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Gefolge und der Dienerschaft reichte man Waffen, alle Vorkehrungen wurden getroffen, das Haus gegen das wüthende Studentenheer zu vertheidigen.

Bald erdröhnte das Thor unter der Wucht des ersten Anpralls der sich heranwälzenden Menge. Ein gewaltiger Steinhagel bombardirte die verschlossenen Fenster. Stoß auf Stoß gegen die krachende Thüre. Endlich brach dieselbe unter dem Hieb von Aerten und dem Anrennen von Sturmbalken zusammen.

Doch tapfer hielt die Besatzung auf der hinter der geborstenen Thüre errichteten Barricade Stand. Auf beiden Seiten fielen Todte und Verwundete. Die Er bitterung stieg auf's Höchste. Sturm auf Sturm_erfolgte und sicher mußte die kleine tapfere Vertheidigungsschaar bei dem immer erneuten Andringen frischer Studentenhaufen erliegen, wäre nicht Hülfe von Außen ge= kommen.

Zufällig befand sich der König Ludwig VIII. in Paris, der sofort ernste Maaßregeln ergriff, den Aufstand zu dämpfen. Während die Studenten die Belagerung des Palastes hartnäckig fortsetten, hatte er sei= ner Leibgarde befohlen, die Ruhe wieder herzustellen. Eben bereiteten sich die Scholaren in blindem Eifer zu einem letzten entscheidenden Sturm auf das Haus des Legaten, da ertönten in ihrer Flanke die Fanfaren der Reisigen. Schleunigst wurde gegen diese Front gemacht. Aber auch der tapferste Widerstand war vergeblich. Nach blutigem Gemezel wurden die Scholaren zurückgedrängt. Der Legat aber verließ durch das freigewordene Thor den Pallast und im Geleit einer schüßenden Söldlingsschaar die Stadt.

Als er im Sichern war, sprach er zwar gegen alle

30 Bilder aus dem mittelalterlichen Universitätsleben.

Theilnehmer an der Revolte den Bannfluch aus, doch dieß hatte um so weniger zu bedeuten, als die generelle Excommunication nicht erequirt werden konnte.

Die Universität Paris aber ließ nicht lange darauf ein neues Siegel stechen und Niemand wagte es, ihre Berechtigung zu bestreiten. Man fürchtete sich, den „Löwen vom Quartier latin", welcher dazumal gar gewaltige Klauen hatte, zu wecken; war er doch nur durch die Gunst zufälliger Umstände und mit knapper Noth vor Kurzem besiegt worden.

Das war der Kampf der Universität Paris um ihr Siegel 3), oder um es in unsere Anschauungs- und Ausdrucksweise zu übersehen, um ihre Eristenz als selb= ständige, nicht bloß als Glied der Pariser Domkirche zu betrachtende Korporation.

Das Siegel hatte die Bluttaufe erhalten und darin ruhte sein Werth, seine Bedeutung. Die mittelalterliche Korporation lebte eben aus eigener Kraft und daraus folgte ihre Unabhängigkeit. Den meisten deutschen Universitäten sind ihre Siegel von den Gründern aus landesherrlicher Machtvollkommenheit als Zeichen fürstlicher Huld und Gnade verliehen. Daran ließe sich eine interessante Parallele knüpfen zwischen der Bedeutung der mittelalterlichen Universitätscorporation und der heutigen. Doch das würde die Grenzen meines Thema überschreiten.

Anmerkungen.

1) Vgl. über ihn und die Rede Schreiber, Geschichte der Universität Freiburg I S. 31 ff.

2) Epistola ad modum pulcra de beano s'rbo et studen huili.

3) Die Schilderung desselben ist nach B ü la eu s, Historia universitatis Parisiensis.

II.

Zur Verfassungsgeschichte der deutschen Uni

versitäten.

Vor einigen Jahren habe ich die bis dahin unge druckten Statuten der Juristenfacultät zu Wittenberg vom Jahr 1508 veröffentlicht 1). Der erste Blick auf dieselben zeigt die totale Verschiedenheit einer damaligen Facultätsverfassung und unserer heutigen Einrichtung. In gleichem Maaße abweichend, wie die Gestaltung der Glieder ist die Form des Körpers: der Universitäten selbst. Es sei mir gestattet, eine Parallele zu ziehen zwischen der einstmaligen und heutigen Verfassung unse rer Facultäten und dann die geschichtliche Entwicklung berücksichtigend, beide einer Kritik zu unterwerfen. Vielleicht, daß sich aus dieser Betrachtung auch eine oder die andere practische Lehre ergibt.

