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Hieronymus Schürpf wurde geboren zu St. Gallen in der Schweiz am 12. April 1481 Morgens 5 Uhr3). Sein Vater Johann Schürpf, Doctor der Medicin und Arzt, stammte aus einer angesehenen alten Familie; er war Bürgermeister nicht der erste, den sein Geschlecht der Stadt gegeben hatte —; mit ausgezeichneten Männern des Auslands, mit dem Juristen Johann Vergenhans genannt Nauclerus, dem Theologen Summenhart zu Tübingen, mit dem württembergischen Rechtsgelehrten und späteren Kanzler Gregorius Lampater, einem Anverwandten und schwäbischen Landsmann seiner Frau, stand er in freundschaftlicher Verbindung 4) Dies gibt Zeugniß für die Tüchtigkeit seines Characters und seiner Bildung, die er auch durch die treffliche Erziehung seiner Söhne bewährte. In den vornehmen Familien der schweizerischen Freistädte herrschte vor Alters, wie zum Theil noch heut, ein reger Geist für das Höhere, vor Allem ein gar frommer, christlicher Sinn und das Haus Johann Schürpf zu St. Gallen hat keine Ausnahme gemacht.

Hieronymus erhielt die gelehrte Vorbildung für ein Fachstudium in seiner Vaterstadt. Während seine innere Entwickelung unter den günstigen Einflüssen häuslicher Erziehung gedieh, erlernte er die nach dem überlieferten System des Triviums zuerst zu absolvirende Grammatik in der Klosterschule. Es war eine gar abgeschmackte Methode, in welcher der Unterricht ertheilt wurde: scholastisch-spitsindige Unterscheidungen, Erweiterungen und Begränzungen in endloser Breite mußten. dazu dienen, die einfachsten Säße zu erläutern oder vielmehr zu verwirren. So ist es wohl erklärlich, wenn getlagt wird, daß ein Schüler über dem Erlernen der

Declinationen und Conjugationen 10 Jahre erfolglos verbringen könne 5). Obwohl die Opposition der Humanisten gegen die ausgeartete Scholastik schon begonnen hatte, so bewegte sich doch der große Haufe noch träge in dem althergebrachten Gang; wie überall, so zu St. Gallen und Basel, wohin Hieronymus, nach beendigtem grammatikalischem Cursus sich begeben sollte. Von der Mehrzahl der Basseler galt, trok der großen Blüthe der Universität, wohl noch das, was 1436 der gelehrte Papst Pius II. (Anneas Sylvius) geschrieben hatte: Die Baseler streben weder nach Ge lehrsamkeit noch nach Kenntniß der römischen und grie chischen Schriftsteller, so daß sie weder von Cicero, noch von einem anderen Redner gehört haben, auch der Dichter begehren sie nicht. Nur mit Grammatik und Dialektik beschäftigen sie sich". Die lezte hatte Hieronymus Schürpf, von der Natur mit großer Schärfe des Geistes ausgestattet, bald begriffen. Wie es scheint wendete er sich nun der Medizin zu, allein angezogen durch die Vorträge des in italienischer Schule gebildeten ULrich Krafft von Ulm®), ging er zur Jurisprudenz über. Als im Jahre 1500 oder 1501 Krafft nach Ulm berufen wurde, verließ auch Schürpf Basel und zog nach Tübingen 7). Das Haus, welches er dort bewohnte, trug die alte Inschrift:

Kirchen gehen seumet nicht,
Allmossen geben armet nicht,
Unrecht gut bleibet nicht.

Dieselbe blieb dem frommen Jüngling, gleichwie dem späteren Bewohner desselben Hauses, Philipp Melanthon, bis an's Ende seiner Tage in der Erinnerung 8). Schürpfs Lehrer in der Jurisprudenz waren in Tübingen

Ebinger) und Lupfdich1o). An Leyterem lobt Schürpf Durchsichtigkeit des Vortrags. Der Erstere hielt sich, vielleicht schon in Folge des Einflusses, den die Humanisten auf füdwestdeutschen Universitäten damals erlangt hatten, streng an die Quellen, er verlor sich nur wenig in „Labyrinthe“ d. h. in jene langweiligen Commentare, wie wir sie bei den Italienern des 15. Jahrhunderts finden, wo dünne Gedankenfäden mit allen Mitteln scholastischer Dialektik ins Endlose gezogen und die Meinungen Anderer in solcher Menge recensirt werden, daß zuletzt nicht einmal mehr der Lehrer, vielweniger der Schüler, weiß, was die Ansicht des Einen, was die des Anderen ist, während das eigene Urtheil der Vortragenden stets halb maskirt bleibt. Auch theo logische Collegia hörte Schürpf bei dem Freund seines Vaters: Summenhart. Dieser, ein Nachahmer Gerson's bestrebte sich, die kirchliche Lehre von unnüßen Subtilitäten und abergläubischen menschlichen Traditionen zu reinigen 11). So verlebte Hierony mus in Tübingen zwei, höchstens drei Semester, während welcher er, nach vorher erreichtem Baccalaureat in der Artistenfacultät, durch das Hören einer Reihe von for= malistischen Lectionen, das Anwohnen und die Betheiligung bei einer genau vorgeschribenen Anzahl von Disputationen, ein Eramen, die Würde eines magister artium sich erwarb, als deren Zeichen ein rundes, veilchenblaues Birett dem Neupromovirten überreicht wurde 12).

