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Hofleute wider die Handwerker, bald diese wider gegen Andere die Waffen. Selten geht's bei solchem Zusammenstoß ohne Menschenmord ab.“

In der That herrschte also auf den Universitäten jener Zeit ein gar wüstes Treiben, den Sit wahrer Wissenschaftlichkeit und humaner Bildung vermag man ste kaum zu nennen.

Da drängt sich aber die Frage auf: Wie kam bei so bewandten Umständen ein hellsehender Mann, wie es Matthias Hummel sicherlich war, dazu, bei Einweihung einer neuen Universität mit Wonnegefühl auszurufen: „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut!“

Er hatte, wie ich meine, troß alle dem und alle dem dazu guten Grund. Vielleicht zeigte er gerade durch jenes Wort, daß er nicht ein gewöhnlicher Alltags= mensch war, der bloß den augenblicklichen Zustand in Betracht zog und danach sein verwerfendes oder anerkennendes Urtheil formulirte, vielmehr ein Mann, welcher einen großartigen, geschichtlichen Entwicklungsgang noch während seines Verlaufs zu fassen vermochte und danach sein Handeln für die Gegenwart bestimmte. Recht wohl erkannte er, daß die Rohheit und Unwissenschaftlichkeit der Klosterschulen jener Zeit lediglich Verkommensein war, während die gleichen Erscheinungen bei den Universitäten ungebändigte Kraft und verwirrtes Umhertappen in erst zu lichtendem Urwaldsdunkel bedeuteten.

Der gewaltige Prozeß, welcher die literarische Welt des Mittelalters bewegte, läßt sich rubriciren, als: ,,Auseinanderseßung der Römischen Kirche und der Wissenschaft." Denn während die Kirche auf den Rechts

grund hin, daß sie beim allgemeinen Umsturz aller bestehenden Verhältnisse während der Völkerwanderung und noch mehr in den darauf folgenden Zeiten der Barbarei, alleinige Bewahrerin der Wissenschaft gewesen war, nicht bloß die Schuzhoheit, sondern die thatsächliche Herrschaft über dieselbe in Anspruch nahm, verlangte die Wissenschaft äußere Selbständigkeit, wenn sie auch noch so geneigt war, die im Christenthum offenbarte Wahrheit als unumstößliche Grundlage und gewissermaßen nothwendiges Complement jedes Erkennens anzunehmen.

Dieser Prozeß begann mit Entstehen der modernen Universitäten im 12. Jahrhundert und fand seinen Abschluß in der Reformation. Und wie bei jedem Prozeß stritt man äußerlich nicht um die klar und prägnant gefaßte Hauptfrage selbst, sondern der Kampf drehte sich in einer langen Reihe anscheinender Nebenpunkte um die centrale Erörterung: Sind die Universitäten kirchliche Anstalten oder nicht?, gewissermaßen einer Verkörperung der vorhin abstract gefaßten Frage.

Die Geschichte dieses Kampfes, wie die Geschichte der Universitäten überhaupt, harrt noch ihres Darstellers. Erst wenn sie geliefert ist, wird das Reformationswerk Luthers in's rechte Licht treten. Denn daß durch dieses die vielventilirte Frage endgültig gelöst wurde, war eine große welthistorische Errungenschaft, welche nicht einer Religionspartei oder einer Confession allein, vielmehr allen gleichmäßig zu Gute kam.

Für die Behauptung, daß schon von Anbeginn der modernen Universitäten ein bewußtes Ankämpfen derselben wider die Prätensionen der Kirche stattgefunden habe, bin ich den Beweis schuldig. Man gestatte daher, daß ich meinen Bildern noch eines anreihe und unter

Veränderung der Scene und des Zeitalters ein Stückchen aus der Jugendperiode der Universität Paris, welche das ganze Mittelalter hindurch so recht eigentlich die Stellung einer Weltuniversität einahm, folgen lasse.

Die Entstehung jener uralten Hochschule liegt in dichtes Dunkel vergraben. Als älteste ächte Denkmale für ihre korporative Verfassung gelten zwei Dekretalen von Pabst Alerander II, von denen die erste in das Jahr 1180 fällt. In vieler Rücksicht aber ist die Pariser Universität ausgezeichnet, keine hat ihren Ruhm und ihre Wichtigkeit so lange behauptet, wie sie, keine solchen Einfluß auf Kirche und Staat ausgeübt". Sie nannte sich die älteste Tochter des Königs" und vertheidigte ihren Rang mit großer Eifersucht. (Die Universitäten überhaupt nahmen für sich und ihre Repräsentanten, die Rectoren, fürstlichen Rang in Anspruch, so führt z. B. in einer Urkunde aus dem Jahr 1365 der Rector von Wien den Titel: Der Durchleucht Maister Albrecht, zu den Zeiten obrister Schulmeister.") Was aber der Universität Paris eine ganz besondere Bedeutung gab, war, daß sie lange für die Trägerin der öffentlichen Meinung in Frankreich galt.