Ich knüpfe an die erwähnten alten Statuten der Wittenberger Juristenfacultät an. Zuerst was die Angehörigkeit an dieselbe belangt, so bestimmt Capitel I: Alle Doctoren, welche in Wittenberg promovirt sind, dort gelesen oder ihren Wohnsitz genommen haben, mögen ron der Facultät cooptirt werden. Nur der Unterschied ist zwischen den in Wittenberg und den auswärts Graduirten, daß

jene ein weit niedrigeres Eintrittsgeld zahlen, als diese. Die Cooptirten sind volle Mitglieder der Facultät, stimmberechtigt, sowie activ und passiv wahlfähig. Ja selbst Licentiaten und Baccalaurei können sich cooptiren lassen, nur daß sie den Qoctoren an Rang nachstehen. Lehtere aber haben vollständig gleiche Rechte, sie rangiren nach der Zeit ihres Eintritts, doch gehen Doctores iuris utriusque und iuris canonici einfachen Doctores legum vor und zwei hohen Prälaten: dem Probst und dem Decan der Stiftskirche Allerheiligen, die vermöge der Bulle, durch welche Pabst Julius II. im Jahr 1507 die Universität confirmirt hatte, ständige Mitglieder der Facultät waren, ist für immer der Vortritt gegeben. Der Syndicus des Collegialstifts, welchen die Bulle ebenfalls der Juristenfacultät zuweist, steht den übrigen cooptirten Doctoren gleich und rangirt mit ihnen in der schon angegebenen Weise.

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In welchem Gegensaß steht dazu die heutige Verfassung? Stimmführende und wahlberechtigte Mitglieder der Facultäten sind nur die vom Staatsoberhaupt als ordentliche Professoren berufenen Lehrer des betreffenden Fachs; wenn sie — was jedoch nicht überall erforderlich ist sich durch Schrift und Rede habilitirt haben. Die zu außerordentlichen Professoren ernannten Docenten sind zwar ebenfalls Angehörige der Facultät im weiteren Sinn, haben aber so wenig Rechte in derselben, wie die Privatdocenten, welche kein Lehramt, sondern eine durch gewisse Leistungen bedingte Erlaubniß zum Lehren be sizen. Beide, Extraordinarien wie Privatdocenten müssen gerade so gut wie die Ordinarii, Doctoren sein, d. h. die summos honores, die Meisterwürde in der Wissenschaft, welcher sie sich gewidmet, erlangt haben.

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Nur die theologischen Facultäten begnügen sich mit dem Licentiatengrad, der ursprünglich kein eigentlicher Grad, sondern eben nur die licentia, den Doctorgrad nach Be lieben anzunehmen, war.

Man möchte sagen, hier zeigt sich handgreiflich der Unterschied zwischen der alten Universität überhaupt und der modernen. Dort die freie selbständige Corporation, die sich selbst ergänzt und dem Wesen der freien Wissenschaft gemäß aus gleichberechtigten Commilitonen besteht, hier die Staatsanstalt, bei welcher die Corporation in den Hintergrund tritt, die in bureaukratischer Ober- und Unterordnung die Beamtenhierarchie der Neuzeit abconterfeit, die keine Selbständigkeit hat, außer daß sie über die ihr zuzuordnenden Mitglieder befragt wird.

Aber war nicht gerade das 16. Jahrhundert die Zeit, wo die Universitäten anfingen, Staatsanstalten zu werden? Ist nicht z. B. gerade Wittenberg Stiftung eines Fürsten, von einem Fürsten dotirt, von einem Fürsten mit Lehrern versehen und mit einer oft in's Kleinliche gehenden Aufmerksamkeit beaufsichtigt worden? Dem ist allerdings so. Wittenberg mag man recht wohl als die erste deutsche Universität bezeichnen, welche von ihrer Gründung an Staatsanstalt war, aber man hatte noch die Verfassung der alten freien Universitäten herübergenommen und so begann gerade dort ein Kampf zwischen dem Corporationsprinzip und dem Staatsanstaltsprinzip - man gestatte mir diese Ausdrücke welcher Hand in Hand gehend mit den durch die Kirchenverbesserung hervorgerufenen kirchlichen und politischen Bewegungen mit Unterliegen des ersteren und vollständigem Sieg des letteren endigte. In demselben Maaße um dieß hier nur anzudeuten wie die deutschen Fürsten sich aus

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