigen juristischen Promotion des Jahres 1508 finde ich in dem Decanatsbuch 14) fieben Collationen und Mahlzeiten angemerkt, welche innerhalb weniger Wochen meistens im,,Görlizer Haus“ abgehalten wurden. Eines Abends speisten auch die Damen mit dem neuen Doctor und nach dem Essen wurde getanzt. Aus späterer Zeit wird erzählt von Einladungen, welche die Studenten der Rechte an die Lehrer mit Frauen und Töchtern hatten ergehen lassen zum Abendessen mit nachfolgendem Tanz. Der damalige Pfarrer von Wittenberg Simon Brück, Bruder des Kanzlers, eiferte gegen diese Juristenbälle. Allein Melanthon ihn widerlegend sagte, es sei ein Zeichen großen Wolwollens der Lehrer gegen die Schüler, daß

fte der Einladung Folge geleistet 15). Sittige Tänze werden von Luther wie Melanthon empfohlen, nur wilde Wirbeltänze verdammt und sogar öffentlich vom Rector den Studenten untersagt 16). Maskirte Umzüge 17), öf= fentliche Redeacte und Comödien der Studirenden, die selbst an Sonntagen aufgeführt wurden 18), Musikgesellschaften 19), Landpartien, insonderheit Besuche bei EdelLeuten und Pfarrern auf naheliegenden Ortschaften 20), gaben mancherlei Unterhaltung. Die Stellung der Frauen war eine gar einflußreiche. Wie Luthers Gattin auf ihren Mann sogar in öffentlichen und kirchlichen Dingen einwirkte und nicht immer zum Beßten, ist von mehr als einem Zeitgenossen bezeugt 21); aber auch auf Melanthon machten in solchen Angelegenheiten die Damen mitunter Eindruck. Kanzler Brück schreibt z. B. 1545 in einem so viel mir bekannt noch unveröffentlichten Bericht über Besetzung der mathematischen Professur an Kurfürst Johann Friedrich: der fürnehmsten der Universität Einer" sagte mir wunderliche Ding..., wie es zuging und unter andern vormarkt Ich souil, das weiber praktiken mit under gelauffen, die den frommen Philippum irre gemacht 22)".

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Dieß zur Charakterisirung der Zustände, welche die Heranwachsende Anna umgaben. Das rege Treiben ihrer Vaterstadt, der häusliche Verkehr mit vielen bedeutenden Menschen, konnte nur dazu dienen, ihren Blick frühzeitig zu schärfen und demselben eine Tragweite zu verschaffen, wie sie selten in kleineren und beengten Verhältnissen erworben wird. Aber bevor sie noch die Kinderschuhe recht ausgetreten hatte und in den Kreis der handelnden Personen selbständig eingetreten war, wurde sie demselben

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