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Diese so wichtige Corporation besaß zu Anfang des 13. Jahrhunderts noch kein eigenes Siegel. Alle Urkunden, die sie ausfertigte, mußte sie dem Kanzler der Pariser Domkirche vorlegen, um das Siegel desselben anhängen und dadurch erst der Urkunde Glaubwürdigkeit oder überhaupt die Eigenschaft als Urkunde verleihen. zu lassen. Das bedeutete so viel: der Domkanzler hatte zu allen Handlungen der Universität, über welche eine Urkunde aufgenommen werden mußte und wozu wäre im Mittelalter eine solche nicht erforderlich gewe

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seine Zustimmung zu ertheilen, denn er konnte sein Siegel auch verweigern und somit das Wirksamwerden der Universitätsbeschlüsse verhindern. Die Universität befand sich daher in thatsächlicher Abhängigkeit von dem Domkanzler bezw. dem Domcapitel, ja ihre ju ristische Persönlichkeit (ihre „Corporationsrechte“) erschien gewissermassen nur als eine von derjenigen der Pariser Domkirche abgeleitete.

Dieß wurde auf die Dauer um so unerträglicher, als die Universität bereits durch ihre Einmischung in wissenschaftliche, vorzüglich theologische Streitigkeiten eine geistige Macht geworden war, der es bei aller Armuth der Corporation an sicherer materieller Grundlage nicht fehlte, indem ihre aus ganz Europa rekrutirten Angehörigen stets nach Tausenden zählten und troß ihrer Gliederung in 4 Nationen oder Landsmannschaften (Franzöfische, Englische oder Deutsche, Picardische und Normännische), eine seltene Einmüthigkeit nach Außen an den Tag legten.

Es war im Jahr 1225, als das Bewußtsein dieser Kraft sich in dem Universitätsbeschluß äußerte, ein eigenes Siegel der Universität anfertigen zu lassen und dieses fortan bei allen Ausfertigungen mit Umgehung des Domkanzlers zu gebrauchen.

Als dieß der damalige Domkanzler Philipp Greva erfuhr, glaubte er, den Rechtsweg betreten zu müssen und stellte in seinem und des Domcapitels Namen bei dem Kardinaldiacon von S. Angelo, Romanus, der zur Unterdrückung aufgetauchter Keßereien in Tou louse als päpstlicher Legat nach Paris gekommen war, eine Klage wider die Universität an, weil diese mit de

spectirlicher Verwerfung des Kapitelfiegels, das Recht ein eigenes Siegel zu führen, in Anspruch nehme.

Die Universität Paris sträubte sich zwar zunächst, Recht vor dem Legaten zu nehmen; aber nach längeren Verhandlungen wurde dahin compromittirt, die Entscheidung der Angelegenheit demselben als Schiedsrichter zu überlassen und zugleich bei ihm, bis jene erfolgt sein würde, das Siegel der Universität zu sequestriren.

Aber der päbstliche Legat hatte Grund, die Gemüther der Domherrn in günstiger Stimmung gegen die Curie zu erhalten; deshalb sprach er nach höchst summarisch und oberflächlich verhandelter Sache das Urtheil.

Dieses lautete dahin: das Siegel der Universität sei zu vernichten und Jeden, welcher es in Zukunft wage, ein neues Universitätssiegel anzufertigen, treffe die Strafe des Bannes.

Der in Gegenwart der Parteien geschehenen Publication dieser Sentenz folgte sofort die Erekution: das Siegel der Universität wurde zerschlagen.

Als die Nachricht von diesem Ereigniß gleich einem Lauffeuer sich verbreitete, erscholl, wie ein alter Chronist erzählt, ein Schreien, das bis zum Himmel drang, die ganze Stadt kam in tumultuose Bewegung, Studentenhaufen sammelten sich mit Schwertern und Knütteln bewaffnet, als ob es einen Streifzug wider Räuber gelte!

Bald trat die zusammengeströmte Menge nach Landsmannschaften auseinander, man stellte sich auf Befehl der Procuratoren d.i. der Vorsteher der Nationen in Reih' und Glied, dann zog man in wohlgeordneten Rotten gegen den Pallast des Legaten. — Doch auch hier herrschte, sobald der Aufruhr und dessen Ziel bemerkt war, emsige Thätigkeit. Thore und Fenster wurden verrammelt, dem

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