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Wie sehr man auch damals noch in dem starren Formalismus der scholastischen Philosophie befangen war, so regte sich doch schon überall frisches geistiges Leben. Die humanistische Richtung gewann mehr und

mehr an Bedeutung und Boden. Ueber ganz Deutschland hatte sich die durch den Kampf gegen Scholastik und Versumpfung der Kirche geistig verbundene Genossenschaft helldenkender Männer verbreitet, „die Conrad Celtes auf seinen gelehrten Streifzügen erfrischte und befestigte" 13). Mit Celtes und andern Humanisten stand der Kurfürst Friedrich von Sachsen (später,,der Weise" genannt) in Verbindung 14). Durch fie mag bei Friedrich der Gedanke erweckt und genährt worden sein, in seinem Lande eine neue Universität zu gründen, die der freien Richtung, welche überall, wo vereinzelte Vertreter derselben auftraten, heftige Anfeindungen erlitt, ein Sammelplatz und eine Veste werden sollte. Dieß waren wenigstens die Pläne derjenigen, die dem Kur fürsten als vornehmste Rathgeber bei der Errichtung seiner Hochschule dienten: des allbekannten Johann v. Staupi und des Martin Pollich von Mellrichstadt, Doctors der Philosophie und der Medicin, später auch der Theologie, des Leibarzts des Kurfürsten.

Als Siz für die neue Universität wurde Wittenberg an der Elbe gewählt, ein Ort, der in öder Umgebung aus nicht viel mehr als einigen Kirchen, einem ansehnlichen Nathhaus und einer Anzahl von Lehmhütten mit Strohdächern bestand.,,Wittenberg liegt an der äußersten Grenze der Civilisation, bemerkt Luther, wären sie noch ein wenig weiter gegangen, so waren sie mitten in der Barbarei“.

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Am 18. Oktober 1502 fand die feierliche Einweih ung der Gott und der unversuchten Jungfrau" gewid meten Universität Wittenberg statt. Vom kurfürstlichen Schloß wurde die Universität durch die Bürgermeister Wittenbergs eingeholt und im festlichen Aufzug nach der

Stiftskirche aller Heiligen geführt. Dort machte ein Hochamt mit folgender Predigt den gesegneten Anfang der Universität, worauf in der Sakristei die Wahl des ersten Rectors, Martin Pollich, erfolgte.

Unter den Festgenossen bemerken wir Hieronymus Schürpf. Man hatte nämlich bei Einrichtung der Universität nicht nur die Verfassung der Tübinger (und Leipziger) Hochschule zu Muster genommen, sondern auf Staupihens Betrieb, der Tübinger Doctor und ein Verehrer Summenhart's war, eine Reihe von Universitätslehrern dorther geholt. Unter ihnen war Wolffgang Stehelin von Rothenburg, I. V. D: Tubingensis, Ordinarius des kanonischen Rechts, sowie erster Decan der Juristenfacultät und Ambrosius Vollant aus Grüningen, Dr. Padavinus, erster Ordinarius des Civilrechts 16). Mit dem geistvollen Vollant, welcher schon im folgenden Jahre nach Würtemberg zurückgerufen wurde, wo er als späterer Kanzler eine glänzende wenngleich verschieden beurtheilte Rolle zu spielen bestimmt, war Schürpf schon in Tübingen befreundet und seinetwegen hatte er den Antrag, als lesender Magister der Philosophie nach Wittenberg zu ziehen, angenommen. Im September 1502 hatte er den freundlichen Gestaden des Neckar Valet gesagt, um in Wittenberg aristotelische Logif,,nach Duns Scotus" zu lesen und das aristotelische Buch über den Himmel und die Welt zu erklären 16). Die eigenthümliche Stellung eines magister legens brachte es aber mit sich, daß er selbst noch die Vorlesungen Anderer hörte, denn der magister legens ist noch Scholar. Doch war es schon auf den mittelalterlichen italienischen Hochschulen nach deren Vorbild Tübingen und somit Wittenberg organisirt waren vor

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