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aus dem Strom eines nüßlichen Studiums gefischt; ich freue mich, daß du mein Haus betreten hast. Denn Jedermann hat sein Wohlgefallen an einem so wohlgesitteten und unterrichteten Pfleger der Wissenschaft.“

Auf Geheiß der Grafen wurde nun der Student auf's Beste verpflegt, den Bachanten aber würde der Burgherr wie einen tollen Hund aus dem Thor haben. jagen lassen, wenn nicht der mehr mitleidige, als rach süchtige Student für ihn vorgebeten hätte. So blieb auch der Beanus in der Burg, bis einige Zeit darauf der schon mehrerwähnte Sohn des Grafen als Doctor des Rechts von der Universität Paris in die Heimath zurückkehrte. Dieser beobachtete in den ersten Tagen des Zusammenseins die Gäste genau. Doch jemehr er von dem Studenten sah, desto mehr wurde er von ihm eingenommen er mußte sowohl den Kenntnißreichthum als den Sittenadel desselben bewundern. Und da er ge= wahrte, wie seine Schwester den Studenten über alle Maßen, mehr denn alle anderen Sterblichen liebe, unterstüßte er diese Neigung und brachte es dahin, daß auch die Aeltern in die Verlobung einwilligten und bald darauf mit großem Prunk die Hochzeit ausrüsteten.

Den Beanus aber ließ der junge Graf in groben Drillich einkleiden und wieß ihm in eigener Person auf einem Kohlfeld außerhalb der Burg seine Stelle als Vogelscheuche an. — Dort ist er noch zu schauen und man glaubt, es sollten alle Thoren, welche es vorziehen, auf Winkelschulen wie zu Ulm und anderwärts ihre Eselhaftigkeit zu bewahren, dorthin wandern, um am abschreckenden Beispiel eine Warnung zu nehmen.

Soweit unser Satyriker des 15. Jahrhunderts. Seine Tendenz ist unverkennbar: der Student, Zögling einer Universität, wird als Muster aller Vollkommenheit hingestellt, um die Unterrichtsanstalten, denen er seine Bildung verdankte, zu erheben; dagegen muß der Beanus in ganzer bäurischer Rohheit und mönchischer Unwissenheit sich zeigen, weil dargethan werden soll, daß die Kloster und Winkelschulen nichts werth seien.

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Es finden sich in dem,,Sehr schönen Brief" mehrere von mir übergangene Stellen, welche andeuten, daß derselbe bei dem schon erwähnten Aristotelesfrühstück die Stelle einer Depositionsrede vertrat, d. h. während des Depositionsacts vorgelesen wurde. Dieß führt mich darauf, dieses wunderlichen Ritus, der gerade um jene Zeit entstanden sein mag, mit ein Paar Worten zu ge denken.

Verließ ein Beanus oder Bachant die Klosterschule, um, wie es häufig geschah, auf einer Universität seine Studien fortzusehen, so mußte er die üblen Sitten und Gewohnheiten des Bachantenthums förmlich und feierlich ablegen und dieß geschah mittelst eines offiziellen, in Gegenwart des Decans der Artistenfacultät vorzunehmenden Acts. Dieser bestand darin, daß ein scurriles, das Ablegen der Bachantenunarten symbolisch darstellendes Ceremoniell vorgenommen wurde, bei welchem die Haupthandlung das Absägen der auf einer über den Beanus geworfenen Ochsenhaut befindlichen Hörner bildete. Daran schloßen sich manche andere, zum Theil erst in späterer Zeit entstandene symbolische Possen, z. B. Abschneiden der Haare mit enorm großer Scheere, Reinigung der Ohren mit einem Kolben, Ausbrechen des Bachantenzahns, Feilen der Nägel mit gewaltiger Feile

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u. s. w., Alles unter Begleitung theils erklärender, theils mahnender Worte. Der Dekan der Artistenfacultät oder ein ihn stellvertretender academischer Lehrer hielt eine Rede, welche auf den ernsten Sinn der Ceremonie hinwies auch eine von Luther gehaltene Depositionsrede ist uns aufbewahrt —; zu Schluß des Actes aber goß der Depositor, als welcher meistens ein Pedell fungirte, den deponirten Scholaren ein Glas Wein auf den Kopf mit den Worten:,,So wünsch ich Euch Allen insgesammt Glück und Wohlfart zu eueren neuen Stand und Orden."

Wer denkt dabei nicht an die hie und da noch heutzutage übliche sog. Fuchstaufe, wer erinnert sich nicht an den sog. Fuchsritt, oder das Fuchseramen, oder das sog. Fuchsenbrennen, Ceremonien, die immer noch auf mehreren Universitäten z. B. in Jena, Erlangen und Tübingen üblich sind, wenngleich sie nicht mehr den Charakter eines offiziellen Akts tragen? Aber auch als solcher, freilich ohne die scurrile Form, besteht die Deposition fort. In Königsberg z. B. muß jeder von der Schule ankommende Student sich vor Allem zum Decan der philosophischen Facultät begeben und erhält von diesem gegen Bezahlung gewisser Gebühren das jetzt sog. Signum initiationis, welches bis vor Kurzem Signum depositionis hieß. Ich sehe, wie bereits angedeutet, die Entstehung der Deposition in die Zeit der Rivalität zwischen Universitäten und Mönchsschulen. Diese meine Ansicht, wird außer Anderem besonders durch die offenbar dem ausgehenden Mittelalter angehörigen Verse gestüßt:

Beanus iste sordidus
Spectandus altis cornibus,
Ut sit novus Scholasticus,
Providerit de sumptibus.
Signum fricamus horridum,
Crassum dolamus rusticum,

Curvum quod est deflectimus,
Altum quod est deponimus.

Auch scheint die Deposition eine deutsche Erfindung zu sein: weder auf den mittelalterlichen Italienischen Universitäten noch in Paris findet sich eine Spur derselben.

Nun muß ich aber warnen, sich durch die liebliche Schilderung des artigen und kenntnißreichen Studenten in dem vorhin mitgetheilten,,Sehr schönen Brief" nicht zu der Annahme verleiten zu lassen, als ob alle Zöglinge deutscher Universitäten damals Musterknaben der ausgesuchtesten Sorte, alle Klosterschüler dagegen ungehobelte und bornirte beani gewesen seien. Bedenkt man, daß 60 bis 70 Jahre nach Verabfassung unseres ,,Sehr schönen Briefs" die,,Briefe der Dunkelmänner“ geschrieben wurden, welche gerade gegen das Leben und geistlose Treiben von Universitäts lehrern des alten Styls gerichtet sind, also Derer, welche mit Wehmuth ihrer Jugendzeit gedachten, wo an der Universität Leipzig es einen einzigen Poeten gegeben habe, jenen alten Mr. Sa muel, von welchem die denkwürdigen Verse herrühren :

,,Disce, bone clerice, virgines amare,
Quia sciunt dulcia oscula praestare
Iuventutem floridam tuam conservare";

bedenkt man das und erwägt, daß demnach jener Dich ter Samuel zur Zeit der Verabfassung des ,,Sehr schö

nen Briefs" als Unicum an der Universität Leipzig glänzte, so wird sich der Respect vor den Universitäten um die Mitte des 15. Jahrhunderts wesentlich verringern.

Doch wir brauchen nicht erst Schlußfolgerungen zu häufen, um das schöne Bild des sittsamen und fleißigen Studenten des 15. Jahrhunderts, wie es vorhin vor unjeren Augen entstand, nach und nach zu zerstückeln, wir vermögen dasselbe mit einem Schlag zu zertrümmern. Ich will nicht fordern, daß man einen Auszug aus den weitschweifigen Ausführungen des Bulaeus über Leben und Treiben an der Universität Paris, oder aus den zum Theil gedruckten Acten deutscher Universitäten folge, um in Erstaunen zu gerathen über die kaum glaubliche sittliche Rohheit und Zügellosigkeit sowohl der Lehrer als Studenten jener Zeit, ich will einfach die Schilderung vortragen, welche Anneas Sylvius Piccolomini etwa um das Jahr 1450 von der Universität Wien entwirft.

,,Es sind viele Lehrer und Studenten in Wien, fagt der feingebildete Italiener, aber die Wissenschaft der Ersteren ist nichts werth und bewegt sich im abgeschmackten, altmodischen Formelkram, die Studenten jagen lediglich ihrem Vergnügen nach und sind der Völlerei im Essen und Trinken durchaus ergeben. Wenige erlangen eine gelehrte Bildung; sie stehen unter keiner Aufsicht, Tag und Nacht treiben sie sich umher und verursachen den Bürgern der Stadt vielen Aerger. Auch

passirt in einer so großen und belebten Stadt manches Außerordentliche. Am hellen Tag, wie im Dunkel der Nacht entstehen Streitigkeiten, ja wahre Schlachten. Bald ergreifen die Handwerker wider die Studenten, bald die

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